September 2002  Lyndon H. LaRouche


...was menschlich ist am Menschen

Von Gabriele Liebig

Lyndon LaRouches 80. Geburtstag ist Anlaß für diesen Rückblick auf einige wesentliche Ideen, womit er vor 30 Jahren in die amerikanische und europäische Studentenbewegung intervenierte.


Freiheit und Notwendigkeit
Das schöpferische Gesetz

Heute, 2002

Am 8. September 2002 wird Lyndon LaRouche 80 Jahre alt. Menschen aus aller Welt werden bei dieser Gelegenheit auf verschiedene Weise ausdrücken, wieviel Probleme die Welt heute weniger hätte, wenn im Weißen Haus nicht George W. Bush, sondern LaRouche regierte. Man wird ihn als Staatsmann und Wissenschaftler würdigen, denn in Rußland, China, Indien und Brasilien, in Afrika, der arabischen Welt und ansatzweise sogar im zaghaften Europa schätzt man ihn als Repräsentanten des "anderen Amerikas" der Unabhängigkeitserklärung, als kühnen Vordenker einer neuen gerechten Weltwirtschaftsordnung und als Ideengeber der modernen Naturwissenschaft. Der folgende Beitrag ist als Ergänzung dazu gedacht. Die Verfasserin schildert, aus eigener Erinnerung, welche seiner Ideen die konzeptionelle Entwicklung unserer Bewegung in Europa am meisten geprägt haben.

Ich lernte LaRouche Anfang 1973 in den USA kennen. Eine Gruppe deutscher Studenten hatte sich nach New York aufgemacht, um sich vor Ort ein Bild von den "Labor Committees", einer amerikanischen Studentenorganisation, zu machen. In einem kleinen Hörsaal der New Yorker Columbia University hielt er - außerhalb des offiziellen Uni-Lehrplans - einen Vortrag über "Dialektische Ökonomie". Im ungemütlich-weißen Neonlicht stand ein hochgewachsener Mann mit einer damals schon altmodischen Hornbrille im gescheiten Gesicht. Zu dem etwas ausgeleierten Jackett trug er eine Fliege. Von diesen Äußerlichkeiten, auf die er übrigens nicht den geringsten Wert zu legen schien, wurden wir bald abgelenkt durch seinen Vortrag. Schon damals benutzte er keinerlei Manuskript.

Er sprach, so ist es mir jedenfalls im Gedächtnis geblieben, über "die weltweite Tasse Kaffee". Man stelle sich vor, welche Arbeitsprozesse und Materialien dazu nötig seien, um den Morgenkaffee auf den Tisch zu bringen: Der Kaffee muß angebaut werden in Brasilien oder Kolumbien, geerntet, geröstet und in Säcken verschifft, in Tüten abgefüllt und schließlich verkauft. Wer stellt die Ausrüstung der Röstereien her? Wer macht die Kaffeesäcke? Und erst die Schiffe? Ähnliche Überlegungen möge man auch für die Tasse anstellen, ebenso für die Energie, um das Kaffeewasser zu kochen. Kurzum, diese unscheinbare Tasse Kaffee schicke einen schon dreimal um den Erdball. Das war nicht nur meine erste Lektion in "physischer Ökonomie", der Wissenschaft von der Wirtschaft als einem vielfach verknüpften, lebendigen Prozeß; es war auch ein farbiges Beispiel der komplexen philosophischen Idee bei Nikolaus von Kues oder Leibniz, daß schon der kleinste Gegenstand das Ganze enthalte, wenn man nur all seinen inneren Beziehungen bis ins Letzte nachginge.

Der Höhepunkt der 68er-Studentenrevolte war damals überschritten, die linke Bewegung versank zunehmend im Sumpf der Rock-Drogen-Sex-Gegenkultur, und mit Veröffentlichung des Berichts an den Club of Rome Die Grenzen des Wachstums von 1972 wurde die Nullwachstumsbewegung lanciert, die zuerst nichts mit Naturschutz, umso mehr dafür mit Systemanalyse zu tun hatte. LaRouches Denken bildete den Gegenpol zu beidem, Nullwachstumsideologie und Gegenkultur. Für ihn war klar, daß nach den Wiederaufbaujahren der Nachkriegszeit jetzt die Dritte Welt an der Reihe sei, ihr Menschenrecht auf Entwicklung und ihre Unabhängigkeit von den alten Kolonialherren einzufordern. Eine gesunde Entwicklung der physischen Wirtschaft, so LaRouche, bedeute "erweiterte Reproduktion", nicht nur in einem Land, sondern weltweit.

Die anderen Linken verstanden davon wenig oder nichts, für sie ging es hauptsächlich um Umverteilung. Und vor allem begriffen sie nicht, daß die "erweiterte menschliche Reproduktion", wenn sie nicht über kurz oder lang an zur Neige gehenden natürlichen Ressourcen und einer dementsprechend "fallenden Profitrate" scheitern will, immer wieder wissenschaftlich-technische Revolutionen erfordert.

Gegen die Nullwachstümler, moderne Maschinenstürmerargumente und gegen die Verseuchung der jungen Leute mit angeblich "bewußtseinserweiternden" Drogen nahm LaRouche deshalb kein Blatt vor den Mund. "Man braucht sich keine Sorgen darüber zu machen, daß der Mensch lange in dem Zustand der Bestialisierung verharrte, den die Manson-Familie anstrebt.1 Er würde bald aufhören zu existieren."2 Die Nullwachstums-Gegenkultur verstoße gegen das Naturrecht - d.h. die Art und Weise, wie sich die menschliche Gesellschaft wirtschaftlich, politisch und geistig organisieren müsse, um die "erweiterte Reproduktion" der Menschheit auf Dauer zu sichern - , argumentierte er schon in seinem Buch Dialectical Economics.

Die "Labor Committees" unterschieden sich von den anderen Studentengruppen durch ihren intellektuellen Anspruch. Die Hauptsache an einer revolutionären Bewegung sei die Entwicklung und Selbstbewußtwerdung des einzelnen, betonte LaRouche. So wurden wir eine Erziehungsbewegung. Und da galt es zuerst, "die Erzieher zu erziehen". Dieser Aufgabe waren praktisch alle Schriften LaRouches aus den frühen 70er Jahren gewidmet. In welcher Weise er uns von der Gegenkultur keineswegs unberührt gebliebenen 20jährigen die Musik seines Lieblingskomponisten Beethoven und die klassische Dichtung nahebrachte, geht aus dem nebenstehend abgedruckten Auszug aus Jenseits der Psychoanalyse von 1973 hervor. Bei der Rockmusik kannte er keine Kompromisse: "Diejenigen, die 'beides lieben, Beethoven und Rock-Musik', zeigen bereits damit, daß sie die Fähigkeit verloren haben, den Gehalt von Beethovens Musik zu vernehmen."3

Das Manuskript zu seinem Buch Dialectical Economics hatte er schon Ende der 60er Jahre fertig gehabt. Die meisten Ideen, die er nun in seinen Artikeln für The Campaigner bzw. das deutsche Internationale Bulletin erläuterte, waren darin schon enthalten. Trotzdem war LaRouches Weltanschauung, sein prinzipieller Standpunkt gegenüber der europäischen Geistesgeschichte, in Dialectical Economics noch nicht vollständig ausgereift. Das Buch gründet sich auf die Kritik an Karl Marx, und im Vorwort heißt es z.B.: "Leider waren Marx die Arbeiten führender Mathematiker unter seinen Zeitgenossen wie Weierstrass, Riemann und Cantor unbekannt. Das ist höchst bedauerlich..."4 Aber es war ein Buch für Marxisten oder solche, die sich dafür hielten, und in der philosophischen Diskussion bezieht LaRouche sich, wenn auch kritisch, auf Descartes, Spinoza, Kant, Hegel, Feuerbach - auf die sich auch Marx bezog. In der Folgezeit nahm LaRouche in zwei wichtigen Punkten eine Korrektur vor.

Erstens griff er dabei zurück auf die intensiven Leibniz-Studien in seiner Schülerzeit, als er u.a. die Monadologie durchgearbeitet hatte. Bei erneuter Betrachtung des Methodenstreits zwischen Leibniz und Newton, Leibniz und Descartes sowie Kants Kampagne gegen die Leibnizsche Philosophie erkannte LaRouche nun, daß Leibniz nicht nur gegenüber Newton, sondern auch gegenüber Descartes und Kant recht hatte, und welchen Schaden die Kantsche Philosophie in Deutschland angerichtet hatte.

Die zweite Korrektur betrifft die Wirtschaftstheorie des deutschen Nationalökonomen Friedrich List, den Marx ausdrücklich angegriffen, und des Amerikaners Henry Carey, den Marx einfach ignoriert hatte. Carey und List entwickelten eine Politische Ökonomie zur Förderung einer am Gemeinwohl orientierten Volkswirtschaft in einem souveränen Nationalstaat gegen die Freihandelslehre des Adam Smith, welche die Interessen des Britischen Empire reflektierte. LaRouche kam zu dem Schluß, daß der gemeinwohlorientierte souveräne Staat die Interessen der Bürger besser vertreten kann als irgendein Internationalismus. Beide Aspekte fanden Niederschlag in einem neuen Lehrbuch für physische Ökonomie auf der Grundlage von Leibniz und List: Was Sie schon immer über Wirtschaft wissen wollten.5

Unzählige weitere neue Ideen sind seither in LaRouches Schriften hinzugetreten, neue Denker aus anderen Ländern und Zeiten wurden entdeckt, gelesen, ihre Ideen flossen ein und gaben den Dingen bisweilen eine neue Wendung, aber stets als Bereicherung, Ausfaltung der vorhandenen Idee, Weiterentwicklung, nicht mehr als eigentliche Korrektur. Derart bereichernd wirkten etwa die Gedanken des Renaissance-Gelehrten Nikolaus von Kues und Friedrich Schiller, die Lyns Frau Helga sozusagen als geistige Mitgift 1977 in die Ehe einbrachte.6

Freiheit und Notwendigkeit

Die Ideen LaRouches mit dem prägendsten Einfluß auf mich und meine Freunde sind vielleicht nicht zufällig solche, die schon in Dialectical Economics vorhanden waren und sich in seinen Reden und Schriften gewissermaßen "invariant" bis heute erhalten haben, obwohl er sie früher mit anderen Worten ausdrückte.

Wie ein roter Faden zieht sich das Thema "Freiheit und Notwendigkeit" durch Dialectical Economics, und zwar im gleichen Sinne, wie man es auch in Schillers Schrift Über das Erhabene findet. Notwendigkeit bezeichnet hier zum einen die Tatsache, daß alle Menschen einmal sterben müssen, und zum anderen den materiellen Existenzkampf der Menschheit gegen Hunger, Krankheit und Naturgewalten. Während der Mensch sich dieser Notwendigkeit schlechterdings nicht entziehen kann, so hat er doch die Freiheit, in diesen Prozeß schöpferisch einzugreifen und durch das Hervorbringen, Weitergeben und Anwenden neuer Entdeckungen und Erfindungen die Lebensbedingungen der Menschen nachhaltig zu verbessern, indem die menschliche Arbeitsproduktivität durch technologische Umwälzungen schubartig gesteigert wird.

Diesem objektiven Begriff der Freiheit, bezogen auf den Fortschritt der menschlichen Gesellschaft, steht die subjektive Freiheit des Individuums völlig gleichberechtigt zur Seite: Die neuen Ideen entstehen weder automatisch noch kollektiv, sondern im Geist des einzelnen Menschen, der in seiner schöpferischen Denkarbeit seine Identität als Mensch, seine ganz subjektive Freude und zugleich den Sinn seiner Beziehung zur übrigen Menschheit sieht.

Heftig polemisiert LaRouche gegen die vielfachen Mißverständnisse hinsichtlich der Freiheit: Auf dem Holzweg seien die rechtslastigen Neoliberalen ebenso wie die linken LSD-Esser: Die einen mißverstünden unter Freiheit "das Recht, sozial verantwortliches Handeln aufzugeben, immer wenn man als Individuum irgendwelche asozialen oder antisozialen Regungen verspürt". Und die anderen hofften wohl, sich mit Hilfe chemisch induzierter Sinnestäuschungen von der Natur befreien zu können.7

Ein in LaRouches Schriften häufig wiederkehrender Gedanke über Sinn und Aufgabe des menschlichen Lebens, im Unterschied zum Dasein der Tiere, ist in folgenden Worten enthalten, die das Menschenbild LaRouches und den Anspruch, den er an sich selbst stellt, treffend wiedergeben:

    "Was steckt im Leben eines Menschen, das seinen Tod zu einem Verlust für die Menschheit machte? Was könnte es anderes sein als irgendeine beständig wirkende Kraft, die ihn zur universellen Arbeit beitragen läßt, die Kraft mitzuwirken an der stets weiter zunehmenden Fähigkeit der Menschheit, auch für kommende Generationen ihre Fortexistenz zu ermöglichen? Da gehorcht man allen Vorschriften, lebt ein geordnetes, untadeliges Leben - und alles zerfällt zu Staub; das verblichene Leben wird betrauert, doch nur weil es die letztendliche Vergeblichkeit der eigenen geordneten, unschöpferischen Existenz der Trauernden verkündet. Das einzige, wofür man verdient, geliebt und in Erinnerung behalten zu werden, ja überhaupt gelebt zu haben, ist ein Beitrag zur realisierten universellen Arbeit, ein Beitrag des Individuums zum Ganzen, die Ausübung seiner Freiheit in Form schöpferischen Denkens, um die zunehmende Überwindung der Notwendigkeit durch den Menschen zu begreifen. Ohne dies ist der einzelne Mensch auf einen tierhaften Zustand erniedrigt, zu einem Lebewesen mit gleichbleibendem Verhalten, das wie ein Tier nur immer dieselbe gattungsspezifische Routine fortsetzt, die man von ihm erwartet. Abgetrennt von seinem Recht, ein Mensch zu sein, und von seinem Potential zu schöpferischem Denken, sieht er seine kognitiven Kräfte qualvoll eingesperrt in der Hölle seines 'unbewußten' An-sich-seins."8
Vielleicht macht gerade die gewisse Düsterkeit dieses frühen Zitats verständlich, warum LaRouche so häufig auf die Vier ernsten Gesänge, op. 121 von Johannes Brahms hingewiesen und sie als eine Art "Vermächtnis" bezeichnet hat. Die Antwort auf die herben Worte "Es gehet dem Menschen wie dem Vieh", und vom Unrecht, das so viele durch die Schuld der Mächtigen erleiden, so daß der Tod ihnen noch als Wohltat vorkommt, wird im letzten Gesang gegeben, der den 1. Korintherbrief 13 des Apostels Paulus über die Liebe und die Aussicht auf Vervollkommnung menschlicher Erkenntnis im ewigen Leben in Musik setzt: "Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei - aber die Liebe ist die größte unter ihnen".

Das schöpferische Gesetz

Den Prozeß, in dem der freie Mensch durch angewandte neue Entdeckungen die Notwendigkeit überwindet und die materielle Existenzweise der Menschheit (oder zumindest eines Teils von ihr) voranbringt, beschrieb LaRouche mit den Begriffen des Mathematikers Georg Cantor häufig als Folge n, n+1, n+2, usw... Später ergänzte er das Konzept und schlug vor, man sollte der Folge des materiellen Fortschritts eine entsprechende Folge geistig-kultureller Fortschritte m, m+1, m+2, usw... gegenüberstellen. Der springende Punkt dabei sind aber weniger die einzelnen Beispiele der Folge, sondern das beiden Folgen innewohnende Gesetz, das LaRouche als Cantorschen "Typus" oder "transfinite Zahl" faßbar gemacht hat.9

Der faszinierendste Gedanke dabei war - und ich denke, nicht bloß für mich - die "Hypothese der höheren Hypothese": daß für die "erweiterte Reproduktion" in der physischen Wirtschaft das gleiche antientropische Gesetz gelte wie bei der Evolution des Universums insgesamt und wie für die Selbstvervollkommnung des menschlichen Geistes. Im naturwissenschaftlich-physikalischen Zusammenhang nannte LaRouche das schöpferische Gesetz "Anti-Entropie". Bezogen auf die Entwicklung des menschlichen Geistes und die Entfaltung einer Persönlichkeit entlehnte er z.B. von Ludwig Feuerbach den Begriff des "sich selbst erweiternden Positiven".

Diese Gedanken - gewissermaßen handelt es sich um das Denken in unendlichen Mengen - sind geradezu ihrer Natur nach dazu geeignet, den Geist in Bewegung zu setzen. Es empfiehlt sich aus diesem Grunde nicht, Papiere von LaRouche kurz vor dem Zubettgehen zu lesen. Seine Methode ist fast immer die Darstellung des "bloßen Konzepts". Ihm ist es nicht darum zu tun, irgendwelche Lorbeeren für eine lückenlos ausgearbeitete Dissertation zu holen, sondern gerade so viel von einer Idee in Worte zu fassen, daß dadurch die Gedanken des Lesers in eigene Tätigkeit versetzt werden. Und wenn das erst einmal passiert, ist an Schlafen nicht mehr zu denken.

So kommt es aber auch, daß zwar einiges von LaRouche in äußerst fruchtbarer Weise ausgearbeitet worden sind, vieles aber auch nicht, so daß die Nachwelt uns vermutlich vorhalten wird, wievieles von diesem Steinbruch der Ideen LaRouches unbehauen geblieben ist. Die liebe Nachwelt wird dann hoffentlich Kriegsgefahr und Wirtschaftskrach gut überstanden haben, und auch viel mehr Zeit und viel weniger "Notwendigkeit" um die Ohren haben als unsereiner in diesen turbulenten Zeiten heute.

Erwähnen sollte ich aber doch wenigstens eine schöne Ausarbeitung, nämlich Jonathan Tennenbaums geometrisches Modell antientropischen Wachstums der physischen Wirtschaft, das er gemeinsam mit LaRouche entwickelt hat: Es hat in erster Näherung die Form einer Spirale auf dem Kegelmantel und ist Gegenstand des erwähnten Lehrbuches Was Sie schon immer über Wirtschaft wissen wollten. Wie groß war dann erst unser Staunen, als es tatsächlich gelang, Keplers Theorie des Planetensystems mit den relativen Werten für die elliptischen Planetenbahnen als Kegelschnitte in einem Kegel darzustellen. Und erst recht entzückt waren wir, als Tennenbaum und LaRouche zur Untermauerung unserer Kampagne gegen die überhöhte Orchesterstimmung und für die Rückkehr zur "wissenschaftlichen Stimmung" c'=256 Hz auch den Weg durch das Wohltemperierte System der musikalischen Tonarten als Spirale auf einem Kegelmantel darstellten.10 (Leider werden die Studenten der Volkswirtschaftslehre, Astronomie und Musik an den Universitäten erst noch dafür kämpfen müssen, daß derart interessante Dinge Einlaß in die von ganz anderen Denkrezepten beherrschte Schulwissenschaft finden.)

An dieser Stelle möchte ich übrigens allen Mißverständnissen vorbeugend eine Warnung einschieben. Wenn ich hier einige wenige Ideen LaRouches höchst selektiv und notwendigerweise verkürzt aufreihe, dann geschieht dies im Rahmen meines subjektiven Geburtstagsporträts und soll nicht etwa Versuchen zur Herstellung irgendwelcher Kompendien im Stil "LaRouche für ganz Eilige" Vorschub leisten. Wer immer versuchen wird, Feind oder fehlgeleiteter Freund, irgendeine "LaRouche-Doktrin" zu fixieren, wird seinen Ideen genau damit das Leben nehmen. Denn das Lebendige dieser Ideen liegt nicht in den Worten, die man schwarz auf weiß nach Hause trägt, sondern in der Geistestätigkeit, die im Kopfe dessen, der sie hört oder liest, dadurch angeregt wird.

Die Geschichte des Kegelmodells hat noch eine Pointe: Es wurde nämlich nach wenigen Jahren durch ein fortgeschritteneres Modell antientropischen Wirtschaftswachstums ersetzt, womit auch die wachsende Kapitalintensität in einer gesunden Wirtschaft dargestellt werden konnte. Es bestand aus einer Folge ineinandergesteckter Kegel mit wachsendem Öffnungswinkel für die zunehmende Kapitalintensität (siehe Kasten zum LaRouche-Riemann-Modell).11

Heute, 2002

Auf der Grundlage der wirtschaftstheoretischen Erkenntnis, die er bis dahin schon entwickelt hatte, war Lyndon LaRouche schon 1971 in der Lage, die Konsequenzen der Aufkündigung des alten Bretton-Woods-Systems mit Nixons Abkopplung des Dollars vom Gold zu erkennen. Vor 30 Jahren hat er die heute vor unseren Augen ablaufende globale Systemkrise mit ihren politischen und kriegerischen Begleitsymptomen in ihren Wesenszügen vorausgesehen und dies auch laut und deutlich gesagt.

Er bewirbt sich erneut um das Amt des amerikanischen Präsidenten. Ihm geht es nicht um Ruhm und Ehre, aber er möchte nicht mehr länger nur Kassandra spielen müssen. Er will drohendes Unheil nicht bloß voraussehen können, sondern auch die Möglichkeit haben, es abzuwenden. Daß ihm diese Möglichkeit immer noch verwehrt wird, im eigenen Land Amerika, aber auch hier in Europa, ist eine Schande! Das sagen ich und meine Freunde, nicht er.

Wie reagiert LaRouche? Unbeugsam, bisweilen mit einer Art gespannter Ungeduld, und mit Witz. Er schreibt, entwickelt immer neue Ideen und Initiativen, reist bisweilen um die halbe Welt, um Gastvorträge zu halten und Gespräche zu führen, spricht weiterhin frei ohne Notizzettel und liebt stundenlange Diskussionen.

Die "fundamentale Emotion" ist dieselbe geblieben. Neulich sagte er in einer Diskussion mit jungen Leuten in Baltimore: "Ich mag die Menschheit. Ich finde es zwar nicht gut, wie die Menschen sich die meiste Zeit aufführen, aber ich liebe die Menschheit. Ich finde, die Menschheit ist etwas sehr Erfreuliches. Der Trick ist, man darf nie das Ganze aus den Augen verlieren."

Wir gratulieren Lyndon LaRouche herzlich zum 80. Geburtstag!


Anmerkungen

1. Die "Manson-Familie" galt als berühmt-berüchtigtes Sozialexperiment der Rock-Drogen-Sex-Gegenkultur. Man verbrachte den Tag mit Sex, im Drogenrausch und wie sich später herausstellte, mit Mord. Siehe Carol Greene, Mörder aus der Retorte. Der Fall Charles Manson, Böttiger Verlag, 1992.

2. Veröffentlicht unter dem Pseudonym "Lyn Marcus": Dialectical Economics, D.C. Heath and Company, Lexington, Toronto, London, 1975, S. 215. Das Manuskript war mehr als sechs Jahre vorher entstanden.

3. Lyn Marcus, "Jenseits der Psychoanalyse", Internationales Bulletin Nr. 10, Mai 1974, S. 29

4. Dialectical Economics, Vorwort, S. xii.

5. L. LaRouche, Was Sie schon immer über Wirtschaft wissen wollten, Böttiger Verlag, Wiesbaden 1985. Das englische Original erschien 1984.

6. LaRouche verweist darauf in seiner Autobiographie Die Macht der Vernunft im Kapitel "Meine Ehe mit Helga", Böttiger Verlag, Wiesbaden 1987.

7. Dialectical Economics, S.449

8. Dialectical Economics, S.22f

9. L. LaRouche, So streng wie frei. Gesetzmäßigkeiten schöpferischen Denkens in Wissenschaft und Kunst, Böttiger Verlag, Wiesbaden 1994.

10. Handbuch der Grundlagen von Stimmung und Register, Hrsg. Schiller-Institut, Böttiger Verlag, Wiesbaden 1996, Einleitung und erstes Kapitel.

11. L. LaRouche, Christentum und Wirtschaft. Die wissenschaftlichen Grundlagen einer neuen, gerechten Weltwirtschaftsordnung, Böttiger Verlag, Wiesbaden 1992, bes. Anhang H: Geometrische Darstellung gesamtwirtschaftlicher Prozesse, S. 259ff.

 


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