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  April 2004 Journal (Texte)

Weltkrieg, nein danke!

Die Prinzipien des Westfälischen Friedens müssen um jeden Preis verteidigt werden!

Der Westfälische Frieden von 1648 beendete nicht nur den Dreißigjährigen Krieg, sondern markiert auch den Beginn des Völkerrechts. Es wundert nicht, daß Neoliberale wie Neokonservative und alteingessene Imperalisten dieses Konzept am liebsten loswerden wollen.

Seit einiger Zeit ertönt ein höchst mißgestimmter Chor, daß das Völkerrecht, wie es sich seit dem Westfälischen Frieden von 1648 entwickelt hat, überholt sei. Vor allem die Idee der nationalen Souveränität ist Leuten wie Henry Kissinger, George Shultz, Tony Blair oder Graf Lambsdorff ein Dorn im Auge. Das Erstaunlichste aber ist, daß bisher kein einziger Vertreter der Bundestagsparteien den Mut (oder das historische Verständnis) aufbrachte, sich diesem gefährlichen Schwachsinn entgegenzustellen.

So meinte Kissinger schon vor einiger Zeit, das Konzept des Westfälischen Friedens - immerhin beendete er 1648 fast 150 Jahre Religionskrieg in Europa - könne vor allem für die Nahostregion keine Gültigkeit mehr haben. George Shultz war schon während der Nixon-Administration für die Aufhebung der festen Wechselkurse und trägt deshalb Mitverantwortung für die gegenwärtige Systemkrise. In einem Gastkommentar im Wall Street Journal griff er jetzt die Ideen des Westfälischen Friedens und des souveränen Nationalstaates an, die die Welt in den letzten 300 Jahren bestimmten, und verteidigte das Konzept der präventiven Intervention gegen "Schurkenstaaten".

Tony Blair war sich Anfang März nicht zu schade, die aus eben dieser Ideologie stammende US-Doktrin des nuklearen Präventivkrieges in einer Rede in Segdefield zu verteidigen. Er brüstete sich sogar in seiner typischen Flucht-nach-vorn-Manier damit, daß er lange vor dem 11. September 2001 vorgeschlagen habe, mit den Prinzipien des Westfälischen Friedens zu brechen. Tatsächlich hatte er 1999 in Chikago eine "Doktrin der internationalen Gemeinschaft für die Begründung von Interventionen" selbst für den Fall gefordert, daß von den entsprechenden Staaten keine direkte Bedrohung ausgehe.

Die beste Verteidigung sieht Blair in der globalen Verbreitung "unserer Werte". Was diese unsere Werte nun sind, in dieser Hinsicht ließ Otto Graf Lambsdorff in einem ganzseitigen Artikel in der NZZ am 27. März die Katze aus dem Sack: Er verlangte kategorisch die Aufhebung der Rechtsgrundlagen des Westfälischen Friedens, weil sie der weltweiten Verbreitung des freien Marktes, der Menschenrechte und der "offenen Gesellschaft" entgegenstünden. Ebenso sei auch der Protektionismus, den er richtigerweise der axiomatischen Basis des Westfälischen Friedens zurechnet, "als Anti-Dumping-Regeln oder als Durchsetzung von Sozialstandards" gefährlich. So deutlich haben es die anderen schon genannten Gegner des Internationalen Völkerrechts allerdings nicht zugegeben, daß die Prinzipien des Westfälischen Friedens weg müssen, weil sie ein Hindernis bei der totalen Ausbeutung im System der Globalisierung darstellen. Lambsdorff spricht auch aus, wer letztendlich die Umsetzung dieser Weltordnung behindere, nämlich Rußland und China!

Diese Herren schlagen nichts anderes vor, als zur feudalen Rechtsordnung zurückzukehren, wie sie vor dem Westfälischen Frieden vom 24. Oktober 1648 existiert hat, als es eben noch kein Völkerrecht gab. Für heute bedeutet das hundert Jahre Religionskrieg wie damals in der Zeit von 1511 bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648. In der Tat sprach der ehemalige CIA-Chef Woolsey explizit von "hundert Jahren Krieg gegen den Terrorismus". Nach den Vorstellungen der Vertreter der präventiven Nuklearkriegsdoktrin gibt es immerhin über 60 Staaten, bei denen ein Regimewechsel angesagt ist!

Und wer wollte bezweifeln, daß mit der Tötung Scheich Jassins durch Scharon ein neuer Religionskrieg nicht nur die ganze Region entflammen, sondern von hier auch der Dritte Weltkrieg ausgehen könnte, wovor der jordanische König Abdallah kürzlich gewarnt hat.

Diese Herren, die so scharf darauf sind, die Prinzipien des Westfälischen Friedens aufzugeben, sollten sich dringend daran erinnern, was die Religionskriege in Europa angerichtet haben, als sich unter dem Vorzeichen des Christentums die Anhänger der katholischen und der protestantischen Kirche so lange gegenseitig niedermetzelten, daß in vielen Landstrichen bis zu 60 oder 80% der Bevölkerung ausgelöscht waren. In den vier Jahren, in denen um den Westfälischen Frieden gerungen wurde, war allen Beteiligten klar, entweder gelingt es ihnen, Prinzipien für eine Friedensordnung zu finden, oder niemand würde das Gemetzel überleben.

Diese in Münster und Osnabrück verhandelten Prinzipien waren die Basis für das Völkerrecht, das sich über die UN-Charta und die Genfer Konventionen bis heute entwickelt hat. Der Vertrag des Westfälischen Friedens war ein welthistorischer Durchbruch der allerersten Ordnung. Er legte fest, daß künftig alle Außenpolitik nicht auf Rache, sondern auf Liebe basieren müsse, und daß um des Friedens willen alle Verbrechen und Schandtaten, die auf der einen oder der anderen Seite begangen wurden, vergessen und vergeben werden müßten. Dieses Grundprinzip des Westfälischen Friedens ist heute die einzige Chance, eine Lösung für die Krisenherde dieser Erde zu finden - ob es sich dabei um den Nahen und Mittleren Osten oder die Region der Großen Seen in Afrika oder andere Gebiete handelt. Die Alternative dazu wäre - so historisch ignorant dürften die Herren Kissinger, Shultz, Blair und Lambsdorff ja wohl nicht sein - ein Gemetzel, bis niemand mehr übrig ist.

Die Herausbildung der nationalen Souveränität, die mit diesem Vertragswerk zum ersten Mal in das Völkerrecht eingebunden wurde, repräsentierte einen Meilenstein, der die Welt von der Barbarei des Feudalismus befreite, in der Regierungen nur die Privilegien der Monarchen und Oligarchen (dazu gehören auch Grafen) sicherten. Es führte zu einer Konzeption des Staates, in der die Regierungen dem Gemeinwohl der Bevölkerung verpflichtet waren. Mit diesem Vertrag wurde auch die Rolle des Staates beim Wiederaufbau der Wirtschaft festgelegt, womit die Tradition des Kameralismus und der physischen Ökonomie ihren Anfang nahm und die von Graf Lambsdorff so gefürchtete "Durchsetzung von Sozialstandards".

Im Feudalismus gab es das allerdings nicht. Da genoß nur die kleine Oberschicht alle Privilegien, während die Masse der Bevölkerung den Status menschlichen Viehs innehatte, das über Generationen hinweg bewußt rückständig gehalten wurde und zur Not auch mal abgeschlachtet werden konnte.

Wer die Fraktion der Neokonservativen begreift, die sich, leider nicht nur in den USA in der Cheney-Bush-Administration ihr Stelldichein geben und großenteils Bewunderer des Professors Leo Strauss und seiner eigenwilligen Platon-Interpretationen sind - daß nämlich Platon eigentlich nicht Sokrates sondern Trasymachos recht gegeben habe und daß die Lüge zur Machterringung und -erhaltung legitim sei - , für den wird vieles an der Argumentation der Globalisierungsbefürworter verständlicher.

"Menschenrechte und Marktwirtschaft sind untrennbar miteinander verbunden...", schreibt Graf Lambsdorff. Ach wirklich? Warum stirbt dann Afrika? Und warum klauben die Menschen in Buenos Aires auf den Müllhalden ihr Essen zusammen?

In Wahrheit wissen die oberen Schichten des Establishments sehr wohl, daß das globale Finanzsystem der sogenannten freien Marktwirtschaft (frei sind nur die Spekulanten, während die Mehrheit der Bevölkerung immer ärmer wird) hoffnungslos am Ende ist. Und das Vorbild dieser Kreise ist das Gegenmodell zur Amerikanischen Revolution, nämlich die Restauration, die dem Wiener Kongreß folgte. In der Restauration und sogenannten "Heiligen Allianz" dominierten die Ideen des oligarchischen, rassistischen und antisemitischen Joseph de Maistre und die imperialen Vorstellungen Castlereaghs und Metternichs.

Das Britische Empire und das Habsburgerreich etablierten nämlich nicht nur ihr reaktionäres System in Europa, sie verstanden sich auch als Weltpolizei, die überall auf der Welt gegen den Geist der Insubordination eingreifen mußten. Sie meinten, auch für die "inneren Angelegenheiten" aller europäischen Staaten verantwortlich zu sein. Falls also in einem Land ein "falsches System" herrschte, oder es Aufstände gab, hatten sie ihrer Meinung nach das Recht zu intervenieren.

Auf dem Troppauer Kongreß 1820 beschlossen die Mächte der Restauration ihr Interventionsrecht im Namen der Legitimität und als Kampfmittel gegen die Volkssouveränität: 1821 intervenierte Österreich in Neapel, und in Spanien vollzog Frankreich 1823 den "Willen Europas". Über die Frage der Interventionspolitik zerbrach aber der Bund der fünf Mächte. Als die europäischen Imperialmächte schließlich ihre Arme nach Lateinamerika ausstreckten, erließen die USA am 2. Dezember 1823 die Monroe-Doktrin, die jegliche europäische Intervention in den Amerikas als Bedrohung für die Sicherheit und den Frieden der USA auffaßte.

Wie man sieht, ist der Kampf zwischen dem Prinzip der nationalen Souveränität und dem imperialen Interventionsrecht nicht neu. Und es war auch immer klar, wer sich auf welcher Seite befand. So schrieb Henry Kissinger ein langweiliges Buch über den Wiener Kongreß und die Restauration, in der die Rolle der Preussischen Reformer völlig ausgeklammert ist, Freiherr vom Stein nur in einem vollkommen irrelevanten Zusammenhang erwähnt wird, und die ganze Epoche ausschließlich von einem imperialen Standpunkt betrachtet wird. Kissingers eindeutige Vorbilder sind Castlereagh und Metternich.

Wer heute vorschlägt, die Prinzipien des Westfälischen Friedens aufzugeben, der spielt ganz bewußt mit dem Dritten Weltkrieg. Und gerade in Europa, das sich bis heute nicht von den Folgen des 20. Jahrhunderts erholt hat, haben die Menschen weiß Gott genug vom Krieg. Um so beschämender ist es, daß bisher kein einziger Vertreter der im Bundestag vertretenen Parteien den gefährlichen Thesen von Kissinger, Shultz, Blair und Graf Lambsdorff Paroli geboten hat. Man wird den Verdacht nicht los, daß man in diesen Parteien zu feige ist, und lieber abwartet, wie die nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA ausgehen.

Genau aus diesem Grund ist es absolut wichtig eine Partei in das Europäische Parlament zu wählen, die den Mut hat, die Fragen anzusprechen, die über unser aller Schicksal entscheiden.

Wählen Sie am 13. Juni die Büso ins Europäische Parlament!

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