Schiller-Fest 2001

Dichterpflänzchen-Programm für Friedrich Schillers Geburtstag November 2001

Das Ideal und das Leben
Schillers Idee des Erhabenen


Vorrede:
Liebe Gäste, ich begrüße Sie recht herzlich zum diesjährigen Schillerfest. Unsere Geburtstagsfeier für den großen Dichter und Namenspatron des Schiller-Instituts ist , im Unterschied zu vergangenem Jahr, dieses Mal ganz Gedichten und anderen Texten von Friedrich Schiller gewidmet.

"Das Ideal und das Leben!" Nicht ohne Grund haben wir uns gerade dieses Programm ausgedacht. Wir wissen es ja alle: Es sind Zeiten angebrochen, in denen der Kontrast zwischen Ideal und Wirklichkeit nicht herber sein könnte. Die Weltwirtschaftskrise erfaßt auch unser Land, macht immer mehr Menschen arbeitslos. Die Vergeltungsaktionen nach den rätselhaften Anschlägen vom 11. September drohen einen Krieg der Kulturen zu entfachen. Natürlich ist das gegen alle Vernunft, und nicht zuletzt dieser Umstand weist darauf hin, daß wir es auch mit einer kulturell-moralischen und geistigen Krise zu tun haben.

Aber die Frage ist, wie geht man damit um, wenn Ideal und Leben so eklatant auseinanderklaffen -

Gibt man resigniert seine Ideale auf, und wird Zyniker oder Terrorist - Verzehrt man sich in Weltschmerz und düsterem Pessimismus, weil das Leben nun einmal nicht so ist, wie man es sich gewünscht hat - Oder faßt man sich ein Herz und hilft selbst dazu, daß unerträgliche Verhältnisse geändert werden - Schiller hat sich mit genau diesen Fragen immer wieder beschäftigt und ermuntert uns selbstverständlich zu dem letzteren, herzhaften Weg. Und zu diesem Zweck entwickelte er das Konzept des Erhabenen.

Der Begriff des Erhabenen kommt uns Heutigen zuerst irgendwie marmorkalt und unnahbar vor. Wir werden sehen, daß sich dahinter nichts geringeres als die Idee der menschlichen Freiheit und Menschenwürde verbirgt.

Aber Schiller hat das viel schöner erklärt. Deshalb bildet seine Schrift "Über das Erhabene" den roten Faden des heutigen Abends. Die darin ausgedrückten philosophischen Ideen finden wir in Schillers großen Dramen wieder, und in vielen seiner Gedichte. Einige davon werden Sie heute hören, auch zwei Dialoge aus "Wallenstein".

Eine Bemerkung noch zu den musikalischen Zwischenspielen:

Es sind Variationen für Violine und Klavier in D-Dur nach einem Thema von Beethoven, eigens für dieses Programm komponiert von dem Dichterpflänzchen Werner Hartmann. Sie werden ihn selbst am Flügel hören, zusammen mit Martin Buck, der den Violinpart übernimmt.

Als erstes hören wir nun ein wunderbares, sehr selten rezitiertes Gedicht (Sie werden merken, warum), in dem schon eine Fülle von Gedanken anklingen, die wir im Laufe des Abends noch wiedertreffen werden.

Und nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen. Auch Schiller sagte ja: "Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst".

Musik-1

Der Spaziergang

Sei mir gegrüßt, mein Berg mit dem röthlich strahlenden Gipfel!
Sei mir, Sonne, gegrüßt, die ihn so lieblich bescheint!
Dich auch grüß' ich, belebte Flur, euch, säuselnde Linden,
Und den fröhlichen Chor, der auf den Ästen sich wiegt,
Ruhige Bläue, dich auch, die unermeßlich sich ausgießt
Um das braune Gebirg, über den grünenden Wald,
Auch um mich, der, endlich entflohn des Zimmers Gefängniß
Und dem engen Gespräch, freudig sich rettet zu dir.

Deiner Lüfte balsamischer Strom durchrinnt mich erquickend,
Und den durstigen Blick labt das energische Licht.
Kräftig auf blühender Au erglänzen die wechselnden Farben,
Aber der reizende Streit löset in Anmuth sich auf.
Frei empfängt mich die Wiese mit weithin verbreitetem Teppich;
Durch ihr freundliches Grün schlingt sich der ländliche Pfad.
Um mich summt die geschäftige Bien', mit zweifelndem Flügel
Wiegt der Schmetterling sich über dem röthlichten Klee.
Glühend trifft mich der Sonne Pfeil, still liegen die Weste,
Nur der Lerche Gesang wirbelt in heiterer Luft.

Doch jetzt braust's aus dem nahen Gebüsch: tief neigen der Erlen
Kronen sich, und im Wind wogt das versilberte Gras;
Mich umfängt ambrosische Nacht; in duftende Kühlung
Nimmt ein prächtiges Dach schattender Buchen mich ein.
In des Waldes Geheimniß entflieht mir auf einmal die Landschaft,
Und ein schlängelnder Pfad leitet mich steigend empor.
Nur verstohlen durchdringt der Zweige laubigtes Gitter
Sparsames Licht, und es blickt lachend das Blaue herein.

Aber plötzlich zerreißt der Flor. Der geöffnete Wald gibt
Überraschend des Tags blendendem Glanz mich zurück.
Unabsehbar ergießt sich vor meinen Blicken die Ferne,
Und ein blaues Gebirg endigt im Dufte die Welt.
Tief an des Berges Fuß, der gählings unter mir abstürzt,
Wallet des grünlichten Stroms fließender Spiegel vorbei.
Endlos unter mir seh' ich den Äther, über mir endlos,
Blicke mit Schwindel hinauf, blicke mit Schaudern hinab.
Aber zwischen der ewigen Höh' und der ewigen Tiefe
Trägt ein geländerter Steig sicher den Wandrer dahin.

Lachend fliehen an mir die reichen Ufer vorüber,
Und den fröhlichen Fleiß rühmet das prangende Thal.
Jene Linien, sieh! die des Landmanns Eigenthum scheiden,
In den Teppich der Flur hat sie Demeter gewirkt.
Freundliche Schrift des Gesetzes, des menschenerhaltenden Gottes,
Seit aus der ehernen Welt fliehend die Liebe verschwand!

Aber in freieren Schlangen durchkreuzt die geregelten Felder,
Jetzt verschlungen vom Wald, jetzt an den Bergen hinauf
Klimmend, ein schimmernder Streif, die Länder verknüpfende Straße;
Auf dem ebenen Strom gleiten die Flöße dahin.
Vielfach ertönt der Heerden Geläut' im belebten Gefilde,
Und den Wiederhall weckt einsam des Hirten Gesang.
Muntre Dörfer begrenzen den Strom, in Gebüschen verschwinden
Andre, vom Rücken des Bergs stürzen sie gäh dort herab.

Nachbarlich wohnet der Mensch noch mit dem Acker zusammen,
Seine Felder umruhn friedlich sein ländliches Dach;
Traulich rankt sich die Reb' empor an dem niedrigsten Fenster,
Einen umarmenden Zweig schlingt um die Hütte der Baum.
Glückliches Volk der Gefilde! Noch nicht zur Freiheit erwachet,
Theilst du mit deiner Flur fröhlich das enge Gesetz.
Deine Wünsche beschränkt der Ernten ruhiger Kreislauf,
Wie dein Tagewerk, gleich, windet dein Leben sich ab!

Aber wer raubt mir auf einmal den lieblichen Anblick - Ein fremder
Geist verbreitet sich schnell über die fremdere Flur.
Spröde sondert sich ab, was kaum noch liebend sich mischte,
Und das Gleiche nur ist's, was an das Gleiche sich reiht.
Stände seh' ich gebildet, der Pappeln stolze Geschlechter
Ziehn in geordnetem Pomp vornehm und prächtig daher.
Regel wird Alles, und Alles wird Wahl und Alles Bedeutung;
Dieses Dienergefolg meldet den Herrscher mir an.
Prangend verkündigen ihn von fern die beleuchteten Kuppeln,
Aus dem felsigten Kern hebt sich die thürmende Stadt.
In die Wildnis hinauß sind des Waldes Faunen verstoßen,
Aber die Andacht leiht höheres Leben dem Stein.

Näher gerückt ist der Mensch an den Menschen. Enger wird um ihn,
Reger erwacht, es umwälzt rascher sich in ihm die Welt.
Sieh, da entbrennen in feurigem Kampf die eifernden Kräfte,
Großes wirket ihr Streit, Größeres wirket ihr Bund.
Tausend Hände belebt ein Geist, hoch schläget in tausend
Brüsten, von einem Gefühl glühend, ein einziges Herz,
Schlägt für das Vaterland und glüht für der Ahnen Gesetze;
Hier auf dem theuren Grund ruht ihr verehrtes Gebein.

Nieder steigen vom Himmel die seligen Götter und nehmen
In dem geweihten Bezirk festliche Wohnungen ein;
Herrliche Gaben bescherend erscheinen sie: Ceres vor allen
Bringet des Pfluges Geschenk, Hermes den Anker herbei,
Bacchus die Traube, Minerva des Ölbaums grünende Reiser,
Auch das kriegrische Roß führet Poseidon heran,
Mutter Cybele spannt an des Wagens Deichsel die Löwen,
In das gastliche Thor zieht sie als Bürgerin ein.

Heilige Steine! Aus euch ergossen sich Pflanzen der Menschheit,
Fernen Inseln des Meeres sandtet ihr Sitten und Kunst,
Weise sprachen das Recht an diesen geselligen Thoren;
Helden stürzten zum Kampf für die Penaten heraus.
Auf den Mauern erschienen, den Säugling im Arme, die Mütter,
Blickten dem Heerzug nach, bis ihn die Ferne verschlang.
Betend stürzten sie dann vor der Götter Altären sich nieder,
Flehten um Ruhm und Sieg, flehten um Rückkehr für euch.
Ehre ward euch und Sieg, doch der Ruhm nur kehrte zurücke;
Eurer Thaten Verdienst meldet der rührende Stein:
"Wandere, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest
"Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl."
Ruhet sanft, ihr Geliebten! Von eurem Blute begossen,
Grünet der Ölbaum, es keimt lustig die köstliche Saat.

Munter entbrennt, des Eigenthums froh, das freie Gewerbe,
Aus dem Schilfe des Stroms winkt der bläulichte Gott.
Zischend fliegt in den Baum die Axt, es erseufzt die Dryade,
Hoch von des Berges Haupt stürzt sich die donnernde Last.
Aus dem Felsbruch wiegt sich der Stein, vom Hebel beflügelt;
In der Gebirge Schlucht taucht sich der Bergmann hinab.
Mulcibers Ambos tönt von dem Takt geschwungener Hämmer,
Unter der nervigten Faust spritzen die Funken des Stahls.
Glänzend umwindet der goldene Lein die tanzende Spindel,
Durch die Saiten des Garns sauset das webende Schiff.
Fern auf der Rhede ruft der Pilot, es warten die Flotten,
Die in der Fremdlinge Land tragen den heimischen Fleiß;
Andre ziehn flohlockend dort ein mit den Gaben der Ferne,
Hoch von dem ragenden Mast wehet der festliche Kranz.
Siehe, da wimmeln die Märkte, der Krahn von fröhlichem Leben,
Seltsamer Sprachen Gewirr braust in das wundernde Ohr.
Auf den Stapel schüttet die Ernten der Erde der Kaufmann,
Was dem glühenden Strahl Afrika's Boden gebiert,
Was Arabien kocht, was die äußerste Thule bereitet,
Hoch mit erfreuendem Gut füllt Amalthea das Horn.

Da gebieret das Glück dem Talente die göttlichen Kinder,
Von der Freiheit gesäugt, wachsen die Künste der Lust.
Mit nachahmendem Leben erfreuet der Bildner die Augen,
Und vom Meißel beseelt, redet der fühlende Stein.
Künstliche Himmel ruhn auf schlanken jonischen Säulen,
Und den ganzen Olymp schließet ein Pantheon ein.

Leicht wie der Iris Sprung durch die Luft, wie der Pfeil von der Sehne,
Hüpfet der Brücke Joch über den brausenden Strom.
Aber im stillen Gemach entwirft bedeutende Zirkel
Sinnend der Weise, beschleicht forschend den schaffenden Geist,
Prüfet der Stoffe Gewalt, der Magnete Hassen und Lieben,
Folgt durch die Lüfte dem Klang, folgt durch den Äther dem Strahl,
Sucht das vertraute Gesetz in des Zufalls grausenden Wundern,
Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht.

Körper und Stimme leiht die Schrift den stummen Gedanken,
Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt.
Da zerrinnt von dem wundernden Blick der Nebel des Wahnes,
Und die Gebilde der Nacht weichen dem tagenden Licht.

Seine Fesseln zerbricht der Mensch. Der Beglückte! Zerriss' er
Mit den Fesseln der Furcht nur nicht den Zügel der Scham!
Freiheit ruft die Vernunft, Freiheit die wilde Begierde,
Von der heil'gen Natur ringen sie lüstern sich los.
Ach, da reißen im Sturm die Anker, die an dem Ufer
Warnend ihn hielten, ihn faßt mächtig der fluthende Strom;
Ins Unendliche reißt er ihn hin, die Küste verschwindet,
Hoch auf der Fluthen Gebirg wiegt sich entmastet der Kahn;
Hinter Wolken erlöschen des Wagens beharrliche Sterne,
Bleibend ist nichts mehr, es irrt selbst in dem Busen der Gott.
Aus dem Gespräche verschwindet die Wahrheit, Glauben und Treue
Aus dem Leben, es lügt selbst auf der Lippe der Schwur.
In der Herzen vertraulichsten Bund, in der Liebe Geheimniß
Drängt sich der Sykophant, reißt von dem Freunde den Freund.
Auf die Unschuld schielt der Verrrath mit verschlingendem Blicke,
Mit vergiftetem Biß tödtet des Lästerers Zahn.
Feil ist in der geschändeten Brust der Gedanke, die Liebe
Wirft des freien Gefühls göttlichen Adel hinweg.
Deiner heiligen Zeichen, o Wahrheit, hat der Betrug sich
Angemaßt, der Natur köstlichste Stimmen entweiht,
Die das bedürftige Herz in der Freude Drang sich erfindet;
Kaum gibt wahres Gefühl noch durch Verstummen sich kund.
Auf der Tribüne prahlet das Recht, in der Hütte die Eintracht,
Des Gesetzes Gespenst steht an der Könige Thron.

Jahre lang mag, Jahrhunderte lang die Mumie dauern,
Mag das trügende Bild lebender Fülle bestehn,
Bis die Natur erwacht, und mit schweren, ehernen Händen
An das hohle Gebäu rühret die Noth und die Zeit,
Einer Tigerin gleich, die das eiserne Gitter durchbrochen,
Und des numidischen Walds plötzlich und schrecklich gedenkt.
Aufsteht mit des Verbrechens Wuth und des Elends die Menschheit
Und in der Asche der Stadt sucht die verlorne Natur.

O, so öffnet euch, Mauern, und gebt den Gefangenen ledig!
Zu der verlassenen Flur kehr' er gerettet zurück!
Aber wo bin ich - Es birgt sich der Pfad. Abschüssige Gründe
Hemmen mit gähnender Kluft hinter mir, vor mir den Schritt.
Hinter mir blieb der Gärten, der Hecken vertraute Begleitung,
Hinter mir jegliche Spur menschlicher Hände zurück.
Nur die Stoffe seh' ich gethürmt, aus welchen das Leben
Keimet, der rohe Basalt hofft auf die bildende Hand.
Brausend stürzt der Gießbach herab durch die Rinne des Felsen,
Unter den Wurzeln des Baums bricht er entrüstet sich Bahn.
Wild ist es hier und schauerlich öd'. Im einsamen Luftraum
Hängt nur der Adler und knüpft an das Gewölke die Welt.
Hoch herauf bis zu mir trägt keines Windes Gefieder
Den verlorenen Schall menschlicher Mühen und Lust.

Bin ich wirklich allein - In deinen Armen, an deinem
Herzen wieder, Natur, ach! und es war nur ein Traum,
Der mich schaudernd ergriff mit des Lebens furchtbarem Bilde;
Mit dem stürzenden Thal stürzte der finstre hinab.

Reiner nehm' ich mein Leben von deinem reinen Altare,
Nehme den fröhlichen Muth hoffender Jugend zurück.
Ewig wechselt der Wille den Zweck und die Regel, in ewig
Wiederholter Gestalt wälzen die Thaten sich um.
Aber jugendlich immer, in immer veränderter Schöne
Ehrst du, fromme Natur, züchtig das alte Gesetz!
Immer dieselbe, bewahrst du in treuen Händen dem Manne,
Was dir das gaukelnde Kind, was dir der Jüngling vertraut,
Nährest an gleicher Brust die vielfach wechselnden Alter;
Unter demselben Blau, über dem nämlichen Grün
Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter,
Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt nach uns.

Musik-2

Sprecher 1: "Kein Mensch muß müssen", sagt der Jude Nathan zum Derwisch, und dieses Wort ist in einem weiteren Umfange wahr, als man demselben vielleicht einräumen möchte. Der Wille ist der Geschlechtscharakter des Menschen... Alle andere Dinge müssen; der Mensch ist das Wesen, welches will.

Ebendeswegen ist des Menschen nichts so unwürdig, als Gewalt zu erleiden, denn Gewalt hebt ihn auf. Wer sie uns antut, macht uns nichts Geringeres als die Menschheit streitig; wer sie feigerweise erleidet, wirft seine Menschheit hinweg. ...Umgeben von zahllosen Kräften, die alle ihm überlegen sind, und den Meister über ihn spielen, macht er durch seine Natur Anspruch, von keiner Gewalt zu erleiden. Durch seinen Verstand zwar steigert er künstlicherweise seine natürlichen Kräfte, und bis auf einen gewissen Punkt gelingt es ihm wirklich, physisch über alles Physische Herr zu werden. Gegen alles, sagt das Sprüchwort, gibt es Mittel, nur nicht gegen den Tod. Aber diese einzige Ausnahme, wenn sie das wirklich im strengsten Sinne ist, würde den ganzen Begriff des Menschen aufheben. Nimmermehr kann er das Wesen sein, welches will, wenn es auch nur einen Fall gibt, wo er schlechterdings muß, was er nicht will.

Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen und ihm dazu behilflich sein, seinen ganzen Begriff zu erfüllen. Sie soll ihn also fähig machen, seinen Willen zu behaupten, denn der Mensch ist das Wesen, welches will.

Dies ist auf zweierlei Weise möglich. Entweder realistisch, wenn der Mensch der Gewalt Gewalt entgegensetzt, wenn er als Natur die Natur beherrschst: oder idealistisch, wenn er aus der Natur heraustritt... Aber die Kräfte der Natur lassen sich nur bis auf einen gewissen Punkt beherrschen oder abwehren; über diesen Punkt hinaus entziehen sie sich der Macht des Menschen und unterwerfen ihn der ihrigen.

Jetzt also wäre es um seine Freiheit getan, wenn er keiner andern als physischen Kultur fähig wäre. Er soll aber ohne Ausnahme Mensch sein, also in keinem Fall etwas gegen seinen Willen erleiden. Kann er also den physischen Kräften keine verhältnismäßige physische Kraft mehr entgegensetzen, so bleibt ihm, um keine Gewalt zu erleiden, nichts anders übrig, als: ein Verhältnis, welches ihm so nachteilig ist, ganz und gar aufzuheben, und eine Gewalt, die er der Tat nach erleiden muß, dem Begriff nach zu vernichten. Eine Gewalt dem Begriffe nach vernichten, heißt aber nichts anders, als sich derselben freiwillig unterwerfen. Die Kultur, die ihn dazu geschickt macht, heißt die moralische.

Der moralisch gebildete Mensch, und nur dieser, ist ganz frei...

Unsterblichkeit
Vor dem Tod erschrickst du - Du wünschest unsterblich zu leben -
- Leb im Ganzen! Wenn du lange dahin bist, es bleibt.

Das Höchste
Suchst du das Höchste, das Größte - Die Pflanze kann es dich lehren.
- Was sie willenlos ist, sei du es wollend -- das ist's!


Die Bürgschaft

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande;
ihn schlugen die Häscher in Bande.
"Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!"
Entgegnet ihm finster der Wüterich.
"Die Stadt vom Tyrannen befreien!"
"Das sollst du am Kreuze bereuen."

"Ich bin", spricht jener, "zu sterben bereit
und bitte nicht um mein Leben;
doch willst du Gnade mir geben,
ich flehe dich um drei Tage Zeit,
bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
ich lasse den Freund dir als Bürgen -
ihn magst du, entrinn ich, erwürgen."

Da lächelt der König mit arger List
und spricht nach kurzem Bedenken:
"Drei Tage will ich dir schenken.
Doch wisse: wenn sie verstrichen die Frist,
eh du zurück mir gegeben bist,
so muß er statt deiner erblassen,
doch dir ist die Strafe erlassen."

Und er kommt zum Freund: "Der König gebeut,
daß ich am Kreuz mit dem Leben
bezahle das frevelnde Streben;
doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
bis ich die Schwester dem Gatten gefreit.
So bleib du dem König zum Pfande,
bis ich komme, zu lösen die Bande."

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
und liefert sich aus dem Tyrannen,
der andere ziehet von dannen.
Und ehe das dritte Morgenrot scheint,
hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
eilt heim mit sorgender Seele,
damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießt unendlicher Regen herab,
von den Bergen stürzen die Quellen,
und die Bäche, die Ströme schwellen.
Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab -
da reißet die Brücke der Strudel hinab,
und donnernd sprengen die Wogen
des Gewölbes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand;
wie weit er auch spähet und blicket
und die Stimme, die rufende schicket -
da stößet kein Nachen vom sichern Strand,
der ihn setze an das gewünschte Land,
kein Schiffer lenket die Fähre,
und der wilde Strom wird zum Meere.

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,
die Hände zum Zeus erhoben:
"O hemme des Stromes Toben!
Es eilen die Stunden, im Mittag steht
die Sonne, und wenn sie niedergeht
und ich kann die Stadt nicht erreichen,
so muß der Freund mir erbleichen."

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,
und Welle auf Welle zerrinnet,
ud Stunde an Stunde entrinnet.
Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut
und wirft sich hinein in die brausende Flut
und teilt mit gewaltigen Armen
den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort
und danket dem rettenden Gotte;
da stürzet die raubende Rotte
hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord
und hemmet des Wanderers Eile
mit drohend geschwungener Keule.

"Was wollt ihr - ruft er für Schrecken bleich,
"ich habe nichts als mein Leben,
das muß ich dem Könige geben!"
Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:
"Um des Freundes willen erbarmet euch!"
Und drei mit gewaltigen Streichen
erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand,
und von der unendlichen Mühe
ermattet sinken die Knie:
"O hast du mich gnädig aus Räubershand,
aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
und soll hier verschmachtend verderben,
und der Freund mir, der liebende sterben!"

Und horch! da sprudelt es silberhell
ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,
und stille hält er, zu lauschen;
und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell
springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
und freudig bückt er sich nieder
und erfrischet die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
und malt auf den glänzenden Matten
der Bäume gigantische Schatten;
und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,
will eilenden Laufes vorüber fliehn,
da hört er die Worte sie sagen:
"Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen."

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
ihn jagen der Sorge Qualen;
da schimmern in Abendrots Strahlen
von ferne die Zinnen von Syrakus,
und entgegen kommt ihm Philostratus,
des Hauses redlicher Hüter,
der erkennet entsetzt den Gebieter:

"Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,
so rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
mit hoffender Seele der Wiederkehr,
ihm konnte den mutigen Glauben
der Hohn des Tyrannen nicht rauben."

"Und ist es zu spät und kann ich ihm nicht
ein Retter willkommen erscheinen,
so soll mich der Tod ihm vereinen.
Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,
daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht -
er schlachte der Opfer zweie
und glaube an Liebe und Treue."

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor
und sieht das Kreuz schon erhöhet,
das die Menge gaffend umstehet;
an dem Seile schon zieht man den Freund empor,
da zertrennt er gewaltig den dichten Chor:
"Mich, Henker!" ruft er, "erwürget!
Da bin ich, für den er gebürget!"

Und Erstaunen ergreift das Volk umher,
in den Armen liegen sich beide
und weinen für Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Auge tränenleer,
und zum Könige bringt man die Wundermär;
der fühlt ein menschliches Rühren,
läßt schnell vor den Thron sie führen.

Und blicket sie lange verwundert an;
drauf spricht er: "Es ist euch gelungen,
ihr habt das Herz mir bezwungen,
und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn -
so nehmet auch mich zum Genossen an.
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
in eurem Bunde der Dritte."


Sprecher 1: Zwar reichen schon die entwickelten Gefühle für die Schönheit dazu hin, uns bis auf einen gewissen Grad von der Natur als einer Macht unabhängig zu machen. Ein Gemüt, welches sich so weit veredelt hat, um mehr von den Formen als dem Stoff der Dinge gerührt zu werden, und ohne alle Rücksicht auf Besitz, aus der bloßen Reflexion über die Erscheinungsweise ein freies Wohlgefallen zu schöpfen, ein solches Gemüt trägt in sich selbst eine innre unverlierbare Fülle des Lebens, und weil es nicht nötig hat, sich die Gegenstände zuzueignen, in denen es lebt, so ist es auch nicht in Gefahr, derselben beraubt zu werden. Aber endlich will doch auch der Schein einen Körper haben, an welchem er sich zeigt, und solange also ein Bedürfnis auch nur nach schönem Schein vorhanden ist, bleibt ein Bedürfnis nach dem D a s e i n von Gegenständen übrig, und unsre Zufriedenheit ist folglich noch von der Natur als Macht abhängig, welche über alles Dasein gebietet. Es ist nämlich etwas ganz anders: ob wir ein Verlangen nach schönen und guten Gegenständen fühlen, oder ob wir bloß verlangen, daß die vorhandenen Gegenstände schön und gut seien. Das letzte kann mit der höchsten Freiheit des Gemüts bestehen, aber das erste nicht; daß das Vorhandene schön und gut sei, können wir fodern; daß das Schöne und Gute vorhanden sei, bloß wünschen.


Politische Lehre
Alles sei recht, was du tust, doch dabei laß es bewenden
Freund, und enthalte dich ja, alles was recht ist zu tun.
Wahrem Eifer genügt, daß das Vorhandne vollkommen
- Sei, der falsche will stets, daß das Vollkommene sei.

(Ohne Überschrift)
Auf das empfindsame Volk hab ich nie was gehalten, es werden,
- kommt die Gelegenheit nur schlechte Gesellen daraus.

Der schöne Geist und der Schöngeist
Nur das Leichtere trägt auf leichten Schultern der Schöngeist,
- Aber der schöne Geist trägt das Gewichtige leicht.


Sehnsucht
Ach, aus dieses Thales Gründen,
Die der kalte Nebel drückt,
Könnt' ich doch den Ausgang finden,
Ach, wie fühlt' ich mich beglückt!
Dort erblick' ich schöne Hügel,
Ewig jung und ewig grün!
Hätt' ich Schwingen, hätt' ich Flügel,
Nach den Hügeln zög' ich hin.

Harmonieen hör' ich klingen,
Töne süßer Himmelsruh,
Und die leichten Winde bringen
Mir der Düfte Balsam zu.
Goldne Früchte seh' ich glühen,
Winkend zwischen dunkelm Laub,
Und die Blumen, die dort blühen,
Werden keines Winters Raub.
Ach, wie schön muß sich's ergehen
Dort im ew'gen Sonnenschein!
Und die Luft auf jenen Höhen -
O, wie labend muß sie sein!

Doch mir wehrt des Stromes Toben,
Der ergrimmt dazwischen braust;
Seine Wellen sind gehoben,
Daß die Seele mir ergraust.
Einen Nachen seh' ich schwanken,
Aber, ach! der Fährmann fehlt.
Frisch hinein und ohne Wanken!
Seine Segel sind beseelt.
Du muß glauben, du mußt wagen,
Denn die Götter leihn kein Pfand;
Nur ein Wunder kann dich tragen
In das schöne Wunderland.

Sprecher 1: Es ist ein Kennzeichen guter und schöner aber jederzeit schwacher Seelen, immer ungeduldig auf Existenz ihrer moralischen Ideale zu dringen, und von den Hindernissen derselben schmerzlich gerührt zu werden. Solche Menschen setzen sich in eine traurige Abhängigkeit von dem Zufall, und es ist immer mit Sicherheit vorherzusagen, daß sie der Materie in moralischen und ästhetischen Dingen zuviel einräumen und die höchste Charakter- und Geschmacksprobe nicht bestehen werden. Das moralisch Fehlerhafte soll uns nicht Leiden und Schmerz einflößen, welches immer mehr von einem unbefriedigten Bedürfnis als von einer unerfüllten Foderung zeugt. Diese muß einen rüstigern Affekt zum Begleiter haben, und das Gemüt eher stärken und in seiner Kraft befestigen, als kleinmütig und unglücklich machen.
Zwei Genien sind es, die uns die Natur zu Begleitern durchs Leben gab. Der eine, gesellig und hold, verkürzt uns durch sein munteres Spiel die mühvolle Reise, macht uns die Fesseln der Notwendigkeit leicht, und führt uns unter Freude und Scherz bis an die gefährlichen Stellen, wo wir als reine Geister handeln und alles Körperliche ablegen müssen, bis zur Erkenntnis der Wahrheit und zur Ausübung der Pflicht. Hier verläßt er uns, denn nur die Sinnenwelt ist sein Gebiet, über diese hinaus kann ihn sein irdischer Flügel nicht tragen. Aber jetzt tritt der andere hinzu, ernst und schweigend, und mit starkem Arm trägt er uns über die schwindlichte Tiefe.

Die Führer des Lebens

Zweierlei Genien sind's, die dich durchs Leben geleiten.
Wohl dir, wenn sie vereint helfend zur Seite dir stehn!
Mit erheiterndem Spiel verkürzt dir der eine die Reise,
Leichter an seinem Arm werden dir Schicksal und Pflicht.
Unter Scherz und Gespräch begleitet er bis an die Kluft dich,
Wo an der Ewigkeit Meer schaudernd der Sterbliche steht.
Hier empfängt dich entschlossen und ernst und schweigend der andre,
Trägt mit gigantischem Arm über die Tiefe dich hin.
Nimmer widme dich einem allein! Vertraue dem erstern
Deine Würde nicht an, nimmer dem andern dein Glück.

Sprecher 1: In dem ersten dieser Genien erkennet man das Gefühl des Schönen, in dem zweiten das Gefühl des Erhabenen. Zwar ist schon das Schöne ein Ausdruck der Freiheit; aber nicht derjenigen, welche uns über die Macht der Natur erhebt und von allem körperlichen Einfluß entbindet, sondern derjenigen, welche wir innerhalb der Natur als Menschen genießen. Wir fühlen uns frei bei der Schönheit, weil die sinnlichen Triebe mit dem Gesetz der Vernunft harmonieren; wir fühlen uns frei beim Erhabenen, weil die sinnlichen Triebe auf die Gesetzgebung der Vernunft keinen Einfluß haben, weil der Geist hier handelt, als ob er unter keinen andern als seinen eigenen Gesetzen stünde.

Das Gefühl des Erhabenen ist ein gemischtes Gefühl. Es ist eine Zusammensetzung von Wehsein, das sich in seinem höchsten Grad als ein Schauer äußert, und von Frohsein, das bis zum Entzücken steigen kann und ob es gleich nicht eigentlich Lust ist, von feinen Seelen aller Lust doch weit vorgezogen wird. Diese Verbindung zweier widersprechender Empfindungen in einem einzigen Gefühl beweist unsere moralische Selbstständigkeit auf eine unwiderlegliche Weise... Bei dem Schönen stimmen Vernunft und Sinnlichkeit zusammen, und nur um dieser Zusammenstimmung willen hat es Reiz für uns. Durch die Schönheit allein würden wir also ewig nie erfahren, daß wir bestimmt und fähig sind, uns als reine Intelligenzen zu beweisen. Beim Erhabenen hingegen stimmen Vernunft und Sinnlichkeit nicht zusammen, und eben in diesem Widerspruch zwischen beiden liegt der Zauber, womit es unser Gemüt ergreift. Der physische und der moralische Mensch werden hier aufs schärfste voneinander geschieden, denn gerade bei solchen Gegenständen, wo der erste nur seine Schranken empfindet, macht der andere die Erfahrung seiner Kraft und wird durch eben das unendlich erhoben, was den andern zu Boden drückt.

Der Handschuh

Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.

Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der weite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um,
Mit langem Gähnen,
Und schüttelt die Mähnen,
Und streckt die Glieder,
Und legt sich nieder.

Und der König winkt wieder,
Da öffnet sich behend
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
Mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor,
Wie der den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif,
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu
Grimmig schnurrend;
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.

Und der König winkt wieder,
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus,
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier,
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen,
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wird's still,
Und herum im Kreis,
Von Mordsucht heiß,
Lagern die greulichen Katzen.

Da fällt von des Altans Rand
Ein Handschuh von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leun
Mitten hinein.
Und zu Ritter Delorges spottenderweis
Wendet sich Fräulein Kunigund:
"Herr Ritter, ist Eure Lieb so heiß,
Wie Ihr mir's schwört zu jeder Stund,
Ei, so hebt mir den Handschuh auf."

Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbarn Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.
Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehen's die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde,
Aber mit zärtlichem Liebesblick -
Er verheißt ihm sein nahes Glück -
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
"Den Dank, Dame, begehr ich nicht",
Und verläßt sie zur selben Stunde.


Musik-3

Doppelter Irrtum
Nimmst du die Menschen für schlecht, du kannst dich verrechnen, o Weltmann,
Schwärmer, wie bist du getäuscht, nimmst du die Menschen für gut.

Meine Antipathie
Herzlich ist mir das Laster zuwider, doppelt zuwider,
    ist mir's, weil es so viel schwatzen von Tugend gemacht.
"Wie, du hassest die Tugend - " -- Ich wollte, wir übten sie alle,
    Und so spräche, will's Gott, ferner kein Mensch mehr davon.

An die Astronomen
Schwatzet mir nicht so viel von Nebelflecken und Sonnen,
     Ist die Natur nur groß, weil sie zu zählen euch gibt -
Euer Gegenstand ist der erhabenste freilich im Raume,
    Aber Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht.

Sprecher 1: Ein Mensch, will ich annehmen, soll alle die Tugenden besitzen, deren Vereinigung den schönen Charakter ausmacht. Er soll in der Ausübung der Gerechtigkeit, Wohltätigkeit, Mäßigkeit, Standhaftigkeit und Treue seine Wollust finden, alle Pflichten, deren Befolgung ihm die Umstände nahelegen, sollen ihm zum leichten Spiele werden, und das Glück soll ihm keine Handlung schwer machen, wozu nur immer sein menschenfreundliches Herz ihn auffodern mag. Wem wird dieser schöne Einklang der natürlichen Triebe mit den Vorschriften der Vernunft nicht entzückend sein, und wer sich enthalten können, einen solchen Menschen zu lieben - Aber können wir uns wohl, bei aller Zuneigung zu demselben versichert halten, daß er wirklich ein Tugendhafter ist, und daß es überhaupt eine Tugend gibt - Wenn es dieser Mensch auch bloß auf angenehme Empfindungen angelegt hätte, so könnte er, ohne ein Tor zu sein, schlechterdings nicht anders handeln, und er müßte seinen eignen Vorteil hassen, wenn er lasterhaft sein wollte...

Dieser nämliche Mensch soll aber plötzlich in ein großes Unglück geraten. Man soll ihn seiner Güter berauben, man soll seinen guten Namen zugrund richten. Krankheiten sollen ihn auf ein schmerzhaftes Lager werfen, alle, die er liebt, soll der Tod ihm entreißen, alle, denen er vertraut, ihn in der Not verlassen. In diesem Zustande suche man ihn wieder auf, und fodre von dem Unglücklichen die Ausübung der nämlichen Tugenden, zu denen der Glückliche einst so bereit gewesen war. Findet man ihn in diesem Stück noch ganz als den nämlichen, hat die Armut seine Wohltätigkeit, der Undank seine Dienstfertigkeit, der Schmerz seine Gleichmütigkeit, eignes Unglück seine Teilnehmung an fremdem Glücke nicht vermindert, bemerkt man die Verwandlung seiner Umstände in seiner Gestalt, aber nicht in seinem Betragen, in der Materie, aber nicht in der Form seines Handelns - dann freilich reicht man mit keiner Erklärung aus dem Naturbegriff mehr aus..., weil nichts widersprechender sein kann, als daß die Wirkung dieselbe bleibe, wenn die Ursache sich in ihr Gegenteil verwandelt hat. Man muß also jeder natürlichen Erklärung entsagen, muß es ganz und gar aufgeben, das Betragen aus dem Zustande abzuleiten, und den Grund des erstern aus der physischen Weltordnung heraus in eine ganz andere verlegen, welche die Vernunft zwar mit ihren Ideen erfliegen, der Verstand aber mit seinen Begriffen nicht erfassen kann. Diese Entdeckung des absoluten moralischen Vermögens, welches an keine Naturbedingung gebunden ist, gibt dem wehmütigen Gefühl, wovon wir beim Anblick eines solchen Menschen ergriffen werden, den ganz eignen unaussprechlichen Reiz, den keine Lust der Sinne, so veredelt sie auch seien, dem Erhabenen streitig machen kann.


Das Mädchen von Orleans


Das edle Bild der Menschheit zu verhöhnen,
Im tiefsten Staube wälzte dich der Spott;
Krieg führt der Witz auf ewig mit den Schönen,
Er glaubt nicht an den Engel und den Gott;
Dem Herzen will er seine Schätze rauben,
Den Wahn bekriegt er und verletzt den Glauben.

Doch, wie du selbst, aus kindlichem Geschlechte,
Selbst eine fromme Schäferin, wie du,
Reicht dir die Dichtkunst ihre Götterrechte,
Schwingt sich mit dir den ew'gen Sternen zu.
Mit einer Glorie hat sie dich umgeben;
Dich schuf das Herz, du wirst unsterblich leben.

Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen
Und das Erhabne in den Staub zu ziehn;
Doch fürchte nicht! Es gibt noch schöne Herzen,
Die für das Hohe, Herrliche entglühn.
Den lauten Markt mag Momus unterhalten;
Ein edler Sinn liebt edlere Gestalten.


Güte und Größe
Nur zwei Tugenden gibt's, o wären sie immer vereinigt,
- Immer die Güte auch groß, immer die Größe auch gut.

Humanität
Seele legt sie auch in den Genuß, noch Geist ins Bedürfnis,
- Grazie selbst in die Kraft, noch in die Hoheit ein Herz.

Der Vorzug
Über das Herz zu siegen ist groß, ich verehre den Tapfern,
- Aber wer durch sein Herz sieget, er gilt mir doch mehr.

Hoffnung

Es reden und träumen die Menschen viel
Von bessern künftigen Tagen;
Nach einem glücklichen, goldenen Ziel
Sieht man sie rennen und jagen.
Die Welt wird alt und wird wieder jung,
Doch der Mensch hofft immer Verbesserung.

Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,
Sie umflattert den fröhlichen Knaben,
Den Jüngling locket ihr Zauberschein,
Sie wird mit dem Greis nicht begraben;
Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
Noch am Grabe pflanzt er - die Hoffnung auf.

Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn,
Erzeugt im Gehirne des Thoren.
Im Herzen kündet es laut sich an:
Zu was Besserm sind wir geboren;
Und was die innere Stimme spricht,
Das täuscht die hoffende Seele nicht.


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Sprecher 1: Das Erhabene, wie das Schöne, ist durch die ganze Natur verschwenderisch ausgegossen, und die Empfindungsfähigkeit für beides in alle Menschen gelegt; aber der Keim dazu entwickelt sich ungleich, und durch die Kunst muß ihm nachgeholfen werden. Schon der Zweck der Natur bringt es mit sich, daß wir der Schönheit zuerst entgegeneilen, wenn wir noch vor dem Erhabenen fliehn; denn die Schönheit ist unsre Wärterin im kindischen Alter, und soll uns ja aus dem rohen Naturstand zur Verfeinerung führen.


Aus "Die Künstler"

Verlerne nicht, die Hand zu preisen,
Die an des Lebens ödem Strand
Den weinenden verlaßnen Waisen,
Des wilden Zufalls Beute, fand,
Die frühe schon der künft'gen Geisterwürde
Dein junges Herz im Stillen zugekehrt
Und die befleckende Begierde
Von deinem zarten Busen abgewehrt,
Die Gütige, die deine Jugend
In hohen Pflichten spielend unterwies
Und das Geheimniß der erhabnen Tugend
In leichten Räthseln dich errathen ließ,
Die, reifer nur ihn wieder zu empfangen,
In fremde Arme ihren Liebling gab;
O, falle nicht mit ausgeartetem Verlangen
Zu ihren niedern Dienerinnen ab!
Im Fleiß kann dich die Biene meistern,
In der Geschicklichkeit der Wurm dein Lehrer sein,
Dein Wissen theilest du mit vorgezognen Geistern,
Die Kunst, o Mensch, hast du allein.

Nur durch das Morgenthor des Schönen
Drangst du in der Erkenntniß Land.
An höhern Glanz sich zu gewöhnen,
Übt sich am Reize der Verstand.
Was bei dem Saitenklang der Musen
Mit süßem Beben dich durchdrang,
Erzog die Kraft in deinem Busen,
Die sich dereinst zum Weltgeist schwang.
Was erst, nachdem Jahrtausende verflossen,
Die alternde Vernunft erfand,
Lag im Symbol des Schönen und des Großen,
Voraus geoffenbart dem kindlichen Verstand.
Ihr holdes Bild hieß uns die Tugend lieben,
Ein zarter Sinn hat vor dem Laster sich gesträubt,
Eh noch ein Solon das Gesetz geschrieben,
Das matte Blüthen langsam treibt.

Eh vor des Denkers Geist der kühne
Begriff des ew'gen Raumes stand,
Wer sah hinauf zur Sternenbühne,
Der ihn nicht ahnend schon empfand -
Die, eine Glorie von Orionen
Ums Angesicht, in hehrer Majestät,
Nur angeschaut von reineren Dämonen,
Verzehrend über Sternen geht,
Geflohn auf ihrem Sonnenthrone,
Die furchtbar herrliche Urania,
Mit abgelegter Feuerkrone
Steht sie - als Schönheit vor uns da.
Der Anmuth Gürtel umgewunden,
Wird sie zum Kind, daß Kinder sie verstehn.
Was wir als Schönheit hier empfunden,
Wird einst als Wahrheit uns entgegen gehn.

Sprecher 1: Solange der Mensch bloß Sklave der physischen Notwendigkeit war, aus dem engen Kreis der Bedürfnisse noch keinen Ausgang gefunden hatte, und die hohe d ä m o n i s c h e Freiheit in seiner Brust noch nicht ahndete, so konnte ihn die unfaßbare Natur nur an die Schranken seiner Vorstellungskraft und die verderbende Natur nur an seine physische Ohnmacht erinnern. Er mußte also die erste mit Kleinmut vorübergehen, und sich von der andern mit Entsetzen abwenden. Kaum aber macht ihm die freie Betrachtung gegen den blinden Andrang der Naturkräfte Raum, und kaum entdeckt er in dieser Flut von Erscheinungen etwas Bleibendes in seinem eigenen Wesen, so fangen die wilden Naturmassen um ihn herum an, eine ganz andere Sprache zu seinem Herzen zu reden: und das relativ Große außer ihm ist der Spiegel, worin er das absolut Große in ihm selbst erblickt. Furchtlos und mit schauerlicher Lust nähert er sich jetzt diesen Schreckbildern seiner Einbildungskraft... Der Anblick unbegrenzter Fernen und unabsehbarer Höhen, der weite Ozean zu seinen Füßen, und der größere Ozean über ihm, entreißen seinen Geist der engen Sphäre des Wirklichen und der druckenden Gefangenschaft des physischen Lebens. Ein größerer Maßstab der Schätzung wird ihm von der simpeln Majestät der Natur vorgehalten, und, von ihren großen Gestalten umgeben, erträgt er das Kleine in seiner Denkart nicht mehr. Wer weiß, wie manchen Lichtgedanken oder Heldenentschluß, den kein Studierkerker, und kein Gesellschaftsaal zur Welt gebracht haben möchte, nicht schon dieser mutige Streit des Gemüts mit dem großen Naturgeist auf einem Spaziergang gebar – wer weiß, ob es nicht dem seltenen Verkehr mit diesem großen Genius zum Teil zuzuschreiben ist, daß der Cahrakter der Städter sich so gerne zum Kleinlichen wendet, verkrüppelt und welkt, wenn der Sinn des Nomaden offen und frei bleibt, wie das Firmament, unter dem er sich lagert.


Aus dem "Lied von der Glocke"

Wohltätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
Und was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft,
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
Einhertritt auf der eignen Spur
Die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen
Wachsend ohne Widerstand
Durch die volkbelebten Gassen
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.

Aus der Wolke
Quillt der Segen,
Strömt der Regen,
Aus der Wolke, ohne Wahl,
Zuckt der Strahl!
Hört ihr's wimmern hoch vom Turm -
Das ist Sturm!
Rot wie Blut
Ist der Himmel,
Das ist nicht des Tages Glut!

Welch Getümmel
Straßen auf!
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
Durch der Straße lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile,
Kochend wie aus Ofens Rachen
Glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Tiere wimmern
Unter Trümmern,
Alles rennet, rettet, flüchtet,
Taghell ist die Nacht gelichtet,
Durch der Hände lange Kette
Um die Wette
Fliegt der Eimer, hoch im Bogen
Sprützen Quellen, Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die dürre Frucht
Fällt sie in des Speichers Räume,
In der Sparren dürre Bäume,
Und als wollte sie im Wehen
Mit sich fort der Erde Wucht
Reißen, in gewaltger Flucht,
Wächst sie in des Himmels Höhen
Riesengroß!

Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götterstärke,
Müßig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehn.


Musik-4

Sprecher 1: Das höchste Ideal, wonach wir ringen, ist, mit der physischen Welt, als der Bewahrerin unserer Glückseligkeit, in gutem Vernehmen zu bleiben, ohne darum genötigt zu sein, mit der moralischen zu brechen, die unsre Würde bestimmt. Nun geht es aber bekanntermaßen nicht immer an, beiden Herren zu dienen, und wenn auch (ein fast unmöglicher Fall) die Pflicht mit dem Bedürfnisse nie in Streit geraten sollte; so geht doch die Naturnotwendigkeit keinen Vertrag mit dem Menschen ein, und weder seine Kraft noch seine Geschicklichkeit kann ihn gegen die Tücke der Verhängnisse sicherstellen. Wohl ihm also, wenn er gelernt hat zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann!

Ausgang aus dem Leben
Aus dem Leben heraus sind der Wege zwei dir geöffnet,
    Zum Ideale führt einer, der andre zum Tod.
Siehe, wie du bei Zeit noch frei auf dem ersten entspringest,
    Ehe die Parze mit Zwang dich auf dem andern entführt.

Wahrheit
Eine nur ist sie für alle, doch siehet sie jeder verschieden,
    Daß es eines doch bleibt, macht das Verschiedene wahr.

Schönheit
Schönheit ist ewig nur eine, doch mannigfach wechselt das Schöne,
    Daß es wechselt, das macht eben das Eine nur schön.

Aufgabe
Keiner sei gleich dem andern, doch gleich sei jeder dem Höchsten!
    Wie das zu machen - Es sei jeder vollendet in sich.

Bedingung
Ewig strebst du umsonst, dich dem Göttlichen ähnlich zu machen,
    Hast du das Göttliche nicht erst zu dem Deinen gemacht.


Das Ideal und das Leben

Ewigklar und spiegelrein und eben
Fließt das zephyrleichte Leben
Im Olymp den Seligen dahin.
Monde wechseln, und Geschlechter fliehen;
Ihrer Götterjugend Rosen blühen
Wandellos im ewigen Ruin.
Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden
Bleibt dem Menschen nur die bange Wahl;
Auf der Stirn des hohen Uraniden
Leuchtet ihr vermählter Strahl.

Wollt ihr schon auf Erden Göttern gleichen,
Frei sein in des Todes Reichen,
Brechet nicht von seines Gartens Frucht!
An dem Scheine mag der Blick sich weiden;
Des Genusses wandelbare Freuden
Rächet schleunig der Begierde Frucht.
Selbst der Styx, der neunfach sie umwindet,
Wehrt die Rückkehr Ceres' Tochter nicht;
Nach dem Apfel greift sie, und es bindet
Ewig sie des Orkus Pflicht.

Nur der Körper eignet jenen Mächten,
Die das dunkle Schicksal flechten;
Aber frei von jeder Zeitgewalt,
Die Gespielin seliger Naturen,
Wandelt oben in des Lichtes Fluren
Göttlich unter Göttern die Gestalt.
Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben,
Werft die Angst des Irdischen von euch!
Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben
In des Idealen Reich!

Jugendlich, von allen Erdenmalen
Frei, in der Vollendung Strahlen
Schwebet hier der Menschen Götterbild,
Wie des Lebens schweigende Phantome
Glänzend wandeln an dem styg'schen Strome,
Wie sie stand im himmlischen Gefild,
Ehe noch zum traur'gen Sarkophage
Die Unsterbliche herunter stieg.
Wenn im Leben noch des Kampfes Wage
Schwankt, erscheinet hier der Sieg.

Nicht vom Kampf die Glieder zu entstricken,
Den Erschöpften zu erquicken,
Wehet hier des Sieges duft'ger Kranz.
Mächtig, selbst wenn eure Sehnen ruhten,
Reißt das Leben euch in seine Fluthen,
Euch die Zeit in ihren Wirbeltanz.
Aber sinkt des Muthes kühner Flügel
Bei der Schranken peinlichem Gefühl,
Dann erblicket von der Schönheit Hügel
Freudig das erflogne Ziel.

Wenn es gilt, zu herrschen und zu schirmen,
Kämpfer gegen Kämpfer stürmen
Auf des Glückes, auf des Ruhmes Bahn,
Da mag Kühnheit sich an Kraft zerschlagen
Und mit krachendem Getös die Wagen
Sich vermengen auf bestäubtem Plan.
Muth allein kann hier den Dank erringen,
Der am Ziel des Hippodromes winkt.
Nur der Starke wird das Schicksal zwingen,
Wenn der Schwächling untersinkt.

Aber der, von Klippen eingeschlossen,
Wild und schäumend sich ergossen,
Sanft und eben rinnt des Lebens Fluß
Durch der Schönheit stille Schattenlande,
Und auf seiner Wellen Silberrande
Malt Aurora sich und Hesperus.
Aufgelöst in zarter Wechselliebe,
In der Anmuth freiem Bund vereint,
Ruhen hier die ausgesöhnten Triebe,
Und verschwunden ist der Feind.

Wenn, das Todte bildend zu beseelen,
Mit dem Stoff sich zu vermählen,
Thatenvoll der Genius entbrennt,
Da, da spanne sich des Fleißes Nerve,
Und beharrlich ringend unterwerfe
Der Gedanke sich das Element.
Nur dem Ernst, den keine Mühe bleichet,
Rauscht der Wahrheit tief versteckter Born;
Nur des Meißels schwerem Schlag erweichet
Sich des Marmors sprödes Korn.

Aber dringt bis in der Schönheit Sphäre,
Und im Staube bleibt die Schwere
Mit dem Stoff, den sie beherrscht, zurück.
Nicht der Masse qualvoll abgerungen,
Schlank und leicht, wie aus dem Nichts gesprungen,
Steht das Bild vor dem entzückten Blick.
Alle Zweifel, alle Kämpfe schweigen
In des Sieges hoher Sicherheit;
Ausgestoßen hat es jeden Zeugen
Menschlicher Bedürftigkeit.

Wenn ihr in der Menschheit traur'ger Blöße
Steht vor des Gesetzes Größe,
Wenn dem Heiligen die Schuld sich naht,
Da erblasse vor der Wahrheit Strahle
Eure Tugend, vor dem Ideale
Fliehe muthlos die beschämte That.
Kein Erschaffner hat dies Ziel erflogen;
Über diesen grauenvollen Schlund
Trägt kein Nachen, keiner Brücke Bogen,
Und kein Anker findet Grund.

Aber flüchtet aus der Sinne Schranken
In die Freiheit der Gedanken,
Und die Furchterscheinung ist entflohn,
Und der ew'ge Abgrund wird sich füllen;
Nehmt die Gottheit auf in euren Willen,
Und sie steigt von ihrem Weltenthron.
Des Gesetzes strenge Fessel bindet
Nur den Sklavensinn, des es verschmäht;
Mit des Menschen Widerstand verschwindet
Auch des Gottes Majestät.

Wenn der Menschheit Leiden euch umfangen,
Wenn Laokoon der Schlangen
Sich erwehrt mit namenlosem Schmerz,
Da empöre sich der Mensch! Es schlage
An des Himmels Wölbung seine Klage
Und zerreiße euer fühlend Herz!
Der Natur furchtbare Stimme siege,
Und der Freude Wange werde bleich,
Und der heil'gen Sympathie erliege
Das Unsterbliche in euch!

Aber in den heitern Regionen,
Wo die reinen Formen wohnen,
Rauscht des Jammers trüber Sturm nicht mehr.
Hier darf Schmerz die Seele nicht durchschneiden,
Keine Thräne fließt hier mehr den Leiden,
Nur des Geistes tapfrer Gegenwehr.
Lieblich, wie der Iris Farbenfeuer
Auf der Donnerwolke duft'gem Thau,
Schimmert durch der Wehmuth düstern Schleier
Hier der Ruhe heitres Blau.

Tief erniedrigt zu des Feigen Knechte,
Ging in ewigem Gefechte
Einst Alcid des Lebens schwere Bahn,
Rang mit Hydern und umarmt' den Leuen,
Stürzte sich, die Freunde zu befreien,
Lebend in des Todtenschiffes Kahn.
Alle Plagen, alle Erdenlasten
Wälzt der unversöhnten Göttin List
Auf die will'gen Schultern des Verhaßten -
Bis sein Lauf geendigt ist -

Bis der Gott, des Irdischen entkleidet,
Flammend sich vom Menschen scheidet
Und des Äthers leichte Lüfte trinkt.
Froh des neuen ungewohnten Schwebens,
Fließt er aufwärts, und des Erdenlebens
Schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt.
Des Olympus Harmonien empfangen
Den Verklärten in Kronions Saal,
Und die Göttin mit den Rosenwangen
Reicht ihm lächelnd den Pokal.


Musik-5


Die Worte des Wahns

Drei Worte hört man, bedeutungschwer,
Im Munde der Guten und Besten.
Sie schallen vergeblich, ihr Klang ist leer,
Sie können nicht helfen und trösten.
Verscherzt ist dem Menschen des Lebens Frucht,
So lang er die Schatten zu haschen sucht.

So lang er glaubt an die goldene Zeit,
Wo das Rechte, das Gute wird siegen -
Das Rechte, das Gute führt ewig Streit,
Nie wird der Feind ihm erliegen,
Und erstickst du ihn nicht in den Lüften frei,
Stets wächst ihm die Kraft auf der Erde neu.

So lang er glaubt, daß das buhlende Glück
Sich dem Edeln vereinigen werde -
Dem Schlechten folgt es mit Liebesblick;
Nicht dem Guten gehöret die Erde,
Er ist ein Fremdling, er wandert aus
Und suchet ein unvergänglich Haus.

So lang er glaubt, daß dem ird'schen Verstand
Die Wahrheit je wird erscheinen -
Ihren Schleier hebt keine sterbliche Hand;
Wir können nur rathen und meinen.
Du kerkerst den Geist in ein tönend Wort,
Doch der freie wandelt im Sturme fort.

Drum, edle Seele, entreiß dich dem Wahn
Und den himmlischen Glauben bewahre!
Was kein Ohr vernahm, was die Augen nicht sahn,
Es ist dennoch das Schöne, das Wahre!
Es ist nicht draußen, da sucht es der Thor;
Es ist in dir, du bringst es ewig hervor.


Sprecher 1: Also hinweg mit der falsch verstandenen Schonung und dem schlaffen verzärtelten Geschmack, der über das ernste Angesicht der Notwendigkeit einen Schleier wirft, und um sich bei den Sinnen in Gunst zu setzen, eine Harmonie zwischen dem Wohlsein und Wohlverhalten lügt, wovon sich in der wirklichen Welt keine Spuren zeigen. Stirne gegen Stirn zeige sich uns das böse Verhängnis. Nicht in der Unwissenheit der uns umlagernden Gefahren - denn diese muß doch endlich aufhören - nur in der Bekanntschaft mit derselben ist Heil für uns. Zu dieser Bekanntschaft nun verhilft uns das furchtbar herrliche Schauspiel der alles zerstörenden und wieder erschaffenden, und wieder zerstörenden Veränderung - des bald langsam untergrabenden, bald schnell überfallenden Verderbens, verhelfen uns die pathetischen Gemälde der mit dem Schicksal ringenden Menschheit, der unaufhaltsamen Flucht des Glücks, der betrogenen Sicherheit, der triumphierenden Ungerechtigkeit und der unterliegenden Unschuld, welche die Geschichte in reichem Maß aufstellt, und die tragische Kunst nachahmend vor unsre Augen bringt.


Musik-6


Sprecher 2: Wir kommen zur Idee des Erhabenen in Schillers historischer Tragödie "Wallenstein". Der Dreißigjährige Krieg ist ein warnendes Mahnmal für die umfassende Kulturkatastrophe, in die jeder Religionskrieg die beteiligten Völker stürzt. Leicht entfacht, und schwer zu löschen ist der Flächenbrand. Im Prolog, der bei der Wiedereröffnung der Weimarer Bühne 1798 gesprochen wurde, zeichnet Schiller ein Bild des Dreißigjährigen Krieges:

In jenes Krieges Mitte stellt euch jetzt
Der Dichter. Sechzehn Jahre der Verwüstung,
Des Raubs, des Elends sind dahingeflohn,
In trüben Massen gäret noch die Welt,
Und keine Friedenshoffnung strahlt von fern.
Ein Tummelplatz von Waffen ist das Reich,
Verödet sind die Städte, Magdeburg
Ist Schutt, Gewerb und Kunstfleiß liegen nieder,
Der Bürger gilt nichts mehr, der Krieger alles,
Straflose Frechheit spricht den Sitten Hohn,
Und rohe Horden lagern sich, verwildert
Im langen Krieg, auf dem verheerten Boden.

Auf diesem finstern Zeitgrund malet sich
Ein Unternehmen kühnen Übermuts
Und ein verwegener Charakter ab.
Ihr kennet ihn - den Schöpfer kühner Heere,
Des Lagers Abgott und der Länder Geißel,
Die Stütze und den Schrecken seines Kaisers,
Des Glückes abenteuerlichen Sohn,
Der von der Zeiten Gunst emporgetragen,
Der Ehre höchste Staffeln rasch erstieg,
Und ungesättigt immer weiter strebend,
Der unbezähmten Ehrsucht Opfer fiel.
Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt
Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte...

Die Rede ist vom Herzog Albrecht von Friedland, genannt Wallenstein, dem kaiserlichen General in jenem Religionskrieg, der seit eineinhalb Jahrzehnten Europa verheerte. Wallenstein wäre in vieler Hinsicht der geeignete Mann gewesen, einen Frieden herbeizuführen. Er war mächtig, und aller religiöse Fanatismus lag ihm fern. Aber war 1634 ein Frieden machbar - War überhaupt Frieden möglich, solange die Schweden wie der Kaiser in Wien noch Aussicht hatten, durch militärische Erfolge ihre Position zu verbessern - Wallenstein führt geheime Verhandlungen mit den Schweden. Max Piccolomini traut Wallenstein zu, einen Frieden zuwege zu bringen, dann die Feldherrnrolle aufzugeben und daheim auf seinen Gütern auf friedliche Weise zu wirken:

Max: Er wird den Ölzweig in den Lorbeer flechten,
Und der erfreuten Welt den Frieden schenken.
Dann hat sein großes Herz nichts mehr zu wünschen,
Er hat genug für seinen Ruhm getan,
Kann jetzt sich selber leben und den Seinen.
Auf seine Güter wird er sich zurückziehn,
Er hat zu Gitschin einen schönen Sitz,
Auch Reichenberg, Schloß Friedland liegen heiter --
Bis an den Fuß der Riesenberge hin
Streckt sich das Jagdgehege seiner Wälder,
Dem großen Trieb, dem prächtig schaffenden,
Kann er dann ungebunden frei willfahren,
Da kann er fürstlich jede Kunst ermuntern.
Und alles würdig Herrliche beschützen --
Kann bauen, pflanzen, nach den Sternen sehn --
Ja, wenn die kühne Kraft nicht ruhen kann,
So mag er kämpfen mit dem Wlement,
Den Fluß ableiten und den Felsen sprengen,
Und dem Gewerb die leichte Straße bahnen.

Sprecher 2: Aber Wallenstein ist ein Kriegsherr, seine Macht sind seine Truppen. Dem Kaiser ist er längst zu mächtig geworden, seine Absetzung ist besiegelt, bevor sich der Vorhang hebt.

Zugleich ist klar: Nicht der Frieden ist Leitstern seines Handelns, sondern die eigenen Ambitionen. Im Gegensatz zu einer Johanna von Orleans ist Wallenstein nicht erhaben über die kleinlichen und destruktiven Verhältnisse seiner Gesellschaft, wo der blanke Egoismus und ein Hobbesscher Kampf jeder gegen jeden herrscht. Der General würde sich zwar gern den Spielregeln des irdischen Gerangels entheben, doch vertraut er lieber auf die trügerischen Sterne, anstatt sich an der realen historischen Aufgabe zu orientieren. So verliert er die Initiative freien Handelns, und von dem kühnen Friedensplan bleibt am Ende nur ein gescheiterter Landesverrat übrig.

Die Wallenstein-Trilogie ist ein gigantisches Gemälde von menschlicher Verrohung und Eigennutz, Rachsucht und Falschheit. Jeder betrügt jeden, sogar der Freund den Freund: Wallensteins engster Vertrauter Octavio Piccolomini läßt den Feldherrn auf kaiserlichen Befehl auf Schritt und Tritt geheimdienstlich observieren, ohne ernsthaft den Versuch zu machen, ihn von verhängnisvollen Schritten abzuhalten.

Nur zwei Gestalten hebt Schiller deutlich ab von diesem Bild einer menschlichen Gesellschaft, wie sie nicht sein soll: Max Piccolomini und Thekla, die Tochter Wallensteins. Sowohl in der Auseinandersetzung mit dem Vater, Octavio, als auch mit dem mächtigen Feldherrn zeigt sich Max' erhabener Charakter.

Wir hören zwei Szenen aus dem 5. Akt der "Piccolomini" und den Dialog zwischen Max und Wallenstein aus dem 1. Akt von "Wallensteins Tod".
Zuerst --Octavio und Max:


OCTAVIO.
(nach einer Pause)
So wisse denn! Man hintergeht dich - spielt
Aufs schändlichste mit dir und mit uns allen.
Der Herzog stellt sich an, als wollt' er die
Armee verlassen; und in dieser Stunde
Wird's eingeleitet, die Armee dem Kaiser
- Zu stehlen und dem Feinde zuzuführen!
MAX.
Das Pfaffenmärchen kenn ich, aber nicht
Aus deinem Mund erwartet' ich's zu hören.
OCTAVIO.
Der Mund, aus dem du's gegenwärtig hörst,
Verbürget dir, es sei kein Pfaffenmärchen.
MAX.
Zu welchem Rasenden macht man den Herzog!
Er könnte daran denken, dreißigtausend
Geprüfter Truppen, ehrlicher Soldaten,
Worunter mehr denn tausend Edelleute,
Von Eid und Pflicht und Ehre wegzulocken,
Zu einer Schurkentat sie zu vereinen -
OCTAVIO.
So was nichtswürdig Schändliches begehrt
Er keineswegs - Was er von uns will,
Führt einen weit unschuldigeren Namen.
Nichts will er, als dem Reich den Frieden schenken;
Und weil der Kaiser diesen Frieden haßt,
So will er ihn - er will ihn dazu zwingen!
Zufriedenstellen will er alle Teile
Und zum Ersatz für seine Mühe Böhmen,
Das er schon innehat, für sich behalten.
MAX.
Hat er's um uns verdient, Octavio,
Daß wir - wir so unwürdig von ihm denken - ...
OCTAVIO.
Es schmerzt mich, deinen Glauben an den Mann,
Der dir so wohlgegründet scheint, zu stürzen.
Doch hier darf keine Schonung sein - du mußt
Maßregeln nehmen, schleunige, mußt handeln.
- Ich will dir also nur gestehn - daß alles,
Was ich dir jetzt vertraut, was so unglaublich
Dir scheint, daß - daß ich es aus seinem eignen,
- Des Fürsten Munde habe...
MAX.
(in heftiger Bewegung)
Er ist heftig,
Es hat der Hof empfindlich ihn beleidigt;
In einem Augenblick des Unmuts, sei's!
Mag er sich leicht einmal vergessen haben.
OCTAVIO.
Bei kaltem Blute war er, als er mir
Dies eingestand; und weil er mein Erstaunen
Als Furcht auslegte, wies er im Vertraun
Mir Briefe vor, der Schweden und der Sachsen,
Die zu bestimmter Hilfe Hoffnung geben.
MAX.
Es kann nicht sein! kann nicht sein! kann nicht sein!
Siehst du, daß es nicht kann! Du hättest ihm
Notwendig deinen Abscheu ja gezeigt,
Er hätt' sich weisen lassen, oder du
- Du stündest nicht mehr lebend mir zur Seite!
OCTAVIO.
Wohl hab ich mein Bedenken ihm geäußert,
Hab dringend, hab mit Ernst ihn abgemahnt;
- Doch meinen Abscheu, meine innerste
Gesinnung hab ich tief versteckt.
MAX.
Du wärst
So falsch gewesen - Das sieht meinem Vater
Nicht gleich! Ich glaubte deinen Worten nicht,
Da du von ihm mir Böses sagtest; kann's
Noch wen'ger jetzt, da du dich selbst verleumdest.
OCTAVIO.
Ich drängte mich nicht selbst in sein Geheimnis.
MAX.
Aufrichtigkeit verdiente sein Vertraun.
OCTAVIO.
Nicht würdig war er meiner Wahrheit mehr.
MAX.
Noch minder würdig deiner war Betrug.
OCTAVIO.
Mein bester Sohn! Es ist nicht immer möglich,
Im Leben sich so kinderrein zu halten,
Wie's uns die Stimme lehrt im Innersten.
In steter Notwehr gegen arge List
Bleibt auch das redliche Gemüt nicht wahr -
Das eben ist der Fluch der bösen Tat,
Daß sie, fortzeugend, immer Böses muß gebären.
Ich klügle nicht, ich tue meine Pflicht,
Der Kaiser schreibt mir mein Betragen vor.
Wohl wär' es besser, überall dem Herzen
Zu folgen, doch darüber würde man
Sich manchen guten Zweck versagen müssen.
Hier gilt's, mein Sohn, dem Kaiser wohl zu dienen,
Das Herz mag dazu sprechen, was es will.
MAX.
Ich soll dich heut nicht fassen, nicht verstehn.
Der Fürst, sagst du, entdeckte redlich dir sein Herz
Zu einem bösen Zweck, und du willst ihn
Zu einem guten Zweck betrogen haben!
Hör auf! ich bitte dich - du raubst den Freund
Mir nicht - Laß mich den Vater nicht verlieren!

(Max wendet sich ab und will gehen.)

OCTAVIO.
Wohin - Bleib da!
MAX.
Zum Fürsten.
OCTAVIO.
(erschrickt)
Was -
MAX.
(zurückkommend)
Wenn du geglaubt, ich werde eine Rolle
In deinem Spiele spielen, hast du dich
In mir verrechnet. Mein Weg muß gerad sein.
Ich kann nicht wahr sein mit der Zunge, mit
Dem Herzen falsch - nicht zusehn, daß mir einer
Als seinem Freunde traut, und mein Gewissen
Damit beschwichtigen, daß er's auf seine
Gefahr tut, daß mein Mund ihn nicht belogen...
- Ich geh zum Herzog. Heut noch werd ich ihn
Auffordern, seinen Leumund vor der Welt
Zu retten, eure künstlichen Gewebe
Mit einem graden Schritte zu durchreißen.
OCTAVIO.
Das wolltest du -
MAX.
Das will ich. Zweifle nicht.
OCTAVIO.
Ich habe mich in dir verrechnet, ja.
Ich rechnete auf einen weisen Sohn,
Der die wohltätigen Hände würde segnen,
Die ihn zurück vom Abgrund ziehn - und einen
Verblendeten entdeck ich, den zwei Augen
Zum Toren machten, Leidenschaft umnebelt,
Den selbst des Tages volles Licht nicht heilt.
Befrag ihn! Geh! Sei unbesonnen gnug,
Ihm deines Vaters, deines Kaisers
Geheimnis preiszugeben. Nötige mich
Zu einem lauten Bruche vor der Zeit!
Und jetzt, nachdem ein Wunderwerk des Himmels
Bis heute mein Geheimnis hat beschützt,
Des Argwohns helle Blicke eingeschläfert,
Laß mich's erleben, daß mein eigner Sohn
Mit unbedachtsam rasendem Beginnen
Der Staatskunst mühevolles Werk vernichtet.
MAX.
Oh! diese Staatskunst, wie verwünsch' ich sie !
Ihr werdet ihn durch eure Staatskunst noch
Zu einem Schritte treiben - Ja, ihr könntet ihn,
Weil ihr ihn schuldig wollt, noch schuldig machen.
Oh! das kann nicht gut endigen - und mag sich's
Entscheiden wie es will, ich sehe ahnend
Die unglückselige Entwicklung nahen.

(geht ab, dann Auftritt Max und Wallenstein)

MAX.
(nähert sich ihm.)
Mein General -
WALLENSTEIN.
Der bin ich nicht mehr,
Wenn du des Kaisers Offizier dich nennst.
MAX.
So bleibt's dabei, du willst das Heer verlassen -
WALLENSTEIN.
Ich hab des Kaisers Dienst entsagt.
MAX.
Und willst das Heer verlassen -
WALLENSTEIN.
Vielmehr hoff ich,
Mir's enger noch und fester zu verbinden.
(Er setzt sich.)
Ja, Max. Nicht eher wollt' ich dir's eröffnen,
Als bis des Handelns Stunde würde schlagen.
Der Jugend glückliches Gefühl ergreift
Das Rechte leicht, und eine Freude ist's,
Das eigne Urteil prüfend auszuüben,
Wo das Exempel rein zu lösen ist.
Doch, wo von zwei gewissen Übeln eins
Ergriffen werden muß, wo sich das Herz
Nicht ganz zurückbringt aus dem Streit der Pflichten,
Da ist es Wohltat, keine Wahl zu haben,
Und eine Gunst ist die Notwendigkeit...
- Der Hof hat meinen Untergang beschlossen,
Drum bin ich willens, ihm zuvorzukommen.
- Wir werden mit den Schweden uns verbinden.
Sehr wackre Leute sind's und gute Freunde.
(Hält ein, Piccolominis Antwort erwartend.)
- Ich hab dich überrascht. Antwort mir nicht.
Ich will dir Zeit vergönnen, dich zu fassen.
(Er steht auf und geht nach hinten. Max steht lange unbeweglich, in den heftigsten Schmerz versetzt; wie er eine Bewegung macht, kömmt Wallenstein zurück und stellt sich vor ihn.)
MAX.
Mein General! - Du machst mich heute mündig.
Denn bis auf diesen Tag war mir's erspart,
Den Weg mir selbst zu finden und die Richtung.
Dir folgt' ich unbedingt. Auf dich nur braucht' ich
Zu sehn und war des rechten Pfads gewiß.
Zum ersten Male heut verweisest du
Mich an mich selbst und zwingst mich, eine Wahl
Zu treffen zwischen dir und meinem Herzen.
WALLENSTEIN.
Sanft wiegte dich bis heute dein Geschick,
Du konntest spielend deine Pflichten üben,
Jedwedem schönen Trieb Genüge tun,
Mit ungeteiltem Herzen immer handeln.
So kann's nicht ferner bleiben. Feindlich scheiden
Die Wege sich. Mit Pflichten streiten Pflichten.
Du mußt Partei ergreifen in dem Krieg,
Der zwischen deinem Freund und deinem Kaiser
Sich jetzt entzündet.
MAX.
Krieg! Ist das der Name -
Der Krieg ist schrecklich, wie des Himmels Plagen,
Doch er ist gut, ist ein Geschick, wie sie.
Ist das ein guter Krieg, den du dem Kaiser
Bereitest mit des Kaisers eignem Heer - ...
WALLENSTEIN.
Max, hör mich an.
MAX.
Oh! tu es nicht! Tu's nicht!
Sieh! deine reinen, edeln Züge wissen
Noch nichts von dieser unglücksel'gen Tat.
Bloß deine Einbildung befleckte sie,
Die Unschuld will sich nicht vertreiben lassen
Aus deiner hoheitblickenden Gestalt.
Wirf ihn heraus, den schwarzen Fleck, den Feind.
Ein böser Traum bloß ist es dann gewesen,
Der jede sichre Tugend warnt. Es mag
Die Menschheit solche Augenblicke haben,
Doch siegen muß das glückliche Gefühl.
Nein, du wirst so nicht endigen. Das würde
Verrufen bei den Menschen jede große
Natur und jedes mächtige Vermögen,
Recht geben würd' es dem gemeinen Wahn,
Der nicht an Edles in der Freiheit glaubt
Und nur der Ohnmacht sich vertrauen mag.
WALLENSTEIN.
Streng wird die Welt mich tadeln, ich erwart es.
Mir selbst schon sagt' ich, was du sagen kannst.
Wer miede nicht, wenn er's umgehen kann,
Das Äußerste! Doch hier ist keine Wahl,
Ich muß Gewalt ausüben oder leiden -
So steht der Fall. Nichts anders bleibt mir übrig.
MAX.
Sei's denn! Behaupte dich in deinem Posten
Gewaltsam, widersetze dich dem Kaiser,
Wenn's sein muß, treib's zur offenen Empörung,
Nicht loben werd ich's, doch ich kann's verzeihn,
Will, was ich nicht gut heiße, mit dir teilen.
Nur - zum Verräter werde nicht! Das Wort
Ist ausgesprochen. Zum Verräter nicht!
Das ist kein überschrittnes Maß, kein Fehler,
Wohin der Mut verirrt in seiner Kraft.
Oh! das ist ganz was anders - das ist schwarz,
Schwarz, wie die Hölle!
WALLENSTEIN.
(mit finsterm Stirnfalten, doch gemäßigt)
Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,
Das schwer sich handhabt, wie des Messers Schneide;
Aus ihrem heißen Kopfe nimmt sie keck
Der Dinge Maß, die nur sich selber richten.
Gleich heißt ihr alles schändlich oder würdig,
Bös oder gut - und was die Einbildung
Phantastisch schleppt in diesen dunkeln Namen,
Das bürdet sie den Sachen auf und Wesen.
Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit.
Leicht beieinander wohnen die Gedanken,
Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen;
Wo eines Platz nimmt, muß das andre rücken,
Wer nicht vertrieben sein will, muß vertreiben;
Da herrscht der Streit, und nur die Stärke siegt.
- Ja, wer durchs Leben gehet ohne Wunsch,
Sich jeden Zweck versagen kann, der wohnt
Im leichten Feuer mit dem Salamander
Und hält sich rein im reinen Element.
Mich schuf aus gröberm Stoffe die Natur,
Und zu der Erde zieht mich die Begierde.
Dem bösen Geist gehört die Erde, nicht
Dem guten. Was die Göttlichen uns senden
Von oben, sind nur allgemeine Güter;
Ihr Licht erfreut, doch macht es keinen reich,
In ihrem Staat erringt sich kein Besitz.
Den Edelstein, das allgeschätzte Gold
Muß man den falschen Mächten abgewinnen,
Die unterm Tage schlimmgeartet hausen.
Nicht ohne Opfer macht man sie geneigt,
Und keiner lebet, der aus ihrem Dienst
Die Seele hätte rein zurückgezogen.
MAX.
(mit Bedeutung)
Oh! fürchte, fürchte diese falschen Mächte!
Sie haltennicht Wort! Es sind Lügengeister,
Die dich berückend in den Abgrund ziehn.
Trau ihnen nicht! Ich warne dich - Oh! kehre
Zurück zu deiner Pflicht. Gewiß! du kannst's!
Schick mich nach Wien. Ja, tue das. Laß mich,
Mich deinen Frieden machen mit dem Kaiser.
Er kennt dich nicht, ich aber kenne dich,
Er soll dich sehn mit meinem reinen Auge,
Und sein Vertrauen bring ich dir zurück.
WALLENSTEIN.
Es ist zu spät. Du weißt nicht, was geschehn.
MAX.
Und wär's zu spät - und wär' es auch soweit,
Daß ein Verbrechen nur vom Fall dich rettet,
So falle! Falle würdig, wie du standst.
Verliere das Kommando. Geh vom Schauplatz.
Du kannst's mit Glanze, tu's mit Unschuld auch.
- Du hast für andre viel gelebt, leb endlich
Einmal dir selber, ich begleite dich,
Mein Schicksal trenn ich nimmer von dem deinen -
WALLENSTEIN.
Es ist zu spät. Indem du deine Worte
Verlierst, ist schon ein Meilenzeiger nach dem andern
Zurückgelegt von meinen Eilenden,
Die mein Gebot nach Prag und Eger tragen.
- Ergib dich drein. Wir handeln, wie wir müssen.
So laß uns das Notwendige mit Würde,
Mit festem Schritte tun - Was tu ich Schlimmres,
Als jener Cäsar tat, des Name noch
Bis heut das Höchste in der Welt benennet -
Er führte wider Rom die Legionen,
Die Rom ihm zur Beschützung anvertraut.
Warf er das Schwert von sich, er war verloren,
Wie ich es wär', wenn ich entwaffnete.
Ich spüre was in mir von seinem Geist.
Gib mir sein Glück, das andre will ich tragen.

(Max, der bisher in einem schmerzvollen Kampfe gestanden, geht schnell ab. Wallenstein sieht ihm verwundert und betroffen nach und steht in tiefe Gedanken verloren.)

Wo ist der Wrangel -


Sprecher 2: Aber der Schwede ist wie vom Erdboden verschluckt. Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Der geächtete Wallenstein wird in Eger ermordet. Noch 14 Jahre wütet dieser Krieg, bis alle Armeen aufgerieben und die verheerten Länder ausgeblutet sind. Erst 1648 gibt der Westfälische Frieden Europa eine neue politische Ordnung.

Kehren wir zum Schluß noch einmal zu Schillers Schrift über das Erhabene zurück --zu einer Stelle, wo der Dichter diese Idee noch einmal begründet und zusammenfaßt: -

Sprecher 1: Ohne das Schöne würde zwischen unsrer Naturbestimmung und unsrer Vernunftbestimmung ein immerwährender Streit sein. Über dem Bestreben, unserm Geisterberuf Genüge zu leisten, würden wir unsre Menschheit versäumen, und alle Augenblicke zum Aufbruch aus der Sinnenwelt gefaßt, in dieser uns einmal angewiesenen Sphäre des Handelns beständig Fremdlinge bleiben. Ohne das Erhabene würde uns die Schönheit unsrer Würde vergessen machen. In der Erschlaffung eines ununterbrochenen Genusses würden wir die Rüstigkeit des Charakters einbüßen, und an diese zufällige Form des Daseins unauflösbar gefesselt, unsre unveränderliche Bestimmung und unser wahres Vaterland aus den Augen verlieren. Nur wenn das Erhabene mit dem Schönen sich gattet, und unsre Empfänglichkeit für beides in gleichem Maß ausgebildet worden ist, sind wir vollendete Bürger der Natur, ohne deswegen ihre Sklaven zu sein, und ohne unser Bürgerrecht in der intelligibeln Welt zu verscherzen.

Ende