Oktober 2003 Rhodos 2003

"Dialog der Zivilisationen für eine humane Ordnung"

Die folgende "Erklärung von Rhodos" wurde am 6. September vom World Public Forum verabschiedet.

Das World Public Forum (Öffentliche Weltforum) wurde gegründet, um einen breiten Querschnitt von Personen des öffentlichen, religiösen, akademischen und politischen Lebens zusammenzubringen und einen "Dialog der Zivilisationen" zu beginnen.

Dies war das Ergebnis einer Reihe von Gesprächen, die in diesem Jahr in Moskau und St. Petersburg, in Neu-Delhi, in Teheran, in Prag, Athen und Vilnius geführt wurden.

Ziel des Dialogs ist es, solche Formen der Existenz der Weltgemeinschaft zu erörtern und zu erarbeiten, die grundlegende zivilisatorische Werte und die unveräußerlichen Menschenrechte stärken könnten, die in der Lage wären, die weltweiten Gefahren und Herausforderungen zu bewältigen.

Die Teilnehmer des Forums erörterten, daß die derzeitige Weltordnung, das etablierte System internationaler Beziehungen und dessen handelnde Institutionen die drängenden menschlichen Bedürfnisse nicht völlig befriedigen können. Daher haben sich die Bereiche menschlicher Entbehrung massiv ausgeweitet, es wurde ein sinnloses Streben nach Konsum und Erwerb geweckt, und es wurde hartnäckig über den Einsatz von Informationstechnologien versucht, nicht nur Volkswirtschaften, sondern auch Kulturen, Spiritualität, Moral und ethische Normen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Die Teilnehmer des Forums haben dem unumkehrbaren Schaden besondere Aufmerksamkeit gewidmet, der den Institutionen des internationalen Friedens und der Sicherheit durch ungerechtfertigten Einsatz von Gewalt gegen Souveränität, Sicherheit und Kultur anderer Nationen zufügt wurde, und der auf die einseitige Struktur der Welt zurückgeht.

Diesen Zustand in eine gerechte, zum Mitleid fähige und humane Ordnung zu überführen, erfordert Geduld, Opferbereitschaft und nachhaltige Aktionen, um diese immensen Probleme anzugehen.

Die Befriedigung der minimalsten Grundbedürfnisse aller Menschen - Nahrung, Wohnung, Gesundheit, Erziehung und Bildung, Arbeit sowie reine Luft und sauberes Wasser - sollten immer oberste Priorität für alle Menschen in allen Ländern sein. Derzeit werden die materiellen, kulturellen und spirituellen Folgen des heute vorherrschenden Wertes rücksichtslosen Konsums und seiner weltweiten Verbreitung immer weniger hinnehmbar, weil sie der Steigerung des Wohlstandes einiger weniger Länder und eines kleinen Personenkreises dienen, während der große Teil der Menschheit immer mehr in Armut und Entbehrung versinkt.

Es müssen Wege gefunden werden, um die unheilige Verbindung aufzubrechen, die innere und äußere Zwänge zu Konsum, Besitz und Anhäufung zur treibenden Kraft der Neuen Weltordnung macht. Eine Gesellschaft sollte spirituelle Werte und Errungenschaften preisen. Eine kulturelle und spirituelle Gegenbewegung ist in dieser Zeit erforderlich.

Verschiedene einheimische Kulturen haben sich zu unterschiedlichen Zivilisationen entwickelt. Der Prozeß der erzwungenen Abschaffung bestimmter Kulturen als Teil der Globalisierung hin zu einem einzigen Zivilisationsmodell schadet dem Prozeß der menschlichen Evolution. Ein Dialog der Religionen und Kulturen kann nur frei und kreativ geführt werden, wenn darauf verzichtet wird, damit zu drohen, daß die kulturellen Verschiedenheiten in einem einzigen weltweiten Standard absorbiert und assimiliert werden.

Die derzeitige Globalisierung, die sich auf die materielle Sphäre beschränkt und im Interesse einer kleinen Gruppe der reichen Industrie ethische, moralische und Wertgrenzen ausklammert und ohne Berücksichtigung der Interessen der ärmeren und der sich entwickelnden Länder durchgeführt wird, gefährdet die Zukunft der Menschheit. Die neue Weltordnung, die von der unilateralen Machtstruktur angestrebt wird, stellt das wahre Verständnis menschlicher Würde und Gleichheit in Frage und beleidigt die Freiheit und Souveränität der Nationen.

Der Menschheit wurde bereits zu großer Schaden zugefügt, und dies wird durch eine so große militärische Stärke gedeckt, daß dieser Zustand nicht sofort geändert werden kann. Zunächst müssen wir vermitteln und friedliche, gewaltfreie und geordnete Lösungen suchen, was die Vorstellungskraft der großen Gemeinschaft der Völker anfeuern wird, eine Entwicklung in Richtung einer menschlichen Zukunft einzuleiten. Aber der zeitliche Rahmen für Veränderungen gestaltet sich für verschiedene Nationen unterschiedlich, so daß Nationen, die durch die derzeit vorherrschenden Werte weniger geschädigt sind, möglicherweise einen Vorteil haben.

Langfristige Perspektiven zu verwirklichen, erfordert prophetische Visionen. Aber ein Verständnis der kurz- und mittelfristigen Ziele der Weltentwicklung erfordert die Suche nach einem neuen Verständnismodell, das gebraucht wird, um geeignete Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit seitens verschiedener Zivilisationen zu finden.

Der Kern dieser Antwort liegt in der Verteidigung der menschlichen Freiheit, sich im Rahmen der eigenen Kultur, des eigenen Territoriums und der eigenen Ressourcen und Bedürfnisse zu entwickeln. Erforderlich ist ein innovatives Zivilisationsprojekt, das alle Aspekte materiellen, kulturellen und spirituellen Wachstums umfaßt.

Die Suche nach dieser menschlichen Zukunft muß zu einem Umbau der materiellen Welt führen, in der wir leben und in der unsere moderne Zivilisation angesiedelt ist; denn sonst wird die Menschheit immer im Zustand eines raschen Abgleitens in ein Armageddon bleiben.

Das derzeitige Forum bildet nur den Beginn eines langen Prozesses, der Menschen und Nationen, die verschiedenen Zivilisationen angehören, einander näherbringt.

Die Teilnehmer dieses Forums haben einstimmig beschlossen, die ernsthafte Diskussion über das Schicksal der Menschheit, die auf der Insel Rhodos begonnen wurde, weiterzuführen. Diese Diskussion sollte zu einem wesentlichen Faktor der internationalen Lage werden. Die praktische Umsetzung der gesetzten Ziele kann über eine Reihe gemeinsamer Vorhaben vor allem in den Bereichen Kultur, Erziehung und Bildung sowie der Ökologie erreicht werden.

Die Teilnehmer und Delegierten des Forums haben beschlossen, ein ständiges Internationales Koordinierungskomitee des "Öffentlichen Weltforums für den Dialog der Kulturen" einzurichten.

Das Forum auf Rhodos fordert in der Öffentlichkeit tätige Organisationen sowie Parlamente und Regierungen, akademische Einrichtungen und Forschungszentren und Gelehrte und Denker auf, unsere Vorschläge auf breiter Basis zu diskutieren.


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