Programm zu Schillers Geburtstag 1998

Schillerfest 1998: "Friede sei ihr erst Geläute."

"Die alte Kirchenglocke" von Hans Christian Andersen.

Im deutschen Lande Württemberg, wo die Akazien an der Landstraße so herrlich blühen und die Apfel- und Birnenbäume im Herbst von reichem Segen strotzen, liegt eine kleine Stadt, Marbach; es ist eine ganz unscheinbare Ortschaft, aber schön liegt sie am Neckar, der an Städten, alten Ritterburgen und grünen Weinbergen vorübereilt, um seine Wasser mit dem stolzen Rhein zu mischen.

Es war spät im Jahr, das Weinlaub hatte sich rot verfärbt, Regenschauer fielen herab, und der kalte Wind nahm zu; es war nicht eben die munterste Zeit für die Armen; es kamen finstere Tage, und noch finsterer war es drinnen in den alten Häuschen. Eines davon lag mit dem Giebel zur Straße, mit niedrigen Fenstern, arm und gering von Aussehen, und das war die Familie ja auch, die hier wohnte, aber brav und fleißig; dazu mit Gottesfurcht in der Schatzkammer des Herzens. Noch ein Kind würde der Herrgott ihnen bald bescheren; es war die Stunde, da die Mutter in Schmerzen und Not lag, da ertönte vom Kirchturm Glockenklang zu ihr herein, so tief, so festlich, es war eine Feierstunde, und der Ton der Glocke erfüllte die Betende mit Andacht und Glauben; die Gedanken erhoben sich so innig zu Gott, und in derselben Stunde gebar sie ihren kleinen Sohn und fühlte sich so unendlich froh. Die Glocke im Turm schien ihre Freude über Stadt und Land hinauszuläuten. Zwei helle Kinderaugen blickten sie an, und das Haar des Kleinen glänzte, als wäre es vergoldet; das Kind wurde mit Glockenklang in der Welt empfangen an jenem dunklen Novembertag; Mutter und Vater küßten es, und in ihre Bibel schrieben sie: "Gott schenkte uns am zehnten November 1759 einen Sohn," und später wurde hinzugefügt, daß er in der Taufe die Namen "Johan Christoph Friedrich" erhielt.

Und der Kleine wuchs heran, und die Welt wuchs für ihn, zwar zogen die Eltern an einen anderen Ort, aber beim ersten Besuch in Marbach hatte der Ort sich nicht weiter verändert, es war ja auch nicht so sehr lange her, seit sie fortgezogen waren; die Häuser standen wie früher da, mit spitzen Giebeln, schiefen Mauern und niedrigen Fenstern; auf dem Kirchhof waren neue Gräber hinzugekommen, und dort, ganz dicht an der Mauer, stand jetzt unten im Gras die alte Glocke, sie war von ihrer Höhe heruntergestürzt, hatte einen Riß bekommen und konnte nicht mehr läuten, eine neue war an ihre Stelle gekommen.

 

Soweit dieses Märchen; den Schluß werden Sie im zweiten Teil des Programms hören.

Diese Geschichte von Hans Christian Andersen zeugt von der Berühmtheit, die Friedrich Schiller und sein Glockenlied bis weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus erlangten. Kein Wunder, denn "Das Lied von der Glocke" ist eine Singularität in der Poesie überhaupt. Hier werden hohe, allgemeingültige Ideen mit handwerklichen Arbeiten des täglichen Lebens verbunden. Schönste Lyrik und Meistersängerlied finden wir hier in einem Gedicht vereint. Es ist ein richtiger Szenenbogen, unter dem viele kleine, in sich abgeschlossene Episoden und philosophische Gedanken zu einem neuen Ganzen verschmolzen werden.

Wir wollen nun mit neuem, unbefangenen Blick an das Werk herangehen. Einzelne Ideen und Aspekte, die in dem Gedicht behandelt werden, wollen wir anhand anderer Gedichte, Briefe und theoretischer Schriften beleuchten und vertiefen. Gerade die "anstößigen" Stellen, die, worüber sich einige schon aufregten, als das Gedicht gerade erst erschienen war, erhalten so einen ganz anderen Stellenwert.

 

Festgemauert in der Erden
Steht die Form aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden,
Frisch, Gesellen, seid zur Hand!

 

Schiller war schon früh mit dem Handwerk des Glockengießens vertraut geworden. Der Sohn des Glockengießers von Ludwigsburg, Georg Friderich Neubert, war Schillers Schulkamerad auf der dortigen Lateinschule, und da die Familie Schiller nur einige Häuser vom Gießhaus des Meisters Neubert entfernt wohnte, ist wohl anzunehmen, daß Schiller schon in jungen Jahren beim Glockengießen zugeschaut hat. Sicher ist, daß Schiller während seines Aufenthalts in Ludwigsburg im Jahre 1793/94 die Glockengießerei wieder besuchte, wie in der Familie Neubert stolz erzählt wird.

Auch in Rudolstadt, wo die Familie seiner Frau wohnte, dem Schiller von Jena und von Weimar aus immer wieder einen Besuch abstattete, gab es eine Glockengießerei, und seine Schwägerin Caroline von Wolzogen berichtet, Schiller sei oft dorthingegangen, "um von diesem Geschäft eine Anschauung zu gewinnen". In der Familie des Glockengießers Johann Mayer vererbte sich "von Geschlecht zu Geschlecht in ganz bestimmter Fassung die Kunde, wie Schiller wiederholt die Gießhütte besucht und den Gußmeister ausgefragt hat, wie der Ahnherr zunächst gar nicht besonders erbaut war über die Störung der Arbeit, daß der bleiche Gelehrte aber rücksichtsvoll in dem hochlehnigen Stuhl an der Wand Platz genommen hat, um die Arbeit nicht zu stören."

 

Vivos voco. Mortuos Plango. Fulgura frango.
Die Lebenden rufe ich. Die Toten beklage ich. Die Blitze breche ich.

 

Dieses Motto hat Schiller seinem Gedicht vorangestellt. Es ist die Inschrift der berühmten Münsterglocke von Schaffhausen aus dem Jahre 1486. Die Kirchenglocken haben nicht nur den damaligen Menschen mit ihrem Geläute von der Geburt bis zum Tode durch den Tag begleitet, sie dienten gleichzeitig als Blitzableiter und "brachen" so die Blitze. Die "Oekonomisch-technologische Encyklopädie", in der Schiller die technischen Einzelheiten des Glockengusses studierte, zitiert dieses Motto auf der Münsterglocke. Doch Schiller hat es wahrscheinlich schon früher gekannt: Der Ludwigsburger Glockengießer Neubert hatte nämlich seine Lehre in Schaffhausen gemacht und die Münsterglocke mit Sicherheit gekannt - und vermutlich hat er auch davon erzählt. Das Haus, in dem sich die Ludwigsburger Gießerei befand, ziert heute noch eine Gedenktafel mit den stolzen Worten:

Steh, Wanderer, still! Denn hier entstand,
daß keine zweite möglich werde,
gebaut durch Schillers Meisterhand,
die größte Glockenform der Erde.

 

Schiller an Goethe. Jena, 7. Juli 1797

Ich habe jetzt überlegt, daß der musikalische Teil des Almanachs vor allen Dingen fertig sein muß, weil der Komponist sonst nicht fertig wird. Deswegen bin ich jetzt an mein Glockengießerlied gegangen und studiere seit gestern in Krünitz Encyclopädie, wo ich sehr viel profitiere. Dieses Gedicht liegt mir sehr am Herzen, es wird mir aber mehrere Wochen kosten, weil ich so vielerlei verschiedene Stimmungen dazu brauche und eine große Masse zu verarbeiten ist.

 

Schiller hatte schon lange an dieses Gedicht gedacht, aber mit der konkreten Arbeit erst jetzt begonnen. Sie mußte bald unterbrochen werden, da der Wallenstein seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit verlangte. Erst im August des Jahres 1799 ist im Briefwechsel wieder von ihr die Rede; am 29. September kann er melden, daß das Glockengießerlied vollendet sei.

Der politische Himmel über Europa hatte sich in den vergangenen Jahren zunehmend verdüstert.

 

Der Antritt des neuen Jahrhunderts

Edler Freund! Wo öffnet sich dem Frieden,
Wo der Freiheit sich ein Zufluchtsort?
Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden,
Und das neue öffnet sich mit Mord.
Und das Band der Länder ist gehoben,
Und die alten Formen stürzen ein;
Nicht das Weltmeer hemmt des Krieges Toben,
Nicht der Nilgott und der alte Rhein.

Zwo gewalt'ge Nationen ringen
Um der Welt alleinigen Besitz,
Aller Länder Freiheit zu verschlingen
Schwingen sie den Dreizack und den Blitz.
Gold muß ihnen jede Landschaft wägen,
Und wie Brennus in der rohen Zeit
Legt der Franke seinen ehrnen Degen
In die Waage der Gerechtigkeit.

Seine Handelsflotte streckt der Brite
Gierig wie Polypenarme aus,
Und das Reich der freien Amphitrite
Will er schließen wie sein eignes Haus.
Zu des Südpols nie erblickten Sternen
Dringt sein rastlos ungehemmter Lauf,
Alle Inseln spürt er, alle fernen
Küsten - nur das Paradies nicht auf.

Ach, umsonst auf allen Länderkarten
Spähst du nach dem seligen Gebiet,
Wo der Freiheit ewig grüner Garten,
Wo der Menschheit schöne Jugend blüht.
Endlos liegt die Welt vor deinen Blicken,
Und die Schiffahrt selbst ermißt sie kaum,
Doch auf ihrem unermeßnen Rücken
Ist für zehen Glückliche nicht Raum.

In des Herzens heilig stille Räume
Mußt du fliehen aus des Lebens Drang,
Freiheit ist nur in dem Reich der Träume,
Und das Schöne blüht nur im Gesang.

 

Dabei hatte das ausgehende Jahrhundert einen entscheidenden Sieg errungen: In der Neuen Welt war mit der amerikanischen Revolution das Wagestück, eine freie republikanische Gesellschaft aufzubauen, geglückt. Die amerikanischen Kolonien hatten sich von der britischen Krone unabhängig gemacht, hatten das Joch der Monarchie abgeworfen. Mit der Französischen Revolution im Jahre 1789 wollte man die Revolution nach Europa heimholen. Wie alle freiheitsliebenden Menschen, hatte auch Schiller zunächst die französische Revolution mit großer Teilnahme und noch größeren Hoffnungen verfolgt. Schließlich war für ihn das "vollkommenste aller Kunstwerke... der Bau einer wahren politischen Freiheit", wie er in den "Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen" bekannte.

Die französische Nationalversammlung wählte den Dichter der "Räuber" zum Ehrenbürger der französischen Revolution. "Monsieur Giller, publiciste allemand" wurde am 26. August 1792 einstimmig zum "Citoyen francais" erhoben. Schiller erfuhr von dieser Ehrung aus den Zeitungen, denn die Urkunde selbst erreichte ihn erst ein halbes Jahrzehnt später, am 1. März des Jahres 1798 gleichsam "aus dem Reich der Toten," wie er feststellte, denn alle Männer, welche die Urkunde unterschrieben hatten, waren längst der Guillotine zum Opfer gefallen.

 

"Freiheit und Gleichheit!" hört man schallen:
Der ruh'ge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher.

 

Die französische Revolution war bald in Anarchie und blutigen Terror umgeschlagen. Das französische Volk, so stellte Schiller fest, war für die politische Freiheit nicht vorbereitet, die Europäer waren noch nicht reif, ihre Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen. So mußte aus dem Aufruhr zwangsläufig eine neue, schreckliche Diktatur entstehen.

Auch in den Xenien kommentiert er diese unglückliche Entwicklung:

Unglückliche Eilfertigkeit

Ach, wie sie Freiheit schrien und Gleichheit, geschwind wollt ich folgen,
Und weil die Trepp mir zu lang deuchte, so sprang ich vom Dach.

Der Zeitpunkt

Eine große Epoche hat das Jahrhundert geboren,
Aber der große Moment findet ein kleines Geschlecht.

 

Schillers Jugendgefährte von der Karlsschule, Friedrich Wilhelm Hoven, berichtet in seiner Autobiographie:

 

F.W.Hoven:

Ludwigsburg im Winter 1793/94.

Von dem französischen Freiheitswesen, für welches ich mich so sehr interessierte, war Schiller kein Freund. Die schönen Aussichten in eine glückliche Zukunft fand er nicht. Er hielt die französische Revolution lediglich für die natürliche Folge der schlechten französischen Regierung, der Üppigkeit des Hofes und der Großen, der Demoralisation des französischen Volks, und für das Werk unzufriedener, ehrgeiziger und leidenschaftlicher Menschen, welche die Lage der Dinge zur Erreichung ihrer egoistischen Zwecke benutzten, nicht für ein Werk der Weisheit. Er gab zwar zu, daß viele wahre und große Ideen, welche sich zuvor nur in Büchern und in den Köpfen hell denkender Menschen befunden, zur öffentlichen Sprache gekommen; aber um eine wahrhaft beglückende Verfassung einzuführen, sei das bei weitem nicht genug. Erstlich seien die Prinzipien selbst, die einer solchen Verfassung zum Grunde gelegt werden müssen, noch keineswegs hinlänglich entwickelt, (...) und zweitens, was die Hauptsache sei, müsse auch das Volk für eine solche Verfassung reif sein, und dazu fehle noch sehr viel, ja alles. Daher sei er fest überzeugt, die französische Republik werde ebenso schnell wieder aufhören, als sie entstanden sei, die republikanische Verfassung werde früher oder später in Anarchie übergehen.

 

Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Auszug aus dem fünften Brief:

Wahr ist es, das Ansehen der Meinung ist gefallen, die Willkür ist entlarvt, und, obgleich noch mit Macht bewaffnet, erschleicht sie doch keine Würde mehr; der Mensch ist aus seiner langen Indolenz und Selbsttäuschung aufgewacht, und mit nachdrücklicher Stimmenmehrheit fordert er die Wiederherstellung in seine unverlierbaren Rechte. Aber er fordert sie nicht bloß, jenseits und diesseits steht er auf, sich gewaltsam zu nehmen, was ihm nach seiner Meinung mit Unrecht verweigert wird. Das Gebäude des Naturstaates wankt, seine mürben Fundamente weichen, und eine PHYSISCHE Möglichkeit scheint gegeben, das Gesetzt auf den Thron zu stellen, den Menschen endlich als Selbstzweck zu ehren, und wahre Freiheit zur Grundlage der politischen Verbindung zu machen. Vergebliche Hoffnung! Die MORALISCHE Möglichkeit fehlt, und der freigebige Augenblick findet ein unempfängliches Geschlecht.

 

Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten;
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.

 

In der französischen Revolution war die Not und Auflehnung gegen die bestehenden Verhältnisse das treibende Moment, und Anarchie und Schreckensherrschaft des losgelassenen Pöbels die Folge. Die politische Freiheit konnte aber nur aus der Vernunft, nicht aus heftigen Impulsen heraus geschaffen werden, und Schiller wies der schönen Kunst die Aufgabe zu, den Menschen gleichsam spielerisch zu einer Ebene zu erziehen, wo - wie er sagt - "seine Triebe mit seiner Vernunft übereinstimmend genug sind, um zu einer universellen Gesetzgebung zu taugen.".

 

Schiller an den Herzog von Augustenburg. Jena, 13. Juli 1793

Wäre das Faktum wahr, -- wäre der außerordentliche Fall wirklich eingetreten, daß die politische Gesetzgebung der Vernunft übertragen, der Mensch als Selbstzweck respektiert und behandelt, das Gesetz auf den Thron erhoben, und wahre Freiheit zur Grundlage des Staatsgebäudes gemacht worden, so wollte ich auf ewig von den Musen Abschied nehmen, und dem herrlichsten aller Kunstwerke, der Monarchie der Vernunft, alle meine Tätigkeit widmen. Aber dieses Faktum ist es eben, was ich zu bezweifeln wage. Ja, ich bin soweit entfernt, an den Anfang einer Regeneration im Politischen zu glauben, daß mir die Ereignisse der Zeit vielmehr alle Hoffnungen dazu auf Jahrhunderte benehmen.

 

Heil'ge Ordnung, segenreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau gegründet, (...)
Und das teuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!

 

Schiller. Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Aus dem vierten Brief:

Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt, der Anlage und Bestimmung nach, einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustimmen, die große Aufgabe seines Daseins ist. Dieser reine Mensch, der sich mehr oder weniger deutlich in jedem Subjekt zu erkennen gibt, wird repräsentiert durch den STAAT; die objektive und gleichsam kanonische Form, in der sich die Mannigfaltigkeit der Subjekte zu vereinigen trachtet. Nun lassen sich aber zwei verschiedene Arten denken, wie der Mensch in der Zeit mit dem Menschen in der Idee zusammentreffen, mithin ebenso viele, wie der Staat in den Individuen sich behaupten kann: entweder dadurch, daß der reine Mensch den empirischen unterdrückt, daß der Staat die Individuen aufhebt; oder dadurch, daß das Individuum Staat WIRD, daß der Mensch in der Zeit zum Menschen in der Idee sich VEREDELT.

 

Neben den großen Themen über Staat und Individuum, die in der "Glocke" behandelt werden, führt uns der Dichter in kleinen Szenen die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben eines Menschen vor Augen und verknüpft sie mit dem Klang der Glocken.

 

Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da gibt es einen guten Klang.

 

Schiller nimmt die Geschlechterrolle als von der Natur gegeben an, was sie ja auch ist, denn schließlich werden die Frauen Mütter, selbst wenn die Männer das Babyjahr wahrnehmen. Das menschliche Miteinander harmoniert nur, wenn jeder seine Aufgabe arbeitsteilig annimmt, und das gemeinsam Geschaffene bewußt gestaltet wird. Um den Unterhalt der Familie zu sichern, muß der Mann nun mal "hinaus ins feindliche Leben, muß wirken und streben, und pflanzen und schaffen," während die Frau das, was er draußen gefunden hat, in Harmonie gestaltet, zu dem "Guten", das er nach Hause bringt, "den Glanz und den Schimmer" fügt.

 

Schiller: Aus der Vorlesung: "Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der Mosaischen Urkunde"

Die Geburt eines Sohnes, seine Ernährung, Wartung und Erziehung vermehrten die Kenntnisse, Erfahrungen und Pflichten der ersten Menschen mit einem wichtigen Zuwachs.

Bis jetzt hatten beide nur EIN gesellschaftliches Verhältnis, nur EINE Gattung von Liebe erkannt, weil jedes in dem andern nur EINEN Gegenstand vor sich hatte. Jetzt lernten sie mit einem neuen Gegenstand eine neue Gattung von Liebe, ein neues moralisches Verhältnis kennen -- ELTERLICHE Liebe. Diese Gefühl von Liebe war von reinerer Art als das erste, es war ganz uneigennützig, da jenes erste bloß auf Vernügen, auf wechselseitiges Bedürfnis des Umgangs gegründet gewesen war.

Sie betraten also mit dieser neuen Erfahrung schon eie höhere Stufe der Sittlichkeit - sie wurden veredelt.

Aber die elterliche Liebe, in welcher sich beide für ihr Kind vereinigten, bewirkte nun auch eine nicht geringe Veränderung in dem Verhältnis, worin sie bisher zueinander gestanden hatten. Die Sorge, die Freude, die zärtliche Teilnahme, worin sie sich für den gemeinschaftlichen Gegenstand ihrer Liebe begegneten, knüpfte unter ihnen selbst neue und schönere Bande an. Jedes entdeckte bei dieser Gelegenheit in dem andern neue sittliche Züge, und eine jede solcher Entdeckungen erhöhte und verfeinerte ihr Verhältnis. Der Mann liebte in dem Weibe die Mutter, die Mutter seines geliebten Sohns. Das Weib ehrte und liebte in dem Mann den Vater, den Ernährer ihres Kindes. Das bloß sinnliche Wohlgefallen aneinander erhob sich zur Hochachtung, aus der eigennützigen Geschlechtsliebe erwuchs die schöne Erscheinung der EHELICHEN Liebe.

 

Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise

 

Nichts hat man Schiller so übel genommen wie die "züchtige Hausfrau". Dabei haben wenige Dichter so schöne, edle -- und wie wir heute sagen würden -- emanzipierte Frauengestalten geschaffen wie Schiller. Denken Sie nur an Leonore in seinem Jugendschauspiel "Fiesko", an Elisabeth im "Don Carlos" oder an Thekla im "Wallenstein". Im "Wilhelm Tell" macht Gertrud Stauffacher ihrem Manne Mut, gegen die Unterdrückung der freien Schweizer Waldstätte durch die Landvögte aufzustehen. Sie erkennt klar, daß die Schikanen der Vögte die rechtmäßig nur dem Kaiser unterstehenden Schweizer dazu bringen sollen, ihre Reichsunmittelbarkeit aufzugeben und sich der Habsburgischen Hausmacht Österreich zuzuschlagen.

 

Wilhelm Tell I,2

Aus Wilhelm Tell, 1.Aufzug 2. Szenen. Eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstrasse, nächst der Brücke. Stauffacher setzt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihn Gertrud, seine Frau, die sich neben ihn stellt, und ihn eine Zeitlang schweigend betrachtet.

GERTRUD:
So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr.
Schon viele Tage seh ich's schweigend an,
Wie finstrer Trübsinn deine Stirne furcht.
Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten,
Vertrau es mir, ich bin dein treues Weib,
Und meine Hälfte fordr ich deines Grams.

Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt.

Was kann dein Herz beklemmen, sag es mir.
Gesegnet ist dein Fleiss, dein Glücksstand blüht,
Voll sind die Scheunen, und der Rinder Scharen,
Der glatten Pferde wohlgenährte Zucht
Ist von den Bergen glücklich heimgebracht
Zur Winterung in den bequemen Ställen.
– Da steht dein Haus, reich, wie ein Edelsitz
von schönem Stammholz ist es neu gezimmert
Und nach dem Richtmass ordentlich gefügt
Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell,
Mit bunten Wappenschildern ist's bemalt,
Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann
Verweilend liest und ihren Sinn bewundert.
STAUFFACHER:
Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt,
Doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten.
GERTRUD:
Mein Werner sage, wie verstehst du das?
STAUFFACHER:
Vor dieser Linde sass ich jüngst wie heut,
Das schön Vollbrachte freudig überdenkend,
Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg,
Der Vogt mit seinen Reisigen geritten.
Vor diesem Hause hielt er wundernd an,
Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig
Wie sich's gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,
Der uns des Kaisers richterliche Macht
Vorstellt im Lande. »Wessen ist dies Haus?«
Fragt' er bösmeinend, denn er wusst es wohl.
Doch schnell besonnen ich entgegn ihm so:
Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers,
Und Eures und mein Lehen – da versetzt er:
»Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt,
Und will nicht, dass der Bauer Häuser baue
Auf seine eigne Hand, und also frei
Hinleb, als ob er Herr wär in dem Lande,
Ich werd mich unterstehn, euch das zu wehren.«
Dies sagend ritt er trutziglich von dannen,
Ich aber blieb mit kummervoller Seele,
Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.
GERTRUD:
Mein lieber Herr und Ehewirt! Magst du
Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen?
So höre denn und acht auf meine Rede,
Denn was dich presste, sieh das wusst ich längst.
– Dir grollt der Landvogt, möcht gern dir schaden,
Denn du bist ihm ein Hindernis, dass sich
Der Schwyzer nicht dem neuen Fürstenhaus
Will unterwerfen, sondern treu und fest
Beim Reich beharren, wie die würdigen
Altvordern es gehalten und getan. –
Ist's nicht so Werner? Sag es, wenn ich lüge!
STAUFFACHER:
So ist's, das ist des Gesslers Groll auf mich.
GERTRUD:
Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst,
Ein freier Mann auf deinem eignen Erb
– Denn er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich
Trägst du dies Haus zu Lehn, du darfst es zeigen,
So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt,
Denn über dir erkennst du keinen Herrn
Als nur den Höchsten in der Christenheit –
Er ist ein jüngrer Sohn nur seines Hauses,
Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel,
Drum sieht er jedes Biedermannes Glück
Mit scheelen Augen gift'ger Missgunst an,
Dir hat er längst den Untergang geschworen –
Noch stehst du unversehrt – Willst du erwarten,
Bis er die böse Lust an die gebüsst?
Der kluge Mann baut vor.
STAUFFACHER:
Was ist zu tun?
 
GERTRUD tritt näher:
So höre meinen Rat! Du weisst, wie hier
Zu Schwyz sich alle Redlichen beklagen
Ob dieses Landvogts Geiz und Wüterei.
So zweifle nicht, dass sie dort drüben auch
In Unterwalden und im Urner Land
Des Dranges müd sind und des harten Jochs –
Denn wie der Gessler hier, so schafft es frech
Der Landenberger drüben überm See –
Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber,
Der nicht ein neues Unheil und Gewalt-
Beginnen von den Vögten uns verkündet.
Drum tät es gut, dass eurer etliche,
Die's redlich meinen, still zu Rate gingen,
Wie man des Drucks sich möcht erledigen.
So acht ich wohl, Gott würd euch nicht verlassen,
Und der gerechten Sache gnädig sein –
Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich,
Dem du dein Herz magst redlich offenbaren?
STAUFFACHER:
Der wackern Männer kenn ich viele dort,
Und angesehen grosse Herrenleute,
Die mir geheim sind und gar wohl vertraut.

Er steht auf.

Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken
Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes
Kehrst du ans Licht des Tages mir entgegen,
Und was ich mir zu denken still verbot,
Du sprichst's mit leichter Zunge kecklich aus.
– Hast du auch wohl bedacht, was du mir rätst?
Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen
Rufst du in dieses friedgewohnte Tal –
Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten,
In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt?
Der gute Schein nur ist's, worauf sie warten,
Um loszulassen auf dies arme Land
Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,
Darin zu schalten mit des Siegers Rechten,
Und unterm Schein gerechter Züchtigung
Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen.
GERTRUD:
Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt
zu führen, und dem Mutigen hilft Gott!
 
STAUFFACHER:
O Weib! Ein furchtbar wütend Schrecknis ist
Der Krieg, die Herde schlägt er und den Hirten.
GERTRUD:
Ertragen muss man, was der Himmel sendet,
Unbilliges erträgt kein edles Herz.
STAUFFACHER:
Dies Haus erfreut dich, das wir neu erbauten.
Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.
GERTRUD:
Wüsst ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt,
Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.
STAUFFACHER:
Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg
Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.
GERTRUD:
Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!
– Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich.
STAUFFACHER:
Wir Männer können tapfer fechtend sterben,
Welch Schicksal aber wird das eure sein?
GERTRUD:
Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,
Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.
STAUFFACHER stürzt in ihre Arme:
Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt,
Der kann für Herd und Hof mit Freuden fechten.
Und keines Königs Heermacht fürchtet er –
Nach Uri fahr ich stehnden Fusses gleich,
Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walther Fürst,
Der über diese Zeiten denkt wie ich.
Auch find ich dort den edlen Bannerherrn
Von Attinghaus – obgleich von hohem Stamm
Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten.
Mit ihnen beiden pfleg ich Rats, wie man
Der Landesfeinde mutig sich erwehrt –
Leb wohl – und weil ich fern bin, führe du
Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses...

 

Schillers Frauengestalten dienen mit ihrer Klugheit, Wahrhaftigkeit und ihrem Seelenadel den Männern häufig als Muster, gerade so, wie in dem folgenden Gedicht.

 

Würde der Frauen

Ehret die Frauen! sie flechten und weben
Himmlische Rosen ins irdische Leben,
Flechten der Liebe beglückendes Band,
Und in der Grazie züchtigem Schleier
Nähren sie wachsam das ewige Feuer
Schöner Gefühle mit heiliger Hand.
Ewig aus der Wahrheit Schranken
Schweift des Mannes wilde Kraft,
Unstet treiben die Gedanken
Auf dem Meer der Leidenschaft.
Gierig greift er in die Ferne,
Nimmer wird sein Herz gestillt,
Rastlos durch entlegne Sterne
Jagt er seines Traumes Bild.
Aber mit zauberisch fesselndem Blicke
Winken die Frauen den Flüchtling zurücke,
Warnend zurück in der Gegenwart Spur.
In der Mutter bescheidener Hütte
Sind sie geblieben mit schamhafter Sitte,
Treue Töchter der frommen Natur.
Feindlich ist des Mannes Streben,
Mit zermalmender Gewalt
Geht der wilde durch das Leben,
Ohne Rast und Aufenthalt.
Was er schuf, zerstört er wieder,
Nimmer ruht der Wünsche Streit,
Nimmer, wie das Haupt der Hyder
Ewig fällt und sich erneut.
Aber, zufrieden mit stillerem Ruhme,
Brechen die Frauen des Augenblicks Blume,
Nähren sie sorgsam mit liebendem Fleiß,
Freier in ihrem gebundenen Wirken,
Reicher als er in des Wissens Bezirken
Und in der Dichtung unendlichem Kreis.
 
Streng und stolz sich selbst genügend,
Kennt des Mannes kalte Brust,
Herzlich an ein Herz sich schmiegend,
Nicht der Liebe Götterlust,
Kennet nicht den Tausch der Seelen,
Nicht in Tränen schmilzt er hin,
Selbst des Lebens Kämpfe stählen
Härter seinen harten Sinn.
Aber, wie leise vom Zephir erschüttert
Schnell die äolische Harfe erzittert,
Also die fühlende Seele der Frau.
Zärtlich geängstigt vom Bilde der Qualen,
Wallet der liebende Busen, es strahlen
Perlend die Augen von himmlischen Tau.
In der Männer Herrschgebiete
Gilt der Stärke trotzig Recht,
Mit dem Schwert beweist der Scythe,
Und der Perser wird zum Knecht.
Es befehden sich im Grimme
Die Begierden wild und roh,
Und der Eris rauhe Stimme
Waltet, wo die Charis floh.
Aber mit sanft überredender Bitte
Führen die Frauen den Zepter der Sitte,
Löschen die Zwietracht, die tobend entglüht,
Lehren die Kräfte, die feindlich sich hassen,
Sich in der lieblichen Form zu umfassen,
Und vereinen, was ewig sich flieht.

 

Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise!

 

Zwischen die Szenen aus dem Leben und den allgemeinen Betrachtungen über Staat und Gesellschaft hat Schiller die Sprüche des Meisters Glockengießer gestreut, der seine Gesellen zur Arbeit anhält und ihnen die einzelnen Arbeitsschritte erklärt. Schiller ehrt damit nicht nur die Arbeit des Handwerkers, er erhöht sie auch zum poetischen Gegenstand.

 

Schiller an Goethe. Jena, 19. März 1799

Ich habe in diesen Tagen wieder den Homer vorgehabt und den Besuch der Thetis beim Vulkan mit unendlichem Vergnügen gelesen. In der anmutigen Schilderung eines Hausbesuchs, wie man ihn alle Tage erfahren kann, in der Beschreibung eines handwerksmäßigen Geschäfts ist ein Unendliches in Stoff und Form enthalten, und das Naive hat den ganzen Gehalt des Göttlichen.

 

Das ist's ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Daß er im innern Herzen spüret,
Was er erschafft mit seiner Hand.

 

Wie in Homers großen Epen, finden wir auch in diesem Werk Schilderungen der tagtäglichen Arbeit neben philosophische Ausführungen über die großen Fragen des Lebens gestellt. Der Meister Glockengießer bildet das Thema und Leitmotiv des ganzen Gedichtes. Der fortschreitende Arbeitsprozeß, zu dem sich "wohl ein ernstes Wort" geziemt, regt den Meister zu sinnigen Betrachtungen über die Gesellschaft und den Staat an. Jedesmal, wenn das einzelne Dasein durch Schicksalsschläge vernichtet zu werden droht, treibt der Meister durch freudiges Schaffen die Entwicklung weiter, bis die Glocke vollendet und der Kreis des Lebens abgeschritten ist.

 

Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis;
Ehrt den König seine Würde,
Ehret UNS der Hände Fleiß.

 

Es ist sicher diese hohe Wertschätzung der Arbeit des gewöhnlichen Bürgers, die diesem Gedicht zu einer fast legendären Beliebtheit und Berühmtheit verholfen hat.

Das Lied von der Glocke ist wirklich eine "Schule des Lebens", wie es lange genannt wurde. Es hat den Namen des Dichters in die hinterste Stube des kleinsten Weilers getragen. Schiller war nun DER Volksdichter schlechthin. Das mag auch daran liegen, daß einige darin einen spezifisch deutschen Charakter ausmachten.

 

Körner an Schiller, 6. November 1799

Das Lied von der Glocke kann sich besonders neben Deine vorzüglichsten Produkte stellen. Es ist ein gewisses Gepräge von deutscher Kunst darin, wie in dem Gange nach dem Eisenhammer, das man selten echt findet, und das manchem bei aller Prätension auf Deutschheit sehr oft mißlingt.

 

Wilhelm von Humboldt an Schiller. Paris, 16. Junius 1800

Das Lied von der Glocke hat mir Sie sehr lebhaft wieder vor Augen gestellt. Es ist eine eigene und eine äußerst genievolle Produktion.

Es gibt gewisse Kunstwerke, die ich nordische nennen möchte, weil sie weder das Altertum, noch der Süden hätten hervorbringen können. Ein Muster dieser Gattung in ihrer höchsten idealischen Erweiterung möchte ich Ihr Lied von der Glocke nennen.

 

Einige amerikanische Wissenschaftler meinen allerdings, die Glocke sei gar nicht original, sondern eine Nachdichtung. Vor einigen Jahren wurde nämlich ein altes jiddisches Gedicht aus dem 17. Jahrhundert gefunden, das der Glocke sehr ähnlich ist. Darin wird beschrieben, wie der Kigl, die traditionelle Mehlspeise, welche die Juden in Osteuropa am Sabbat aßen, zubereitet wird. Versmaß und Aufbau sind mit den Meistersprüchen in der Glocke fast identisch. Es ist bekannt, daß Schiller sich im osteuropäischen Judentum gut auskannte und einige Forscher glauben sogar, daß der Dichter selbst jüdischer Abstammung war und daß die Familie ursprünglich Silbermann hieß. Wie auch immer: Schiller hat sich offenbar von dem jiddischen Kigl inspirieren lassen.

Hören Sie nun als Abschluß vor der Pause die ersten beiden Strophen aus diesem Gedicht:

 

Lied vunem Kigl

Oisgeheizt is schon der Oiven
In der Lokschentopp bereit.
Alle Schabbes Jumim-Toivim
Werd a Kigl ungegreit.
Vunem Punim hejß
Rinnen mis der Schwejß.
Soll der Kigl git geruten
Misn ihm Maluchim bruten.

Die Übersetzung lautet etwa:

Das Lied vom Kigl

Angeheizt ist schon der Ofen
Und der Nudeltopf bereit.
Alle Sabbat-Feiertage
Wird ein Kigl vorbereit'.
Vom Gesichte heiß
Rinnen muß der Schweiß.
Soll der Kigl gut geraten,
Müssen ihn die Engel braten.

 

Schiller gab den Musenalmanach, eine Art poetischen Jahreskalender, heraus. Darin veröffentlichte er seine eigenen Werke, besonders die Gedichte, und Aufsätze und Gedichte seiner Zeitgenossen. Dem Musenalmanach waren regelmäßig Noten beigefügt. Schiller sandte die Gedichte, die in der nächsten Ausgabe veröffentlicht werden sollten, und die er für geeignet hielt, in Musik gesetzt zu werden, an zeitgenössische Musiker wie z.B. Goethes Freund Karl Friedrich Zelter, der zahlreiche Gedichte aus dem Musenalmanach vertonte.

Es gab mehrere Versuche, die Glocke in Musik zu setzen, doch die meisten verliefen nicht glücklich. Erst Andreas Romberg gelang im Jahre 1809 eine, wenn auch nicht ideale, so doch interessante und in einigen Teilen auch schöne Vertonung.

Die andere Frage war, wie man das Gedicht vortragen solle. Natürlich haben auch wir uns bei den Proben zu diesem Schillerfest darüber den Kopf zerbrochen. Sollte es nur von einer einzigen Person rezitiert oder unter mehrere Sprecher aufgeteilt werden? Goethe, zu dessen Lieblingsgedichten die Glocke gehörte und der sie immer wieder aufführen ließ, hat sie gern von mehreren Stimmen vortragen lassen. Hin und wieder ist man auch auf ganz abenteuerliche Abwege geraten. So beschreibt Schillers Freund Christian Gottfried Körner eine offenbar ganz mißglückte Inszenierung:

 

Körner an Schiller. Dresden am 25. Februar 1805. Montag

Ich habe Dir noch von der Art Nachricht zu geben, wie der Baron Racknitz neulich hier eine Aufführung Deines Gedichts, die Glocke, veranstaltet hat. Zwischen der Deklamation war Instrumentalmusik -- ein Choral (nicht gesungen) und einzelne Stücke aus Opern und andern größern Werken von verschiednen Meistern, auch einige von einem hiesigen Kammermusikus besonders dazu komponiert. Nur ein paar Stellen wurden im Chor gesungen. Opitz sprach den Meister und die Hartwig das Übrige. Beide haben keine Idee, wie eigentlich die Glocke gesprochen werden muß. Die Hartwig kam fast nie aus ihrem weinerlichen Ton. Die Musik war ein buntes Gemengsel, das kein Ganzes bildete, war nicht allemal passend, und unterbrach oft zur Unzeit die Rede. Indessen halte ich es nicht für unmöglich, die Glocke auf eine solche Art kustmäßig zu behandeln. Nur muß das Ganze von einem Manne absichtlich dazu komponiert werden.

 

Schiller an Körner. Weimar, 5. März 1805

Ich glaube mit Dir, daß sich die Glocke recht gut zu einer musikalischen Darstellung qualifizierte, aber dann müßte man auch wissen, was man will, und nicht ins Gelag hinein schmieren. Dem Meister Glockengießer muß ein kräftiger, biederer Charakter gegeben werden, der das Ganze trägt und zusammenhält. Die Musik darf nie Worte malen und sich mit kleinlichen Spielereien abgeben, sondern muß nur dem Geist der Poesie im Ganzen folgen. Ich danke Gott, daß ich diese Musik (von der ich hier ein Morceau gehört habe) und diese Darstellung durch Opitz und die Hartwig nicht habe mit anhören müssen.

 

Wie würde es ihm erst heute ergehen, wenn er von den Inszenierungen seiner Theaterstücke hören, geschweige denn sie auf der Bühne sehen müßte? -- Besonders Goethe hat sich immer wieder um eine Vertonung der Glocke bemüht. So hatte er. für die Feier zu Schillers zehntem Todestag bei Zelter eine Komposition in Auftrag gegeben, aber auch Zelter kam über Anfänge nicht hinaus -- das Werk war einfach zu groß, so daß Goethe das Glockengießerlied wiederum von mehreren Schauspielern szenisch aufführen ließ.

 

Goethe: Zu Schillers... Andenken

Weimar, den 10. Mai 1815

Hierauf ward Schillers "Glocke" nach der schon früher beliebten Einrichtung vorgestellt. Man hatte nämlich diesem trefflichen Werke, welches auf eine bewunderungswürdige Weise sich zwischen poetische Lyrik und handwerksgemäßer Prosa hin und wider bewegt und so die ganze Sphäre theatralischer Darstellung durchwandert, ihm hatte man, ohne die mindeste Veränderung, ein vollkommen dramatisches Leben mitzuteilen gesucht, indem die mannigfaltigen einzelnen Stellen unter die gesamte Gesellschaft nach Maßgabe des Alters, des Geschlechts, der Persönlichkeit und sonstigen Bestimmungen verteilt waren, wodurch dem Meister und seinen Gesellen, herandringenden Neugierigen und Teilnehmern sich eine Art von Individualität verleihen ließ.

Auch der mechanische Teil des Stücks tat eine gute Wirkung. Die ernste Werkstatt, der glühende Ofen, die Rinne, worin der feurige Bach herabrollt, das Verschwinden desselben in die Form, das Aufdecken von dieser, das Hervorziehen der Glocke, welche sogleich mit Kränzen, die durch alle Hände laufen, geschmückt erscheint, das alles zusammen gibt dem Auge eine angenehme Unterhaltung.

Die Glocke schwebt so hoch, daß die Muse anständig unter ihr hervortreten kann.

 

 

Das Lied von der Glocke

Vivos voco, Mortuos plango, Fulgura frango

Festgemauert in der Erden,
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden,
Frisch Gesellen! seid zur Hand.

Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.

Zum Werke, das wir ernst bereiten,
Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fließt die Arbeit munter fort.
So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
Was durch die schwache Kraft entspringt,
Den schlechten Mann muß man verachten,
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ist's ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Daß er im innern Herzen spüret,
Was er erschafft mit seiner Hand.

Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es sein,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein.
Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise.

Was in des Dammes tiefer Grube
Die Hand mit Feuers Hilfe baut,
Hoch auf des Turmes Glockenstube
Da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wird's in späten Tagen
Und rühren vieler Menschen Ohr,
Und wird mit dem Betrübten klagen,
Und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
Das wechselnde Verhängnis bringt,
Das schlägt an die metallne Krone,
Die es erbaulich weiterklingt.

Weiße Blasen seh ich springen,
Wohl! die Massen sind im Fluß.
Laßt's mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß.
Auch von Schaume rein
Muß die Mischung sein,
Daß von reinlichem Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.

Denn mit der Freude Feierklange
Begrüßt sie das geliebte Kind
Auf seines Lebens erstem Gange,
Den es in Schlafes Arm beginnt;
Ihm ruhen noch im Zeitenschoße
Die schwarzen und die heitern Lose,
Der Mutterliebe zarte Sorgen
Bewachen seinen goldnen Morgen -
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind,
Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
Er stürmt ins Leben wild hinaus,
Durchmißt die Welt am Wanderstabe,
Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus,
Und herrlich in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmelshöhn,
Mit züchtigen, verschämten Wangen
Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
Da faßt ein namenloses Sehnen
Des Jünglings Herz, er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Tränen,
Er flieht der Brüder wilden Reihn.
Errötend folgt er ihren Spuren,
Und ist von ihrem Gruß beglückt,
Das Schönste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmückt.

Oh! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit,
Oh! daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!

Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch ich ein,
Sehn wir's überglast erscheinen
Wird's zum Gusse zeitig sein.
Jetzt, Gesellen, frisch!
Prüft mir das Gemisch,
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.

Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da gibt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Lieblich in der Bräute Locken
Spielt der jungfräuliche Kranz,
Wenn die hellen Kirchenglocken
Laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schönste Feier
Endigt auch den Lebensmai,
Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
Reißt der schöne Wahn entzwei.
Die Leidenschaft flieht!
Die Liebe muß bleiben,
Die Blume verblüht,
Die Frucht muß treiben.
Der Mann muß hinaus
Ins feindliche Leben,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muß wetten und wagen
Das Glück zu erjagen.
Da strömet herbei die unendliche Gabe,
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,
Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen,
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn Ende
Die fleißigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnendem Sinn.
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den scheeigten Lein,
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.
Und der Vater mit frohem Blick
Von des Hauses weitschauendem Giebel
Überzählet sein blühend Glück,
Siehet der Pfosten ragende Bäume
Und der Scheunen gefüllte Räume
Und die Speicher, vom Segen gebogen,
Und des Kornes bewegte Wogen,
Rühmt sich mit stolzem Mund:
Fest wie der Erde Grund,
Gegen des Unglücks Macht
Steht mir des Hauses Pracht!
Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew'ger Bund zu flechten,
Und das Unglück schreitet schnell.

Wohl! Nun kann der Guß beginnen,
Schön gezacket ist der Bruch.
Doch, bevor wir's lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch!
Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr das Haus.
Rauchend in des Henkels Bogen
Schießt's mit feuerbraunen Wogen.


Wohltätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
Und was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft;
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
Einhertritt auf der eignen Spur
Die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen
Wachsend ohne Widerstand
Durch die volkbelebten Gassen
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
Quillt der Segen,
Strömt der Regen,
Aus der Wolke ohne Wahl,
Zuckt der Strahl!
Hört ihr's wimmern hoch vom Turm!
Das Ist Sturm!
Rot wie Blut
Ist der Himmel,
Das ist nicht des Tages Glut!
Welch Getümmel
Straße auf!
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
Durch der Straßen lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile,
Kochend wie aus Ofens Rachen
Glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Tiere wimmern,
Unter Trümmern,
Alles rennet, rettet, flüchtet,
Taghell ist die Nacht gelichtet,
Durch der Hände lange Kette
Um die Wette
Fliegt der Eimer, hoch im Bogen
Spritzen Quellen, Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die dürre Frucht
Fällt sie, in des Speichers Räume,
In der Sparren dürre Bäume,
Und als wollte sie im Wehen
Mit sich fort der Erde Wucht
Reißen, in gewalt'ger Flucht,
Wächst sie in des Himmels Höhen
Rießengroß!
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götterstärke,
Müßig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehen.
Leergebrannt
Ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette,
In den öden Fensterhöhlen
Wohnt das Grauen,
Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.
Einen Blick Nach dem Grabe Seiner Habe Sendet noch der Mensch zurück -
Greift fröhlich dann zum Wanderstabe,
Was Feuerswut ihm auch geraubt,
Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
Er zählt die Häupter seiner Lieben
Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.

In die Erd ist's aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt,
Wird's auch schön zu Tage kommen,
Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach! vielleicht, indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.

Dem dunkeln Schoß der heil'gen Erde
Vertrauen wir der Hände Tat,
Vertraut der Sämann seine Saat
Und hofft, daß sie entkeimen werde
Zum Segen, nach des Himmels Rat.
Noch köstlicheren Samen bergen
Wir trauernd in der Erde Schoß.
Und hoffen, daß er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Los.
Von dem Dome,
Schwer und bang,
Tönt die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
Einen Wandrer auf dem letzten Wege.
Ach! die Gattin ist's, die teure,
Ach! es ist die treue Mutter,
Die der schwarze Fürst der Schatten
Wegführt aus dem Arm des Gatten,
Aus der zarten Kinder Schar,
die sie blühend ihm gebar,
Die sie an der treuen Brust
Wachsen sah mit Mutterlust -
Ach! des Hauses zarte Bande
Sind gelöst auf immerdar,
Denn sie wohnt im Schattenlande,
Die des Hauses Mutter war,
Denn es fehlt ihr treues Walten,
Ihre Sorge wacht nicht mehr,
An verwaister Stätte schalten
Wird die Fremde, liebeleer.

Bis die Glocke sich verkühlet
Laßt die strenge Arbeit ruhn,
Wie im Laub der Vogel spielet
Mag sich jeder gütlich tun.
Winkt der Sterne Licht,
Ledig aller Pflicht,
Hört der Pursch die Vesper schlagen,
Meister muß sich immer plagen.

Munter fördert seine Schritte Fern im wilden Forst der Wandrer
nach der lieben Heimathütte.
Blökend ziehen heim die Schafe,
Und der Rinder
Breitgestirnte, glatte Scharen
Kommen brüllend,
Die gewohnten Ställe füllend.
Schwer herein
Schwankt der Wagen,
Kornbeladen,
Bunt von Farben
Auf den Garben
Liegt der Kranz,
Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz.
Markt und Straßen werden stiller,
Um des Lichts gesell'ge Flamme
Sammeln sich die Hausbewohner,
und das Stadttor schließt sich knarrend.
Schwarz bedecket
Sich die Erde,
Doch den sichern Bürger schrecket
Nicht die Nacht,
Die den Bösen gräßlich wecket,
Denn das Auge des Gesetzes wacht. -
Heil'ge Ordnung, segensreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau gegründet,
Die herein von den Gefilden
Rief den ungesell'gen Wilden,
Eintrat in der Menschen Hütten,
Sie gewöhnt zu sanften Sitten,
Und das teuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!
Tausend fleiß'ge Hände regen,
Helfen sich in munterm Bund
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
In der Freiheit heil'gem Schutz.
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiß.
Holder Friede,
Süße Eintracht,
Weilet, weilet
Freundlich über dieser Stadt!
Möge nie der Tag erscheinen,
Wo des rauhen Krieges Horden
Dieses stille Tal durchtoben,
Wo der Himmel,
Den des Abends sanfte Röte
Lieblich malt,
Von der Dörfer, von der Städte
Wildem Brande schrecklich strahlt!

Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Seine Absicht hat's erfüllt,
Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt.
Wenn die Glock soll auferstehen,
Muß die Form in Stücke gehen.

Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Das glühnde Erz sich selbst befreit!
Blindwütend mit des Donners Krachen
Zersprengt es das geborstne Haus,
Und wie aus offnem Höllenrachen
Speit es Verderben zündend aus;
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten,
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strängen
Der Aufruhr, daß sie heulden schallt,
Und nur geweiht zu Friedensklängen
Die Losung anstimmt zur Gewalt.
Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,
Der ruh'ge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher,
Da werden Weiber zu Hüänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panters Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist's den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
Und äschert Städt und Länder ein.

Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! wie ein goldner Stern
Aus der Hülse, blank und eben,
Schält sich der metallne Kern.
Von dem Helm zum Kranz
Spielt's wie Sonnenglanz,
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.
Herein! herein!
Gesellen alle, schließt den Reihen,
Daß wir die Glock taufend weihen,
Concordia soll ihr Name sein,
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine .
Versammle sie die liebende Gemeine. .

Und dies sein fortan ihr Beruf,
Wozu der Meister sie erschuf!
Hoch überm niedern Erdenleben .
Soll sie im blauen Himmelszelt .
Die Nachbarin des Donners schweben
Und grenzen an die Sternenwelt,
Soll eine Stimme sein von oben,
Wie der Gestirne helle Schar,
Die ihren Schöpfer wandelnd loben
Und führen das bekränzte Jahr.
Nur ewigen und ernsten Dingen
Sei ihr metallner Mund geweiht,
Und stündlich mit den schnellen Schwingen
Berühr im Fluge sie die Zeit,
Dem Schicksal leihe sie die Zunge,
Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
Begleite sie mit ihrem Schwunge
des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
Der mächtig tönend ihr erschallt,
So lehre sie, daß nichts bestehet,
Daß alles Irdische verhallt.

Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock mir aus der Gruft,
Daß sie in das Reich des Klanges
Steige, in die Himmelsluft.
Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt,
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute.

 

Wir haben im ersten Teil mit Hans Christian Andersens Märchen "Die alte Kirchenglocke" begonnen. Er hat uns erzählt, wie die Kirchenglocke von Marbach zu Schillers Geburt geläutet hat, daß sie später aber vom Kirchturm gefallen und dabei zerbrochen ist. Nach vielen Jahrzehnten wird das Erz dieser Glocke für den Guß einer neuen Statue benutzt.

Hören Sie nun den Schluß dieses Märchens.

 

Und das Erz floß glühend in die Form, die alte Kirchenglocke -- ja, niemand dachte an deren Heimat und ihr erstorbenes Klingen, die Glocke floß mit in die Form und bildete Kopf und Brust der Statue, so wie sie heute in Stuttgart vor dem alten Schloß enthüllt steht, auf dem Platz, wo er, den sie darstellt, als lebendiger Mensch umherging, im Kampf und im Streben, bedrückt durch die Welt um ihn herum, er, der Knabe aus Marbach, der Schüler der Karlsschule, der Flüchtling, Deutschlands großer, unsterblicher Dichter, der von dem Befreier der Schweiz und Frankreichs gottbeseelter Jungfrau sang.

Es war ein herrlicher, sonniger Tag, Fahnen wehten von Türmen und Dächern im königlichen Stuttgart, die Kirchenglocken läuteten zu Fest und Freude, nur eine Glocke war stumm, sie leuchtete im hellen Sonnenschein, leuchtete von Antlitz und Brust der Ruhmesgestalt; es war gerade hundert Jahre her seit jenem Tag, da die Glocke im Turm zu Marbach Freude und Trost für die leidende Mutter läutete, die ihr Kind gebar, arm im ärmlichen Haus, dereinst ein reicher Mann, dessen Schätze die Welt segnet; er, der Dichter des edlen Frauenherzens, der Sänger des Großen und Herrlichen, Johan Christoph Friedrich Schiller.

 

Spätestens mit der Glocke war Schiller zum "Dichter des Volkes" und zum "Liebling der Nation" geworden, wie sich bei den Feiern zu seinem 100. Geburtstag im Jahre 1859 zeigte.

Die Feste dauerten bis zu einer Woche und wurden auchin Paris, Stockholm, Amsterdam, Prag, Bukarest, St. Petersburg, Warschau, Smyrna, Konstantinopel und Algier begangen. Natürlich auch in Mainz und Wiesbaden. Zum Beispiel beantwortet die "Mittelrheinische Zeitung" am 10. November 1859 die Frage, warum gerade Schiller der "Liebling der Nation" sei, folgendermaßen:

"Seine Begeisterung für die höchsten Güter der Menschlichkeit Freiheit und Wahrheit ist es, das jeden... Geist für Schiller erwärmt, begeistert, entflammt."

 

Und anläßlich der Errichtung des Schiller-Denkmals in Mainz ruft der Festredner Prof. Karl Klein aus:

 

"Wir setzen Schiller ein Denkmal,... weil er unser größter Volksdichter ist, weil er ein großer Dichter der Humanität, unser größter Welt-Dichter und weil er unser Befreiungs-Dichter ist.

Wie Homer... in jedes Griechen Brust lebte, in jeder Stadt, in jedem Dorfe, in jedem Haus ein Denkmal hatte: so verdient unser Dichter, daß ihm in jeder deutschen Stadt ein Denkmal errichtet, in jedem Dorfe eine Büste gesetzt, in jedem Haus ein Bild aufgestellt werde, damit wir unsern Lieblingsdichter, den wir im Herzen tragen, stets mit den Augen sehen... können."

 

Auch der Bericht von den Schillerfeiern in Moskau vergleicht den Volksdichter Homer mit Friedrich Schiller, den "die Deutschen im Herzen mit in die Ferne getragen haben".

Höhepunkt der dreitägigen Schillerfeiern in Leipzig 1859 war der Festzug, an dem sich mehr als 10.000 Bürger aktiv beteiligten. In dem Gedenkbuch des Festzugs-Comitees heißt es:

 

Die Straßen, durch welche sich der Zug bewegte, prangten in festlichem Schmucke. Flaggen wehten von den Dächern und höheren Stockwerken. Grüne Gewinde und bunte Teppiche hingen aus den Fenstern, wenig Häuser waren ganz ohne Schmuck; vor mehr als einem sah man Schillers lorbeergekröntes Bild. Die Fenster und selbst Simse und Dächer waren mit Schaulustigen gefüllt. Hie und da waren aus Kisten, Fässern, Rollwagen, Brettern Schaubühnen im Fluge hergestellt.

Den Zug führte der Zugleiter mit seinen beiden Adjutanten zu Pferde. Ihm folgten ein halbes tausend Männer mit ihren Fahnen und mit Instrumentalmusik. Hierauf das Festzugskomitee und eine Abteilung Studenten. Dem Künstlerverein vorangehend wurde eine neue gemalte Fahne, die den Genius der Kunst zeigt, der Schiller bekränzt, im Geleit von Herolden in mittelalterlicher Tracht getragen. Danach kamen die Buchhändler, in ihrer Mitte wurde ein Prachtexemplar der Schiller-Galerie auf einem Atlaskissen getragen. Es folgten die Turnvereine und nach ihnen zahlreiche Handwerkerinnungen. Die Bäcker z.B. kamen mit 7 Fahnen. Eine Gruppe von ihnen hatte Tracht und Bewaffnung der Tage Wallensteins.

Während des Umzuges auf dem Markte wurden Lettern mit Schillers Silhouette und einer Inschrift gegossen. Den Buchdruckern folgten die Barbiere mit Fahne und in zwei Gruppen. Die eine stellte 5 Karlsschüler dar, das erste große Werk Schillers tragend, die zweite 3 Professoren in der Amtstracht von 1800, Schillers letztes Werk unter einem Lorbeerkranz haltend. Als Mitte des Zuges prangte der von vier Pferden gezogene Festwagen der Gärtner, ein mit Psalmen geschmückter Baldachin, unter dem Schillers Büste stand. Dahinter kamen Mitglieder des Stadtrates, des Stadtverordnetenkollegiums und der königlichen Behörden. Es folgten die Klempner, welche Gestalten aus der "Jungfrau von Orleans" vorführten. Jeanne d'Arc selbst und die Ritter und Knappen zu Fuß und zu Roß, in weithin glänzenden Harnischen. Dann die Buchbinder, diese hatten zwei geschmückte Tragen; auf der einen trugen vier Lehrlinge einen Kolossalband mit Schillers Bild und der Aufschrift: Schillers Werke, auf der zweiten trug ein Meister die gewöhnliche Ausgabe der Schillerschen Werke in Prachtband. Zigarrenarbeiter folgten, auch sie hatten einen Festwagen, auf welchem in weiß und rot gekleidete Arbeiter Zigarren zur Verteilung drehten. Dann die Schneider, welche zeitgetreu in reicher und mannigfaltiger Tracht die Personen des "Tell" zur Anschauung brachten. Es folgten die Fleischer, geführt von 20 Berittenen. Sie brachten einen vierspänigen Wagen mit zwei Widdern und eine von 4 Mann getragene riesige Wurst, unter deren Last sich die Stange bog. Dann die Schlosser, welche die Figuren des "Ganges nach dem Eisenhammer" veranschaulichten und auf einem Wagen eine Schlosserwerkstatt mit sich führten. Hierauf die Glockengießer mit einem als Glockenstuhl gezierten Festwagen, auf welchem eine läutende Glocke hing und die Inschrift: "Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine versammle sie die liebende Gemeine". Zum Schluß, als die erst in der Neuzeit entstandene Handwerkschaft, die Maschinenbauer, Mechaniker, Eisen- und Zinkgießer. Getragen wurde das Modell einer kleinen Drehbank, mehrere Nähmaschinen und auf einem roten Samtkissen eine neukonstruierte Papierschneidemaschine. So zeigte das Ende dieses stattlichen Zuges ein Bild des Fortschritts deutscher Gewerbetätigkeit.

In Frankfurt am Main waren allein 40 - 50 000 Menschen aus der Umgebung in die Stadt geströmt, um am Schillerzug teilzunehmen. Die Stadt platzte fast aus den Nähten. In Berlin zählte man beim Festakt vor dem Schauspielhaus eine halbe Million Menschen. Bei den Schulfeierlichkeiten waren 60 000 Schüler beteiligt. Nach den Feiern wurden große Festmäler in den Sälen gehalten, die mit Schillerbüsten, Gedichtstrophen, Lorbeerkränzen usw. reich geschmückt waren und bei denen die Bürger bis in die frühen Morgenstunden der Geselligkeit frönten.

Selbst im fernen Chicago wurde Schillers 100. Geburtstag drei Tage lang von der ganzen Stadt gefeiert, und die verschiedenen Innungen und Gewerbe wetteiferten miteinander um die prächtigsten Festwagen.

Schillers Werke wurden in zahlreichen verschiedenen Ausgaben neu publiziert und fanden reißenden Absatz. Vielerorts wurden Schiller-Vereine gegründet, die sich zum Grundsatz machten "Geist und Gesinnung, von denen das Fest zum 100jährigen Geburtstag Schillers getragen war, lebendig zu erhalten und weiter zu entwickeln". Sammlungen für die Errichtung von Schiller-Denkmälern waren so ergiebig, daß überall in den Städten Schiller-Statuen errichtet werden konnten.

 

Mit den Schillerfeiern des Jahres 1859 wurde aber nicht nur der große Dichter geehrt, sie waren die größte politische Demonstration seit der gescheiterten Revolution von 1848. Die Umzüge wurden zu einer breiten Bewegung für einen einheitlichen deutschen Verfassungsstaat. In den jungen USA wurden sie gleichzeitig zur mächtigen Volksbewegung für die Wahl Abraham Lincolns zum amerikanischen Präsidenten. So wurde Schillers Erwartung, daß schöne Kunst den Menschen auch politisch mündig mache, erfüllt.

In diesen Feierlichkeiten drückt sich eine Begeisterung für Schillers herrliche Ideen aus, die unserem Zeitalter fast völlig abhanden gekommen ist. Doch gerade diese universellen Ideen von politischer und menschlicher Freiheit, von Menschenwürde und schöner Menschlichkeit wollte der Dichter "als lebendig wirkende Motive in das Menschenherz" pflanzen, damit sie uns als Leitstern durch das Leben führen.