August 2003 Heureka

Wie groß ist die Welt?

Wer die Größe der Erdkugel wissen möchte - oder die des Mondes, der Sonne, vielleicht sogar die des ganzen Universums - , der schaut im Lexikon nach oder klickt sich aus dem Internet die entsprechenden Informationen herbei. Doch wie sind diese Informationen entstanden?


Aristarchs Messung
Größenverhältnis der Erde zu Mond und Sonne

Die tatsächliche Größe messen

Woher kennen wir die Größe der Sonne? Niemand war bisher mit einer Meßlatte dort. Auf der Erde kann man sich vorstellen, daß jemand mit dem Maßstab um den Äquator herumgegangen ist und Schritt für Schritt nachgemessen hat. Aber so einfach war das wohl auch nicht. Woher wußte er beim Messen immer, daß er sich genau auf dem Äquator befand? Auch auf dem Mond ist der Mensch schon mit einem kleinen Auto herumgefahren, aber wie hat er seine Größe gemessen und seinen Abstand von der Erde, den man ja kennen mußte, bevor man überhaupt hinfliegen konnte?

Der erste Mensch, von dem wir wissen, daß er "über die Größen und Entfernungen der Sonne und des Mondes" geforscht hat, war der griechische Wissenschaftler Aristarch von Samos. Er lebte etwa von 310 bis 250 v. Chr. und war der Meinung, die Sonne sei ein großes Feuer und nicht etwa ein Gott, der mit dem glänzenden Sonnenwagen am Himmel entlang fährt. Diese Hypothese über das Sonnenfeuer führte ihn zu der Erkenntnis, daß der Mond im Gegensatz zur Sonne nicht selber scheint. Seine Helligkeit entsteht, indem er das von der Sonne auf ihn fallende Licht zurückstrahlt. Diese beiden miteinander zusammenhängenden Hypothesen ermöglichten es Aristarch, eine Messung vorzunehmen, um das Größenverhältnis von Sonne und Mond zu bestimmen. Folgen wir seinem Gedankengang.

Wenn das Licht des Mondes das zurückgestrahlte Sonnenlicht ist, dann müssen bei Halbmond Erde, Mond und Sonne genau so stehen, daß der Winkel Erde-Mond-Sonne ein rechter ist, d.h. 90° beträgt. In dem Dreieck Erde-Mond-Sonne ist dann die lange Seite gegenüber dem rechten Winkel der Abstand von der Erde zur Sonne. Eine kurze Seite ist der Abstand von der Erde zum Mond und die andere kurze Seite der Abstand vom Mond zur Sonne. Einen Winkel dieses Dreiecks kennen wir schon, den beim Mond: er hat 90°. Wenn wir einen zweiten Winkel messen können, dann könnten wir, da die Winkelsumme 180° ist, den dritten errechnen und wüßten die Form des Dreiecks Erde-Mond-Sonne. Da wir die Länge keiner der Seiten messen können, können wir über den absoluten Abstand nichts sagen, aber aus der Form des Dreiecks können wir das Abstandsverhältnis von Mond und Sonne zur Erde ableiten.

Aristarchs Messung

Die Messung, welche Aristarch durchführte, war nun die folgende. Er beobachtete genau bei Halbmond von der Erde aus den Winkel, in dem der Mond zur Sonne stand. Diese Messung, die nicht einfach durchzuführen ist, lieferte ihm den Wert von 87° für diesen Winkel. Nun zeichne man ein Dreieck mit der Einheitsstrecke als Grundseite (das entspricht dem Abstand Erde-Mond) und konstruiert am einen Ende (Mond) einen rechten Winkel und am anderen Ende (Erde) einen Winkel von 87° (siehe Abb. 1). Der Schnittpunkt dieser beiden Linien (Sonne) vervollständigt das Dreieck, und man kann mit dem Stechzirkel direkt ablesen, daß der Abstand Erde-Sonne das 19fache der Grundseite beträgt. Aristarch konnte aus seiner Hypothese und seiner Messung also schließen: Der Abstand von der Erde zur Sonne ist das 19fache des Abstands zwischen Erde und Mond.

Damit gab sich Aristarch jedoch noch nicht zufrieden. Er dachte darüber nach, ob dieses neue Wissen es ihm vielleicht ermöglichte, eine Aussage über das Verhältnis der Größe des Mondes und der Sonne zu machen. Und in der Tat gelang ihm das. Eine andere Himmelsbeobachtung half: die Sonnenfinsternis. Aristarch ging von der Hypothese aus, daß die Sonne sich am hellichten Tag verfinstert, weil der Mond genau zwischen Sonne und Erde tritt. Nun war bei allen Sonnenfinsternissen festgestellt worden, daß die Mondscheibe gerade die Sonne verdeckte. Sonne und Mond erschienen bei der Sonnenfinsternis von der Erde aus gleich groß. Da ihr Abstandsverhältnis von der Erde sich wie 1 zu 19 verhält, kann man sofort schließen, daß die 19fach weiter entfernte Sonne in Wirklichkeit auch 19mal so groß sein muß wie der Mond (siehe Abb. 2).

Größenverhältnis der Erde zu Mond und Sonne

Nun ging Aristarch noch einen Schritt weiter. Er überlegte, in welchem Größenverhältnis die Erde zum Mond und zur Sonne steht. Die Beobachtung, welche ihm die Meßdaten lieferte, war die Mondfinsternis. Grundlage der Messung ist die Hypothese, daß der Mond nur das Sonnenlicht zurückstrahlt. Die Mondfinsternis erklärt sich dadurch, daß der Erdschatten den Mond verdunkelt. Die Zeit, welche vom ersten Augenblick einer völligen Mondfinsternis bis zur vollständigen Verdunkelung vergeht, ist genauso lang, wie der Mond völlig verdunkelt bleibt - und natürlich auch so lang, wie sein völliges Wiederauftauchen aus dem Erdschatten dauert.

Aristarch schloß daraus, daß der Erdschatten an der Stelle, wo sich der Mond bei der Mondfinsternis befindet, genau doppelt so groß sein muß wie der Mond selbst. Um das einzusehen, stellen wir uns den Augenblick vor, wenn der Mond gerade ganz in den Erdschatten eingetreten ist, d.h. mit dem hinteren "Saum" gerade noch den Erdschatten berührt. Markieren wir nun den vorderen Saum des Mondes. Diese markierte Stelle passiert der Mond nun mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der er in den Erdschatten getreten ist. Da die Phase der Verdunkelung genau gleich lang ist wie die der völligen Dunkelheit, berührt der vordere Saum des Mondes die andere Grenze des Erdschattens (und beginnt wieder zu erscheinen) genau dann, wenn sein hinterer Saum die markierte Stelle im Erdschatten erreicht hat. Es liegen also genau zwei Monddurchmesser hintereinander im Erdschatten (siehe Abb. 3).

Nun haben wir alles beisammen, was wir brauchen, um das Größenverhältnis der Erde zum Mond und zur Sonne zu bestimmen, wir müssen nur noch ein wenig rechnen. Wir betrachten wieder ein Dreieck. Unser Ausgangspunkt ist genau dort, wo der Mond den Erdschatten wieder verläßt. Von hier aus ziehen wir eine Linie entlang der Schattengrenze zur Erdoberfläche und weiter zur Sonnenoberfläche. Die andere ziehen wir parallel zur Verbindung der Mittelpunkte von Erde und Sonne. Diese zweite Linie schneidet vom Erdradius (Re) und dem Radius der Sonne jeweils einen Monddurchmesser, d.h. zwei Mondradien (Rm), ab. Wir sehen also, daß sich der um zwei Mondradien verminderte Erdradius zu dem um zwei Mondradien verminderten Sonnenradius wie 1 zu 20 verhalten muß. Da wir vorher schon den Sonnenradius als das 19fache des Mondradius bestimmt hatten, erhalten wir:

Und mit dem bekannten Wert für den Sonnenradius (das 19fache des Mondradius) erhalten wir, daß der Sonnenradius das 6,65fache, also fast das Siebenfache des Erdradius ist. Aristarch schloß aus diesen Größenverhältnissen, daß nicht die kleine Erde das ruhende Zentrum der Welt sein könne, sondern daß diese um die viel größere Sonne kreise. Er entwarf somit als erster das heliozentrische System - eine Leistung, die zu unrecht dem Kopernikus zugeschrieben wird, der 17 Jahrhunderte später gelebt hat.

Die tatsächliche Größe messen

Nun wollen wir noch einen Schritt weiterzugehen, indem wir die tatsächliche Größe von Sonne und Mond messen. Da wir nun die Größenverhältnisse dieser beiden Himmelskörper zur Erde kennen, können wir das nämlich tun, indem wir den Umfang der Erde messen. Diese Messung führte der Grieche Eratosthenes aus, der etwa von 275 bis 195 v.Chr. in Alexandria lebte.

Eratosthenes stellte fest, daß zu einer ganz bestimmten Zeit im Jahr die Sonne in Syene (heute Assuan) bis zum Boden eines tiefen Brunnen schien, d.h. genau senkrecht im Zenit stand. In Alexandria stand die Sonne zur gleichen Zeit nicht genau im Zenit, denn sie warf von der Spitze eines hohen Pfeilers einen kleinen Schatten. Die Messung dieses Schattens ergab einen Winkel, der dem 50. Teil einer ganzen Umdrehung entsprach. Eratosthenes nahm an, daß die Sonne sehr weit von der Erde entfernt ist, so daß ihre Strahlen auf der Erde parallel auftreffen (eine Hypothese, welche durch Aristarchs Ergebnisse naheliegend ist), und schloß daraus, daß die Entfernung von Syene nach Alexandria der 50. Teil des Erdumfangs sein muß. Er ließ diese Strecke messen und kam zu einem Ergebnis, das dem heute bekannten Erdumfang von rund 40000 km sehr nahe kam (siehe Abb. 4).

Der Erdradius ist also etwa 6370 km, und mit den oben gefundenen Verhältniszahlen erhalten wir für den Mond 2230 km und die Sonne etwa 42680 km. Das stimmt natürlich nicht mit dem Informationen überein, die wir im Lexikon oder im Internet finden. Das macht aber gar nichts. Im Gegenteil! Wir wissen jetzt viel mehr, als im Lexikon steht. Wir kennen einen Weg, diese Zahlen selbst zu finden. Wenn wir diesen - mit Hypothesen und Messungen gepflasterten - Weg wieder zurückgehen, dann sehen wir, daß das Ergebnis vor allem von dem Winkel zwischen dem Mond bei Halbmond und der Sonne abhing. Aristarch hatte einen Wert von 87° gemessen. Wir brauchen nur den genauen Wert finden und können die genaue Größe von Sonne und Mond ganz allein herausfinden.

Man kann spaßeshalber aus den Werten, die wir heute im Lexikon finden, rückwärts berechnen, welchen Winkelwert Aristarch damals hätte messen müssen. Wer will, kann das tun; die heute bekannten Werte sind: Abstand Erde-Sonne = 149,6 Mio. km und Abstand Erde-Mond = 384400 km. Welchen exakten Wert hätte Aristarch mit Hilfe von Fernrohr und modernen Geräten gemessen?

Ach, beinahe hätte ich es ganz vergessen; die Frage lautete ja: "Wie groß ist die Welt?" Bisher war aber nur von Erde, Mond und Sonne die Rede, als gäbe es die Planeten und Fixsterne überhaupt nicht. Gut, daß es schon jemanden gab, der auf Aristarch aufbauend überlegt hat, wie groß das Universum sein kann: Archimedes von Syrakus! Er lebte von 287 bis 212 v.Chr., und seine Schrift, in der er diese Überlegungen aufschrieb, heißt Sandrechner. Er überlegte sich nämlich, wie viele Sandkörner im Universum Platz finden.

Ralf Schauerhammer



Anmerkungen zur Aufgabe

1. Aus den angegebenen Abstandsangaben erhält man, daß der Abstand Erde-Sonne 389,2mal so groß ist wie der Abstand Erde-Mond. Daraus ergibt sich, wegen Cos-1(1/389,2) = 89,85°, daß die genaue Messung des Winkels 89° 51' hätte ergeben müssen.

2. Aus der Sonnenfinsternis-Betrachtung ergibt sich auch, daß die Sonne 389,2mal so groß ist wie der Mond. Bei genauerer Beobachtung vieler Sonnenfinsternisse sieht man, daß die am Himmel sichtbare Sonnenscheibe ein wenig größer ist als die Mondscheibe, und zwar um etwa 3%. Wird das in der Rechnung berücksichtigt, so ergibt sich für das Größenverhältnis von Sonne zu Mond der Wert 401.

3. Die Berechnung des Verhältnisses der Größenverhältnisse von Erde zu Mond und Erde zu Sonne durch die Mondfinsternis-Betrachtung wird recht ungenau. Man erhält Rm = 0,33 Re (der genaue Wert ist 0,273) und Rs = 132 Re (der genaue Wert ist 109). Folglich werden dann auch die über die Messung von Eratosthenes bestimmten absoluten Größen für Mond und Sonne zu groß (nämlich 2110 km statt 1738 für Rm und 843840 km statt 696000 km für Rs).