Zurück zum Journal

  Januar 2005 Journal (Texte)

Wiederaufbau für die Menschen vor Ort

Süd- und Südostasien. Das von Gerhard Schröder angeregte Moratorium wird am 12. Januar auf der Sitzung des Club of Paris beraten. Leider hat sich die Bundesregierung noch nicht zu einem wirklichen Erlaß der Schulden durchringen können.

Als am 6. Januar in der indonesischen Hauptstadt Jakarta die erste von mehreren internationalen Konferenzen zum Wiederaufbau nach der Tsunami-Katastrophe begann, waren weltweit schon fast vier Milliarden Dollar an nichtstaatlichen Spendengeldern und Zusagen von Regierungen zusammengekommen, alleine von deutscher Seite 200 Millionen Euro an privaten Spenden und 500 Millionen Euro der Bundesregierung.

Über die von Bundeskanzler Schröder angeregte Schuldenerleichterung sollen die elf geschädigten Länder am Indischen Ozean noch einmal knapp 6 Milliarden Dollar erhalten - das sind über einen Zeitraum von mehreren Jahren gestundete Ratenzahlungen für Altkredite. Erste Einzelheiten über die Bedingungen dieser Schuldenerleichterung werden von der in Frankreich für den 12. Januar einberufenen Sitzung des Pariser Clubs erwartet, in dem die Gläubigerregierungen vertreten sind. Leider hat sich selbst die deutsche Bundesregierung, die als erste die Forderung nach Erleichterung bei den Schuldenzahlungen erhoben hat, nicht zu einem wirklichen Erlaß der Schulden für Indonesien, Sri Lanka und die anderen neun betroffenen Länder durchringen können.

Es ist auch noch ungeklärt, wie diese Länder Zugang zu großzügigen Neukrediten mit langen Laufzeiten und zu niedrigen Zinsen erhalten können - Kredite, die angesichts der riesigen Zerstörungen ein Vielfaches der bisher zugesagten privaten und staatlichen Hilfen betragen müssen.

Entwurf für Partnerschaften

Während vorerst etliche Fragen offen bleiben, ist zu begrüßen, daß der Bundeskanzler beim Eintreffen der ersten Meldungen vom Indischen Ozean seinen Urlaub sofort abbrach und bei seiner Rückkehr nach Berlin zusammen mit dem Bundesaußenminister sogleich die ersten Hilfslieferungen in Gang setzte. Vor allem aber hat die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers, in deren Zentrum die Tsunami-Katastrophe stand, einen wichtigen positiven Impuls für die internationale Diskussion gegeben.

Die vom Kanzler vorgebrachte Idee, den wirtschaftlichen Wiederaufbau langfristig über Partnerschaften von der Ebene der Regierungen bis hinunter zu den Kommunen zu institutionalisieren, setzt dabei einen Rahmen, in dem zum ersten Male seit vielen Jahren wieder ernsthaft über eine sinnvolle entwicklungspolitische Perspektive gesprochen werden kann. Die Chance, Fehler der letzten Jahrzehnte zu korrigieren und die Diskussion über eine neue und gerechte Weltwirtschaftsordnung zu forcieren, ist nach diesen Anstößen gegeben - hoffentlich wird sie genutzt und nicht wieder verspielt.

Das Konzept der Partnerschaften, bei denen sich ein reiches Land auf jeweils ein von der Flut geschädigtes Land besonders konzentriert, heißt für Deutschland, daß es sich besonders um den Wiederaufbau in Indonesien und Sri Lanka bemühen wird. Diese beiden Länder wurden vom Bundeskanzler in Berlin am 5. Januar genannt, und es sind vermutlich die beiden Länder, in denen die zumeist sehr arme einheimische Bevölkerung am schwersten von der Flutkatastrophe getroffen wurde, in denen etwa zwei Drittel sämtlicher Opfer des Tsunami vom 26. Dezember zu beklagen sind.

Beispiel Sri Lanka

Auf Sri Lanka hat es besonders schlimm die an den Küsten lebenden Bevölkerungsteile getroffen, die mehr schlecht als recht vom Fischfang leben. Mehr als ein Drittel der Toten des Landes sind Fischer und ihre Familienangehörigen, und mit ihnen wurde der allergrößte Teil der Boote, Hafenanlagen und Fischerdörfer in den Ozean gerissen. Von 100 Booten, die ansonsten im Hafen von Galle ankerten, sind nur noch zwei mit großen Schäden erhalten. "Wir sind am Ende, unsere Fischereiindustrie ist vollkommen zerstört," sagte Sumudi Dahanayaki, der Hafenmeister des einstigen Hafens von Galle, gegenüber ausländischen Journalisten.

In einer vorläufigen Schadensauflistung sprach das Fischereiministerium von Sri Lanka zehn Tage nach der Katastrophe von riesigen materiellen Verlusten, welche die Überlebenden aus eigener Kraft selbst in etlichen Jahren nicht wieder ausgleichen können: "980 hochseetüchtige Schiffe für Mehrtagesfahrten, 1 200 Schiffe mit Inbordmotor, 6 500 Boote mit Außenbordmotor, 600 motorisierte Einbäume und 15 040 nichtmotorisierte Fischerkähne sind teilweise oder komplett zerstört worden." Während an Ersatz der Boote zumindest auf mittlere Sicht zu denken ist, gilt dies nicht für die tausende Fischer, deren Erfahrung mit ihnen im Tsunami unterging.

Die Fischereiwirtschaft von Sri Lanka ist durch diese Katastrophe um einige Jahrzehnte zurückgeworfen worden, was um so dramatischer ist, weil dieser Wirtschaftssektor auch für die unmittelbare Ernährung der Bevölkerung in den Küstenregionen selbst von enormer Bedeutung ist. Mit wenigen Ausnahmen derjenigen, die etwas besser im Tourismusbetrieb verdienen, ist die Bevölkerung bettelarm. Viele der untergegangenen, zerstörten Boote waren auf Basis von Krediten, die noch längst nicht abgezahlt waren, angeschafft worden - auch hier ist ein realer Erlaß von Schulden dringlich, damit es überhaupt einen Neuanfang geben kann.

Angesichts der realen Lage muß der Schwerpunkt des Wiederaufbaus daher in der Wiederherstellung der Verkehrs- und Gesundheitsinfrastruktur, der Versorgung mit Trinkwasser und Strom, der Wohnungen, Schulen und Hafenanlagen liegen. Sri Lanka braucht eine moderne Fischereiwirtschaft, die genügend Überschüsse für den Export liefern kann, es braucht einen leistungsfähigen Bausektor, eine moderne und ertragreiche Landwirtschaft und die Ansiedlung verarbeitender Betriebe.

Der Tourismussektor, der schon bisher nur einen kleinen Teil der Bevölkerung ernähren konnte, kann beim Wiederaufbau nur eine Nebenrolle spielen. Der Versuch, Sri Lanka zu einem fragwürdigen "Tourismusparadies" wie Thailand zu machen, darf erst gar nicht gemacht werden, schon allein wegen der negativen Begleiterscheinungen wie Kinderhandel, sexuellen Minderjährigenmißbrauch und großflächige Vertreibung derjenigen Bevölkerungsteile, die der Ausbreitung der Hotelanlagen im Wege stehen. Dabei hat man es in Thailand nicht einmal für notwendig gehalten, in eine funktionsfähige Strandwacht zum Schutz der zehntausende ausländischer Touristen zu investieren. Der Krebs, der mit dem Vietnamkrieg und seinen US-Vergnügungszentren mit Spielkasinos und Bordellen auf thailändischem Boden eingepflanzt wurde, hat die reale Wirtschaft des Landes in einem Ausmaße zerstört, das über die Folgen dieser Tsunami-Katastrophe noch hinausgeht.

Neue Weltwirtschaftsordnung

Der Tsunami hat Länder getroffen, deren Wirtschaft sich noch längst nicht von den Folgen der spekulativen Asienkrise von 1997 erholt hatte. Die neue und gerechte Weltwirtschaftsordnung, die schon 1997 hätte geschaffen werden müssen, steht nun erst recht auf der Tagesordnung, und es wäre nur gut und angemessen, wenn sich der Bundeskanzler zum Hauptsprecher hierfür machte. Die vom Kanzler den Vereinten Nationen angebotene Ausrichtung einer internationalen Konferenz zum Wiederaufbau am Indischen Ozean und zur Katastrophenvorsorge kann die Plattform bieten für die Diskussion über eine neue Weltwirtschaftsordnung.

Rainer Apel

Zurück zum Anfang Zurück zum Journal