Hintergrund Frieden durch Entwicklung

Der ehemalige Kabinettschef von Präsident Izetbegovic von Bosnien-Herzegowina und die Vorsitzende des Schiller-Instituts Helga Zepp-LaRouche veröffentlichten am 29. April 1999, während des Kosovokrieges, den folgenden Aufruf:

"Marshallplan" für Südosteuropa als Beginn des globalen Wiederaufbaus


Aufruf: Frieden durch Entwicklung für den Balkan
"Marshallplan" für Südosteuropa als Beginn des globalen Wiederaufbaus
Balkan: Was jetzt sofort geschehen muß
Die Finanzierung produktiver Investitionen
Was ist eigentlich ein "Marshallplan"?
Karten vom geplanten Wasserstraßennetz, Bahnnetz und Straßennetz auf dem Balkan


Frieden durch Entwicklung für den Balkan

Die gegenwärtige NATO-Politik auf dem Balkan krankt an einem offensichtlichen Irrtum, denn die bloße Behauptung, man handele aus moralischen Motiven, schließt noch lange nicht aus, daß dieses Handeln zu Ergebnissen führt, die in direktem Widerspruch zu dem angeblichen Motiv stehen.

Solche Überlegungen spielen bei der Frage eine Rolle, wann ein Krieg gerecht oder ungerecht ist. Kein Krieg ist moralisch zu rechtfertigen, ganz gleich, welche moralischen Gründe dafür angegeben werden, es sei denn, er bleibt als einzige und letzte Möglichkeit übrig, und die dabei angewandten Mittel sind geeignet, die Ursache zu beseitigen, weswegen der Krieg geführt wird.

Die gegenwärtige Lage auf dem Balkan unterstreicht die Weitsicht dieser Überlegungen, denn die NATO-Militäraktion ist bis jetzt nicht nur ohne Erfolg geblieben, sondern hat die globale Sicherheitslage verschlimmert und die Kosovo-Albaner in die Katastrophe getrieben.

Die Unterzeichner stellen folgendes fest:

  • Eine dauerhafte, gerechte Lösung der Krise ist nur möglich, wenn zwischen führenden NATO-Staaten und führenden Ländern wie Rußland und China ein strategischer Konsens erreicht wird.
  • Keine einzige regionale Krise kann abgetrennt von der globalen Finanzkrise und ihren Folgen betrachtet oder gelöst werden.
  • Nur ausgehend von dem Konzept realwirtschaftlicher Entwicklung ist eine Lösung für Kosovo, die Balkan-Region und Südosteuropa möglich.
  • Wir begrüßen und unterstützen die von Präsident Clinton vorgeschlagene Initiative für einen regionalen Entwicklungsplan.

Deshalb fordern wir:

1. Auf Grundlage des Plans von UN-Generalsekretär Kofi Annan muß dringend eine diplomatische Lösung für Kosovo gefunden werden, und zwar über den UN-Sicherheitsrat und mit voller Zustimmung Rußlands, Chinas, Indiens und anderer wichtiger Länder.

2. Ein "Marshallplan" für die Region sollte unter Verwendung der bereits vorhandenen Wiederaufbaupläne für Bosnien-Herzegowina und die ganze Gegend als integraler Bestandteil eines eurasischen Entwicklungsprogramms erarbeitet werden.

Hierzu gehören folgende exemplarische Projekte:

  • Voller Ausbau der Donau und ihrer Nebenflüsse als wichtigste Wasserstraße Europas;
  • Bau und Erweiterung der Strecke München-Wien-Budapest-Nis-Sofia-Plowdiw-Istanbul als südlicher Korridor der neuen Eurasischen Landbrücke;
  • Ausbau des Wasserstraßennetzes (durch Kanäle usw.) der Flüsse Drau und Save;
  • Verbindung der Donau mit Morava und Vardar und dadurch Schaffung schiffbarer Wasserstraßen durch Serbien, Makedonien und Griechenland zur Ägäis, die als Infrastruktur-Korridore zur industriellen Entwicklung dienen;
  • Entwicklung von vier regionalen Hauptkorridoren (Eisenbahnen, Straßen, Wasserwege):
  • Salzburg-Villach-Ljubljana-Zagreb-Belgrad-Nis-Skopje-Thessaloniki-Athen,
  • Linz-Graz-Maribor-Zagreb-Karlovac-Split-Ploce-Dubrovnik-Durres-Athen,
  • Budapest-Pecs-Osijek-Tuzla-Sarajevo-Mostar-Ploce,
  • Wien-Györ-Szombatheley-Nagykanizsa-Maribor-Ljubljana-Monfalcone-Mestre-Mailand;
  • Aufbau einer modernen Landwirtschaft in der ganzen Region als weitere Hauptpriorität.

3. Die Reform des Weltwährungs- und -finanzsystems muß durch die Schaffung einer neuen "Bretton-Woods"-Architektur (d.h. feste Wechselkurse, Schutz der nationalen Volkswirtschaften und souveräne Kreditschöpfung für wirtschaftliche Entwicklung) unverzüglich in Angriff genommen werden.

4. Die Praxis von IWF und Weltbank, souveränen Nationalstaaten Austeritätsmaßnahmen und unzumutbare finanzielle Bedingungen aufzuerlegen, muß sofort abgestellt werden.

5. Schuldenmoratorien für die Länder der Region, die durch Krieg und "Schocktherapie" ruiniert wurden.

6. Wiederaufbau mit Hilfe von Entwicklungsbanken nach dem Vorbild der Kreditanstalt für Wiederaufbau während der deutschen Nachkriegszeit.

7. Beteiligung an dem Projekt der Eurasischen Landbrücke als Pfeiler der Entwicklung Eurasiens in Zusammenarbeit mit allen interessierten Ländern.

8. Einbeziehung aller Staaten des Balkans und Südosteuropas in das Landbrücken-Projekt.

 

Erstunterzeichner:

Faris Nanic, Generalsekretär der SDA (Partei der Demokratischen Aktion) Kroatiens, 1996 Kabinettschef Präsident Izetbegovics von Bosnien-Herzegowina.

Helga Zepp-LaRouche, Vorsitzende des Internationalen Schiller-Instituts.

 


"Marshallplan" für Südosteuropa als Beginn des globalen Wiederaufbaus

21. Mai 1999 -- Die Vorsitzende des Schiller-Institutes, Helga Zepp-LaRouche, hat die Grundrisse eines Wiederaufbauprogramms für die vom Krieg zerstörten Regionen Jugoslawiens und seiner Nachbarländer vorgelegt. Nur auf dieser Grundlage ist eine Friedenslösung auf dem Balkan möglich. Springender Punkt dabei ist: Ein solches Programm funktioniert nur, wenn gleichzeitig die Weltfinanzkrise vernünftig gelöst wird. Dann aber kann es zum Modell für einen Wiederaufbau der weltweiten Realwirtschaft werden.

 Zehn Wochen pausenloser Bombardierung haben Jugoslawien in eine industrielle Wüste verwandelt. Unzählige Fabriken, Straßen und Brücken sind zerstört. Der Lebensstandard der Bevölkerung ist auf das Niveau der Jahrhundertwende zurückgefallen. Der vollständige Zusammenbruch des Donauverkehrs zwischen Ungarn und Bulgarien/Rumänien zieht die ganze Region in Mitleidenschaft. Noch dramatischer ist die Situation von rund einer Million Kosovo-Flüchtlingen in Albanien und Mazedonien. Die provisorischen Lager sind untauglich für den Winter. Auch aufgrund der katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse in den beiden Ländern muß den Kosovaren die Rückkehr noch vor dem Wintereinbruch ermöglicht werden. Der erste Schnee fällt spätestens im Oktober. Andererseits sind viele Wohnungen im Kosovo zerstört und müssen erst einmal in einer Art "Crash-Programm" hergerichtet werden. Der Wettlauf mit der Zeit hat begonnen. Jetzt müssen die NATO-Staaten unter Beweis stellen, wieviel ihnen das Schicksal der Flüchtlinge tatsächlich wert ist.

 Die von verschiedener Seite unterbreiteten Vorschläge für einen "Balkan-Marshallplan" mit einem Volumen von 30, 60 oder 80 Mrd. Dollar sind zwar löblich, gehen aber in einem entscheidenden Punkt in die Irre. Sie beruhen allesamt auf der Illusion, es gehe hier um die Überwindung einer lokalen, allenfalls regionalen Notlage, während der Rest der Welt wirtschaftliche Stabilität genieße und die Stürme auf den internationalen Finanzmärkten unter Kontrolle seien. Angesichts des fortschreitenden Zusammenbruchsprozesses des Weltfinanzsystems und der dadurch in den letzten zwei Jahren ausgelösten Verheerungen ganzer Volkswirtschaften in Asien, Lateinamerika und Osteuropa ist eine solche Annahme gefährlicher Unsinn.

Schon in allernächster Zeit muß mit dem Ausbruch weiterer Katastrophen auf den Finanzmärkten gerechnet werden, weil eine wachsende Zahl von Gefahrenherden -- von der spekulativen Blase an der Wall Street über die faulen Schulden in Japan bis zu den 150 Billionen Dollar Finanzwetten der international tätigen Großbanken und Spekulationsfonds -- außer Kontrolle zu geraten droht, während die Zentralbanken und übrigen finanziellen Krisenmanager ihr Pulver weitgehend verschossen haben. US-Finanzminister Robert Rubin hat das sinkende Schiff bereits verlassen.

Gleichzeitig richten spekulative Finanzströme und die Dogmen von Liberalisierung und Deregulierung einen immer größeren Schaden in den Realwirtschaften an. In Indonesien, der Bevölkerung nach das viertgrößte Land der Welt, wurden im Gefolge der Währungsangriffe 30 Jahre Aufbauarbeit in einem Streich zunichte gemacht. In Rußland wurde im Rahmen der vom IWF verordneten Schocktherapie die Investitionstätigkeit in Infrastruktur und Industrie beinahe auf Null zurückgeschraubt. Die mangels inländischem Verbrauch freigesetzten Kapazitäten für exportierfähige Güter -- Energierohstoffe, Stahl und Aluminium -- wurden dann, dank beständiger Währungsabwertungen und Reallohnkürzungen, zu Spottpreisen auf den Weltmarkt geworfen. So kollabierte der Pro-Kopf-Verbrauch an Stahl in der GUS zwischen 1991 und 1997 von 347 kg auf nur noch 103 kg, während Rußland vorübergehend zum größten Stahlexporteur der Welt aufstieg. Kaum ein Dollar dieser Exporterlöse wurde in die russische Wirtschaft reinvestiert. Umgekehrt bedrohen die Billigexporte die Arbeitsplätze der Stahlproduzenten in Europa und den USA.

In Deutschland haben die nicht bekämpfte Massenarbeitslosigkeit und die nicht erfolgte Reindustrialisierung der neuen Bundesländer längst eine fiskalische Zeitbombe geschaffen: Die jährlichen Kosten der Arbeitslosigkeit belaufen sich auf rund 170 Mrd. DM, die weit ins nächste Jahrhundert hinein erforderlichen Transferzahlungen an Ostdeutschland auf mehr als 100 Mrd. DM pro Jahr. Zusätzlich müssen von den Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden jedes Jahr schon mehr als 130 Mrd. DM für Schuldendienste abgezweigt werden. Und dank globalisierter Unternehmensstrukturen zahlen einige deutsche Großunternehmen hierzulande überhaupt keine Steuern mehr. Eine Folge dieser Schieflage ist die seit 1992 zu beobachtende Schrumpfung der öffentlichen Infrastrukturausgaben, was recht bald auf die Produktivität der deutschen Wirtschaft durchschlagen wird.

Überall das gleiche Bild. Unerläßlich ist daher ein großer Wurf: eine radikale Reform des maroden, ohnehin nicht überlebensfähigen, Weltfinanzsystems durch eine Abschreibung spekulativer Finanztitel und die Rückkehr zu einem System fester Wechselkurse; sodann die Schaffung neuer nationaler Kreditmechanismen, mit denen riesige Investitionen in Infrastruktur, Industrieanlagen und Technologieprojekte zum Wiederaufbau der Weltwirtschaft angeschoben werden können. Unter solchen Rahmenbedingungen bedeutet der "Marshallplan" für den Balkan und Südosteuropa, jedenfalls vom Standpunkt der physischen Ökonomie, keinen "Kostenfaktor", sondern im Gegenteil einen wichtigen Bestandteil einer in höchstem Maße gewinnbringenden Unternehmung.

 


Balkan: Was jetzt sofort geschehen muß

 Unverzüglich müssen größte Anstrengungen für die Bewohnbarmachung des Kosovo in Angriff genommen werden. In der Kürze der verbliebenen Zeit bis zum Einzug des Winters kann dies ohne Verlust an Qualität nur gelingen, wenn für die verschiedenen anstehenden Aufgaben jeweils die besten weltweit verfügbaren Technologien und die damit vertrauten Bauunternehmen, Ingenieure und militärischen Spezialisten mobilisiert werden. In allen Teilen Jugoslawiens müssen Infrastruktur und Industrieanlagen neugebaut werden. Die vordringlichsten Problemstellungen sind ziemlich offensichtlich:

  • Die Schiffbarmachung der Donau: Ohne diese wirtschaftliche Lebensader, die seit der Fertigstellung des Rhein-Main-Donau-Kanals die Nordsee mit dem Schwarzen Meer verbindet, ist die rasche Rekonstruktion illusorisch. Österreichische, ungarische und griechische Unternehmen stehen Gewehr bei Fuß, um die Reste der zerstörten Brücken in Novi Sad, Bogojevo, Smederevo und anderswo in Serbien zu bergen, die die Durchfahrt durch die Donau blockieren. Nach Angaben deutscher Schiffahrtexperten könnten die Aufräumarbeiten drei bis vier Monate dauern. Durch die gleichzeitige Arbeit an den verschiedenen Donauabschnitten muß die Räumung der Fahrrinne in kürzerer Frist geschehen.
  • Die übrige Verkehrsinfrastruktur an Straßen, Eisenbahnen und nicht zuletzt Brücken über die Donau ist ebenso vordringlich zu behandeln.
  • Wohnungsbau mit Schwerpunkt Kosovo: Mit Kleinkrediten an die zurückkehrende Bevölkerung muß der rasche Wiederaufbau der Wohnungen angekurbelt werden. Damit wird zugleich die Grundlage für die Schaffung kleiner und mittelständischer Betriebe gelegt, insbesondere in der Bau- und Baustoffindustrie sowie im Handwerk. Im September muß das Gros der neuen und wiederaufgebauten Häuser stehen.
  • Landminen im Kosovo: Ohne die Beseitigung der unzähligen Minen im Kriegsgebiet ist die Wiederaufnahme der Landwirtschaft undenkbar. Nur durch den sofortigen und massiven Einsatz modernster technischer Ausrüstungen kann dieses Ziel rechtzeitig bewältigt werden.
  • Wiederaufbau der Industrieanlagen: Die deutsche Großanlagenbauer sind auf den Bau schlüsselfertiger Stahlwerke, Chemieanlagen, Düngemittelfabriken, Zementfabriken und Kraftwerke spezialisiert und leiden gegenwärtig unter einem dramatischen Auftragsschwund infolge der Asienkrise. Wenn nicht schnell neue Fabriken und damit Arbeitsplätze in Jugoslawien entstehen, droht bald die nächste Flüchtlingswelle: Hunderttausende von Serben, die in Jugoslawien keinen Lebensunterhalt verdienen können.

 

Südosteuropa: Brücke zwischen Europa und Asien

Mit dem Wegfall des "Eisernen Vorhangs" im Jahre 1989 bot sich die große Chance für ein eurasisches "Wirtschaftswunder", anknüpfend an die wirtschaftliche Zusammenarbeit Frankreichs, Deutschlands und Rußlands gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Kurz nach dem Fall der Berliner Mauer veröffentlichte Lyndon LaRouche in einem Memorandum an die europäischen Regierungen einen Vorschlag "für den Ausbau und die Modernisierung der Infrastruktur in Europa -- der Energieversorgung, der Transportwege, der Kommunikation, der Wasserwirtschaft", genannt das "Produktive Dreieck Paris-Berlin-Wien". Dabei umschreibt das geographische Dreieck Paris-Berlin-Wien eine Wirtschaftsregion, die weltweit eine einzigartige Dichte an ausgebildeter Arbeitskraft, Infrastruktur und technologischen Fähigkeiten aufweist und sich als Motor eines Wirtschaftsaufbaus entlang von "Entwicklungskorridoren" auf dem ganzen eurasischen Kontinent einsetzen ließe.

Das Rückgrat der Korridore bildet ein integriertes System von Hochgeschwindigkeitszügen und Magnetbahnen für Personen- wie Gütertransport, ergänzt um ein erweitertes Netz von Straßen- und Wasserwegen. Für die industrielle Belebung in der von den Korridoren erfaßten Region sind ausreichende Mengen an preiswerter Energie, insbesondere Elektrizität, erforderlich, was den verstärkten Einsatz der Kernenergie notwendig macht. Der in Jülich entwickelte "inhärent sichere" Hochtemperaturreaktor (HTR) kann dabei eine entscheidende Rolle spielen. Weitere Bestandteile des "Produktiven Dreiecks" sind der Einsatz europäischer Häfen und Werften für eine Fließbandproduktion "schwimmender Fabriken", d.h. eine Massenproduktion von HTR-Modulen, Entsalzungsanlagen, Düngemittelfabriken usw., die auf schwimmenden Plattformen zum Empfängerland transportiert und dort vor der Küste in Betrieb genommen werden könnten. Insgesamt würden die Investitionen in die Infrastruktur infolge der Produktivitätssteigerungen einen volkswirtschaftlichen Gewinn erzeugen, der die anfänglichen Investitionen bei Weitem in den Schatten stellt.

Bislang wurde die Möglichkeit einer solchen kontinentweiten Zusammenarbeit, die einen beispiellosen Wirtschaftsboom erzeugen würde, aus geopolitischen Gründen durchkreuzt. Man sabotierte diese vernünftige Wirtschaftspolitik ganz bewußt durch die Kriege auf dem Balkan, die Strangulierung der westeuropäischen Volkswirtschaften durch den Maastrichter Vertrag und die Durchsetzung der brutalen Schocktherapie in Rußland. Die Offenlegung dieser Bestrebungen bietet jetzt eine neue Chance, den LaRouche-Plan von 1989 zu realisieren.

Zugleich bekundet eine Reihe asiatischer Staaten, allen voran die chinesische Regierung, seit einigen Jahren die Entschlossenheit, ein vergleichbar ambitioniertes Infrastruktur- und Industrialisierungsprogramms umzusetzen: den Bau der "Neuen Eurasischen Landbrücke", die entlang der beiden Hauptrouten der alten Seidenstraße über 11 000 km hinweg die Ostküste Chinas mit der Nordseeküste Westeuropas verbinden soll.

Aus offensichtlichen geographischen Gründen nimmt die wirtschaftliche Entwicklung Südosteuropas, aber auch Osteuropas insgesamt, eine Schlüsselstellung bei jedweder eurasischer Wirtschaftszusammenarbeit ein. Man betrachte hierzu die sog. "Prioritäts-Korridore", die im März 1994 bei der Zweiten Paneuropäischen Verkehrskonferenz auf der Insel Kreta von den Verkehrsministern festgelegt wurden -- die in großen Zügen mit den "Spiralarmen" des "Produktiven Dreiecks" übereinstimmen (Karte 1). Die Hauptverbindungspunkte dieser zehn paneuropäischen Korridore sind:

    Korridor 1: Helsinki, Reval, Riga, Kaunas, Warschau; mit der Abzweigung Riga, Königsberg, Danzig.

    Korridor 2: Berlin, Warschau, Minsk, Moskau, Nischni Nowgorod.

    Korridor 3: Berlin/Dresden, Breslau, Lemberg, Kiew.

    Korridor 4: Berlin/Nürnberg, Prag, Bratislava, Gyor, Budapest, Arad, Craiova, Sofia, Istanbul; mit den Abzweigungen Arad, Konstanza und Sofia, Saloniki.

    Korridor 5: Venedig, Triest/Koper, Ljubljana, Budapest, Uschgorod, Lemberg; ergänzt durch Bratislava, Zilina, Kosice, Uschgorod; Rijeka, Zagreb, Budapest und Ploce, Sarajevo, Osijek, Budapest.

    Korridor 6: Danzig, Warschau, Kattowitz, Zilina.

    Korridor 7: Donau, einschließlich aller Häfen in Osteuropa.

    Korridor 8: Durres, Tirana, Skopje, Sofia, Plovdiv, Burgas, Warna.

    Korridor 9: Alexandrupolis, Dimitrovgrad, Bukarest, Chisinau, Ljubasevka, Kiew, Moskau/Pskow, St. Petersburg, Helsinki; sowie Odessa, Ljubasevka; und Kiew, Minsk, Vilnius, Kaunas, Klaipeda/Königsberg.

    Korridor 10: Salzburg, Ljubljana, Zagreb, Belgrad, Nis, Skopje, Veles, Saloniki; ergänzt durch Graz, Maribor, Zagreb; Sopron, Budapest, Novi Sad, Belgrad, Nis, Sofia; und Veles, Bitola, Florina, Via Egnatia (Karte 2).

Die Korridore 5, 7 und 10 haben offenbar herausragende Bedeutung für den Wiederaufbau der kriegszerstörten und -betroffenen Region. Bei dem bislang von den beteiligten Verkehrsministern vorgenommenen Tempo wäre hier allerdings, mangels finanzieller Ressourcen, auch in zehn Jahren noch nicht viel geschehen. Studien zu diesen Korridoren gibt es inzwischen genug. Jetzt muß der Startschuß für ihre Realisierung fallen.

Für den Balkan sind darüber hinaus weitere Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur dringend erforderlich, wie sie im Aufruf "Für Frieden und Entwicklung auf dem Balkan" von Faris Nanic und Helga Zepp-LaRouche beschrieben wurden. Dazu gehören:

  • Die durch Österreich, Slowenien, Kroatien und Jugoslawien fließende und dann in die Donau mündende Drau und
  • die von Slowenien über Zagreb nach Belgrad führende Save müssen dem europäischen Standard entsprechend schiffbar gemacht werden.
  • Eine durchgehende Schiffahrtsverbindung von der Donau über die Morava in Jugoslawien und die Vardar in Mazedonien bis zum Žgäischen Meer bei Saloniki kann durch Kanalsysteme erzielt werden.

Zusätzliche Eisenbahn- und Autobahnverbindungen müssen von Zagreb quer durch Kroatien bis nach Split und dann entlang der Adriaküste über Bosnien, die jugoslawische Teilrepublik Montenegro, Albanien und Griechenland und schließlich bis Athen geführt werden.

 


Die Finanzierung produktiver Investitionen

 Die Frage, wie eine mit einem Minimum an ausgebildeter Arbeitskraft versehene Volkswirtschaft aus eigener Kraft einen Wiederaufbau von Infrastruktur und Produktion erreichen kann, ohne sich auf den internationalen Kapitalmärkten zu verschulden oder die Restbestände von Produktionseinrichtungen und Rohstoffen an ausländische Investoren zu verscherbeln, ist in der Wirtschaftsgeschichte längst beantwortet. Erfolgreiche Beispiele bieten die amerikanische, japanische, französische und deutsche Geschichte zur Genüge.

Im September 1931 faßte der Mitarbeiter des Reichswirtschaftsministeriums Wilhelm Lautenbach in einem dramatischen Appell die Grundzüge einer derartigen Kreditpolitik zusammen, die damals einen Ausweg aus der Depression gewiesen hätte. Lautenbach wies auf einen "natürlichen Weg zur Überwindung eines wirtschaftlichen und finanziellen Notstandes" hin, wie er etwa nach einem Krieg, großen Naturkatastrophen oder durch Depression und Finanzzusammenbruch auftritt. In derartigen Situationen könne man sich nicht auf Marktkräfte verlassen. Die unverzügliche Mobilisierung der brachliegenden Arbeitskräfte und Produktionsanlagen sei "die eigentliche und dringendste Aufgabe der Wirtschaftspolitik, und sie ist im Prinzip verhältnismäßig einfach zu lösen": Der Staat müsse einen "neuen volkswirtschaftlichen Bedarf" erzeugen, und zwar unter der Bedingung, daß dieser "volkswirtschaftlich eine Kapitalanlage darstellt. Hierbei ist an solche Aufgaben zu denken wie ... öffentliche oder mit öffentlicher Unterstützung durchgeführte Arbeiten, die für die Volkswirtschaft einen Wertzuwachs im Vermögen bedeuten und bei Wiederkehr normaler Verhältnisse ohnehin ausgeführt werden müssen", also insbesondere Investitionen in die Erneuerung der Verkehrsinfrastruktur.

Die Frage lautet natürlich: "Wie können, da uns langfristiges Kapital weder auf dem ausländischen noch auf dem inländischen Kapitalmarkt zur Verfügung steht, solche Projekte finanziert werden?" Lautenbach betonte, daß die Verfügbarmachung der für die Anschubfinanzierung erforderlichen Liquidität lediglich ein "technisch-organisatorisches" Problem darstellt. Es ist lösbar, beispielsweise indem die Nationalbank den Banken eine Rediskontgarantie für Wechsel einräumt, die mit "volkswirtschaftlich vernünftigen und notwendigen Aufgaben" verknüpft sind. Auf diesem Wege beläuft sich die Inanspruchnahme der Nationalbank nur auf einen Bruchteil der insgesamt für die Infrastrukturinvestitionen nötigen Kreditausweitung. Die "Reizwirkung der primären Kreditexpansion" bewirkt sodann eine "die Gesamtproduktion belebende Bewegung": brachliegende Kapazitäten werden genutzt, die Produktion steigt an, das Steueraufkommen des Staates wächst. Weil "Ausmaß und Tempo der Produktionsausweitung" sehr viel schneller ansteigen als das "Ausmaß und Tempo der Kreditausweitung" hat die Anschubfinanzierung durch die Nationalbank keine inflationären Auswirkungen.

Der Lautenbach-Plan war im September 1931 auf einer Geheimkonferenz der Friedrich-List-Gesellschaft im Beisein des Reichsbankpräsidenten Luther und 30 führender Ökonomen, Politiker und Wirtschaftsvertreter vorgestellt worden. Seine Durchsetzung und die dann folgende Überwindung der Depression hätte den Nationalsozialisten alle Chancen zum Aufstieg genommen.


 


Was ist eigentlich ein "Marshallplan"?

 Vielleicht das bekannteste Beispiel eines "Wirtschaftswunders" in der jüngeren Geschichte ist der Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Der positive Klang des Begriffes "Marshallplan" in der Weltöffentlichkeit rührt von der Verbindung mit diesem "Wunder" her. Die Schlußfolgerung liegt nahe, man könne heute die vom Krieg geschundene Region aufbauen, indem man, wie damals in Westeuropa, erneut ein paar Milliarden Dollar im Rahmen eines neuen Marshallplans locker macht. Ein genauerer Blick auf die Wirkungsweise des alten Marshallplans ist daher angebracht.

Er hatte zunächst einmal drei positive Wirkungen:

  • Die durch Marshallplan-Kredite ermöglichten Importe von strategisch wichtigen Rohstoffen aus den USA waren in den unmittelbaren Nachkriegsjahren eine bedeutende Überlebenshilfe für die deutsche Wirtschaft.
  • Die Zusammenfassung von Gewinnern und Verlierern des Krieges unter das gleiche Hilfsprogramm hatte eine nicht zu unterschätzende psychologische Wirkung auf die Leistungsbereitschaft der deutschen Bevölkerung.
  • Schließlich waren die Dollar-Kredite in den Aufbau einer westeuropäischen Wirtschaftsordnung eingebunden, die unter anderem feste Wechselkurse und bis 1958 einen monetären Schutzwall durch Kapitalverkehrskontrollen und begrenzte Konvertibilität der Währungen umfaßte.

Für die Herbeiführung des "Wirtschaftswunders" fehlt hier aber immer noch die entscheidende Zutat. Schließlich betrug der Gesamtumfang der Dollarkredite im Falle Deutschlands nur einen Bruchteil des Schadens, den die Alliierten, insbesondere die Briten, gleichzeitig mit der Industriedemontage anrichteten. Deutschland war auch keineswegs der Hauptempfänger von Marshallplan-Geldern, sondern Großbritannien (3,2 Mrd. Dollar), gefolgt von Frankreich (2,8 Mrd. Dollar), den Benelux-Ländern (1,5 Mrd. Dollar) und Italien (1,5 Mrd. Dollar). Erst dann kam Westdeutschland mit insgesamt 1,4 Mrd. Dollar, die in den Jahren 1948-52 gewährt wurden. Haben Sie je etwas von einem "Wirtschaftswunder" in Großbritannien nach dem Krieg gehört?

Viel wichtiger als die unmittelbaren Marshallplan-Gelder war das besondere in Deutschland gewählte Instrumentarium, um die Rückzahlungen auf die gewährten Warenkredite in neue Investitionen zu verwandeln. Zu diesem Zweck war im November 1948 die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gegründet worden. Die deutschen Unternehmen, die von der amerikanischen Regierung Dollarkredite erhalten hatten, um damit US-Waren einzukaufen, durften diese in Landeswährung an die KfW in Frankfurt zurückzahlen. Auf Basis dieser Einnahmen gewährte die KfW sodann neue Kredite oder Investitionsbeihilfen an ausgewählte Sektoren der deutschen Wirtschaft.

Im Verlaufe der vergangenen Jahre ist das jährlich von der KfW zusätzlich bereitgestellte Kreditvolumen beständig angestiegen und liegt heute bei rund 40 Mrd. DM. Im Mittelpunkt standen und stehen dabei genau die Bereiche, auf die es auch heute auf dem Balkan ankommt: kommunale Infrastruktur, Unterstützung kleiner und mittelständischer Unternehmen, Förderung des Wohnungsbaus. Damals gelang es, im Rekordtempo Millionen neuer Wohnungen aus dem Boden zu stampfen. Und zwar in einer Situation, in der acht Millionen Vertriebene, 1,5 Millionen Flüchtlinge aus der Ostzone und bis 1955 noch 1,6 Millionen Spätheimkehrer aus Kriegsgefangenschaft in den weitgehend zerstörten Westteil Deutschlands drängten.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Zwar ist die KfW ein Kind des Marshallplans. Aber für ihre Kreditgewährung war im Grunde kein einziger US-Dollar erforderlich. Eine einmalige Zuwendung von Eigenkapital seitens der Regierung hätte zum gleichen Ergebnis geführt. Jedem souveränen Land steht es frei, eine staatliche Entwicklungsbank nach dem KfW-Modell ins Leben zu rufen, auch ohne vorherige Gewährung ausländischer Kredite im Rahmen eines "Marshallplans".