Juli 2005 Neues Bretton Woods

Neue Finanzarchitektur muß Spekulation eindämmen

Senator Oskar Peterlini aus Bozen/Südtirol ist führender Vertreter der Südtiroler Volkspartei, auf deren Liste er in den italienischen Senat gewählt wurde. Er ist Mitglied des Ausschusses für Arbeiternehmerfragen und arbeitete viele Jahre lang als Vorstand eines regionalen Rentenfonds. Peterlini brachte im Senat mehrere Anträge ein, in denen ein Neues Bretton Woods-System gefordert wird, und er nutzte Material aus EIR, um weitere Initiativen und parlamentarische Anfragen über verschiedene strategische und wirtschaftliche Fragen zu begründen. Das folgende Gespräch mit Paoli Raimondi fand in der zweiten Maihälfte in Rom statt.

    Die Deputiertenkammer hat über einen Antrag für ein Neues Bretton Woods abgestimmt und ihn angenommen. In den letzten Monaten haben Sie selbst einen ähnlichen Antrag im Senat eingebracht. Was können wir tun, um eine ähnliche Debatte im Senat auszulösen, um die Diskussion voranzutreiben und die Regierung dazu zu bekommen, daß sie handelt?

Peterlini: Ich glaube, das Hauptziel beider Kammern des Parlaments ist bereits erreicht, nämlich, die gesamte politische Welt auf die Notwendigkeit einer neuen Finanzarchitektur auf globaler Ebene aufmerksam zu machen. Ob dann tatsächlich über den Antrag abgestimmt wird oder nicht, hängt sehr stark von den inneren Regeln des Parlaments ab. In der Deputiertenkammer ist es leichter, während es im Senat schwieriger ist. Wir haben in der Kammer wie im Senat Unterstützungsunterschriften von Personen aus den Parteien des gesamten politischen Spektrums gesammelt. Wir müssen noch entscheiden, wie wir weiter vorgehen, insbesondere um die öffentliche Meinung und die Gesellschaft in die Diskussion einzubeziehen.

Ich möchte hier einen Satz zitieren, den Silvio Berlusconi kürzlich im Senat gesagt hat, der mich wirklich überrascht hat. Als er die Vertrauensfrage im Zusammenhang mit den Gesetz über den wirtschaftlichen Wettbewerb stellte, sagte er, die internationale Lage sei schwierig, und eines der Hauptprobleme der italienischen Wirtschaft sei der Export, der aufgrund der Abwertung des Dollars um 30 Prozent zurückgegangen sei. An diesem Punkt breitete er die Arme aus und sagte, er sei ein Unternehmer, und er habe keine Idee, was er tun könne. Das ist ein skandalöses Eingeständnis. Zu sagen, daß er nicht weiß, was er in einer eng verflochtenen politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Situation tun soll, ist - gelinde gesagt - armselig.

Mit dem Sinken des Dollar bezahlen nun Europa und insbesondere Italien und Deutschland das amerikanische Defizit. Sie bezahlen es mit den Verlusten und Schwierigkeiten ihrer Industrie und ihres Mittelstands im Welthandel. Auf diplomatischer Ebene müssen wir als erstes Druck auf die US-Regierung ausüben und ihr klarmachen, daß dies inakzeptabel ist. Gleichzeitig sollten wir uns von Bush und seinem "Export der Demokratie" distanzieren sowie von der Arbeit der "Friedenserhaltungsmissionen", die in Wirklichkeit wie in Afghanistan und im Irak eine Fortsetzung des Krieges bedeuten. Man muß Bush klarmachen: Wir können eure Schulden nicht bezahlen und wir müssen zusammen eine wirkliche Lösung für die systemische Krise finden.

Die wirtschaftliche Antwort, die wir gemeinsam entwickeln müssen, sind die Konzepte, für die sich EIR und die LaRouche-Bewegung seit langer Zeit einsetzen. Nach all diesen Wirtschaftskrisen, die die Volkswirtschaften, die Kleinanleger und Familien getroffen haben, sollten wir so bald wie möglich eine globale Konferenz einberufen, ähnlich wie man es in Bretton Woods getan hat, um wieder eine Finanzordnung herzustellen und eine neue Vereinbarung über die Währungen zu treffen. Die Werte der Währungen sollten fest oder nur innerhalb einer bestimmten Bandbreite veränderlich sein. Der Wechselkurs einer Währung darf nicht die gesamte Weltwirtschaft auf den Kopf stellen können. Ein solches Währungsarrangement gab es in den letzten Jahren bereits in kleinerem Maßstab in Europa, und es wäre angemessen, dies auch auf globaler Ebene zu tun. Das ist ein wichtiges Ziel, das unsere Regierungen verfolgen sollten.

    In letzter Zeit herrscht auf den Finanzmärkten Alarmstimmung. Wir kennen bereits die gigantische Spekulationsblase und die Rolle der Derivate, die nach offiziellen Angaben jedes Jahr um 25 Prozent wachsen. General Motors und Ford haben zusammen 451 Mrd. Dollar Schulden und ihre Anleihen werden inzwischen als Ramsch eingestuft. Große Turbulenzen erschüttern die Hedgefonds, die sich auf Spekulationen mit GM-Bonds eingelassen haben. Die Lage ist viel schlimmer als beim Beinahekollaps des Hedgefonds LTCM, und sie ist ein weiterer Ausdruck der Systemkrise. Sie haben die Gefahr der Spekulationsblasen untersucht. Wie ernst ist die Lage Ihrer Meinung nach?

Peterlini: Sie haben das Ausmaß der Lage bereits beschrieben. Ich sehe eine Wiederholung dieser Probleme auf den Märkten, insbesondere in den Bereichen, wo die Menschen glaubten, sie könnten große Gewinne machen, und deshalb runs stattfinden. Ende der neunziger Jahre glaubten aufgrund des Erfolgs des Internets alle, sie könnten große Gewinne mit diesen Aktien machen, und es begann ein Run, der die Aktienkurse nach oben trieb. Jeder beteiligte sich an diesem Run, sogar Hausfrauen und Studenten, die nur einen Computer zuhause hatten. Das Spiel geht so lange weiter, bis jemand erkennt, daß dieser Wert nicht real, sondern nur virtuell ist. Das geschah bei den Aktien, und es geschieht jetzt mit den Immobilienwerten, wo die Nachfrage und die Spekulation wächst. Und wie früher in Japan und London hat dies zu einer Überhitzung dieser surrealen Werte geführt, bis zur Explosion. Diese Periode der sogenannten "Selbstregulierung" provoziert dann einen drastischen Kollaps in der Wirtschaft und bei den Familienbudgets.

Das gleiche geschieht jetzt auch mit den Hedgefonds. Sie nutzten die Zeit von 1990-93, als institutionelle Investoren (Rentenfonds, Investmentfonds) aus verschiedenen Gründen begannen, in die Aktienmärkte einzusteigen, was sich z.B. an der amerikanischen Börse oder dem S&P 500 etc. zeigte. Die Investitionen waren also abhängig von diesen Aktiengruppen, deren Kurs zunächst stieg und dann kollabierte. Während des Zusammenbruchs haben diejenigen, die nur in diese Aktien investiert hatten, alles verloren, während die Hedgefonds auf die generelle Richtung des Marktes gesetzt und daher immer noch profitiert haben.

Derivatoperationen wie z.B. Futures sind an sich nichts Skandalöses. Sie wurden z.B. in der Landwirtschaft dazu genutzt, dem Produzenten einen bestimmten Preis zu garantieren. Aber nicht normal ist die Vervielfachung der Wetten auf Derivate, oder, daß man daraus einen Sektor gemacht hat, der ein Eigenleben angenommen hat. Wenn man ein großes Risiko eingeht, um gewaltige Profite zu machen, kann es auch zu gigantischen Verlusten kommen, wenn die Dinge sich in einer unerwarteten Richtung entwickeln.

Wir brauchen eine Behörde, die diese Prozesse reguliert, möglicherweise durch gemeinsame Interventionen der Finanzaufsichtsbehörden verschiedener Nationen. Wenn man den Märkten die Freiheit gibt, zu tun, was sie wollen, entstehen solche Blasen.

    LaRouche hat erneut die Idee einer Steuer auf sämtliche Derivattransaktionen von Hedgefonds und Banken vorgebracht, um die Dimension der Blase aufzudecken. Diese Transparenz ist notwendig, damit die nötigen Maßnahmen ergriffen werden können. Es ist nicht die Tobinsteuer, wie sie einige vorschlagen, die dazu erdacht wurde, Geld für bestimmte Projekte aufzubringen.

Peterlini: Das ist sicher ein intelligenterer Vorschlag als das, was hier hinsichtlich der Erhöhung der Kapitalgewinnsteuer auf nationaler Ebene diskutiert wird, ohne irgendwie zwischen reiner Spekulation und seriösen Investitionen in die Aktien oder Anleihen eines produktiven Unternehmens oder des Staates zu unterscheiden. Denn damit trifft man auch die Kleinanleger und Familien, ohne eine positive Wirkung auf die Wirtschaft zu erzielen. Ich unterstütze hingegen die Idee einer Intervention der Währungsbehörden durch eine höhere Steuer, die spekulative Finanzoperationen bestraft. LaRouches Vorschlag ist eine gute Idee, und man kann sie definitiv verwirklichen.

    Die Regierung Bush setzt sich für eine völlige Privatisierung des Rentensystems ein. Bisher gilt in den USA das von Roosevelt geschaffene System, wobei ein staatlicher Fonds aus den Beiträgen der Beschäftigten Pensionen an die Rentner zahlt. Bush behauptet nun, dieser Fond sei bald nicht mehr zahlungsfähig, und die jungen Beschäftigten sollten nicht länger in ihn einzahlen und statt dessen neue, private Verträge mit den Finanzinstitutionen der Wall Street abschließen, die gegenwärtig in großen Schwierigkeiten sind und große finanzielle Löcher haben. Auf diese Weise erhielten sie neues, frisches Kapital, mit dem sie ihre Spekulationen fortsetzen können.

Peterlini: Wir können in Europa vieles von den Vereinigten Staaten lernen, z.B. eine gewisse Form der Mobilität, die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, Ideen und unternehmerische Initiativen schnell in die Tat umzusetzen, denn wir haben hier zuviel bürokratische Trägheit, zu viele Bremsen. Das ist die positive Seite. Aber von der amerikanischen Sozialpolitik können wir überhaupt nichts lernen. Hier ist das alte und oft verleumdete Europa immer noch ein gutes Vorbild.

In Amerika kann man vor einem Krankenhaus sterben, wenn man kein Geld für die Krankenversicherung hat; hier stirbt niemand auf diese Weise. Selbst der Ärmste kann, ohne Papiere, Geld oder Versicherung, in ein Krankenhaus gehen und behandelt werden. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied, den ich niemals vergessen werde. Es ist einer der großen Vorzüge Europas.

Auch wir sind mit einer Krise des Rentensystems konfrontiert, weil der staatliche Fonds, aus denen die Sozialsysteme finanziert werden, von den Einzahlungen der Beschäftigten abhängt. Das war in der Vergangenheit eine sehr solide Pyramide: Viele junge Menschen arbeiteten und zahlten ihre Beiträge, mit denen die Älteren unterstützt wurden. Diese Pyramide ist nicht mehr so stabil, weil die Kinderzahl immer weiter sinkt, während die Lebenserwartung deutlich gestiegen ist. Die Geburtenrate beträgt in Italien 1,2 Kinder pro Frau, und die durchschnittliche Lebenserwartung ist in den letzten 30 Jahren auf 80 Jahre angestiegen. Künftig werden sich die Verhältnisse umkehren, der Anteil der älteren Menschen über 60 Jahre wird auf mehr als 30 Prozent steigen.

Das traditionelle System reicht dann alleine nicht mehr aus. Wir werden in Italien und in Europa eine zweite Säule einführen müssen, die nicht auf Spekulation, sondern auf Ersparnissen beruht, so daß man sich entscheiden kann, zusätzlich zur staatlichen Rente auch eine private Pension zu beziehen. Bush sagt nun, daß er nur diese zweite Säule haben will, und das wäre eine Katastrophe.

Die erste Säule abzuschaffen, wäre unverantwortlich, und ich hoffe, daß Europa dies niemals hinnehmen und dagegen ankämpfen wird, was Bush mit den amerikanischen Bürgern versucht.

Wir müssen deshalb darüber nachdenken, wie wir die Realwirtschaft auf globaler Ebene wieder in Gang setzen können. Und wir müssen wieder auf den Vorschlag eines Neuen Bretton Woods zurückkommen, denn die Papierpyramide kann wachsen, aber sie kollabiert beim ersten Windstoß. Auch wenn wir mit Papierwerten umgehen müssen, am Ende zählt nur die Realwirtschaft. Finanzwetten erzeugen keine Arbeitsplätze, Güter oder Fabriken. Wir brauchen eine neue Finanzarchitektur, um diese Finanzpapierspiele zu verhindern.



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