November 2004 20 Jahre

Das Schiller-Institut ist 20 Jahre alt geworden!

Die Evolution einer Idee

Von Helga Zepp-LaRouche

Die Gründerin und Präsidentin des Schiller-Institutes schildert, wie die Idee zu einer weltweiten politisch-kulturellen Vereinigung auf der Grundlage der Gedanken Friedrich Schillers entstand und wie sie verwirklicht wurde.

- Erster Teil -



"Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf;
leiste deinen Zeitgenossen, aber was sie bedürfen, nicht was sie loben."
- Friedrich Schiller

In den 20 Jahren seit seiner Gründung am 3.-4. Juli 1984 in Arlington im US-Bundesstaat Virginia hat das internationale Schiller-Institut ein ungeheuer breites Spektrum an Aktivitäten in rund 60 Nationen entfaltet und gilt bei vielen Menschen und vor allem führenden Persönlichkeiten in den Entwicklungsländern als Institution, die sich von Anfang an kompromißlos für eine Neue gerechte Weltwirtschaftsordnung und eine humanistische Renaissance einsetzt. In diesen 20 Jahren haben wir Hunderte von internationalen Konferenzen abgehalten, Tausende von Vorträgen und Seminaren veranstaltet sowie zahllose Konzerte, Kulturveranstaltungen, Rezitationen, Übersetzungen und Chorproben organisiert. Was ist die Idee, die diese so verschiedenen Aktivitäten verbindet - und warum nennt sich ein Institut, das sich in Deutschland den Zusatztitel "Vereinigung für Staatskunst" gegeben hat, nach dem deutschen Dichter Friedrich Schiller?

Zunächst muß ich berichten, daß die Beschäftigung mit dem Werk und Leben Friedrich Schillers gewissermaßen der rote Faden in meinem Leben ist. Ich hatte das außergewöhnliche Glück, in meiner Gymnasialzeit in Trier nacheinander drei hervorragende Deutschlehrer, zwei Lehrerinnen und einen Lehrer, gehabt zu haben, die vom Humboldtschen Erziehungskonzept geleitet meine Mitschülerinnen und mich auf höchst polemische Weise mit der deutschen Klassik und dem Werk Schillers insbesondere vertraut gemacht haben. Ich erinnere mich, daß mir damals einige Ideen Schillers so kostbar wurden, daß ich sie gegen jeden und alles verteidigt habe.

Dazu gehört z.B. die Stelle, in der Schiller im zehnten der Briefe über Don Carlos beschreibt, worum es ihm eigentlich bei diesem Drama geht, nämlich darum, "Wahrheiten, die jedem, der es gut mit seiner Gattung meint, die heiligsten sein müssen und die bis jetzt nur das Eigentum der Wissenschaften waren, in das Gebiet der schönen Künste herüberzuziehen, mit Licht und Wärme zu beseelen und, als lebendig wirkende Motive in das Menschenherz gepflanzt, in einem kraftvollen Kampfe mit der Leidenschaft zu zeigen".

Im Achten Brief hatte Schiller das Thema des Don Carlos so beschrieben: "Rufen Sie sich, lieber Freund, eine gewisse Unterredung zurücke, die über einen Lieblingsgegenstand unseres Jahrzehnts - über Verbreitung reinerer, sanfterer Humanität, über die höchstmögliche Freiheit der Individuen bei des Staates höchster Blüte, kurz, über den vollendetsten Zustand der Menschheit, wie er in ihrer Natur und ihren Kräften als erreichbar angegeben wird - unter uns lebhaft wurde ..."

Das Jahrzehnt, auf das sich Schiller hier bezieht, sind die 80er Jahre des 18. Jahrhunderts, also der Zeitraum, in dem die amerikanische Unabhängigkeit erkämpft wurde. Und an der Stelle im Zehnten Brief, an der Schiller seiner Hoffnung Ausdruck gibt, daß diese "nicht ganz unwichtigen Ideen" von einem "redlichen Finder" aufgegriffen würden, steht in dem Dramenband, den ich damals benutzte, am Seitenrand mit Bleistift gekritzelt: "ich". An anderer Stelle schreibt Schiller, man werde seine Werke erst in künftigen Jahrhunderten voll und tiefer verstehen, und auch mit diesen Sätzen fühlte ich mich irgendwie persönlich angesprochen.

Schiller als innere Quelle

Als ich mich dann mehr als zehn Jahre später in einer Situation befand - inzwischen hatte ich Lyndon LaRouche geheiratet - , in der ich 1978 in New York für ein Dreivierteljahr mehr oder weniger ans Haus gebunden war, hatte ich plötzlich das Bedürfnis, mich wieder intensiv mit Schiller zu befassen. Ich hatte das starke Empfinden, daß die Beschäftigung mit dem Gesamtwerk Schillers für mich eine unerledigte Aufgabe sei, etwas, zu dem ich unbedingt zurückkommen müßte. Und so stürzte ich mich monatelang in die Lektüre aller seiner Schriften, Dramen und Gedichte. Die Umstände brachten es mit sich, daß ich mit Schiller in eine Art "innerer Emigration" eintauchte, und es waren gerade die widrigen äußerlichen Umstände, die mich um so aufgeschlossener für solche Ideen Schillers machten wie das "Erhabene" oder die "schöne Seele" oder auch Schillers Verachtung für oligarchische Tyrannei und seine Liebe zur inneren und äußeren Freiheit. Ein Artikel über "Das geheime Wissen des Friedrich Schiller" war ein erstes Resultat dieser Studien.

Als ich dann im folgenden Jahr meinen Mann im Präsidentschaftswahlkampf in New Hampshire, Michigan und weiteren US-Staaten begleitete, erwies sich die intensive Beschäftigung mit Schiller vom Jahr zuvor als die innere Quelle, aus der ich schöpfen konnte. Denn die Wirklichkeit der politischen Verhältnisse in den USA war eine so brutale Erfahrung, daß diese innere Wappnung entscheidend war. Mafia-Methoden seitens unserer politischen Gegner, die innere und materielle Unfreiheit vieler sonst anständiger Landtagsabgeordneter oder Gewerkschafter, Korruption der ärmeren Schichten durch die Verteilung von lächerlichen Almosen - kurz, die ganze Erfahrung der auf rücksichtslose Machtausübung ausgerichteten Politik in diesen Wahlkämpfen brachte mich zu der Überzeugung, daß Schillers Schlußfolgerung, die er nach dem Scheitern der Französischen Revolution gezogen hatte, völlig richtig sei:

Schiller sagte nämlich, ein großer Augenblick - er meinte damit die Chance, die Amerikanische Revolution in Europa zu wiederholen - habe ein kleines Geschlecht gefunden. Die objektive Möglichkeit der Veränderung habe bestanden, aber die subjektive moralische Möglichkeit habe gefehlt. Und deshalb, so meinte Schiller, könne ab sofort jede Verbesserung im Politischen nur noch durch die Veredelung des Individuums erreicht werden.

In diesen Monaten des Wahlkampfs festigte sich in mir die Überzeugung, daß die Erringung der Macht nur dann etwas Positives sein könne, wenn sie mit der Idee der Schönheit, so wie Schiller diesen Begriff benutzte, verbunden würde. Gerade weil ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung sich sehr weit von den Idealen der Amerikanischen Revolution und den Prinzipien der Unabhängigkeitserklärung entfernt hatte, schien es mir, daß sie nichts dringender brauchten als die Ideen Schillers. Ich nutzte meine Rede auf der Jahreskonferenz der LaRouche-Bewegung 1979 in Detroit, um die Notwendigkeit einer "Schillerzeit" in Amerika zu unterstreichen:

"Der Grund, warum ich Schiller unter all den großen Humanisten der Vergangenheit und unter all den Genien ausgewählt habe, liegt darin, daß er von allen - und damit schmälere ich in keiner Weise die Beiträge der anderen - der machtvollste Sprecher für die Idee der Schönheit war, und sagte, die Menschen müssen lachen, sie müssen froh sein. Schiller war mehr als jeder andere mit der Frage beschäftigt, wie es möglich ist, Genien zu inspirieren. Wie man eine Methode entwickeln kann, um aus mittelmäßigen, dummköpfigen, netten, guten Leuten etwas zu machen. Wie man ihren Geist und ihre Herzen ändern kann. Wie man sie verändern kann!" Das war der Geist der ersten Rezitationen, die ich in den USA damals zu organisieren begann.

Später ergaben unsere Nachforschungen über den bewußt herbeigeführten Wertewandel, der die USA von der führenden Gesellschaft von Produzenten in eine parasitäre Konsumenten- und Spaßgesellschaft verwandelt hat, eine Fülle von Informationen darüber, wie Institutionen wie der Kongress für kulturelle Freiheit oder die Frankfurter Schule bewußt daran arbeiteten, die axiomatische Basis der öffentlichen Meinung der Bevölkerung zu ändern - wir entwickelten ein tieferes Verständnis für die Gründe, warum die amerikanische Bevölkerung sich so weit von der großen Tradition der amerikanischen Revolution entfernt hatte. Das ändert aber nichts daran, daß Schiller nach wie vor die beste Methode entwickelt hat, wie der Mensch lernen kann, "größer als sein Schicksal" zu sein, indem er sich auf die Ebene des Erhabenen erhebt.

Schiller-Symposium in Mannheim

Aber nicht nur in den USA verschlechterte sich die Kultur der Bevölkerung. Wenn die "Happenings" eines Hans Neuenfels mit seinen Aufrufen, die eigene Großmutter zu erschlagen und den Trierer Dom abzureißen, 1968 immerhin noch den dubiosen Ruhm für sich in Anspruch nehmen konnten, wenigstens "originell" zu sein, so war das "Regietheater" in den 70er Jahren in all seinen Varianten letztlich doch immer nur die Variation eines Themas: Die Schauspieler mußten möglichst nackt auf der Bühne agieren, sich in möglichst obszönen Bewegungen demonstrieren, oder die Inszenierung mußte willkürliche Zeitbezüge des Regisseurs widerspiegeln. Als das gleiche langweilige Muster 1980 auf die Mannheimer Schiller-Tage angewandt wurde, schlug ich vor, die besten Schauspieler und Schiller-Kenner aus dem ganzen deutschsprachigen Raum, die der klassischen Tradition Schillers verpflichtet waren, für die Idee einer Renaissance der Schillerschen Ideen zu gewinnen und in Mannheim unser eigenes Schiller-Festival zu organisieren.

Zunächst suchte ich Benno von Wiese - zweifellos einer der besten Schiller-Experten - in seinem Bonner Haus auf, um ihn für das Projekt zu gewinnen. Von Wiese war ein Mann von hoher intellektueller Integrität, der Schiller weit und hoch über dem damals herrschenden Zeitgeist angesiedelt sah und deshalb für die Idee einer kulturellen Gegenoffensive leicht zu gewinnen war. Unser Gespräch verlief sehr positiv - bis sich plötzlich seine Miene verfinsterte, er nahezu unwirsch wurde und ich mir bereits Gedanken machte, was seinen Ärger erregt haben könnte. Das Rätsel löste sich jedoch bald auf: Seine Frau brachte ihm seine Mittagsmahlzeit, nach deren Verzehr er wieder der freundliche, intellektuell brillante Literaturpapst wurde, der froh war, eine junge Frau zu Besuch zu haben, die sich so leidenschaftlich für Schillers Ideen einsetzte: von Wiese litt an Diabetes.

Auf dem Mannheimer Symposium hielt er dann eine aufrüttelnde Rede und forderte das Publikum mit der Frage heraus, es gehe nicht darum, ob Schiller in der heutigen Zeit noch aktuell sei, sondern darum, ob und wie wir heute vor Schiller bestehen können.

Mein nächster Besuch führte mich nach Bad Hersfeld, wo Will Quadflieg bei den sommerlichen Festspielen auftrat. Wir trafen uns zunächst in einem Café, wo ich ihm die Perspektive unterbreitete, in Deutschland wirklich wieder den Geist der Klassik zu erwecken und Schillers Werk vor allem für junge Leute lebendig zu machen. Quadflieg war ein wirklicher Künstler, er hatte ein wirkliches lyrisches Verständnis, und im Nu bestiegen wir Pegasus, das Flügelpferd, und "entschwanden zu den blauen Höhen..." - Nein, natürlich nicht, ich will damit nur sagen, daß ich mit Will Quadflieg eine der anregendsten Diskussionen meines Lebens über Gedichte und die Bedeutung der klassischen Kultur führen konnte. Das Begeisternde war, daß man ihn ganz mitreißen konnte, daß man im Gespräch mit ihm jenen Zauber der Poesie erschaffen konnte, der Berge versetzen kann, daß er sowohl die prometheische Kühnheit als auch die zartesten Regungen der Seele empfinden konnte. Seine Rezitation von Schillers Werken und Gedichten in Mannheim war so machtvoll, daß das Publikum wie angegossen auf den Sitzen saß. Schiller war zugegen an diesem Abend.

Das Symposium wurde ein voller Erfolg, andere Schiller-Freunde und Experten, wie Peter Otten, Norbert Oellers, Wolfgang Wittkowski u.a. rezitierten und debattierten so leidenschaftlich über Schiller, daß eine empörte Teilnehmerin aus dem Publikum schließlich fragte: "Wie können Sie es wagen, dieses Symposium abzuhalten, ohne Walter Jens einzuladen?" Auf jeden Fall hatten wir zumindest für dieses Jahr die intellektuelle Hegemonie in Deutschland erobert, was die Frage der Bedeutung Schillers für heute anging.

LaRouches SDI-Plan

Anfang der 80er Jahre vertiefte sich die Kluft im transatlantischen Verhältnis. Es war die Zeit, in der Politiker wie Helmut Schmidt von der Gefahr eines dritten Weltkrieges sprachen. Die Mittelstreckenraketen der NATO und des Warschauer Pakts waren auf kurze Distanz gegeneinander gerichtet, so daß z.B. Hamburg in nur sechs Minuten hätte getroffen werden können, falls es zu einem nuklearen Schlagabtausch gekommen wäre. Die Friedensbewegung protestierte gegen die Aufstellung der Pershing II-Raketen.

Eine effektivere Weise, mit diesem nuklearen Damoklesschwert umzugehen, das damals über der Menschheit hing (wegen der extrem kurzen Warnzeit im Falle auch nur des versehentlichen Abschusses einer einzigen Atomrakete waren die strategischen Nuklearsysteme beider Militärbündnisse in einem dauernden Zustand der höchsten Alarmstufe, des sog. launch on warning), hatte mein Ehemann Lyndon LaRouche ausgearbeitet. Schon Ende der 70er Jahre war es ihm und den Mitarbeitern des von ihm herausgegebenen Wissenschaftsmagazins Fusion aufgefallen, daß die sowjetischen Wissenschaftler, die seit Anfang der 60er Jahre in wissenschaftlichen Journalen über ihre Fortschritte bei der Erforschung von sog. Strahlenwaffen und anderer Waffen auf der Grundlage "neuer physikalischer Prinzipien" berichtet hatten, dies plötzlich nicht mehr taten. Die Entwicklung dieser neuen Systeme hatte den Zweck, Kernwaffen in der Abschußphase auszuschalten und also technisch obsolet zu machen. Es verdichtete sich die Vermutung, daß die Sowjetunion auf Hochtouren an auf diesen neuen Prinzipien basierenden Waffen arbeitete. Es war auch offensichtlich, daß angesichts der ohnehin angespannten Lage der Gefahrenmoment für einen allgemeinen nuklearen Krieg seine höchste Steigerung erführe, wenn eine der beiden Supermächte plötzlich ein neues Waffensystem installieren würde, das das atomare Arsenal der anderen Seite quasi über Nacht technologisch ausschaltete.

Mein Mann arbeitete deshalb einen strategischen Plan aus, wie die Welt von diesem Damoklesschwert befreit werden könnte, der später unter dem Namen "SDI" (Strategische Verteidigungsinitiative) bekannt wurde, nämlich den Vorschlag, die Doktrin der NATO der "Gegenseitigen sicheren Zerstörung" (Mutual Assured Destruction, MAD) durch eine Doktrin des "Gegenseitigen sicheren Überlebens" (Mutual Assured Survival) zu ersetzen. Es war der Vorschlag, daß beide Supermächte gemeinsam die Entwicklung dieser auf neuen physikalischen Prinzipien beruhenden Waffensysteme betreiben, gemeinsam diese Systeme installieren und so die Atomwaffen obsolet werden lassen und dann gemeinsam die Vorteile der technologischen Revolution im militärischen Bereich für einen Anstieg der Produktivität im Bereich der zivilen Wirtschaft nutzen sollten. Diese Idee präsentierten wir im Verlauf des Jahres 1982 auf Konferenzen in Washington und verschiedenen europäischen Hauptstädten, an denen führende aktive und im Ruhestand befindliche Militärs teilnahmen.

Eine der wichtigsten Konsequenzen dieser Konferenzen war, daß mein Mann ein Jahr lang im offiziellen Auftrag der Reagan-Administration inoffizielle sog. Backchannel-Gespräche mit sowjetischen Vertretern in Washington darüber führte, ob Moskau bereit wäre, einer solchen grundsätzlichen Änderung im strategischen Verhältnis der beiden Supermächte zuzustimmen. Der Vorschlag, den mein Mann als ein Protokoll für die Supermächte veröffentlichte, hätte im wesentlichen bedeutet, die Aufteilung der Welt in Blöcke zu überwinden. Man hätte die Länder der Dritten Welt nicht länger als Einflußzonen betrachtet, in denen man Stellvertreterkriege führte, sondern beide Supermächte hätten gemeinsam den wohltuenden Effekt dieses Wissenschaftsschubs, den Anstieg der Produktivität im militärischen Bereich, auch auf die zivile Produktion in Ost und West ausgedehnt, um diesen Anstieg dann für einen massiven Kapital- und Technologietransfer in den Entwicklungssektor zu benutzen, um die Unterentwicklung in diesen Ländern zu überwinden. Es ging nicht nur um Abrüstung, es handelte sich um ein Grand Design, wie man das Ost-West-Verhältnis auf eine völlig andere Basis für die Lösung der "gemeinsamen Aufgaben der Menschheit" stellen konnte.

Nach einem Jahr intensiver Gespräche, an denen ich als Ehefrau immer teilgenommen hatte, kam im Februar 1983 schließlich die ablehnende Antwort aus Moskau: Ein solcher Plan sei zwar militärisch und technisch durchaus machbar, aber die Anwendung im zivilen Bereich würde dem Westen zu viele Vorteile bringen, während es der Sowjetunion trotz der angebotenen Hilfe des Westens im zivilen Sektor viel schwerer fallen würde, den Sprung zu einer effizienteren Wirtschaft zu schaffen. Trotzdem verkündete Präsident Reagan am 23. März 1983 die SDI als offizielle Politik der USA. Er wiederholte bis August des selben Jahres den Vorschlag, daß der Westen der Sowjetunion bei der Anwendung der neuen Technologien in der zivilen Ökonomie helfen würde.

Wie sich insbesondere nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bestätigte, war der wahre Grund für Moskaus Ablehnung der SDI der offensive "Ogarkow-Plan". Mein Mann veröffentlichte noch 1983 die Prognose, wenn die Sowjetunion bei ihrer Ablehnung der SDI bliebe, werde sie innerhalb von fünf Jahren wirtschaftlich zusammenbrechen. Er hat sich nur um ein Jahr verschätzt, es sollte sechs Jahre dauern, bis die Mauer fiel.

Antiamerikanismus in Europa wächst

Während meiner Reisen in den USA und in Deutschland in dieser Zeit stellte ich eine beunruhigende Tendenz fest. In den USA machte sich in den Medien, in den Parteien, aber auch in der Bevölkerung zunehmend eine antideutsche und allgemeiner eine antieuropäische Tendenz bemerkbar. Umgekehrt stellte ich bei politischen Reisen in Deutschland zunehmend schockiert fest, daß sich keineswegs nur in linken Kreisen, sondern ebenso unter CDU- Mitgliedern ein offen artikulierter Antiamerikanismus breitmachte. Es war sozusagen ein milderer Vorgeschmack auf die Ressentiments, die heute in Europa gegenüber der Bush-Administration existieren. Genährt wurde diese Abneigung zumindest bei informierteren konservativen Kreisen davon, daß die Bundesrepublik Deutschland im Ernstfall eines Krieges zwischen NATO und Warschauer Pakt keine Überlebenschance gehabt hätte; der Verteidigungsfall Deutschland war in der MAD-Doktrin nicht vorgesehen. Ein geistreicher französischer Militär drückte es damals so aus, die Alternative für Deutschland sei nicht "Rot oder tot", sondern "Erst rot, dann tot", womit gemeint war, daß Deutschland im Falle einer nuklearen Konfrontation zwischen den Supermächten im Erstschlag vom Warschauer Pakt und im Zweitschlag von der NATO getroffen würde.

Wenn man damals die Lage des transatlantischen Verhältnis vom Standpunkt der klassischen Tragödie betrachtete - etwa so, wie Schiller das Scheitern der Französischen Revolution beurteilt hatte, daß nämlich der große historische Augenblick ein "kleines Geschlecht" angetroffen hatte - , dann schien mir dies in nicht geringerem Maße auf den Zustand der Bevölkerung in Deutschland und in Amerika zuzutreffen. Ich war davon überzeugt, daß es nach zwei Weltkriegen, bei denen die USA und Deutschland auf verschiedenen Seiten gestanden hatten, die Saat des Verhängnisses in sich trug, wenn beide Seiten nur jeweils die Liste der negativen Punkte beim anderen aufzählten.

Und so kam ich auf die Idee, eine Initiative für die grundlegende Verbesserung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses vorzuschlagen. Ich faßte gewissermaßen meine gesamte politische Erfahrung bis zu diesem Zeitpunkt zusammen und beschloß, diese Initiative mit dem Namen Schillers zu verknüpfen. Es sollte ein Institut entstehen, das sich um die Verbesserung der außenpolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika bemühen sollte, indem es sich auf die jeweils besten Traditionen des anderen bezog, besonders auf die Tradition der Amerikanischen Revolution, der deutschen Klassik und des Geistes der Freiheitskriege. Es sollte als eine Art Denkfabrik konstruktive Vorschläge für die Bereiche Militärstragie, wirtschaftliche Kooperation, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit und Erforschung der kulturellen und historischen gemeinsamen Grundlagen erarbeiten.

Unter Punkt 4 der Gründungsprinzipien heißt es: "Das Institut soll den Namen Schiller tragen, weil niemand die Ideen der republikanischen Freiheit und der poetischen Schönheit wirkungsvoller miteinander verbunden hat als Friedrich Schiller. Für Schiller wie für die Mitarbeiter des Instituts ist das höchste Kunstwerk der Bau der politischen Freiheit." Die Grundidee des Schiller-Instituts war es, Schillers Menschenbild so in die Politik einzuführen, daß es dem Zeitgeist entgegenwirken und in der Tat zu einer Verbesserung der Menschen beitragen würde.

Ein Jahr vor der eigentlichen Gründung hatte ich ein Memorandum für diese Initiative geschrieben. Es war der Zeitraum, in dem mein Mann im Rahmen seiner Vorschläge zur SDI mit Vertretern der Regierung Reagan zusammenarbeitete. Da Präsident Reagan positiv auf das Grand Design meines Mannes reagiert hatte - das wohlbemerkt etwas völlig anderes war als die verzerrten Darstellungen in den Medien - , präsentierte ich den ursprünglichen Vorschlag für die Gründung eines Schiller-Instituts einem Mitarbeiter des damaligen Sicherheitsberaters Reagans, Richter William Clark. Es gab damals durchaus eine Offenheit für den Vorschlag, das Verhältnis zu Deutschland auf eine andere Grundlage zu stellen, als dies über den größten Teil der Nachkriegszeit der Fall gewesen war. In mehreren ausführlichen Diskussionen versicherte mir Richard Morris, der damalige Mitarbeiter Clarks war, daß meine Idee auf positive Resonanz gestoßen war und ernsthaft erwogen wurde.

Letztlich erlitt dieser Vorschlag das gleiche Schicksal wie die SDI. Die Vertreter der utopisch-militärischen Fraktion in und im Umkreis der Reagan-Administration setzten zu einer umfassenden Gegenoffensive gegen diese Vorschläge an. Dazu gehörten Leute wie Richard Perle, de Graafenried, Henry Kissinger oder William Webster. Was die SDI betraf, so machte Präsident Reagan diesen Vorschlag ein letztes Mal bei seinem Treffen mit Präsident Gorbatschow 1986 in Reykjavik. Mein Vorschlag für das Schiller-Institut wurde schon im Laufe des Jahres 1983 das Opfer dieser Gegenoffensive dieser Fraktion in der Reagan-Administration, die gewissermaßen die Vorgänger der heutigen Neocons waren.

Also beschloß ich, die Initiative selber zu organisieren. Etwa ein Jahr lang versuchte ich dafür in vielen Orten in den USA und in Deutschland Unterstützer zu finden - eine Anstrengung, bei der ich damals im wesentlichen von Renate Müller unterstützt wurde, die ebenfalls in vielen Gesprächen und Vorträgen für diese Idee warb. Dann veranstalteten wir Dutzende von vorbereitenden kleineren Konferenzen, und schließlich wurde das Schiller-Institut in Deutschland im Mai 1984 gegründet. Die große internationale Gründung fand am 3. und 4. Juli, dem Tag der Unabhängigkeitsfeier, im amerikanischen Arlington in Virginia mit weit über tausend Gästen und Vertretern aus über 50 Nationen statt. Ihnen allen war bewußt, daß sie an einer Initiative von historischer Bedeutung teilnahmen.

Wird fortgesetzt

 


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