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  Dezember 2003 Eurasische Landbrücke

Innere Entwicklung macht China zum Exportmagneten

Was Deutschland von China lernen kann

Auf dem Deutsch-Chinesischen Wirtschaftskongreß in Berlin vom 22. bis 24. Oktober ging es um Investitionsmöglichkeiten für deutsche Firmen in China, aber auch um die Fehler der deutschen Wirtschaftspolitik. Den Bericht, den wir hier verkürzt wiedergeben, stellte uns der "EIR"-Korrespondent Dr. Jonathan Tennenbaum zur Verfügung.


Megaprojekte
"Go West"

Wird China uns alle überholen?

Deutschland in der Existenzkrise

Vom 22.-24. Oktober fand in Berlin der Deutsch-Chinesische Wirtschaftskongreß "China - die neuen Chancen" mit über 200 Spitzenvertretern der deutschen Wirtschaft statt. Veranstalter war die Zeitschrift Wirtschaftswoche in Zusammenarbeit mit dem Asien-Pazifik-Forum Berlin, der chinesischen Zeitung Economic Daily und der Chinesisch-Europäischen Vereinigung für technische und wirtschaftliche Zusammenarbeit CEATEC. Schon der Auftakt des Kongresses war sehr optimistisch, und man sprach davon, daß China mit seinem schnellen Wachstum Deutschland aus der Wirtschaftsmisere heraushelfen könne. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, daß Bundeskanzler Schröder im Dezember nach China reisen wird und man sich davon bedeutende Ergebnisse erhofft.

So meinte der Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Stefan Baron, zu Beginn: "China boomt, und man setzt große Hoffnungen darauf." Die Entwicklung in China sei eines der begeisterndsten und wichtigsten historischen Ereignisse unserer Zeit. Viele Menschen wüßten nicht, daß China in der Vergangenheit viele Jahrhunderte lang die kulturell und technisch fortgeschrittenste Nation der Welt war. Jetzt hole China sich diese Position zurück. Chinas Exportüberschuß werde sich bald ins Gegenteil verkehren, in zwei Jahren werde es einer der größten Importeure sein. Vielleicht werde Chinas Beispiel den Deutschen helfen, Werte wie individuelle Verantwortung, Genügsamkeit und harte Arbeit zurückzugewinnen.

Der chinesische Botschafter in Deutschland, Ma Canrong, legte Wert darauf, daß Chinas Entwicklung langfristig angelegt ist. Trotz des Niedergangs der Weltwirtschaft habe China sein Wachstum aufrechterhalten. Das Inlandsprodukt werde sich bis 2020 auf 4 Bio. Dollar jährlich vervierfachen, wovon die ganze Welt profitieren werde. Chinas Handel mit Deutschland steigt auf neue Rekordhöhen, allein in der ersten Jahreshälfte 2003 wuchs er um 55 Prozent.

Noch zuversichtlicher war der Vorsitzende des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dr. Michael Rogowski: "Gehen wir nach Osten statt nach Westen!" China sei das dynamischste Land der Welt. Seit Anfang der 80er Jahre wuchs dort die Wirtschaft um durchschnittlich neun Prozent im Jahr, das BIP hat sich seit 1982 versechsfacht. China ist der Welt größter Empfänger ausländischer Direktinvestitionen. "Und die Chinesen kaufen alles." 2002 wurden dort eine Million Autos verkauft, dieses Jahr werden es zwei Millionen sein, und es wird geplant, fünf bis sechs Millionen jährlich herzustellen und zu verkaufen.

China sei weltweit führend bei der Armutsbekämpfung, fuhr Rogowski fort. Deng Xiaoping habe vor 20 Jahren gesagt, man solle zulassen, daß einige Menschen reicher als andere werden, und alle würden davon profitieren, daß der Kuchen größer wird. Jetzt erlebe man schon den eindrucksvollen Wohlstand der Küstenstädte, aber auch der Westen Chinas werde reicher.

Außerdem kämen sich China und Indien näher und Chinas Wirtschaftsbeziehungen zu seinen Nachbarn in der Region weiteten sich aus. Dabei verlasse das Land sich keineswegs nur auf billige Arbeitskräfte, sondern unternehme sehr große Anstrengungen für Bildung, Forschung und Entwicklung. China entwickele rasch seine wissensbasierte Wirtschaft. China sei eine Quelle der Hoffnung für Deutschland, sagte Rogowski. 1600 deutsche Unternehmen arbeiten bereits in China, und chinesische Unternehmen beginnen ihrerseits in Deutschland zu investieren.

Der bekannte Chinaexperte Prof. Eberhard Sandschneider kühlte bewußt die "Chinaeuphorie" einiger Unternehmer und Politiker ab. China boome zwar, und kein Großunternehmern könne es sich noch leisten, nicht dort hinzugehen, aber der Mittelstand solle vorsichtig sein und nicht glauben, jeder könne in China das schnelle Geld machen.

Man dürfe auch nicht einfach die heutige Entwicklung Chinas in die Zukunft hochrechnen, denn kein Land von dieser Größe entwickele sich geradlinig. China habe viele Probleme wie mehrere hundert Millionen Arbeitsuchende, die riesige Einkommensschere zwischen Küsten und Landesinnerem, Verbreitung von Korruption, Gefahr von HIV-AIDS und anderen Krankheiten wie SARS, mögliches Nachlassen ausländischer Investitionen und Exportaufträge, die Schwierigkeiten angemesser Strom- und Wasserversorgung etc. oder die Gefahr möglicher militärischer Konflikte in der Region. Niemand könne also genau wissen, wie es in zehn Jahren in China aussieht.

Viele lobten Chinas WTO-Beitritt und seine bisher "guten Noten" hinsichtlich der WTO-Regeln. Aber weder Sandschneider noch ein anderer Sprecher beschrieb, welche noch viel größeren innenpolitischen Probleme China bekommen kann, wenn seine Zugeständnisse an den "Freihandel" ihre vollständige Wirkung entfalten.

Megaprojekte

Mehrere deutsche und chinesische Fachleute sprachen über die Aussichten für Investitionen und Entwicklung in den wichtigsten Wirtschaftsregionen Chinas. Dabei lag der Schwerpunkt neben den Aufschwungsregionen um Shanghai und das Jangtse-Delta, wo bisher der Löwenanteil der Investitionen hinfließt, auch auf "alternativen Investitionsgebieten": Beijing und Tianjin im Nordosten, das Perlfluß-Delta im Süden und die westlich-zentralen Gebiete, die jetzt von der Regierung besonders gefördert werden.

Da die meisten Teilnehmer aus der Wirtschaft kamen, drehte sich viel darum, wie man sein Stück vom "Kuchen" abbekommen kann, wenn China zwei Riesenvorhaben verwirklicht: die Olympischen Spiele in Beijing 2008 und die Weltausstellung in Shanghai 2010, die beide zusammen einen Investitionsumfang zwischen 50 und 65 Milliarden Dollar haben. Man fragt vielleicht, wie ein bloßes Sportereignis und eine Ausstellung solche Summen verschlingen können? Die Antwort ist: Die Chinesen nutzen dies als Gelegenheit, die gesamte Infrastruktur der betreffenden Regionen rundum zu erneuern und auszubauen.

Wie Mathias Kleinert vom DaimlerChrysler-Vorstand betonte, ist im Zusammenhang mit der Olympiade mit Investitionen von 35 Mrd. Dollar ein umfassender Ausbau der Infrastruktur in Beijing und Qingdao mit der modernsten verfügbaren Technik geplant. Diese High-Tech-Infrastruktur - Verkehr, Kommunikation, Umweltschutz usw. - werde einen großen Schritt nach vorne für Chinas Modernisierung bedeuten.

Gleichzeitig beginnt Shanghai schon mit Vorbereitungen für die EXPO 2010; für den Bau der Ausstellungsgebäude, Verkehrs- und Modernisierungsvorhaben sind 15-20 Mrd. Dollar veranschlagt. Ein ganzer Stadtteil von 400 ha, der heute 25 000 Einwohner hat, wird dazu völlig neu gebaut. Man rechnet mit 70 Millionen Expo-Besuchern. Die 200 Ausstellungspavillons sollen auch hinterher dauerhaft genutzt werden. Shanghai will aus diesem Anlaß die ganze städtische Infrastruktur auf Weltstandard heben; wichtige Schwerpunkte sind u.a. Verkehr, Grünanlagen und Parks, Schulen und Hochschulen sowie Krankenhäuser.

An mehreren Bauvorhaben in Shanghai sind schon deutsche Unternehmen beteiligt. Eines davon ist die 68 km2 große "Shanghai Motor City", wo sich internationale Automobilkonzerne (hauptsächlich für Forschung und Entwicklung) niederlassen werden, aber auch eine Formel-Eins-Rennbahn gebaut wird, und ein anderes ist die Luchao New Harbor City, eine ganze neue Satellitenstadt Shanghais mit 300 000 Einwohnern. Nicht zu vergessen natürlich die erfolgreiche Transrapidstrecke vom Stadtzentrum zum Flughafen Pudong, die inzwischen mit über 430 km/h ihren Dienst tut.

"Go West"

Thomas Fok, Mitglied einer bekannten Unternehmerfamilie in Hongkong, sprach über die Entwicklungsaussichten für Chinas Landesinnere - die berühmte "Go West"-Politik. Der Westen und das Landesinnere seien Chinas "neues Grenzland". Sie umfassen 5,4 Mio. km2, zwei Drittel der Fläche Chinas, und 23 Prozent der Bevölkerung, etwa 300 Millionen Menschen. Der größte Teil davon lebt in wenigen dichtbesiedelten Gebieten wie der Riesenstadt Chongqing (31 Mio.) und den Provinzen Guangxi (48 Mio.) und Guizhou (38 Mio.). Vor einigen Jahren verkündete die Regierung einen Plan zur Entwicklung der westlichen Landesteile. Vielfach hielt man das für bloße Worte, weil der größte Teil der Investitionen weiter in die reichen Küstenregionen floß. Aber jetzt mache die Regierung ernst, so Thomas Fok.

Anfangs hätten die Planer gedacht, wenn man gezielt die Küstenorte fördere, werde dies früher oder später auf den Westen ausstrahlen. Aber dies geschah nicht. Fok erklärte: "Heute hat der durchschnittliche Einwohner an der Küste ein Auto, hat Sushi probiert, reist ins Ausland und kauft Digitalkameras - gleichzeitig fahren einige seiner Verwandten im Westen noch auf Pferdekarren, haben gerade genug zu essen, leben in Lehmhäusern und wissen nicht, was ein Fernseher ist... Jedes Jahr wandern Zigmillionen Arbeitslose aus dem Westen in die Küstenstädte ab, schaffen dort soziale Probleme und kehren mit Groll und Neid auf den Wohlstand der Küstenbewohner nach Hause zurück." Inzwischen habe man erkannt, daß diese Kluft zwischen Arm und Reich die Stabilität der ganzen Nation gefährdet, und sehe die Dringlichkeit, zu handeln.

Dank der Rückendeckung der Zentralregierung und Lokalverwaltungen, die sich bemühen, ein gutes Investitionsklima zu schaffen, sollten ausländische Unternehmen sich auch ernsthaft um diese Landesteile bemühen. Das rohstoffreiche Innere Chinas besitze das Potential zu einem zweiten Wirtschaftsboom, der das Wachstum des ganzen Landes für ein Jahrzehnt oder länger sichern könne.

Wird China uns alle überholen?

Als regelmäßiger Teilnehmer von Veranstaltungen zum Thema "Investieren in China" seit sechs Jahren konnte ich nicht umhin, diesmal eine auffällige Veränderung bei den deutschen Unternehmern und Managern festzustellen. Früher war ihre Haltung gegenüber China oft unverschämt oder blasiert: "Wir sind die Besten, wir werden den Chinesen mal zeigen, wie's gemacht wird." Das ist heute anders. Der Grund dafür war nicht nur leicht zu erraten, er wurde auch von vielen Rednern offen angesprochen: auf der einen Seite die verheerende Wirtschaftslage in Deutschland und auf der anderen Chinas atemberaubende Fortschritte in Industrie, Technik und Ingenieurswesen. Einige sprachen es fast wörtlich aus: "Die Zeit ist gekommen, wo wir von den Chinesen lernen müssen."

Ein anschauliches Beispiel ist der Bau der 30 km langen Transrapid-Strecke in Shanghai in Rekordzeit. Einen Insiderbericht darüber gab Dr. Jürgen Feix von der Münchner Firma Cronauer Beratung Planung (CBP), die den Chinesen Technologie für den Bau des Fahrweges vermittelte. Dazu gehörte ein zehnwöchiger Intensivkurs für chinesische Ingenieure, die auf dieser Grundlage den Fahrweg nach ihren eigenen Vorgaben berechneten, entwarfen und bauten - und das 20-25% billiger, als es die Deutschen zunächst berechnet hatten. Für die Herstellung der Bauteile des Fahrwegs wurde in Shanghai eine neue Fabrik gebaut, laut Feix die "wohl modernste ihrer Art auf der Welt". Er lobte besonders den inzwischen legendären chinesischen Bauleiter "Commander Wu". Die chinesischen Ingenieure und Bauarbeiter beendeten den Bau nicht nur innerhalb von bloß zwei Jahren, sondern arbeiteten auch äußerst genau, präziser als die deutsche Teststrecke im Emsland.

Feix warnte die deutschen Unternehmen, es sei nicht leicht, in China dauerhaft einen "Fuß in die Tür" zu bekommen, denn die Chinesen lernten sehr schnell und könnten dann nach kurzer Zeit ohne ausländische Hilfe weiterarbeiten.

Deutschland in der Existenzkrise

Die Diskussion kam immer wieder vom Thema China auf die Lage in Deutschland zurück, das sich in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg befindet. Oft wurde auf den schlechten subjektiven Zustand, die Demoralisierung von Bevölkerung und Eliten hingewiesen. Dies fällt jemandem, der nicht oder kaum aus Deutschland herauskommt, meistens gar nicht auf - aber wer in einer der florierenden, wohlhabenden, zukunftsfrohen Metropolen Chinas gewesen ist und anschließend hierher zurückkehrt, kann die depressive Stimmung der Deutschen nur entsetzen. Da viele Konferenzteilnehmer diese Erfahrung gemacht hatten, sprach man auch viel darüber, wie Deutschland in diese traurige Lage geraten konnte.

Interessant war in dem Zusammenhang eine Tischrede des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chefs Edmund Stoiber. Er bezeichnete Chinas Entwicklung als einen Durchbruch jenseits aller Vorstellungskraft und stellte dem die deutsche Lage gegenüber. Er griff zwar die gängige Sparpolitik, die alles noch schlimmer macht, nicht an, betonte aber, Kostensenkung sei nicht alles. Stagnierten Forschung und Entwicklung, dann gerate die Gesellschaft in eine Abwärtsspirale. Stoiber verurteilte die geplanten Etatstreichungen bei der Max-Planck-Gesellschaft. Daß so viele begabte junge deutsche Wissenschaftler ins Ausland gingen, sei ein viel größeres Problem als die Zuwanderung von Ausländern nach Deutschland. Es werde viel zu wenig in Forschung und Entwicklung investiert.

Ein Punkt Stoibers - die Zukunftsaussichten für junge Menschen - spiegelte zweifellos den Einfluß der LaRouche-Jugendbewegung, die gerade sehr auffällig in die Landtagswahl in Bayern eingegriffen hatte. Die Elterngeneration der "68er" habe sich vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt abgewandt, um sich nur ein gutes Leben zu machen. Bis in die 60er Jahre habe man hierzulande neue Technologien ebenso begeistert aufgenommen wie derzeit in China. Hier aber sehe man heute technischen Fortschritt skeptisch, schon ein Wort wie "angereichertes Uran" löse Hysterie aus. Das sei die Hauptursache für den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands, die Massenarbeitslosigkeit und dafür, daß junge Menschen keinen produktiven Platz in der Gesellschaft mehr sicher haben, wie es in den 60er Jahren praktisch noch selbstverständlich war.

Dr. Jonathan Tennenbaum


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