Juni 2003 Archiv (Texte)

Europa sagt ja zum Tremonti-Plan

Trotz des Störfeuers der Maastricht-Anhänger gab der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der EU am 15. Juli grünes Licht für den "Aktionsplan für Wachstum".

"Italiens Plan ist jetzt Europas Plan", verkündete Italiens Finanzminister Giulio Tremonti erfreut am Ende des Treffens der Wirtschafts- und Finanzminister der EU (Ecofin) am 14.-15. Juli in Brüssel. Ecofin beauftragte die EU-Kommission, mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) einen technischen Plan auszuarbeiten, wie der von Italien vorgelegte Europäische Aktionsplan für Wachstum - auch Tremonti-Plan oder Europäischer New Deal genannt - umgesetzt werden kann.

Dieser Europäische New Deal spiegelt in vieler Hinsicht den Einfluß der Ideen Lyndon LaRouches wider, der in den letzten Jahren immer wieder mit Politikern und Institutionen in Italien darüber diskutiert hat.

Die EU-Kommission und die EIB werden nun im einzelnen planen, wie man aus privaten und öffentlichen Mitteln bis zu 70 Mrd. Euro jährlich bereitstellen kann, um die kritische Masse zur Ankurbelung der europäischen Wirtschaft durch Infrastrukturprojekte zu erreichen. "Wir müssen jetzt die finanziellen Bilanzen des Plans, seine Wirkung auf die nationalen und europäischen Haushalte und auf das Wirtschaftswachstum feststellen", sagte Tremonti.

Die EIB kann nach Angaben ihres Vorsitzenden Philippe Maystadt, der an den Ecofin-Beratungen teilnahm, Kredite über 100 Mrd. Euro bis 2010 ausgeben. Die Bank schlägt vor, eine Hälfte davon für Infrastrukturbauten und die andere für Forschung, Bildung und berufliche Bildung zu verwenden. Darüber hinaus kann die EIB Garantien für Obligationen ausgeben, die auf den Finanzmärkten verkauft werden. Zusammen mit den Haushaltsmitteln der EU für die Transeuropäischen Netze (TEN) könnte damit die von Tremonti angepeilte Größenordnung von 1-1,5% des europäischen BIP erreicht werden.

Im Oktober soll die Kommission eine Machbarkeitsstudie vorlegen, über die im Dezember auf dem letzten Gipfel unter italienischem Vorsitz endgültig beschlossen wird.

Der Aktionsplan für Wachstum bedeutet eine Abkehr der europäischen Wirtschaftspolitik von der malthusianischen Sparpolitik der Maastricht-Kriterien und des "Stabilitätspakts". Tremonti hat mehrfach betont, die europäische Wirtschaft sei in "einer Krise, die nicht nur ein einfacher negativer Zyklus ist, sondern etwas Größeres". Ohne einen "adäquaten Plan für öffentliche und private Investitionen" könnten die Strukturreformen "nicht funktionieren".

Anhänger der alten Maastricht-Politik bekämpften den Plan und forderten statt dessen diskreditierte neoliberale Rezepte wie "Strukturreformen", d.h. Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben für Renten, Gesundheit und Bildung, sowie die Deregulierung des Arbeitsmarktes.

Die Gegner argumentierten, der Plan verstoße gegen den Stabilitätspakt, der den EU-Ländern eine Obergrenze des Haushaltsdefizits von 3% vorschreibt. Aber hinter vorgehaltener Hand geben alle im Ecofin zu, daß der Stabilitätspakt ohnehin tot ist, weil die beiden größten EU-Mitglieder Frankreich und Deutschland 2004 die 3%-Grenze zum drittenmal hintereinander überschreiten werden. Auch Italien und sogar der bisherige "Klassenbeste" beim Haushaltsausgleich, die Niederlande, dürften das Ziel nicht erreichen.

Obwohl niemand öffentlich den Tod des Stabilitätspakts verkünden will und im Gegenteil alle beteuern, man müsse ihn respektieren, wird er also faktisch von allen ignoriert. Das macht es den einzelnen EU-Ländern leichter, sich mit öffentlichen Mitteln am Tremonti-Plan zu beteiligen.

Die Infrastrukturbonds

Das eigentlich Neue am Aktionsplan für Wachstum sind aber die "Infrastrukturanleihen", die auf den Finanzmärkten verkauft werden sollen, um privates Kapital an der Finanzierung zu beteiligen. Diese Methode hat man auch beim New Deal der Regierung Roosevelt und im Italien der Nachkriegszeit mit Erfolg angewandt. Die italienischen Autobahnen wurden mit einer Mischung aus öffentlichen und privaten Mitteln finanziert, die staatlich abgesicherten Anleihen über die Mautgebühren zurückgezahlt.

Tremonti schlägt vor, daß die EIB über eine neue Fazilität garantierte Anleihen ausgibt, die über Mautgebühren bzw. Einnahmen aus den Bahnfahrkarten zurückgezahlt werden. Ähnliches gilt für Energie- und Wasserversorgung u.a. Die Infrastruktureinrichtungen könnten von einem privaten, öffentlichen oder halbstaatlichen Unternehmen mit einer Konzession betrieben werden. Weil die EIB eine lange Rückzahlungsfrist von 35 Jahren vorschlägt, wären dies sichere, gewinnbringende Investitionen.

Um die Haushaltsfundamentalisten zu beruhigen, betont Tremonti, daß die Staatsschulden nicht steigen, wenn man die Infrastrukturbauten mit Hilfe solcher Anleihen finanziert.

Einige wenden nun ein, auch die staatlichen Garantien seien im Grunde öffentliche Schulden, das ist jedoch falsch. Natürlich sind Staatsgarantien potentiell Staatsschulden - aber eben nur, wenn die entsprechende Einrichtung bankrott geht. In diesem Fall, d.h. wenn der Betreiber weniger einnimmt, als zur Bedienung der Schulden nötig wäre, muß der Staat als Bürge den Anlegern ihr Geld zurückzahlen. Aber ein solches Restrisiko gibt es bei allen wirtschaftlichen Vorhaben, und es sollte die Investitionen nicht verhindern - es sei denn, das Risiko eines Bankrotts wäre schon im Vorhinein absehbar. Und selbst im Falle einer Pleite steigt die Produktivität der Volkswirtschaft als ganzer durch die neue Infrastruktur an, wie das Beispiel des englisch-französischen Kanaltunnels zeigt.

Die Transeuropäischen Netze können die regionale Produktivität - etwa im Nordosten Italiens und an anderen Verkehrsengpässen - um bis zu 50% steigern. Außerdem kann die neue EIB-Fazilität wegen der äußert niedrigen Kreditkosten Anleihen mit relativ niedriger Verzinsung ausgeben, so daß ziemlich billige Fahrpreise auf den neuen Verkehrslinien möglich werden. Solche Anleihen sind für private Anleger trotz ihres geringen Ertrags immer noch interessant, weil zusammenbrechende Aktienbörsen keine bessere Alternative bieten.

Chefsache

Was die Gegner des Tremonti-Plans in Wirklichkeit stört, ist das "Regulierende" - die Tatsache, daß der Plan die Nationalstaaten in der Wirtschaft wieder ins Spiel bringt. Eine Staatsgarantie für ein "Finanzprodukt" ist ein schrecklicher Verstoß gegen das Tabu des freien Wettbewerbs! Deshalb reagierten die reaktionärsten Kreise der Finanzwelt mit einer großen Propagandakampagne in Medien wie der Financial Times und Die Zeit, mit oft derart lächerlichen Argumenten, daß man den Eindruck hat, die Autoren haben den Tremonti-Plan gar nicht gelesen, obwohl er auf der Webseite der italienischen EU-Präsidentschaft auf englisch für jedermann frei zugänglich ist.

Trotz der Sabotageversuche wie der Provokation im Europaparlament am 2. Juli - wir berichteten - verläuft die Annahme des Tremonti-Planes "nach Plan". Ein wichtiger Grund hierfür ist, daß Unterstützung auf allerhöchster Ebene, also der Staats- und Regierungschefs selbst, gewonnen wurde. Bundesfinanzminister Hans Eichel mußte am Rande des Brüsseler Ecofin-Treffens zugeben, der Aktionsplan für Wachstum sei "Chefsache". Die Entscheidung trifft der Rat der EU mit Bundeskanzler Schröder, dem französischen Präsidenten Chirac, Italiens Ministerpräsident Berlusconi und den übrigen Staats- und Regierungschefs.

Berichten aus dem Umfeld der italienischen Regierung zufolge will Berlusconi auch Präsident Bush für diese Politik gewinnen, weil sie auch im Interesse der USA liege. Lyndon LaRouche, der weltweit führende Ökonom in der "Roosevelt-Tradition", hat den Tremonti-Plan begrüßt. Wenn man dies in Zusammenhang mit der Politik Rußlands, Chinas und Indiens für die Eurasische Landbrücke bringe, liege darin ein gewaltiges Potential.

Hamilton contra Keynes

In seinem kürzlich veröffentlichten Papier "Gebt dem Buchhalter ein Beruhigungsmittel" vergleicht LaRouche die Hamiltonische Wirtschaftspolitik, für die der Tremonti-Plan implizit steht, mit einem keynesianischen Vorgehen. Aufgrund seines "Multiplikationsfaktors" berge das keynesianische System - wie z.B. das der Bank von England unter Keynes - eine inhärente Dynamik der Preisinflation. LaRouche schreibt:
    "Die schlimmste Form dieser Entwicklung entsteht in einem, wie Herbert Feis schreibt, kranken globalen System von Finanzanleihen, wie dem Währungs- und Finanzsystem 'freier Wechselkurse' des IWF nach 1971. Das Ergebnis ist gewöhnlich eine Anhäufung von Zinsforderungen, welche die Kosten von realen Gütern und Finanzinstrumenten inflationieren... Im Gegensatz dazu ist ein protektionistisches, Hamiltonisches System, in dem die Nationalbank eine Kreditausweitung schafft, vom Charakter her deflationär, aber trotzdem meistens expansiv. Das ist in einem wohlregulierten, protektionistischen Währungs- und Finanzsystem mit festen Wechselkursen gewöhnlich ein bedeutender Vorteil."
Daher wird Europas neue Wachstumspolitik nur im Rahmen einer generellen Reorganisation des Weltfinanzsystems, dem von LaRouche geforderten Neuen Bretton Woods, erfolgreich sein. Der italienische Senat diskutiert derzeit über eine Resolution, worin die italienische Regierung aufgefordert wird, dafür die Initiative zu ergreifen.

Claudio Celani


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