Mai 2007 Wirtschaft

Woran der G8-Gipfel gemessen werden wird

Statt neuer strategischer Konfrontation muß die Chance von 1989 wieder auf den Tisch!

Von Helga Zepp-LaRouche

Erinnern wir uns kurz: Nach dem Fall der Mauer im November 1989 sprachen viele von der „großen historischen Chance”, die in der Wiedervereinigung Deutschlands lag. Lyndon LaRouche schlug damals ein Wirtschaftsentwicklungsprogramm vor, das West- und Osteuropa integriert und zum Motor der Weltwirtschaft gemacht hätte: das Programm des „Produktiven Dreiecks Paris-Berlin-Wien”.

Dieser Vorschlag wurde bekanntlich nicht aufgegriffen. Vielmehr probierte die Treuhand mit der Privatisierung der staatseigenen Betriebe in den neuen Bundesländern im großen Stil das aus, was später die Privatisierungsorgie der Heuschrecken in ganz Deutschland anrichten sollte. Ein industrieller Kahlschlag und eine demographische Katastrophe waren die Folgen.

Nach der Desintegration der Sowjetunion 1991 erweiterten wir das Programm des Produktiven Dreiecks für den ganzen Eurasischen Kontinent. Der Ausbau der Eurasischen Landbrücke sollte die Industrie- und Bevölkerungszentren Europas mit denen von Asien durch sogenannte Entwicklungskorridore infrastrukturell verbinden. Nach dem Ende der Sowjetunion wäre der Ausbau der Eurasischen Landbrücke der offensichtliche Rahmen für eine neue Friedensordnung gewesen.

Inzwischen hat die neue imperiale Politik von Bush, Cheney und Blair die Provokationen gegen Rußland so auf die Spitze getrieben, daß mehrere russische Strategen wieder vom Kalten Krieg, einem neuen Rüstungswettlauf und der Gefahr einer neuen Ost-West-Konfrontation sprechen. Rußland hat soeben durch den Test einer neuen Interkontinentalrakete deutlich gemacht, daß es seinen Status als Supermacht zu verteidigen gesonnen ist. Aber Präsident Putin hat auch sehr deutlich gemacht, daß er das Verhältnis zu den USA auf die Basis der Tradition von FDR und seiner Politik des New Deal und vielleicht sogar eines Neuen Bretton Woods stellen will.

Daß die russische Regierung tatsächlich in den Dimensionen eines New Deal für Rußland denkt, wurde u.a. auf einer großen Konferenz deutlich, die am 24. April in Moskau zu dem Thema „Megaprojekte im Osten Rußlands: Eine transkontinentale eurasisch-amerikanische Verkehrsverbindung über die Beringstraße” stattfand. Die Konferenz wurde vom Rat der Russischen Akademie der Wissenschaften für Produktivkräfte (SOPS), dem Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel (MERT), dem Verkehrsministerium, dem Staatskonzern Russische Eisenbahnen sowie mehreren Regionalregierungen organisiert. Verschiedene hochrangige Redner unterstrichen die Bedeutung dieses Verkehrskorridors zwischen Sibierien und Alaska, der rund 6000 Kilometer Eisenbahnlinie und einen Tunnel unter der Beringstraße von hundert Kilometern umfaßt, vor allem zur Erschließung des hydroelektrischen Potentials und der bisher unzugänglichen riesigen Rohstoffvorkommens Ostsibiriens.

Die Konferenzteilnehmer verabschiedeten einen Appell an den G8-Gipfel in Heiligendamm, das Beringstraßenprojekt auf die Tagesordnung zu setzen und ein multinationales Abkommen über seine Realisierung zu beschließen. Professor Igor Faminsky von der Moskauer Hochschule für Ökonomie wurde im Rahmen der Berichterstattung über die Konferenz im russischen Staatsradio zitiert: „Das ,World-Link-Projekt’ kann das entscheidende Bindeglied in der Schaffung eines globalen Transportsystems sein, das alle Kontinente und größeren Transportströme zu einem einzigen Eisenbahnnetz verbindet.”

Der Appell an den G8-Gipfel, das Beringstraßenprojekt zu verwirklichen, ist von einem historischen Standpunkt betrachtet das wichtigste Thema für die Tagesordnung der Konferenz in Heiligendamm. Ob die Regierungen diesen Appell aufgreifen und in die Tat umsetzen, wird ein wichtiger Gradmesser sein, ob sie wirklich auf die „großen Herausforderungen der Menschheit” reagieren und eine Vision wenigstens dann verwirklichen können, wenn sie ihnen gewissermaßen auf dem goldenen Tablett serviert wird.

Auf jeden Fall löste die Nachricht, daß die russische Regierung dieses Projekt nunmehr offiziell auf ihre Tagesordnung gesetzt hat, in vielen Teilen Eurasiens und in den USA selbst große Begeisterung aus. Japanische Unternehmer meldeten sich sofort zu Wort, sie könnten den Tunnel um die Hälfte billiger bauen, als auf der Konferenz erwähnt. China versprach, sich großzügig an den Investitionen zu beteiligen, da der Ausbau dieses Transportweges auch in seinem Interesse sei. In den USA mobilisiert die LaRouche- Jugendbewegung den Kongreß, die Demokratische Partei, vernünftige Republikaner, Gewerkschaften u.v.m. dafür, anstelle der Konfrontationspolitik der Neokons die Kooperation mit Rußland in der Tradition von FDR auf die Tagesordnung zu setzen.

Viele andere Projekte, die zur Eurasischen Landbrücke gehören, vor allem im Bereich der Zusammenarbeit zwischen Rußland, China und Indien, sowie innerhalb der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) sind unter dem Druck des Unilateralismus der Regierung Bush viel schneller auf die Tagesordnung gekommen, als dies unter anderen Umständen der Fall gewesen wäre. In vielen dieser Länder - außer in Deutschland, leider - findet derzeit eine Renaissance der Kernergie statt, bei der die inhärent sicheren Hochtemperaturreaktoren, Reaktoren auf der Basis des Thorium-Zyklus und gasgekühlte Reaktoren für die Entwicklung von Wasserstofftreibstoffen eine Schlüsselrolle spielen. Viele der dabei zur Anwendung kommenden Technologien stammen ursprünglich aus Deutschland, ohne jedoch hier bei uns industriell verwendet zu werden - vom Transrapid bis zum HTR.

Und damit sind wir beim entscheidenden Punkt. Denn Deutschland wird nur eine Zukunft haben, wenn wir mit Rußland, China, Indien und den anderen Ländern Eurasiens aktiv auf der Basis der Hochtechnologie kooperieren. Das bedeutet, daß wir uns dringend von der herrschenden Ideologie der Berliner Bundestagsparteien verabschieden und wieder zu einer positiven Einstellung zum wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt zurückfinden müssen. Indikativ war in diesem Zusammenhang die Antwort, die Umweltminister Gabriel jüngst auf die Frage gab, ob es nicht angesichts der weltweiten Renaissance der Kernergie und des Klimawandels auch in Deutschland sinnvoll wäre, die Haltung zur Kernenergie neu zu überdenken. Dafür werde es im Bundestag niemals eine Mehrheit geben, meinte Gabriel. Wenn dies das letzte Wort bleiben sollte, dann wird Deutschland als Industrienation nicht überleben.

Wenn China in dieser Hinsicht klüger ist als wir, so sei es ihnen gegönnt. Professor Schulten von der Kernforschungsanlage in Jülich hatte völlig recht, die Technologie des Hochtemperaturreaktors lieber schlüsselfertig an die Chinesen zu übergeben, als sie der Menschheit vorzuenthalten, nur weil sie in Deutschland „politisch nicht mehr durchsetzbar“ war. Und es ist für die Entwicklung der Menschheit eine gute Sache, wenn eine chinesische Firma den früheren sowjetischen Militärflughafen in Parchim bei Schwerin kauft und nun als Hauptfrachtflughafen für den Handel zwischen China und Deutschland ausbaut. Die Frage ist nur, warum sind wir in Deutschland nicht in der Lage, selbst in der Nähe von Berlin einen Flughafen für den Handel mit Asien zu bauen und damit die Rolle Berlins als Dreh- und Angelpunkt der Eurasischen Landbrücke deutlich zu machen?

Es ist allerhöchste Zeit, das Ruder herumzureißen. Die BüSo ist entschlossen, in diesem Land für Mehrheiten zu kämpfen, damit wir nicht noch weiter den Anschluß an den Zug der Zukunft verpassen. Wir sprechen für die Generation, die Deutschland aus dem Trümmerfeld aufgebaut und in ein Wirtschaftswunderland verwandelt hat, und die jetzt um ihre angemessene Versorgung an ihrem Lebensabend betrogen wird. Und wir sprechen für die junge Generation, der die nächsten 50 bis 75 Jahre gehören, und die ein Recht daran hat, daß Deutschland wieder als das Volk der Dichter, Denker und Erfinder gilt.

Die einzige Chance, die Deutschland hat, liegt in einem auf die nächsten 50 Jahre ausgerichteten multinationalen Vertragswerk zwischen den eurasischen Nationen, das den Ausbau der Eurasischen Landbrücke zum Ziel hat. Dazu brauchen wir ein neues Weltfinanzsystem, ein Neues Bretton Woods und produktive Kreditschöpfung, so ähnlich, wie es die Kreditanstalt für Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichte.

Und statt einer immer mehr degenerierenden Rock-Sex-Drogen-Gegenkultur und einem nur an materiellen Werten ausgerichteten Studium brauchen wir junge Leute und kommende Generationen, die die wichtigsten Entdeckungen universeller Prinzipien in Wissenschaft und Kunst selber nacherleben können und sich so die Voraussetzungen dafür aneignen, neue bahnbrechende Entdeckungen zu machen und eine kulturelle Renaissance einzuleiten. Junge Leute, für die Nikolaus von Kues, Kepler, Leibniz, Gauß, Riemann, Bach, Beethoven, Lessing, Mendelsohn und Schiller die vertrauten besten Freunde sind, die ihnen helfen, daß aus den künftigen Generationen nicht Millionen Videospielabhängige, sondern neue Genies in Kunst und Wissenschaft hervorgehen. Genau das ist der Weg, auf dem sich die LaRouche-Jugendbewegung in der BüSo bereits befindet.

Die Welt steht vor dramatischen Veränderungen, und wenn wir in Deutschland die Weichen richtig stellen wollen, dann müssen wir jetzt daran arbeiten, uns zu der Kombination eines veränderten Amerika, Rußland, China, Indien und einer neuen Weltwirtschaftsordnung zuzuordnen.