Oktober 2003 Jugendseminar Spreewald

Wie organisiert man eine Renaissance?

Ein Bericht vom Wochenendseminar der LaRouche-Jugendbewegung im Spreewald vom 26. bis 28. September.


Vox humana
Lyndon calling

Cusa-lität

Laser und Individuum

Don Schiller

Schock und Chance

Die Kultur liegt im Sterben. Wenn man Kultur als einen stets zu erneuernden Prozeß der Aneignung und Weitergabe von schöpferischen Ideen und Handlungsweisen sieht, dann kommt man angesichts der gegenwärtigen Krise zu dieser Einschätzung. Wir brauchen also eine weltweite Renaissance. Das bedeutet nicht zuletzt, die lästige Gewohnheit des Konsumierens abzulegen und endlich begreifen zu lernen, daß die vorrangige Qualität des menschlichen Geistes in seiner Fähigkeit besteht, universelle Ideen zu entdecken und die Menschheit daran Anteil nehmen zu lassen. Die Wochenendakademien der LaRouche-Jugendbewegung eröffnen dieser Verwirklichung des Menschen neue Wege. Am 26.-28. September fanden sich deshalb 33 Jugendliche aus Berlin, Dresden, München und dem Rhein-Main-Gebiet in einer Jugendherberge im Spreewald zusammen, um der vor sich hin röchelnden Kultur frisches Blut zuzuführen.

Vox humana

Das ursprünglichste Medium für Musik ist und bleibt die menschliche Stimme. Das Wissen über dieses uns allen angeborene Instrument wurde wesentlich erweitert, als Leonardo da Vinci seine anatomischen Studien anfertigte und so u.a. die wissenschaftlichen Grundlagen des Belcanto (schönen Gesangs) legte. Michael Gründler hat für die LaRouche-Jugendbewegung eine äußerst engagierte, dabei jedoch spielerisch einfache Pädagogik dieser Gesangsmethode ausgearbeitet. Er eröffnete den Freitagabend mit einer Mischung aus theoretischer und praktischer Gesangsarbeit.

Wer hätte gedacht, daß der Kopf des Menschen hinter der Nase mit einem Höhlensystem ausgestattet ist, das insgesamt der Größe einer geballten Faust entspricht? Nasen-, Kiefern-, Stirn-, Siebbein- und Keilbeinhöhlen bilden einen miteinander verbundenen komplexen Resonanzkörper, der durch seine Schwingung einen runden, angenehmen Ton erzeugen kann.

Michael führte diesen sublimen Klang selbst vor, band dann alle Anwesenden in kleinere und größere Übungen ein, um schließlich einige Kanons zu dirigieren. Die Faszination des gemeinschaftlichen Gesanges, der sofort erkennbare Fortschritt in der Gesangstechnik und auch die Erhabenheit der musikalischen Poesie haben sicherlich niemanden unberührt gelassen. So in Schwingung versetzt, arbeitete man gemeinsam noch bis tief in den Abend hinein an verschiedenen Projekten und geometrischen Konstruktionen.

Lyndon calling

Der Samstag begann mit einem Anruf von Lyndon LaRouche, der in einem ausführlichen Briefing die politische Weltlage umriß. Er wies nachdrücklich darauf hin, daß die europäischen Verfassungen mit ihren schwachen parlamentarischen Systemen keinen ausreichenden Schutz gegen den aggressiven Synarchismus böten. Nur eine Hinwendung zu klassischen Idealen könne die Voraussetzungen für eine Kultur souveräner Individuen und Staaten schaffen. Das von einer Kulturgemeinschaft geteilte Gedächtnis der Sprache und Ironie sei ein wichtiger Schlüssel auf dem Weg zu einer solchen neuen Renaissance.

LaRouche erwähnte auch die Rolle John Lockes bei der Etablierung des perfiden "Shareholder Value". Locke sehe soziale Beziehungen in erster Linie als Eigentumsbeziehungen, was auch Menschen als "Eigentum" anderer Menschen einschließe.

Ein weiteres Thema war die Auseinandersetzung zwischen den Wissenschaftlern Ernst Mach und Max Planck. Mach wurde vor allem von radikalen Positivisten unterstützt, die zur Zeit des Ersten Weltkrieges Plancks Quantentheorie angriffen. Planck begriff die Quanten als Einheiten mit einem bestimmten, allerdings nicht direkt visualisierbaren Ausdruck. LaRouche zog den Vergleich mit Herbarts Hypothese der "Geistesmassen" heran, wonach auch Gedanken einen komplexen Bereich von Objekten bilden.

Fazit des Gesprächs: Geboten sei äußerste Präzision beim Formulieren und beim Kommunizieren der Wichtigkeit unserer Ideen, auch oder gerade dann, wenn sie einen heilsamen Schock auslösen können.

Cusa-lität

Geschichte ist kein Abstraktum, sondern die Summe aller menschlichen Aktivitäten. Am Anfang von Renaissanceepochen stand stets eine bewußte Mobilisierung schöpferischer Prozesse. Der wichtigste Vater der Renaissance des 14. Jahrhunderts, als das venezianische Bankensystem komplett zusammengebrochen war, war Nikolaus von Kues, genannt Cusanus oder (engl.) Cusa. Jonathan Tennenbaum erläuterte am Samstagnachmittag die faszinierende Denkweise dieses Kardinals, der alle Erscheinungen als Ausdruck von Prozessen zu begreifen suchte.

Jonathan zeichnete mit einem an einem Draht befestigten Stift eine Linie auf ein Papier. Die erzeugte Linie ist augenscheinlich nicht von einer Geraden zu unterscheiden, obwohl sie doch Teil eines Kreisabschnittes sein muß, da der Fixpunkt des Drahtes einem Kreismittelpunkt entspricht. Das Experiment zeigt, daß der Unterschied zwischen einer Geraden und einem Kreisabschnitt mit den Sinnen nicht wahrnehmbar ist, erst recht nicht in großen Dimensionen. Cusanus sagt in seinem berühmten Beispiel von der Quadratur des Kreises aber auch, daß es nie genügend Ecken in einem Vieleck geben kann, um die Form eines Kreises zu erreichen.

Der Unterschied zwischen einer Geraden und einem Kreisabschnitt sei letztlich das "Prinzip der Drehung", welches Gerade und Vieleck nicht besitzen. Zwischen den beiden Zuständen besteht eine Singularität, deren Paradoxien wir visuell nicht begreifen, jedoch, so Cusanus, "unberührenderweise berühren" können. Das Universum ist in stetiger Entwicklung begriffen, und in diesen Prozessen fallen die sinnlichen Gegensätze zusammen. Hätte etwas im Universum absolute Ruhe, dann hätte es keinen Anteil an ihm. Jede noch so kleine Veränderung, die der Mensch vornimmt, ist ein Akt der Transformation des Unbegreiflichen ins Begreifliche.

Laser und Individuum

Deutlicher wurde dies durch Jonathans zweiten Versuch: Ein Laser war auf einen Spiegel gerichtet und warf einen Punkt an die Wand. Der Spiegel wiederum war an einem Magneten befestigt. Der Spiegelmagnet reagierte auch bei erstaunlich weitem Abstand noch auf den zweiten Magneten, den Jonathan in der Hand hielt. Mit dessen Hilfe versetzte er den Spiegel in Bewegung, deutlich sichtbar durch die Pendelbewegungen, die der Laserpunkt an der Wand vollführte, nicht wahrzunehmen jedoch an dem Spiegel selbst. Jener schien völlig ruhig zu verharren und war doch in heftiger Bewegung.

Dieses Beispiel veranschaulicht, daß jedes Individuum, wenn es konsequent nach den Prinzipien von Ursache und Wirkung agiert, eine deutliche Spur in der Wirklichkeit des Universums hinterlassen muß! Eine Renaissance ist das bewußte Ausnutzen solcher Kausalitäten zum Wohle der Menschheit.

Der weitere Samstagabend wurde von den Jugendlichen als ein poetisches Festival gestaltet. Themen waren u.a.: Gedichte und Theorie der Dichtung, die Frage nach der Erhabenheit und dem Wissensdrang des Menschen. Neben Rezitationen von und Vorträgen über Schiller, Leibniz und Nikolaus von Kues wurde auch das Leben und Werk des Walter von der Vogelweide vorgestellt. Ebenso begeisterten der musikalische Vortrag von Michael Gründler, die Tonbandaufnahme einer Predigt von Martin Luther King und das Zitieren der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.

Don Schiller

"Was ist ein revolutionärer Charakter?" Diese Frage stand am Beginn von Rosa Tennenbaums Vortrag über Friedrich Schiller am Sonntagmorgen. Fast scheint es, als hätte Schiller gewußt, daß seine Kunst, Philosophie und Geschichtsschreibung einmal die Freiheitsbestrebungen kommender Generationen inspirieren würde. Die Aktualität seiner Stücke und die geistige Kraft seiner Ästhetik sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit der LaRouche-Bewegung.

Rosa umriß, wie Schiller die feudalen Verhältnisse und eine Bildung, die den "Geist in Ketten legt", radikal ablehnte. Sein erstes Stück Die Räuber, 1782 uraufgeführt, handelt vom Räuberhauptmann Karl Moor, der glaubt, die Verbrechen der Monarchie mit Verbrechen sühnen zu können. Am Ende bleiben jedoch nur die völlige Negation und ein durch Ungeduld bewirktes, tragisches Scheitern einer gut gemeinten Absicht.

Mit seinem vierten Theaterstück Don Carlos hatte Schiller dann seine Idee eines revolutionären Charakters voll ausgearbeitet. Der Marquis von Posa will den spanischen König Philipp II. davon überzeugen, den Aufstand in Flandern nicht tyrannisch niederzuschlagen. Durch Philipps Thronfolger Don Carlos will Posa dann sein Ideal eines nach politischer Freiheit strebenden Reiches verwirklichen. An der Ängstlichkeit des Don Carlos und an den Intrigen, mit denen König Philipp vom Inquisitor der Kirche aufgehetzt wird, scheitert das Unterfangen schließlich. Nicht zuletzt durch Ausschnitte einer äußerst gelungenen Fernsehinszenierung wurden bei diesem Vortrag die Figuren und die mit ihnen verknüpfen Ideen lebendig.

Schock und Chance

Das Seminar fand am Sonntag seinen Abschluß mit einer telefonischen Diskussion mit der BüSo-Vorsitzenden Helga Zepp-LaRouche, die ausführlich über den mit Lyndon unternommenen Moskaubesuch berichtete. Die Rußlandreise war eine recht schockierende Erfahrung für sie. Relativ kleine Gruppierungen von "Finanzgeiern" hätten sich in den letzten zehn Jahren das Gros des Finanzkapitals angeeignet, während die Mehrzahl der Bevölkerung einen brutalen Überlebenskampf führe. Und ein großer Teil der Elite des Landes sei dem Irrglauben verfallen, daß die USA sich lediglich ihr eigenes Grab schaufelten und man in solch einer Situation im Prinzip nur abwarten müsse.

Neben vielen weiteren wertvollen Einschätzungen zur Lage in den USA und Deutschland faszinierten auch Helgas Schilderungen ihrer Beziehung zur indischen Renaissancebewegung um Personen wie Vivekananda und Aurobindo. Die durch sie vermittelten spirituellen Werte seien mit dem technisch-wissenschaftlichen Fortschritt unserer Tage ohne weiteres in Einklang zu bringen.

Als Resümee dieser Kaderschule mag gelten: Sollte die LaRouche-Jugendbewegung das Prinzip der Renaissance als geistige Revolution weiterhin so bravourös meistern wie in den letzten Monaten (die überall stattfindenden intellektuellen wie politischen Durchbrüche sprechen eine deutliche Sprache), dann wird ein Menschheitstraum in greifbare Nähe rücken: die endgültige Überwindung oligarchischer Herrschaftssysteme, die den Menschen als Tier definieren und als solches behandeln. Die Geschichtsbücher mögen über diese nun begonnene Renaissance zu berichten wissen, daß sie die Menschheit auf eine neue Stufe friedlicher Existenz hob.

Stephan Ossenkopp


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