Projekt Renaissance


Die Renaissance

- oder die Wiederentdeckung Platons und der alten Griechen

Von Torbjörn Jerlerup
- 3. und letzter Teil -

Was tut der Mensch, wenn er gerne eine neue kulturelle Blütezeit herbeiführen möchte? Er sieht in der Geschichte der Menschheit nach, wie andere es vor ihm gemacht haben.


Ambrogio Traversari
Das Konzil von Florenz

Ost und West

Plethon

Bessarion

Angriffe auf die Union

Renaissance und Gegenrenaissance

Die Zukunft

Ambrogio Traversari

Ambrogio Traversari (1386-1439) lernte bei Chrysoloras und Ravenna in Florenz Griechisch und Hebräisch. Später pflegte er eine enge Zusammenarbeit mit Nikolaus von Kues (1401-64), der sich zum bedeutendsten Philosophen seiner Zeit entwickelte.

Traversari übersetzte die Kirchenväter aus dem Griechischen neu und sammelte, von Petrarca angeregt, Handschriften. Viele davon hat Nikolaus von Kues später übernommen, und man kann sie noch heute in dessen Bibliothek in Bernkastel-Kues sehen.

Ab 1370 sammelte Traversari um sich eine Gruppe aktiver Humanisten, darunter Niccolo Niccoli, Paolo dal Pozzo Toscanelli (1397-1482), Giuliano Cesarini (1398-1444) und Aenaes Sylvius Piccolomini (1405-58), der spätere Papst Pius II. Fast alle wichtigen Köpfe der italienischen Renaissance waren mit diesem Kreis verbunden.

Toscanelli etwa war der Mathematiklehrer von Filippo Brunelleschi (1377-1446), der später den Dom in Florenz baute und die Architektur revolutionierte. Leonardo da Vinci war ein guter Freund Toscanellis.

Traversaris Gruppe interessierte sich sehr für Geographie. Toscanelli und andere beschäftigten sich eingehend mit einer neuerworbenen Abschrift von Ptolemäus' Geographie. Ihr Ziel war, einen neuen Seeweg nach Osten zu finden, der außerhalb der Kontrolle Venedigs lag. Chrysoloras' Schüler Palla Strozzi (1372-1462) hatte Ptolemäus' Karte im Jahr 1400 in Konstantinopel gefunden. Später zeichnete Toscanelli die weltberühmte Karte, die Christoph Kolumbus für seine Entdeckungsreise benutzte. Kolumbus kopierte sich Toscanellis Karte in das Buch Die Universalgeschichte der Fakten und Taten von Aeneas Sylvius Piccolomini, das er immer bei sich trug.

Auch Giorgio Antonio, ein Onkel des Forschers Amerigo Vespucci, nach dem später der Kontinent Amerika benannt wurde, gehörte zu der Gruppe. Giorgio Antonio war Lateingelehrter und Platoniker. Einige Quellen aus Vespuccis Zeit berichten, Antonio habe Toscanelli persönlich gekannt.

Der orthodoxe Gelehrte Georgios Gemistos Plethon (1360-1452) gehörte ebenfalls zu diesem Kreis. Er hatte lange Diskussionen mit Toscanelli über die Werke des antiken Geographen Strabo. Später baten die beiden Guarino da Verona, Strabo zu übersetzen, was dieser auch tat.

Einer der Wissenschaftler, den die Gruppe förderte, war der Künstler Piero della Francesca (1416-92), der zur Zeit des Florenzer Konzils in Florenz lebte und ein ausgesprochener Platoniker war. Francesca revolutionierte die Malerei und entwickelte ein mathematisches System der Linearperspektive. Er schrieb eine Abhandlung über die Perspektive De prospectiva pingendi, wobei er sich stark auf Brunelleschis Abhandlungen Trattato d'abaco über Algebra und Messungen an Vielecken und Vielflächnern und De quinque corporibus regularibus über die fünf platonischen Körper stützte.

Seine Arbeiten wurden später von seinem Schüler Luca Pacioli (gest. 1509) fortgesetzt. Pacioli schrieb 1497 zusammen mit Leonardo da Vinci (1452-1519) De divina proportione, Über die göttliche Proportion. Drei Jahre zuvor hatte Pacioli in einem anderen Buch, Summa de Arithmetica, Geometrica, Proportioni, Aspekte von Piero della Francescas Werk vervollständigt. Diese Arbeit war wichtig für die Entwicklung der modernen Arithmetik und Algebra und inspirierte den großen Mathematiker Cardan. Die Arbeiten Pieros und Paciolis haben zu den entscheidenden Entdeckungen des Astronomen Johannes Kepler zu Anfang des 16. Jahrhunderts wesentlich beigetragen. Ihre Werke bilden auch die Grundlage für den modernen Maschinenbau, für den die Linearperspektive entscheidend ist.

Die größte Wirkung auf die Weltgeschichte hatte Traversaris Zusammenarbeit mit Nikolaus von Kues (Cusanus). Cusanus hatte 1417-23 in Padua Theologie und Griechisch studiert. Zu der Zeit leiteten dort Guarino da Verona und sein Schüler Vittorino da Feltre den Griechischunterricht. Dort lernte Nikolaus Traversari und Toscanelli als junge Studenten kennen.

Cusanus und Traversi waren auf westlicher Seite die vielleicht wichtigsten Männer des Konzils von Florenz, wo die orthodoxe und die römische Kirche wiedervereint wurden. Diese Vereinigung gründete sich auf die platonische Sicht der unantastbaren Würde des Menschen.

Das Konzil von Florenz

Das Vorhaben zur Erneuerung des platonischen und griechischen Erbe kann von dem Vorhaben zur Vereinigung von Ost- und Westkirche nicht getrennt werden. Schon im 13. Jahrhundert war ein Versuch in diese Richtung unternommen worden, aber völlig fehlgeschlagen. Ein Ergebnis davon war der völlige Zusammenbruch der römischen Kirche. Während des Schismas im 14. Jahrhunderts leitete Petrarca persönlich die Anstrengungen zur Wiedervereinigung der römischen Kirche. Als dies dann Anfang des 15. Jahrhunderts auf dem Konzil von Konstanz gelang und wieder ein einziger Papst an der Spitze der Westkirche stand, konzentrierten die Humanisten ihre Bemühungen auf den Osten. Schon auf dem Konzil von Konstanz hatten Bruni und Poggio Bracciolini versucht, eine Diskussion über die Vereinigung mit der orthodoxen Kirche in Gang zu bringen.

Nach jahrelangen Verhandlungen und ständigem diplomatischen Hin und Her bot sich schließlich um 1440 eine Chance zu dieser Einigung, weil Byzanz, das letzte Überbleibsel des Römischen Reichs, die Hauptstadt der orthodoxen Kirche, in eine Überlebenskrise geriet.

Cusanus und Traversari ebneten den Weg für das Florenzer Konzil, indem sie eine Delegation nach Konstantinopel anführten. Mit Nikolaus von Kues an der Spitze kam diese 1437 in Konstantinopel an, und die Verhandlungen mit der orthodoxen Kirche begannen. Schließlich reisten 700 Griechen - darunter 40 höchste Würdenträger wie der byzantinische Kaiser Johann VIII. und der Patriarch der orthodoxen Kirche Joseph II. - nach Italien, um die beiden Kirchen zu vereinen.

Es folgten lange Verhandlungen in Florenz, und schließlich unterschrieben alle orthodoxen Delegierten im eigenen Namen oder im Namen des Patriarchen, der sie gesandt hatte, das Unionsdekret - bis auf einen: Markus von Ephesus. Am 5. Juli 1439 wurde bei einem Festgottesdienst die Erklärung der Union feierlich in Latein und Griechisch verlesen.

Ost und West

Das Konzil von Florenz wird oft als ein Vorhaben des Westens beschrieben, tatsächlich aber war es zu einem sehr großen Teil das Werk der orthodoxen Denker. Ohne die entscheidenden Interventionen der Platoniker im Osten hätte es das Konzil überhaupt nicht gegeben, und die Renaissance wäre wahrscheinlich 1440 schon wieder tot gewesen! So wie die orthodoxen Platoniker dem Westen Griechischlehrer und Werke Platons und der Platoniker lieferten, so war auch für das Konzil die Zusammenarbeit von Ost und West wesentlich.

Die Wiederbelebung Platons und der platonischen Tradition im Osten begann mit Theodor Metochites (ca. 1294-1360) und Petrarcas Lehrer Barlaam. Beide sind in der östlichen und westlichen Kirchengeschichte umstritten. Barlaam war als Vertreter Konstantinopels an diplomatischen Verhandlungen mit der römischen Kirche beteiligt. Als er eine Wiedervereinigung der Kirchen auf der Grundlage der Philosophie des Heiligen Augustinus vorschlug, wurde er aus dem Osten vertrieben. Aber bis zu seinem Tod sah er sich immer als orthoxen Christen, auch in seiner Zeit als Flüchtling und als Priester der Westkirche.

Die wichtigsten Nachfolger von Metochites und Barlaam waren Plethon, dem wir schon begegnet sind, und dessen Schüler Johannes Bessarion (1403-72). Beide nahmen am Konzil von Florenz teil.

Es ist faszinierend, das Werk dieser Platoniker des Ostens zu studieren. Dabei zeigt sich, daß die allerwichtigste Frage, um die es bei dem Konzil ging, nicht das Filioque im Glaubensbekenntnis der beiden Kirchen war, wie es gewöhnlich beschrieben wird. Denn dieser theologischen Debatte - ob der Heilige Geist von beiden, Vater und Sohn, als einem Prinzip ausgeht, wie es die römische Kirche sagte, oder nur vom Vater, wie es die Orthodoxen behaupten - lag eine noch grundlegendere Auseinandersetzung zugrunde. Dabei ging es um die Methode und um den Wert des Menschen. Als die Platoniker zeigen konnten, daß die platonische Interpretation des Filioque für beide Kirchen annehmbar ist, wenn man das Prinzip des Einen und des Vielen anwendet, wurde die Vereinigung von Ost- und Westkirche möglich. Die Fähigkeit des Menschen, an Gottes Schöpfungswerk teilzunehmen, wurde als universelles Prinzip anerkannt.

Die orthodoxe Kirche konnte ihr Glaubensbekenntnis beibehalten, sie mußte den in der Westkirche verwendeten Passus über das Filioque nicht einfügen. Auf die gleiche Weise konnten andere Unstimmigkeiten überwunden werden. Z.B. war es den Orthodoxen auch weiterhin erlaubt, im Gottesdienst gesäuertes Brot zu verwenden, während die anderen weiter ungesäuertes Brot verwendeten - alles im Geiste des Prinzips der Einheit in der Vielheit.

Plethon

Plethon wurde um 1360 geboren und von jüdischen und moslemischen Gelehrten erzogen. Er war der führende Kopf einer Gruppe von Gelehrten, die im Platonismus eine Möglichkeit sahen, die orthodoxe Kirche zu reformieren. Plethon schrieb mehrere Bücher zur Verteidigung Platons und wählte für sich das Pseudonym "Plethon", was "Anhänger von Platon" heißt. Er studierte mehrere Religionen, darunter die antike hellenistische Religion und den Zoroastrismus. Plethon suchte nach einem Weg, einen Dialog zwischen den Religionen zu beginnen, um sie zu vereinen.

Ein Gegner Plethons, Georg von Trapezunt (Trapezuntius), ein ehemaliger Platoniker, der sich vom Platonismus abgewandt hatte, schrieb über ihn kurz nach 1450:

    "Es ist bekannt, daß er [Plethon] so sehr Platoniker war, daß er behauptete, nur das, was Platon über die Götter sagte... sei wahr, und er wagte das auch ohne Einschränkung zu schreiben. Ich hörte ihn selbst in Florenz - denn er kam mit den Griechen zum Konzil - , wie er versicherte, die ganze Welt werde in wenigen Jahren ein und dieselbe Religion annehmen, eine Religion in einem Geist, mit einem Denken und mit einer Lehre. Und als ich fragte 'Die von Christus oder von Mohammed?', antwortete er 'Weder - noch, aber eine, die sich nicht vom Heidentum unterscheidet'."

Plethon hätte wohl kaum das Wort Heidentum gebraucht, sondern Platonismus, aber für den Verleumder Trapezuntius war Platonismus und Heidentum ein und dasselbe. Trapezuntius schrieb später: "Plethon will das Christentum in eine Art von Platonismus verwandeln. Platon, der Heide!"

Nach dem Konzil von Florenz kehrte Plethon 1441 auf den Peloponnes zurück und starb dort. Seine wichtigsten Werke sind die Gesetze - als Nachahmung von Platons Gesetzen geschrieben - und Über die Unterschiede zwischen Platon und Aristoteles, das zum meistdiskutierten Buch des Jahrzehnts von 1440-50 wurde.

Über die Unterschiede zwischen Platon und Aristoteles beruht auf einer Reihe von Vorträgen, die Plethon beim Konzil von Florenz gegen Aristoteles gehalten hatte. Das Buch beginnt mit der Feststellung: "Unsere Vorgänger bei Römern und Griechen schätzten Platon sehr viel höher ein als Aristoteles. Doch die meisten Leute heute - vor allem im Westen - , die meinen, daß sie viel mehr als ihre Vorgänger wissen, bewundern Aristoteles viel mehr als Platon." Dann beschreibt Plethon den Unterschied zwischen Platon, der Gott als den Schöpfer sah, und Aristoteles, der Gott nicht als Schöpfer, sondern lediglich als "Antriebskraft des Universums" verstand, als "unbewegten Beweger". Damit seien zwei verschiedene Sichtweisen der Seele verbunden. Und es stellten sich folgende Fragen: Gibt es eine enge Verbindung zwischen den Vielen (Seelen) und dem Einen (Gott)? Und streben die Vielen nach dem Einen (Gott)? Die Verbindung zwischen dem Einen und den Vielen sind die platonischen "Ideen" oder "Formen", schreibt Plethon.

In der orthodoxen Kirche unterschied man zwischen dem Wesen (ousia) und der Energie (energeia) Gottes - manchmal auch als Unterscheidung zwischen Natur und Wille Gottes beschrieben. Man unterschied zwischen Gott, wie er wirklich ist, und Gott, wie er sich dem Menschen offenbart. Gottes Natur sei unendlich verschieden von der Natur des Menschen, hieß es, und deshalb nicht vermittelbar. Doch könne der Mensch nach Gott streben und seine Werke verstehen, indem er seinem Willen, seiner "Energie", folgt. Der Mensch könne vergöttlicht werden, was aber nicht bedeute, daß wir Götter werden, sondern daß wir uns vom Willen Gottes leiten lassen und so zu Kindern Gottes werden.

Plethon und seine Anhänger verstanden die platonischen Ideen oder "Formen" als Teil der "Energie" Gottes. Dadurch können wir Gott verstehen, d.h. der Mensch steht in enger Verbindung zu Gott durch seine Fähigkeit, mit Hilfe der Ideen Gottes "Energie" (oder Willen) immer besser zu verstehen.

Bereits Mitte des 14. Jahrhunderts führte Petrarcas Freund Barlaam mit dem Mönch Gregorius Palamas aus Athos ein Streitgespräch über dieses Thema. Dabei ging es um das Licht Gottes. Nach Palamas war des Wesen Gottes "nicht kommunizierbar" und die Energie Gottes war das "ungeschaffene Licht Gottes", durch das Gott über Glauben und Gnade mit seiner Schöpfung kommuniziere. Barlaam stimmte in der Frage des Lichtes Gottes zu, wandte jedoch ein, man müsse die Vernunft mit einbeziehen. Das lehnte Palamas ab, weil damit der Mensch zu sehr in die Nähe Gottes gerückt werde.

Das Verständnis der orthodoxen Platoniker vom Unterschied zwischen dem Wesen und der Energie Gottes war der später von Nikolaus von Kuses entwickelten Sichtweise sehr ähnlich. Wir können die Wahrheit nicht wissen, schrieb Cusanus, aber wir können nach ihr streben. Er verdeutlichte dies am Beispiel von Kreis und Vieleck: Selbst wenn ein Vieleck unendlich viele Seiten hat, es wird niemals zum Kreis. Derart sei auch die Natur der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Alles, was wir über Gott wissen, könne nur eine Annäherung sein, genauso wie sich das Vieleck dem Kreis auch nur annähern kann.

Welche Bedeutung hatte das für die Diskussion über das Filioque? Die Orthodoxen sagten, der Heilige Geist gehe nur vom Vater aus. Plethons Sichtweise in Über die Unterschiede zwischen Platon und Aristoteles und anderen Schriften war, daß die orthodoxe sich von der katholischen Sicht, der Heilige Geist gehe vom Vater und vom Sohn aus, nicht so sehr unterscheide. Die wahre Natur Gottes bleibt dem Menschen immer verborgen, sagt Plethon. Die Heilige Dreieinigkeit und andere "Attribute" seien nicht Gottes wahre Natur, sondern Offenbarungen Gottes, die dem Menschen helfen, ein Mysterium, das er anders nicht begreifen kann, wenigstens in einer Annäherung zu verstehen.

D.h. in Wirklichkeit entstammen alle Teile der Heiligen Dreieinigkeit - Vater, Sohn und Heiliger Geist - dem verborgenen Wesen Gottes, aber kann man sagen, daß der Heilige Geist als die geschaffene "Energie" Gottes sowohl vom Vater als auch vom Sohn ausgeht.

Bessarion

Plethons Schüler Johannes Bessarion hielt am 13./14. April 1439 seine berühmte Rede für die Wiedervereinigung auf der Grundlage der platonischen Prinzipien. Er hatte dafür von Plethon und seinen guten Freunden im Westen, Traversari und Cusanus, viel Unterstützung erhalten, aber es waren seine eigenen Argumente. Das Wichtige an dieser Rede war, daß sie eine Lösung bot, die es den verschiedenen Parteien des Konzils ermöglichte, zu einer Einigung zu gelangen.

Bevor Bessarion mit seinem Lösungsvorschlag kam, hatten die Delegierten darüber im Streit gelegen, ob die orthodoxe Kirche nun ihr Glaubensbekenntnis umschreiben und zu einer genauen Kopie der römischen Kirche werden müsse - die orthodoxen Vertreter waren natürlich dagegen.

Da der Hauptstreitpunkt darin bestand, daß die orthodoxe Kirche für den Heiligen Geist nur eine Quelle, den Vater, zuließ und die römische Kirche zwei, Vater und Sohn, schlug Bessarion vor, daß "zwei als eines gesehen werden sollte", oder vielmehr, daß das griechische und lateinische Glaubensbekenntnis als "das Gleiche" angesehen werden sollte, auch wenn der Text "verschieden" sei. Nach Bessarions Ausführungen stimmten die Vertreter des Ostens einer Neuinterpretation ihres Glaubensbekenntnisses zu, die der platonischen Interpretation des Filioque folgte. Die Heilige Dreieinigkeit sei der Schöpfer, der Schöpferische Christus und der Geschaffene Heilige Geist oder anders ausgedrückt, so wie sie es damals erklärten: "zwei Hypostasen, eine Aktion, eine produktive Kraft, und ein Produkt durch das Wesen und die Hypostasen von Vater und Sohn". Auf der Grundlage einer Übereinstimmung im Prinzip wurde die Union mit der Ostkirche erreicht, die Unterschiede in den Riten und Texten blieben erhalten.

Nach der Union blieb Bessarion im Westen. Er betrieb mit Eifer die Einigung mit den übrigen Kirchen: zuerst 1440 mit den Armeniern, dann 1442 mit den Jakobitern und Äthiopiern, dann 1444 mit den Syrern und 1445 mit den Chaldäern und Maroniten. Er schrieb ein Buch Über den Erfolg der Florenzer Synode, worin er die Vorwürfe, die Markus von Ephesus gegen das Konzil erhob, entkräftete, und Gegen die Gegner Platons zur Verteidigung Platons. Weiter übersetzte er Xenophons Werk über Sokrates, Memorabilia, ins Lateinische.

Bessarion arbeitete eng mit Cusanus und Papst Nikolaus V. zusammen, was man an der Übersetzung der Werke des Archimedes sehen kann. 1450 hatte der Papst diese Übersetzung bestellt, für die eine Handschrift benutzt wurde, die wahrscheinlich 60 Jahre zuvor Chrysoloras mitgebracht hatte. Jacobo da Cremona übersetzte sie, und zwei Abschriften wurden zum Korrekturlesen weggeschickt, eine an Cusanus, die andere an Bessarion. Nachdem er die Übersetzung von Archimedes' Werk erhalten hatte, schrieb Cusanus die geometrische Abhandlung De mathematicis complementis und schickte eine Abschrift seines Werkes an Bessarion.

Angriffe auf die Union

Die Union von Florenz wurde im Osten erst 1452, also zehn Jahre später, in der Hagia Sophia in Konstantinopel öffentlich verkündet. Schon im darauffolgenden Jahr, am 29. Mai 1453, eroberten die Türken unter Mohammed II. die Stadt, die danach in Istanbul umbenannt wurde. Das war das Ende des Byzantinischen Reiches. Nach dem Fall Konstantinopels wurde das Oberhaupt der orthodoxen Kirche aus seinem Amt entfernt, und der neue Patriarch Gennadios Scholarios erkannte die Union von Florenz nicht an. Damit folgte er Markus von Ephesus, der als einziger Teilnehmer des Florenzer Konzils das Unionsdekret nicht unterzeichnet hatte und deswegen nach seinem Tod 1444 heiliggesprochen wurde.

Viele Unterstützer der Union wurden verfolgt, als sie nach dem Konzil in den Osten zurückkehrten. Isidor, der griechische Metropolit von Kiew und ganz Rußland, war einer der Hauptarchitekten der Union beim Florenzer Konzil. Als er nach der Unterzeichnung des Unionsdekrets als römischer Kardinal 1441 nach Moskau zurückkehrte, lehnten ihn Kirche und Staat ab. Er wurde gefangengesetzt und floh nach Litauen.

Schon bevor die Spaltung zwischen Ost- und Westkirche eine endgültige Tatsache wurde, hatte Gennadius Scholarios verschiedene Schriften gegen Plethon und die Platoniker im Westen verfaßt. In Gegen Plethon und die griechischen Polytheisten beschuldigt er Plethon, ein Hedonist zu sein, und behauptet, Aristoteles sei Platon weit überlegen. Nachdem er diese Schrift fertiggestellt hatte, ordnete er an, Plethons Schriften und die seiner Schüler zu verbrennen. Der Hauptfeind der Platoniker im Westen war Georg von Trapezunt, der 1458 seinen Vergleich der Philosophen: Aristoteles und Platon schrieb.

Renaissance und Gegenrenaissance

So wurde die Union von Florenz wieder zerstört, aber der Kampf ging weiter. Das Griechischprojekt, das Projekt zur Erneuerung Platons und die Arbeit des Konzils von Florenz lebten weiter. Im 15. und frühen 16. Jahrhundert kam es in der Mathematik und Kunst zu neuen Entdeckungen. Ende des 15. Jahrhunderts entstanden die ersten Nationalstaaten unter Ludwig XI. in Frankreich und Heinrich VII. in England. Die Entwicklung der Manufakturen wurde vorangetrieben, und die "Enkel" der Buchjäger förderten Forschungsreisen auf der ganzen Welt. Die Gründung der ersten Nationalstaaten war der erste Schritt zur industriellen Revolution und zu der Hoffnung, einmal eine Welt ohne Armut und Hunger zu bauen. Bald würden Künstler wie Piero della Francesca, Leonardo da Vinci und Raffael Sanzio die Malerei revolutionieren. Die Künste entwickelten sich weiter. Die Auswirkungen können wir hier nicht alle beschreiben, aber sie beeinflussen bis heute täglich unser Leben.

Das Tragische ist, daß die Entwicklung der Menschheit seit der Renaissance immer wieder von unnötigen Kriegen und Katastrophen unterbrochen wurde. Die Übel, die in dem sog. "kleinen finsteren Zeitalter" im 16. Jahrhundert folgten - Religionskriege, Kolonialismus und die schrecklichen Konflikte, die dann zum 30jährigen Krieg führten - , sind ebenso Beispiele dafür wie in der jüngeren Geschichte die beiden Weltkriege oder heute die Ausbreitung von Seuchen wie AIDS und die Weltwirtschaftskrise.

Die Gegner der Renaissance entschieden sich, statt ganz auf die Opposition der Aristoteliker zu setzen, die Renaissance von innen her zu pervertieren, indem sie eine Art "Jugend-Gegenkultur" schufen, ähnlich der Gegenkultur in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es begann eine "Revolution der Sinne". Statt den menschlichen Geist in den Mittelpunkt zu stellen, wie das die Platoniker zu Beginn der Renaissance getan hatten, lag der Schwerpunkt nun auf Sinnlichkeit und sogar außersinnlichen und okkulten Erfahrungen.

In der Kunst ist dieser Wandel am deutlichsten sichtbar. Die große Errungenschaft der Renaissance war die Wiederentdeckung der linearen Perspektive und der Möglichkeiten, im Porträt nicht nur die körperliche Erscheinung der Menschen, sondern auch ihre Seelen, die "Bewegung ihres Geistes" darzustellen. Nach einiger Zeit trat an die Stelle der platonischen Methode in der Malerei, die Künstler wie Piero, Leonardo und Raffael entwickelt hatten, eine sinnliche Revolution. Pornographische Maler verdienten Riesensummen. Es wurde Mode, für die Gemälde mythologische Themen zu benutzen, weil dies den Malern erlaubte, Sexualverkehr zwischen nackten Männern und Frauen - und sogar Kindern, abgebildet als nackte Engel - darzustellen.

Viele Arbeiten Michelangelos zeigen diese Tendenz, anstelle des Geistes sinnliche Erfahrung und die athletische Erscheinung des Körper zu betonen. Wer sich dafür interessiert, kann im Vatikan Michelangelos Gemälde in der Sixtinischen Kapelle mit Raffaels Wandgemälden vergleichen.

Machen Sie in Gedanken folgendes Experiment. Wie hätte Michelangelo Raffaels Schule von Athen gemalt, wo die großen Geister der Antike und der Neuzeit im Gespräch in "zeitlicher Ewigkeit" dargestellt sind? Und hätte Raffael Christus, Gott, Engel und Heilige als nackte Athleten gemalt, wie Michelangelo es tat? Hätte Raffael den Menschen als einen solch miserablen Wicht gemalt?

Vieles dieser sinnlichen Revolution wurde fälschlicherweise mit dem Etikett des Platonismus versehen, wie im Fall des unglückseligen Platon-Übersetzers Marsilio Ficino, dessen okkulte Platonische Theologie alles andere als platonisch war. Die scheinbar platonische Lobrede auf die Würde des Menschen von Ficinos Schüler Pico della Mirandola (1467-1533), worin er das Lob der schöpferischen Kräfte des Menschen singt, zeigt die gleiche Tendenz. Gleich zu Beginn der Lobrede wird die verborgene Weisheit Gottes gepriesen, die nur eine auserwählte Elite der Menschheit zu entdecken vermag. So wird die Würde der Menschheit pervertiert zur Würde einiger weniger. Pico schreibt:

    "Den Menschen die verborgenen Mysterien und die geheimen Absichten der höchsten Gottheit zu enthüllen, die unter der harten Schale des Gesetzes und dem rauhen Mantel der Sprache verborgen liegen - was wäre das anderes, als den Hunden Heiligtümer oder den Schweinen Perlen vorzuwerfen. Die folgerichtige Entscheidung, solche Dinge vor dem gemeinen Volk zu verbergen und sie nur Eingeweihten mitzuteilen, zu denen allein, wie Paulus sagt, Weisheit spricht, war also nicht der Rat menschlichen Stolzes, sondern ein göttlicher Befehl. Und die Philosophen der Antike befolgten gewissenhaft diese Vorsichtsmaßnahme."

Pico erklärt, alles Gerede über die Unterschiede zwischen Aristoteles und Platon sollte aufhören: "Wir wollen Platon und Aristoteles miteinander in Einklang bringen", wobei Aristoteles die rationale Methode einbringe und Platon eine Methode für "magische, kabbalistische Untersuchungen".

Die Zukunft

Auf die Renaissance folgte Chaos, wie so oft in der Geschichte der Menschheit. Und wir sollten heute daraus gelernt haben: Um dem heutigen Wirtschaftskollaps zu begegnen und sicherzustellen, daß die Zivilisation in der Zukunft nicht mehr von der Auslöschung bedroht werden kann, brauchen wir eine wirkliche Renaissance. Der amerikanische Präsidentschaftskandidat Lyndon LaRouche hat eine Renaissance vorgeschlagen, die von einer Massenbewegung verbreitet wird statt nur von einigen wenigen. Dies bedeutet, daß so viele Menschen wie nur möglich ganz Mensch sein und ihre schöpferischen Fähigkeiten als Ebenbild Gottes optimal entwickeln müssen. Auf diese Weise kann die neue Renaissance zu einer dauerhaften Renaissance werden und ein Zusammenbruch der Zivilisation in Zukunft vermieden werden.

Um das zu erreichen, müssen Sie sich als wirklichen Menschen sehen, nicht als eine Art von Vieh. Meinen Sie immer noch, Sie seien nicht in der Lage, etwas zu ändern? Daß irgendwelche unsichtbaren Kräfte oder mächtige Interessen (was immer das bedeuten mag) alles bestimmen, was auf diesem Planeten vorgeht, und Sie nichts tun können, das künftige Schicksal der Menschheit zu verändern?

Was hätte Petrarca, als er an jenem kalten Septembertag 1360 an seinem Holztisch saß, dazu gesagt?

Man kann ihn förmlich vor sich sehen, wie er den Kopf hebt und Sie anschaut. Er hatte die Torheiten seiner Zeit miterlebt. Er hatte gesehen, wie das Volk, die "öffentliche Meinung", die Narrheiten von Kirche und Staat hinnahm und wie dies in der Katastrophe, dem Schwarzen Tod endete.

Er war Zeuge, wie im Gefolge der Pest der Wahnsinn um sich griff. Die Überlebenden wollten entweder noch möglichst viel Sex und Spaß haben, bis sie der Schwarze Tod holte, oder sie verwandelten sich in religiöse Fundamentalisten, in Flagellanten, die nackt von Stadt zu Stadt zogen, sich mit Peitschen schlugen und dabei unablässig beteten. Nur wenige blieben besonnen, und noch weniger versuchten, die Katastrophe zu verhindern.

Macht ein Mensch einen Unterschied? Fragen Sie Petrarca. Fragen Sie Leonardo Bruni oder Plethon, Bessarion und Cusanus. Was hätten Sie getan, wenn Petrarca Sie damals, 1340, gebeten hätte, ihm zu helfen? Hätten Sie ihm den Rücken gekehrt, um wie gewöhnlich ihre Ernte einzubringen oder um sich mit den endlosen Streitereien um Steuern und Karriere zu beschäftigen? Hätten Sie gesagt, die Zukunft läge in Gottes Hand, Sie selbst könnten gar nichts tun?

Petrarca wußte, daß Gott niemals so dumm wäre, den Menschen als Schlachtvieh zu schaffen!

Wissen Sie es auch?


Verwendete Literatur (eine Auswahl):

Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien

Colin McEvedy and Richard Jones, Atlas of the World Population History, Penguin books, 1978

Edward Gibbon, The History Of The Decline And Fall Of The Roman Empire, 1788; eine neue deutsche Ausgabe Verfall und Untergang des römischen Reiches erscheint im November 2003 im dtv-Verlag

James Harvey Robinson, Petrach: The First Modern Scholar and Man of Letters, New York: G.P. Putnam, 1898

Barbara W. Tuchman: Der ferne Spiegel. Das dramatische 14. Jahrhundert, 1980

C.M. Woodhouse, Gemistos Plethon, The Last of the Hellenes, Clarendon Press, Oxford, 1986

The Catholic Concordance, by Cusa, Cardinal Nicholas, Paul E. Sigmund (Editor), 1996, Text der Cambridge University

The Routledge Encyclopedia of Philosophy, ed. E. Craig, London, New York 1998, VIII, Kapitel 13, Renaissance Platonism

Rede von Helga Zepp-LaRouche auf der Konferenz des Schiller-Instituts im Mai 2001, anläßlich des 600. Geburtstages von Nikolaus von Kues, http://www.schillerinstitute.org/conf-iclc/2001/conf_may_2001_hzl.html

Paul B. Gallagher, How Venice Rigged The First and Worst Global Financial Collapse in Fidelio, Winter 1995

Aurelius Augustinus: Vom Gottesstaat, Buch 8


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