Januar 2006 Wirtschaft

"Das reicht so nicht, Frau Bundeskanzlerin!"

Der Ausgang der Auseinandersetzung in den USA entscheidet auch über das Schicksal Deutschlands, ist Helga Zepp-LaRouche überzeugt. Im folgenden Flugblatt fordert sie daher von der neuen Bundeskanzlerin eine grundlegende Kurskorrektur ihrer Politik.

In einer bundesweit geschalteten Anzeige hat Bundeskanzlerin Merkel ein Investitionsprogramm der Großen Koalition von 25 Milliarden Euro über vier Jahre angekündigt. Das sind gerade einmal 6,25 Milliarden pro Jahr. In ihrer Neujahrsansprache kündigte sie an, man müsse "viele kleine Schritte gehen". Und so ist das Sofortprogramm denn auch ein Flickenteppich, der aus einer Vielzahl von kleinen Maßnahmen zusammengesetzt ist. Als Decke für die vielen wirtschaftlichen Probleme in Deutschland ist er natürlich viel zu kurz.

Wir leben in einer hochdramatischen Übergangsperiode, in der ohnehin die strategischen Parameter für die unhaltbare Situation des globalen Finanzsystems - und damit auch für die Lage in Deutschland - neu bestimmt werden. Die entscheidende Schlacht findet derzeit in den USA statt, wo die Bush-Cheney-Administration versucht, ihre diktatorische Macht in der Tradition Carl Schmitts und des Führerprinzips unter einem Ausnahmezustand zu behaupten, und andererseits eine machtvolle überparteiliche Koalition alles in Gang setzt, Bush, Cheney und die Neocons durch Amtsenthebungsverfahren aus dem Amt zu entfernen, ehe es zu spät ist und es zu faschistischen Lösungen in einem globalen Finanzkrach und zu neuen Kriegen, z.B. gegen den Iran, kommt.

Die illegalen Lauschangriffe auf amerikanische Bürger in der NSA-Affäre, die Lügen, die bewußt fabriziert wurden, um den Irakkrieg zu rechtfertigen, das strategische Desaster des Irakkriegs selbst und viele weitere Skandale, all das hat einen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung erzeugt: Nach einer NBC-Umfrage wollen 86% der Amerikaner Bush und Cheney nicht mehr im Amt sehen und laut einer Zogby-Umfrage sind 53% für ein Impeachmentverfahren. Nicht nur Demokraten, auch Republikaner machen deutlich, worin sie die Gefahr sehen.

So schrieb der ehemalige Staatssekretär im Finanzministerium der Regierung Reagan, Paul Craig Roberts, auf der Internetseite antiwar.com: "Verglichen mit Spygate war Watergate ein Kindergarten-Picknick. Mit den Lügen, schweren Verbrechen und Illegalitäten hat sich die Regierung als kriminell und mit einer Polizeistaatsmentalität und Polizeistaatsmethoden ausgestattet entpuppt. Bush imitiert auf aggressive Weise Hitlers Anspruch, die Verteidigung des Reiches berechtige ihn, die Herrschaft des Gesetzes zu ignorieren ... Wird ein weiterer Terroranschlag der Regierung Bush erlauben, ihren Coup zu vollenden?"

Aber noch mehr politische Erdbeben erschüttern die Republikanische Partei: Nachdem der wegen mehrerer schwerer Verbrechen angeklagte Cheflobbyist Jack Abramoff jetzt mit der Staatsanwaltschaft kooperiert, drohen nicht nur dem ehemaligen republikanischen Mehrheitsführer Tom DeLay Anklagen. Bis zu 60 Kongreßabgeordnete sowie Kreise um Gouverneur Jeb Bush und Vizepräsident Cheney sind verwickelt. Die Republikanische Partei erlebt die schwerste Krise ihrer Geschichte.

New Deal 2006

Wenn die USA sich von den Bush-Cheney-Neocons befreien und zu ihrer Tradition der Amerikanischen Revolution, Lincolns, Franklin D. Roosevelts und John F. Kennedys zurückkehren - und genau das hat der Einfluß von Lyndon LaRouche und der LaRouche- Jugendbewegung katalysiert - , dann gibt es auch für Deutschland Hoffnung. Wenn die USA zu der Wirtschaftspolitik des Amerikanischen Systems zurückkehren, dann hat auch Deutschland mehr Handlungsspielraum. Denn nur wenn Deutschland sich aus der von Mitterrand und Thatcher aufgezwungenen europäischen Währungsunion befreit und die Souveränität über seine eigene Währungs- und Wirtschaftspolitik erringt, können wir die Wirtschaftskrise bei uns überwinden.

Wir brauchen nicht 6,25 Milliarden Euro Investitionen pro Jahr, sondern 400 Milliarden D-Mark jährlich. Und dies ist nur durch staatliche Kreditschöpfung in der Tradition der Nationalbankpolitik Alexander Hamiltons und Franklin D. Roosevelts New Deal möglich.

Die Tragödie von Bad Reichenhall ist ein Paukenschlag, der uns aufwecken muß, daß es so nicht mehr weiter geht. Wenn derartige Unglücke in China, Rußland oder armen Entwicklungsländern passieren, dann sind viele schnell dabei zu sagen: "Naja, da gilt ein Menschenleben eben nicht so viel wie bei uns!" Aber seitdem bei uns Geiz geil, Geld sparen modern und Billigproduktion in Mode sind, haben sich die Prioritäten verändert. Irgendjemand hat halt beschlossen, daß die in Bad Reichenhall benutzte Dachkonstruktion - und davon gibt es Tausende - billiger war.

Ähnliche Gründe waren es auch, warum über 250 Sicherheitsverstöße im Jahr 2005 dem Grubenunglück von West Virginia vorausgingen, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen. Deregulierung, Privatisierung, "Verschlankung" des Staates, sträfliche Unterlassung von Investitionen in eine veraltende Infrastruktur, Abschaffung des Gemeinwohls zugunsten der Maximierung des Profits - hier sind die Gründe für das Unglück zu suchen.

Noch in diesem Monat wird es höchstwahrscheinlich deutlich werden, daß die Demokratische Partei in den USA das Amerikanische System der Wirtschaftspolitik neu beleben und zu Franklin D. Roosevelt, zu John F. Kennedy und einer von wissenschaftlichem Fortschritt angetriebenem Politik wie dem Apollo-Programm zurückkehren wird. Aber auch die traditionellen Republikaner müssen gerade angesichts der Megaskandale an die Wahlen im November 2006 denken und eine Politik zur Rettung der Wirtschaft unterstützen. Wenn die Weichen in der Wirtschaftspolitik in den USA anders gestellt werden, für staatliche Kreditschöpfung, für Kernenergie - dieses Jahr wird in den USA der Bau des ersten Kernkraftwerks seit langem begonnen - und generell für eine an wissenschaftlichem und technologischen Fortschritt orientierte Wachstumspolitik, dann erhält Deutschland mehr Handlungsfreiheit.

In Deutschland selbst gibt es einen Rückstau von 1 Billion Euro an nicht getätigten Investitionen in die Infrastruktur, davon 650 Milliarden im kommunalen Bereich. 20 000 Straßenbrücken sind nicht mehr sicher. Das Beispiel von Bad Reichenhall zeigt, daß die Dunkelziffer erforderlicher Erneuerungen wahrscheinlich noch viel größer ist. Diese Infrastrukturinvestitionen sind essentiell, wenn Deutschland eine Industrienation bleiben soll.

Aber wir brauchen auch eine auf 50 Jahre angelegte Perspektive für die Schlüsselrolle Deutschlands bei der Entwicklung Eurasiens, der arbeitsteiligen Zusammenarbeit mit Rußland, China und Indien. Nur wenn Deutschland als souveräne Nation in einer Allianz mit den anderen souveränen Nationen Eurasiens diese Rolle spielen kann, hat Europa eine Chance.

Wasserstoffauto und sichere Kernkraft!

Wir stehen am Rande neuer industrieller Entwicklungen. Kurz oder mittelfristig müssen wir Alternativen zu Öl und Gas finden. Die Entwicklung des Wasserstoffautos ist dabei ebenso aktuell wie die weltweite Renaissance der inhärent sicheren Kernenergie. Dabei darf Deutschland nicht den Anschluß verpassen. Immerhin hat Deutschland mit dem Hochtemperaturreaktor in Jülich eine inhärent sichere Kernkraftwerkstechnik selbst entwickelt.

Genau wie die USA die Konsequenz aus der Tatsache ziehen werden, daß das Modell der Globalisierung und des Outsourcing in Billigproduktionsländer gescheitert ist, müssen wir auch in Deutschland wieder auf wissenschaftliche und technologische Exzellenz setzen. Das bedeutet, daß Deutschland wieder ein Hochlohnland wird. Wir brauchen teure Arbeitsplätze in Deutschland und einen starken Sozialstaat, der das Gemeinwohl verteidigt. Adenauer und Erhard hatten recht, die Neoliberalen und Neokonservativen sind gescheitert.

Billigproduktion in der sogenannten Dritten Welt hat auch bedeutet, daß wir die Armut dieser Länder ausgenutzt und festgeschrieben haben. Stattdessen müssen wir es als unsere Mission ansehen, den Lebensstandard in Asien, Afrika und Lateinamerika auf ein europäisches Niveau anzuheben, denn die Menschen, die dort leben, haben den gleichen Anspruch auf Menschenwürde und Entfaltung ihres kreativen Potentials wie wir.

Also: Wir brauchen nicht "viele kleine Schritte", sondern den großen Wurf, die mutige Vision für das 21. Jahrhundert. Die Entwicklungen in den USA in den nächsten Wochen werden verdeutlichen, daß wir uns in einer wirklich revolutionären Entwicklung befinden. Wenn sich die USA von dem Problem der Neokonservativen befreien und die Führung bei der Lösung der globalen Finanzkrise übernehmen, dann kann Deutschland seine Souveränität erlangen und das amerikanische Wirtschaftssystem, also die Politik der Nationalbank Alexander Hamiltons übernehmen.

Und Frau Merkel ist doch proamerikanisch, nicht wahr?