März 2004 Seminar Bad Saarow


Am Wendepunkt der Geschichte

Vom 5. bis zum 7. März 2004 versammelten sich 40 junge Menschen aus ganz Deutschland in Bad Saarow zu einem weiteren Wochenendseminar der LaRouche-Jugendbewegung. Mit dabei waren auch einige Teilnehmer aus Frankreich, USA, Simbabwe, Dänemark und Pakistan. Daniel Buchmann berichtet.


Jeder kann singen...
... sogar das Universum!

Menschen schreiben Geschichte

In Deutschland gibt es dieser Tage oft die Tendenz, zu diskutieren und zu kritisieren, bis einem die Zähne und gleich danach die Haare ausfallen. Man verbeißt sich in Einzelfragen wie ein Hund in einen Knochen, und beißt und kaut und knurrt und bellt, bis nichts mehr übrig ist. Nicht nur unsere Abgeordneten und Politiker sind ausgezeichnete Experten darin. Während der Hund vielleicht noch die Aussicht hat, seinen Biß zu schärfen, gibt es z.B. in den deutschen Massenmedien bzw. den dort ausgetragenen Debatten nichts als erbärmliches Gewinsel.

Daß es auch anders geht, beweisen die Amerikanische Revolution um Benjamin Franklin, die Weimarer Klassik mit Friedrich Schiller in Deutschland und der weltweite Aufbau einer Jugendbewegung um Lyndon LaRouche heute. Die Welt, mit der sich die junge Generation konfrontiert sieht, ist wesentlich komplizierter und gefährlicher, als es sich einige Zeitgenossen vorstellen möchten. Niemand nimmt dir das Denken ab, du mußt für dich selbst denken - aber du kannst es auch! Dein Geist ist dein Hoheitsgebiet. Der Mensch ist frei und souverän geschaffen und hat das unveräußerliche Recht, nach Glückseligkeit zu streben.

Jeder kann singen...

Wie so oft begannen wir auch dieses Seminar am Freitagabend mit dem praktischen Studium der menschlichen Singstimme. Lotta Thronell-Hartmann vom Schiller-Institut stand uns dabei zur Seite. Wie kann man einen Gegenstand wie die Singstimme wirklich meistern, zumal die zur Zeit dominante Kultur alles unternimmt, um jeden natürlichen Klang der Stimme zu verhindern? Es gibt kein modernes Musikstück, bei dem die Stimme nicht verzerrt wird.

Ich behaupte, jeder Mensch hat eine wunderschöne Stimme. In der Schule hat man oft versucht, uns das Gegenteil einzubleuen: "Du kannst nicht singen, vielleicht bist du ja für andere Sachen eher talentiert." Dies verkennt die Tatsache, daß Genie eher in harter, rigoroser und zielstrebiger Arbeit liegt als im sogenannten Naturtalent.

Der lebenslange Wille, sich zu verändern, vielleicht alte Gewohnheiten aufzugeben und auf die Umwelt einzuwirken, entspricht der menschlichen Natur voll und ganz. Denn was sich nicht verändert, ist nicht länger Teil dieses Universums, da es nicht am Entwicklungsprozeß des Kosmos teilnimmt. Nichts ist konstant, außer die Veränderung an sich. Die Prinzipien dieser Veränderung und schöpferischen Entfaltung des Universums zu meistern, ist die Aufgabe des Menschen, denn dieser ist das einzige Wesen, das göttliche Schöpfungsideen entdecken und bewußt anwenden kann.

Jeder Mensch verfügt über eine Stimme, die "Bel Canto", d.h. schön singen kann. Zu dieser Stimme gehören vier Register, die es jeweils ermöglichen, unterschiedliche Tonhöhenbereiche zu erreichen. Jedes Register hat eine charakteristische Klangfarbe. Der Wechsel z.B. vom ersten zum zweiten Register findet für die verschiedenen Stimmgattungen, Baß, Bariton, Tenor, Alt, Mezzosopran und Sopran an jeweils ganz genau festgelegten Tonhöhen statt. Deshalb muß auch die Stimmung der Musikinstrumente zur "Stimmung" der Registerwechsel passen. Heute werden Instrumente meist einen Viertel- oder gar halben Ton zu hoch gestimmt. Dann kann das Singen zu einer Tortur werden.

Übrigens werden die Töne nicht nur im Hals, d.h. im Kehlkopf erzeugt, sondern je nach Register werden die gesamte Brust, der Hals und der Kopf als Resonanzraum genutzt. Im dritten Register, dem sogenannten Kopfregister, findet ein Großteil der Resonanz in den vielen Gängen und Hohlräumen des Kopfes, z.B. der Nase und der Ohren, statt. Man kann der Stimme aber auch schon in den niedrigeren Lagen des zweiten Registers sehr viel Kopfresonanz geben, was den Klang runder und schöner macht. J.S. Bach und alle klassischen Komponisten bedachten diese Registerwechsel in ihren Kompositionen. Nur in wenigen Bereichen gibt es so enge Zusammenarbeit zwischen Körper und Seele wie beim Singen.

... sogar das Universum!

Das Thema Musik sollte uns noch länger begleiten. Am Samstag Vormittag hielt Jonathan Tennenbaum einen Vortrag über Johannes Kepler und Johann Sebastian Bach. Mit anderen Worten: es ging um Musik und Astronomie. Nicht nur der Mensch komponiert Musik, das Universum macht das auch im Großen. Johannes Kepler beschreibt in der Neuen Astronomie, daß das Sonnensystem, in welchem sich auch unsere Erde befindet, nach musikalischen und geometrischen Prinzipien organisiert ist. Kepler war der erste Wissenschaftler, der mit dem antiken Dogma brach, jede Bewegung im Himmel sei kreisförmig.

Vielleicht kennen Sie die sogenannten Keplerschen Gesetze. Sie besagen, daß sich die Planeten in elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen und dabei ihre Geschwindigkeit verändern, so daß die Geschwindigkeit im Perihel, dem sonnennächsten Punkt, am höchsten, im Aphel, dem sonnenfernsten Punkt am niedrigsten ist. Schon alte Kulturen wußten, daß die astronomischen Jahreszeiten unterschiedlich lang sind. Kepler fand das entsprechende physikalische Prinzip.

Kepler ging es jedoch um mehr, als nur die Umlaufzeiten und -geschwindigkeiten zu beschreiben. Kepler betrachtete das Sonnensystem als einen sich in Entwicklung befindlichen Organismus, bei dem viele Einzelprozesse ablaufen, die miteinander verknüpft sind und nach Prinzipien funktionieren, die der menschlichen Neugier nicht verschlossen bleiben sollten. Daher stellt Keplers Werk auch keine Ansammlung von astronomischen Gesetzen dar. Kepler stellt vielmehr in einzigartiger Weise seinen Erkenntnisweg dar. Er stellte Hypothesen auf, verwarf sie wieder und fand neue Hypothesen.

Unter anderem betrachtete Kepler die Abstände zwischen den Planeten. Dabei ergab sich, daß die Planeten im Sonnensystem in musikalischen Intervallen angeordnet sind. Solche musikalischen Intervalle gibt es nicht nur zwischen den verschiedenen Planetenbahnen, sondern auch zwischen Perihel und Aphel der elliptischen Bahnen.

Jeder Planet bewegt sich mit einer anderen Geschwindigkeit, die sich zwischen Perihel und Aphel jeweils ständig erhöht oder verlangsamt. Wenn wir für jeden Planeten die Winkelgeschwindigkeiten in Perihel und Aphel bestimmen und einer Frequenz zuordnen, können wir die Planetenbewegungen auf einem Klavier nachspielen. Man findet Halbtonschritte, Ganztonschritte, kleine und große Terzen, das lydische Intervall, Quinten, Oktaven, harmonische und dissonante Intervalle, die alle in ein und das selbe musikalische System passen - das gleiche System wie die menschliche Singstimme. Das Sonnensystem "singt" also eine polyphone Musik, und jeder Planet hat seine eigene Stimme.

Moment mal, ist das Universum vielleicht im Großen wie im Kleinen Ausdruck derselben schöpferischen Gedanken? Gibt es möglicherweise physikalische Prinzipien, die so universale Wirkung haben, daß Planetensysteme im gleichen Maße wie die menschliche Stimme betroffen sein können?

Schon Platon forderte, daß sowohl Geometrie als auch Musik und Astronomie zur Ausbildung von Staatsmännern gehören sollten. Wußten Sie, daß Johann Sebastian Bach Geometrie und auch Keplers Neue Astronomie studiert hatte, bevor er seine großen Werke komponierte? In einem vierstimmigen, polyphonen Choral wie "Jesu meine Freude" gibt es oft spannungsreiche Dissonanzen zwischen den verschiedenen Stimmen, die alle ihrer eigenen Bahn folgen, aber sich am Ende doch zu einem Ganzen fügen.

Ist es nicht ein herausfordernder Gedanke, daß der Mensch kraft seines Geistes den kosmischen Plan durchdringen und seine Wirkungsprinzipien erfassen kann, und daß diese Prinzipien, wie es scheint, mit musikalischen Prinzipien verwandt sind?

Menschen schreiben Geschichte

Am Nachmittag hielt Helga Zepp-LaRouche einen Vortrag über die europäische Geschichte. Es ging um folgende Frage: Warum war es bisher unmöglich, den Erfolg der Amerikanischen Revolution in Europa zu wiederholen? Und: Was ist zu tun, um dies möglichst schnell in Europa und weltweit zu schaffen - zumal auch in Amerika das Erbe der Gründerväter zur Zeit auf dem Spiel steht.

Wissen Sie, wann der Optimismus und der Geist der Freiheit in Deutschland und im übrigen Europa am stärksten waren? In den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts. Die Amerikanische Revolution war das Thema des Jahrzehnts, der feudale Adel befürchtete, daß sich die Amerikanische Revolution in Europa wiederholen könnte. 1789 wurde George Washington der erste Präsident der USA, Alexander Hamilton, 34jährig, wurde Finanzminister und gründete die erste Nationalbank der Welt. Vorher gab es Banken nur als Repräsentanten privater, oligarchischer Interessen, und nun gab es eine Republik, die auch Finanzinstitutionen schafft, die dem Gemeinwohl dienen sollten.

Es war eine Jugendbewegung, die zusammen mit einem älteren Herren, Ben Franklin, der internationale Netzwerke unterhielt, das oligarchische System der privaten British East India Company empfindlich schwächen, aber leider nicht ganz besiegen konnte. Die Sklaverei war noch nicht abgeschafft, es gab immer noch Kolonien, und in Europa herrschte der alte Feudaladel.

Dennoch war Friedrich Schiller 1789 überzeugt, daß das Zeitalter der Vernunft käme. In Frankreich waren die Kreise um Bailly dabei, eine republikanische Verfassung auszuarbeiten. Doch dann kam der oligarchische Gegenschlag: Lord Shelburne organisierte von London aus den Sturm auf die Bastille, den Jakobinerterror und schließlich die Machtübernahme Napoleons.

Auch wenn Friedrich Schiller 1805 gestorben war, gab es immer noch den Freiherrn vom Stein und die Humboldts, die unter schwierigsten Bedingungen staatliche Reformen sowie Reformen des Bildungs- und des Militärwesens durchsetzen konnten. Die Soldaten, die gegen Napoleons Armee kämpften, hatten Schillers Werke bei sich. Nach Waterloo war Napoleon besiegt und einer einheitlichen, republikanischen, deutschen Verfassung stand eigentlich nichts mehr im Wege. Doch erneut schlug die Oligarchie mit dem Wiener Kongreß zurück, und trotz der Bemühungen des Freiherrn vom Stein wurde die alte Feudalordnung restauriert.

In Europas Geschichte begann ein Schicksalsweg, der sich bis heute fortsetzt. Bis heute gibt es in Europa keine wahrhaft republikanische Verfassung. Großbritannien hat gar keine Verfassung, und die europäischen parlamentarischen Systeme mit einer unabhängigen Zentralbank und einer im Parlament sitzenden Regierung sind unfähig, die Entscheidungen zu treffen, die beispielsweise Franklin Roosevelt 1933 traf.

Die Chance, die oligarchischen Systeme zu besiegen, wurde nicht genutzt. Schiller kommentierte die Französische Revolution mit den Worten: "Ein großer Moment fand ein kleines Geschlecht." Je nach dem, ob objektive Chancen genutzt oder durch Kleinheit und Engstirnigkeit vergeudet und bestimmte Zeitpunkte überschritten werden, kann das die Geschichte kommender Jahrhunderte tief prägen - zum Guten oder eben zum Schlechten.

Die US-Präsidentschaftswahlen im November 2004 sind solch ein Punkt, an dem die Menschheit einen großen Schritt vorangebracht werden kann. Das Universum steht nie still: wenn die Chance zum Fortschritt verpaßt wird, ist Rückschritt oder gar plötzlicher Kollaps zwangsläufig.

Den Schluß des Seminars bildete eine telefonische Diskussion mit Lyndon LaRouche. Er behandelte die Frage, warum europäische Regierungen in Zeiten wirtschaftlicher Talfahrt in aller Regel erst versagen und dann nicht selten durch faschistische Systeme abgelöst werden, und warum der Charakter der amerikanischen Verfassung anders ist, und z.B. 1933 eine faschistische Übernahme der USA verhindert werden konnte.

Zwar ist die US-amerikanische Demokratie schon weitgehend ausgehöhlt, dennoch ist die humanistische Tradition der USA noch vorhanden, und wir dürfen diese Chance nicht verpassen. Vielmehr sollten wir uns in Europa darauf besinnen, daß die Ideengeber für die US-Verfassung Europäer wie Solon, Platon, Kues und Leibniz waren. Erinnern wir uns an unsere beste Tradition und schaffen wir eine wahre politische Freiheit, eine kulturelle und wissenschaftliche Renaissance und eine neue gerechte Weltwirtschaftsordnung!

Daniel Buchmann



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