Zurück zum Journal

  November 2005 Journal (Texte)

Cheneys Niedergang und der Kampf um die Koalition in Berlin

von Helga Zepp-LaRouche

Die Vorsitzende des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche kommentiert die Ereignisse in den USA im Zusammenhang mit der Plame-Affäre und die innenpolitischen Querelen in Deutschland.

In einem Artikel mit Signalwirkung beschreibt die jüngste Ausgabe des US-Magazins Newsweek die paranoide Stimmung, die dieser Tage das Weiße Haus beherrscht: "Wer wußte was wann?" Gemeint ist die Frage, wer bei der strafrechtlichen Untersuchung des Sonderermittlers Fitzgerald angeklagt werden und wer als Zeuge der Anklage über die Mitverschwörer des bereits angeklagten Lewis Libby aussagen wird. Newsweek läßt die Bombe platzen, Regierungsmitarbeiter hätten Cheney bereits abgeschrieben, und zitiert einen namentlich nicht genannten Offiziellen: "Man kann sagen, daß der Einfluß Cheneys abnehmen wird, aber es ist schwierig, von Null etwas abzuziehen."

Das politische Klima in Washington könnte kaum heißer sein. Am 1. November übernahm der demokratische Minderheitsführer Harry Reid, unter Berufung auf die sog. Regel 21, die es jedem Senator gestattet, den Senat in eine nichtöffentliche Sitzung zu berufen, die erst durch eine mehrheitliche Abstimmung beendet werden kann, die politische Initiative im Senat. Damit erzwingt Reid etwas, das die republikanische Mehrheit bisher verhindert hatte: Nun kann der ganze Komplex der Fälschung von Geheimdienstinformationen, die als "Argumente" für den Irakkriegs dienten, untersucht werden. Im Brennpunkt dieser Untersuchung soll ausdrücklich die Rolle des Weißen Hauses und des Kabinetts stehen.

In einer Pressekonferenz unmittelbar vor der Senatssitzung unterstrichen die Senatoren Durbin (der Reids Initiative formell unterstützte), Jay Rockefeller und Chuck Schumer, das Verhalten von Libby und dessen Chef sei so unentschuldbar, daß beide rückhaltlos zur Rechenschaft gezogen werden müßten. Die Regierung sei in Handlungen verwickelt, die die nationale Sicherheit verletzten und moralisch verwerflich waren. Sie habe Geheimdienstinformationen gefälscht, um den Irakkrieg zu "verkaufen", und versucht, Personen, die es wagten, sich diesem Krieg zu widersetzen, zu ruinieren. Die republikanischen Senatoren Frist, Lott, Kyl und Santorum beriefen umgehend eine eigene Pressekonferenz ein und beschuldigten die Demokraten, sie hätten den Senat überfallartig übernommen. Gleichzeitig begann der Senat jedoch die geschlossene Sitzung gemäß Regel 21, wie Reid gefordert hatte.

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen können sich als politische Bombe mit Kettenreaktion erweisen: die Fälschung geheimdienstlicher Informationen zur Vorbereitung eines unnötigen Krieges, eines Angriffskrieges, Lügen gegenüber der amerikanischen Bevölkerung und dem Kongreß, dann die Verletzung der Genfer Konvention, der ganze Komplex der Folter von Gefangenen in Abu Graib, Guantanamo Bay und anderen Orten ... - eine stattliche Liste.

Bereits am 26. Oktober veröffentlichte die Washington Post einen Kommentar mit der Überschrift: "Vizepräsident für Folter" (siehe Leitartikel) über Cheneys Vorstoß für eine Ausnahmeregelung, die der CIA die Anwendung von Folter an ausländischen Gefangenen ausdrücklich erlaubt hätte. Dem war die spektakuläre Abstimmung im Senat mit 90:9 Stimmen für ein striktes Folterverbot vorausgegangen. Daß bis auf neun alle republikanischen Senatoren gegen das Weiße Haus stimmten, wurde als Ohrfeige für Bush und Cheney gewertet.

Aber es soll noch dicker kommen: Eric Olson, der Sohn eines früheren Chemikers der CIA namens Dr. Frank Olson, bemüht sich derzeit um eine neue Untersuchung der Umstände des Todes seines Vaters im November 1953. Dr. Olson hatte beobachtet, wie bewußtseinsverändernde Experimente an nichtsahnenden Personen durchgeführt wurden, von denen einige dann starben. Dabei sollen auch ehemalige SS-Mitglieder eingesetzt worden sein. Als Dr. Olson diese unglaublichen Verbrechen aufdecken wollte, starb er, angeblich durch Selbstmord. Am 11. Juli 1975 verfaßte Dick Cheney, damals Vizestabschef des Weißen Hauses, als Antwort auf die Pressekonferenz von Frau Olson und ihrer drei Kinder vom Vortage ein Memorandum, das im wesentlichen die Sache vertuschen sollte. Cheneys Verbindung zu Folter hat also anscheinend eine 30 Jahre alte Geschichte. Eric Olson hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Umstände des Todes seines Vaters ans Tageslicht zu bringen.

Was auch immer die Untersuchungen von Senator Reid, Sonderermittler Fitzgerald und anderen ergeben werden, der ungenannte Offizielle hat vielleicht recht, wenn er meint, Cheneys Einfluß sei auf dem Nullpunkt angelangt und falle noch weiter. Auf jeden Fall ist dies der Anfang vom Ende der diktatorischen Macht der Neocons. Und damit entsteht Raum für die dringend nötige überparteiliche Zusammenarbeit zwischen Demokraten und moderaten Republikanern. Nur eine solche Kombination reicht aus, um die mehr als dringende Frage einer neuen Finanzarchitektur, eines Neuen Bretton Woods in der Tradition von Franklin Roosevelt, auf die Tagesordnung zu setzen.

Wer ist gegen die Große Koalition in Deutschland?

Da die Weltpolitik gegenwärtig von den Ereignissen in den USA bestimmt oder zumindest beeinflußt wird, lohnt sich ein Blick auf die Ereignisse dieser Woche in Deutschland von diesem Standpunkt. Es ist offensichtlich, daß die internationalen Finanzinteressen, die seit einiger Zeit mit maßlosen Hedgefonds-Attacken gegen deutsche mittelständische Unternehmen operieren, die sog. "Heuschrecken", kein Interesse daran haben, daß es in Deutschland zu einer stabilen Regierung einer Großen Koalition kommt, die protektionistische Maßnahmen zum Schutze der deutschen Industrie ergreift. Genau dies hatte aber schon unter der Regierung Schröder begonnen, als diese eine Liste von sicherheitsrelevanten Unternehmen zusammenstellte, die vor ausländischen Übernahmen geschützt sind. Die internationale Finanzoligarchie fürchtet nichts mehr, als daß die USA zur Politik Roosevelts, einem Neuen Bretton Woods und einem New Deal zurückkehren und daß Deutschland dann von dieser Politik beeinflußt werden könnte.

Es wäre naiv zu glauben, die Finanzkräfte, die 1989-90 hinter der Opposition Thatchers und Mitterrands gegen die deutsche Wiedervereinigung standen, wären heute nicht mehr aktiv. Die Memoiren Helmut Kohls und das Jacques Attalis neues Buch über die Zeit der Wiedervereinigung werfen ein Licht auf die Operationen, die damals gegen Deutschland lanciert wurden. Wie gesagt, dieselben Interessen operieren heute, und da mag es zu denken geben, daß nach den Vorgängen um die Koalitionsverhandlungen ausgerechnet Müntefering, der ja die "Heuschrecken" deutlich angegriffen hatte, nicht mehr SPD-Vorsitzender ist. Gleichermaßen gibt es zu denken, daß Stoiber, der immerhin für gewisse staatsinterventionistische Maßnahmen im Hochtechnologiebereich bekannt ist, am selben Tag mit einer erpressungsähnlichen Skandalstory in der Münchner AZ über eine Verwicklung seines Vaters in kriminelle Betrügereien Anfang der 50er Jahre konfrontiert wurde (wobei es um den angeblichen Verkauf von Mussolinis Gold gegangen sein soll).

Auf jeden Fall war der Versuch, Andrea Nahles als Generalsekretärin der SPD durchzusetzen, der dann zu Münteferings Rücktritt führte, kein "Betriebsunfall". Das könnte vielleicht Erstkläßlern passieren, aber nicht hartgesottenen Politprofis. Es war ganz eindeutig der Versuch, die Weichen für eine andere Koalition zu stellen.

Was auch immer die Absichten und die Gesamtinteressenlage hinter der Verbindung der sog. "Netzwerker" mit den "Linken" war, die man vielleicht besser die "Jakobiner" in der SPD nennen sollte - von Prinzipien und von Sorge um das Gemeinwohl geprägt waren sie nicht. Wenn die 68er-Generation in der SPD dabei ist, abzutreten, dann kann einem nicht wohler werden angesichts einer kommenden Generation von sog. "Tweeners", die nichts zu einen scheint als ihr Ehrgeiz, an die Macht zu gelangen. Es gibt schon jetzt genügend Denkfabriken und Lobbyisten im Hintergrund, die spekulieren, wie sie die SPD mit Hilfe dieser neuen Generation umpolen und dazu gewinnen können, die "veralteten" Sozialsysteme abzuschaffen.

Im Interesse Deutschlands kann man nur hoffen, daß der neue SPD-Chef Platzeck seine Erfahrung beim Wiederaufbau nach der Oder-Flutkatastrophe jetzt anwenden wird, um in Deutschland zehn Millionen neue produktive Arbeitsplätze zu schaffen.

Edmund Stoiber hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Was auch immer die Hintergründe der ominösen AZ-Story sein mögen, er hätte bleiben und kämpfen müssen. Den Schwanz einzuziehen und sich unter dem Tisch der Staatskanzlei in München zu verstecken, ist unverzeihlich im Reich der Tiger. Und was soll heißen, wenn er sagt, das Amt des Ministerpräsidenten sei "sein Leben"? Daß er Ministerpräsident auf Lebenszeit sein möchte?

Leider ist der Nettoeffekt des Polittheaters der vergangenen Wochen, daß die Bevölkerung täglich mehr angewidert ist von dem Bild, das die Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien abgeben. Das Gefühl, daß sie alle, gleich welcher Partei sie angehören, nur um Posten schachern und sich um ihre Diäten sorgen, während ihnen die dringenden Probleme der Menschen draußen im Lande vollkommen "wurscht" sind, ist inzwischen sehr, sehr weit verbreitet. Wenn sich das nicht bald ändert, wird in den kommenden stürmischen Ereignissen die Legitimität des demokratischen Systems angezweifelt werden. Dies muß um jeden Preis verhindert werden.

Die BüSo und die LaRouche-Jugendbewegung werden es nicht zulassen, daß die geistige Verflachung und Perfektion der allgemeinen Mittelmäßigkeit immer mehr zunimmt. Wir werden das Volk der Dichter, Denker und Erfinder zum Leben erwecken. Das ist so sicher wie das politische Ende Cheneys.

Zurück zum Anfang Zurück zum Journal