Juni 2006 Wirtschaft

Wirtschaft lebt von wissenschaftlichen Entdeckungen

Lyndon LaRouche sprach am 29. Mai auf Einladung des Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Wilhelm Hankel im Rahmen der Vorlesungsreihe "Aktuelle Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik" vor mehr als 100 Zuhörern an der Universität Frankfurt. Im Folgenden seine Rede im Wortlaut.

Ich möchte damit beginnen, die Entwicklungen darzulegen, die sich derzeit in den USA vollziehen und nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern für die ganze Welt von Bedeutung sind. Derzeit setze ich mich über unsere Freunde und Verbündeten für eine Gesetzesinitiative im amerikanischen Kongreß ein, die den Weg frei macht für eine allgemeine Reform, wie sie erforderlich ist, um die USA vor dem herannahenden allgemeinen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu bewahren. Die Bedeutung einer solchen Veränderung in der Politik der USA liegt darin, daß sie eine Art Hebel wäre, um ein ähnliches Vorgehen in Zusammenarbeit mit Europa und anderen Teilen der Welt herbeizuführen. Dies gilt vor allem für die Situation hier in Deutschland.

Der Vorschlag ist im Kern sehr einfach: Teile der amerikanischen Automobilindustrie sollen in den kommenden zwei Jahren geschlossen werden. In der amerikanischen Automobilindustrie stößt man ähnlich wie in vergleichbaren Bereichen der deutschen Industrie auf die höchste Konzentration an Maschinenbauentwicklungskapazitäten in der Gesamtwirtschaft. Die Autoindustrie und die Luftfahrtindustrien weisen die höchste Konzentration an Entwicklungskapazitäten im Maschinen- und Werkzeugmaschinenbau auf. Wenn wir also zuließen, daß diese Industrie oder zwei Drittel davon geschlossen werden, verlören die USA diese wesentlichen Maschinenbauentwicklungskapazitäten, von denen ein Aufschwung der amerikanischen Wirtschaft abhängt.

Meine Gesetzesinitiative wurde von zahlreichen Abgeordneten sehr begrüßt, die auch ihre Unterstützung zusagten, wenn sich die richtigen Persönlichkeiten im Kongreß an die Spitze stellen. Sie besagt folgendes: Die Regierung der USA soll im Rückgriff auf Franklin D. Roosevelt befristet Teilbereiche der Automobilindustrie übernehmen, die ansonsten zum Untergang verurteilt sind. Dann sollten wir die Maschinenbaukapazitäten der Automobilindustrie zur Herstellung anderer Produkte nutzen.

Wir brauchen beispielsweise ein Eisenbahnsystem, da das vorhandene zerstört ist. Unsere Wasserstraßen, Schleusen und Dämme sind überaltert und brechen zusammen. Wir stecken in einer beispiellosen Energiekrise. Viele Kraftwerke, die in den vergangenen 40 Jahren nicht ersetzt wurden, gelangen an das Ende ihrer Laufzeit und werden abgebaut werden. Wir brauchen diese und andere Dinge dringlichst für unsere grundlegende wirtschaftliche Infrastruktur. Und wenn wir das als Mittel einsetzen, um ein Wiederaufbauprogramm voranzutreiben, das ein ergänzendes Produktionsprogramm wäre, sind wir in der Lage, die Wirtschaft insgesamt auszuweiten.

Dies wurde schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts durch Harry Hopkins und einen seiner Mitarbeiter, der in Deutschland kein Unbekannter ist, Lucius Clay, getan. Es geht hier im Kern um ein "Roosevelt"-Programm.

Das "Anschubspotential"

So etwas nennt man allgemein das "Anschubspotential". Sie sind vielleicht mit diesem Begriff vertraut: In einer Volkswirtschaft, die dabei ist, zusammenzubrechen, - und das ist der Fall in allen Volkswirtschaften West- und Mitteleuropas sowie in den USA - muß man einen Weg finden, nicht nur einfach Arbeitsplätze zu schaffen. Wie Sie aus europäischen Untersuchungen wissen, funktioniert das nicht. Man muß vielmehr produktive Arbeitsplätze bereitstellen, die tatsächliches Wachstum [im Sinne einer realen Wertschöpfung] hervorrufen, wie dies mein Kollege hier mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Deutschland getan hat. Damals war genau diese auf Regeneration abzielende Kapazität wichtig, die dann mehr und mehr Produktion ermöglichte.

In diesem Zusammenhang habe ich auch vorgeschlagen, sechs zusätzliche neue Divisionen für das Pionierkorps der Armee aufzustellen. Diese wären ein weiterer Motor für viele Projekte, für die die Fähigkeiten der Pionierkorps erforderlich sind. In den USA wurde das Pionierkorps traditionell in Friedenszeiten im Rahmen umfassender Bauvorhaben eingesetzt. Das ist meiner Ansicht nach eine bessere Militärpolitik - vor allem heute.

Hinzu kämen flankierende Maßnahmen, denn es ist viel Arbeit erforderlich, um die Güter einsetzen zu können, die in diesen umstrukturierten Bereichen der Automobilindustrie hergestellt werden. Es gibt bereits eine Einrichtung, das AmeriCorps, das unter Präsident Clinton ins Leben gerufen wurde. Mit diesem Programm wollte man Jugendliche, die sonst keine Perspektive haben, in ein Qualifizierungs- und Beschäftigungsprogramm integrieren. [AmeriCorps ist ein nationales Programm, in dessen Rahmen man für ein Jahr Dienst in einem sozialen Bereich ableistet. Teilnehmen dürfen Personen aller Altersgruppen. Am Ende des Dienstes erhält man eine Geldsumme, die zur weiteren Ausbildung an einer Hochschule dienen soll. Bundesweit gibt es 430 von solchen AmeriCorps-unterstützten Programmen mit rund 25 000 Teilnehmern. Für Jugendliche bietet AmeriCorps zwei Programme an: National Civilian Community Corps (NCCC) und Volunteers in Services to America (VISTA). NCCC richtet sich an Jugendliche zwischen 18 und 24 Jahren. Sie wohnen und arbeiten zusammen in den Bereichen Ausbildung, Umwelt, Öffentliche Sicherheit und Katastrophenschutz. VISTA richtet sich an Jugendliche und Erwachsene über 18 Jahre, die zusammen an industriellen Projekten in wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten arbeiten, die Red.] Wir würden AmeriCorps ausweiten, und zusammen mit dem Pioniercorps verfügten wir dann über eine von der Regierung unterstützte Sektion, um die wachstumsfördernden Maßnahmen umzusetzen, die sich aus dem Anschubpotential der umstrukturierten Maschinenbauindustrie ergäben.

Dahinter steht natürlich das Amerikanische System der politischen Ökonomie, das in Europa manchmal nicht verstanden wird. Dieses Amerikanische System der politischen Ökonomie unterscheidet sich sehr von allen anderen Verfassungssystemen der Welt. Wir haben kein Währungssystem, auch wenn wir manchmal so tun; wir haben in den USA ein nationales Kreditsystem. U.a. Friedrich List hat dieses "Amerikanische System" in Deutschland bekannt gemacht. In einem solchen System liegt das Monopol für die Ausgabe von Geld bei der Bundesregierung. Das Drucken von Geld muß durch den Kongreß und insbesondere durch das Repräsentantenhaus bewilligt werden. Bei dieser Ermächtigung zum Drucken von Geld geht es nicht nur um die Ausgabe von Geld; es geht um die Schöpfung staatlichen Kredits, der dann über ein reguliertes Bankensystem im Rahmen der Kreditversorgung sowohl für öffentliche Zwecke wie für private Funktionen ausgegeben werden kann, die man als wichtig für die Nation ansieht.

Im Gegensatz zu den europäischen Systemen, die von Zentralbanksystemen dominiert werden, verfügen die USA über ihre eigene Autorität, ein eigenes Kreditsystem einzurichten. Dies impliziert natürlich hinsichtlich der Beziehungen zu einem zukünftigen Europa, daß wir zu etwas wie dem Bretton-Woods-System fester Wechselkurse zurückkehren müssen, wie es für den großen Wiederaufbau in der Nachkriegszeit notwendig war.

Das ist das allgemeine Bild: Wir brauchen eine Gesetzgebung, um über öffentliche Kredite die Übernahme und Ausweitung ansonsten verlorengehender wesentlicher Teile der Produktion zu finanzieren; wir brauchen den Einsatz des Pionierkorps im Rahmen seiner Funktionen hinsichtlich nationaler Sicherheit, Katastrophenhilfe und ähnlichem wie etwa bei der Flußregulierung, für den Bau von Häfen usw. Und zusätzlich setzen wir als Arbeitskräfte Jugendliche ein, die sonst vor einem ziemlich sinnlosen Leben stehen, und integrieren sie in Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramme. Im Rahmen dieser Art von Produktionsausweitung können wir sie, wie dies im Rahmen des CCC und anderer Einrichtungen in den 30er Jahren geschah, in einen Prozeß der Arbeit, Ausbildung und persönlichen Qualifizierung integrieren. Dies würde ausreichen, um die Produktion soweit auszuweiten, daß die USA realwirtschaftlich wieder rentabel arbeiten.

Über die meisten Einzelheiten dieser Gesetzesinitiative, die ich im Zusammenhang mit dieser Reform erörtere, haben wir bereits berichtet. Wir arbeiten noch mit Experten an Einzelfragen der Formulierung des Entwurfs. Wenn man so einen Gesetzentwurf entwickelt, kommt eine Phase, in der man die Einzelaufstellungen entwirft und die Fachleute hinzuzieht. Das geschieht jetzt. Das wird dann später, wenn alles soweit ist, von uns und anderen, international, veröffentlicht werden.

Derzeit stehen wir vor dem Zusammenbruch des gesamten Weltwährungs- und -finanzsystems. Dieser Kollaps ist keineswegs notwendig, aber wenn wir so weiter machen, werden wir ihn erleben. Wir verfolgen daher zwei Ziele: Wir wollen den Kollaps verhindern, und sollte es dennoch dazu kommen, wie gehen wir dann vor? Diese Gesetzesinitiative genügt beiden Zielen. Aber wenn wir den Maschinenbausektor der amerikanischen Wirtschaft verloren haben, ist ein Wirtschaftsaufschwung viel schwieriger zu bewerkstelligen.

Der Unterschied zwischen Europa und den USA

Wir hatten mit Problemen dieser Art bereits in der Ära Roosevelt und der Ära nach Roosevelt zu tun. Europäische Systeme sind monetäre Systeme und keine Bundeskreditsysteme, und es liegt in der Natur einer parlamentarischen Regierung, in diese Richtung zu gehen. Demgegenüber dienten die USA in der Nachkriegszeit im Rahmen des Bretton-Woods-Systems als Quelle für Bundeskredite und waren daher in der Lage, langfristige Vereinbarungen mit Europa und anderen Regionen abzuschließen, bei denen der ausgeweitete US-Kredit als Motor der Entwicklung von Kredit für den Wiederaufbau diente, wie beispielsweise in Europa. So haben wir das damals gemacht.

Aus meiner Sicht sind die europäischen Regierungen derzeit schon aus rechtlichen Erwägungen nicht in der Lage, die erforderlichen Reformen durchzusetzen. Aber wenn die USA in dieser Hinsicht die ihnen angemessene Rolle vor dem Hintergrund der Erfahrungen der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder aufnehmen, würde ein Aufschwung in den USA über internationale Verträge einen Prozeß der Kreditschöpfung im Rahmen internationaler Verträge in Gang setzen.

Lassen Sie mich erläutern, was ich damit meine: Wir haben einen Punkt erreicht, an dem das natürliche Schicksal Deutschlands heute insbesondere von der Entwicklung einer neuen Form der Herangehensweise an die eurasische Wirtschaft abhängt. In China leben etwa 1,4 Mrd. Menschen, in Indien sind es mehr als eine Milliarde. Aber entgegen der landläufigen Annahme ist China heute kein sicherer Platz, denn das Land hat sich stark in der Billiglohnproduktion für den Weltmarkt und insbesondere für die USA und Europa engagiert. Sollten die europäischen Volkswirtschaften wegbrechen, bedeutete dies für China eine Katastrophe. Indien hat in dieser Hinsicht einige Fortschritte gemacht, aber dennoch leben von der mehr als eine Milliarde Menschen 70 Prozent wie zuvor in extremer Armut. Es gibt dort immense Probleme. Sollten die europäischen und die amerikanische Volkswirtschaften kollabieren, wäre das für Asien insgesamt ein Desaster.

Trotz des Fortschritts, der z.B. in China und Indien erreicht wurde, stecken wir in einer verzweifelten Lage, in der es zu grundlegenden langfristigen Veränderungen kommen muß, die es den Ländern Asiens ermöglichen, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Wir haben in Europa eine Konfiguration, die dazu paßt: Da ist Westeuropa und insbesondere Mitteleuropa mit seinen Beziehungen zu Rußland. Und Rußland ist der Dreh- und Angelpunkt, der Europa mit Asien verbindet. Die großen, unerschlossenen Rohstoffvorkommen Rußlands sind für die Entwicklung Asiens entscheidend. Dazu muß ein größeres Entwicklungsprogramm in Rußland mit diesen Programmen kombiniert werden. Denn wir müssen effiziente Verbindungen und langfristige Vereinbarungen mit China, Indien und anderen Partnern entwickeln. Wir brauchen Programme, langfristige Verträge und Investitionen, und wir müssen Westeuropa "ankurbeln", damit es seine Rolle als Entwickler und Lieferant von Technologie beibehalten kann, um damit die Entwicklung Asiens in den kommenden 50 Jahren zu unterstützen.

Die amerikanische Regierung ist reif für eine Wende

Möglicherweise haben einige von Ihnen während meines bisherigen Vortrages gedacht: "Aber was ist mit der jetzigen amerikanischen Regierung? Was ist mit dem derzeitigen Präsidenten und seinem Vizepräsidenten?" Dieses Problem ignoriere ich nicht. Ich bin sogar an dem Prozeß beteiligt, zu versuchen, eine baldige Änderung der Situation zu bewerkstelligen.

Die Beliebtheit des Vizepräsidenten liegt bei einem Wert von unter zehn Prozent. Und dieser Vizepräsident wird sogar im Zusammenhang mit der Enttarnung der Ehefrau des früheren Botschafters Joseph Wilson, Valerie Plame, als CIA-Mitarbeiterin einer Straftat beschuldigt. Seine Motive für diese Tat liegen offen zutage. Wie Sie sicher wissen, hängt eine Verurteilung für eine Straftat unter anderem davon ab, ob man dem Richter und den Geschworenen ein plausibles Motiv vorlegen kann. Und das ist in diesem Fall jetzt geschehen. Damit ist immer noch nicht klar, wann Cheney aus dem Amt scheiden wird, aber wir sind in einer Situation, in der auch die französische Regierung und die Regierung Blair in England und noch einige andere Regierungen wie die amerikanische etwa, für radikale Veränderungen in naher Zukunft reif sind.

Die treibende Kraft hinter diesen Veränderungen ist die Erkenntnis, daß wir uns in der schlimmsten Finanzkrise der Neuzeit befinden. Sie kann bewältigt werden. Aber so wie sie sich derzeit darstellt, ist die Situation extrem gefährlich. Wir erleben eine Periode der Inflation, die man mit den Ereignissen in Deutschland in der zweiten Hälfte des Jahres 1923 vergleichen kann. Betrachtet man die Entwicklung der Preise für Rohstoffe, Erdöl, Metalle usw., haben wir es in den vergangenen beiden Monaten mit einem doppelten Prozeß zu tun: Erstens sind die Rohstoffpreise stark inflationär, und zweitens brechen ganze Marktbereiche zusammen.

Die Hedgefonds, die praktisch Stoßtruppen der führenden Banken sind und die Spekulation massiv vorantreiben, sind im Verhältnis Eigenkapital/Kreditaufnahme im Verhältnis 1:20 massiv überschuldet. Derzeit investieren sie massiv in die Kontrolle der Rohstoffe, so wie dies außerhalb Deutschlands 1923 einige gemacht haben, die dann nach dem Zusammenbruch zurückkommen und alles billig aufkaufen wollten. Heute ist es ähnlich: Bestimmte Kreise streben die Kontrolle der Rohstoffe an, weil sie glauben, wenn die Weltwirtschaft kollabiert, seien diejenigen, welche die Rohstoffe kontrollieren, auf der sicheren Seite. Aber das wird nicht funktionieren. Es ist absurd, und die Leute, die dahinter stehen, sind vielleicht verrückt, aber sehr einflußreich. Und das ist immer eine schlechte Kombination: Einfluß und Wahnsinn.

Aufgrund der spekulativen Natur dieses Prozesses kommt es periodisch bereits zu massiven Einbrüchen auf den Märkten. Das bedeutet auf der einen Seite Hyperinflation, auf der anderen Seite Kollaps. Und das kann nicht so weitergehen.

Das hat in der internationalen Finanzwelt dazu geführt, daß die Regierung Blair praktisch auf dem Rückzug ist. Und auch die französische Regierung hat ihre für europäische Verhältnisse relativ große Macht verloren und wird selbst zum Opfer. Wir befinden uns inmitten einer Periode plötzlicher politischer Veränderungen. Man kann einfach nicht zulassen, daß die Dinge so weiterlaufen.

Wir sind uns dessen bewußt. Und ich bin an dem Versuch beteiligt, die notwendigen Verbesserungen in der amerikanischen Regierung zu bewerkstelligen - keine umfassende Verbesserung, aber zumindest ein wenig.

Wenn ich also sage, wir setzen uns für diese Politik ein, die der Präsident ablehnt und die Cheney noch mehr als ablehnt, nun, vielleicht sind sie dann bald nicht mehr im Amt unter den gegenwärtigen Bedingungen.

Aber wir stehen vor dem Problem, daß die Zentralbanksysteme weltweit durch die Krise hoffnungslos bankrott sind. Viele meinen oberflächlich: "So schlimm ist das schon nicht, es könnte zu Problemen kommen, aber es muß nicht." Aber wie ich aus innerer Kenntnis aus den USA weiß - und wir diskutieren das mit Kreisen führender Ökonomen unterschiedlicher Couleur außerhalb der Regierung und innerhalb der Regierung - steht dieses System unmittelbar vor dem Zusammenbruch. Die Krise ist da. Und nur verantwortungsbewußte Regierungen, die der Stabilität der Nationen den Vorrang geben und die Chaos verhindern wollen, können die Krise bewältigen. Wir können das. Die Lehren aus den 30er Jahren in den USA deuten daraufhin, daß wir damit umgehen können. Wenn der politische Wille der Regierungen stark genug ist, können vernünftige Dinge getan werden, um unsere Volkswirtschaften zu reorganisieren und eine Katastrophe zu verhindern.

Der Mensch ist kein Tier

Wir haben es hier mit einem wesentlichen Problem zu tun, das für die europäische Geschichte charakteristisch ist. Europa begann als Europa insbesondere mit dem Einfluß einiger Ägypter auf die Entwicklung der Griechen - wie Thales, die Phytagoräer, Sokrates, Platon bis zu Eratosthenes und Archimedes. Europa definierte die Basis einer Zivilisation auf der Grundlage der Fähigkeit des Menschen, andere Menschen nicht wie Tiere zu behandeln, auf der Grundlage seiner Fähigkeit eine Gesellschaft zu errichten, die über eine ausreichende Produktivkraft und den Willen verfügt, die menschliche Vernunft einzusetzen. Dann ist ein Staatswesen möglich, wie es etwa Solon beschreibt oder Platon in seinem Werk Vom Gemeinwesen. Diese Tendenz gab es in Europa immer, trotz des römischen und byzantinischen Imperiums, trotz des ultramontanen Systems des Mittelalters und aller anderen neuzeitlichen Probleme.

Der Westfälische Frieden von 1648 und zuvor die Renaissance bilden Wendepunkte, an denen Europa an das Erbe der europäischen Tradition anknüpfte und zunächst die Renaissance und dann später den Westfälischen Frieden hervorbrachte. Danach kamen schlechtere Zeiten, aber die Prinzipien waren vorhanden. Und wenn wir im Sinne der europäischen Zivilisation zivilisiert sind, wissen wir, daß sich der Mensch vom Tier unterscheidet. Der Mensch ist nicht wie etwa Thomas Huxley oder Friedrich Engels behaupten, ein Affe. Und diese Unterscheidung spielt vor allem bei meiner Wirtschaftsauffassung, die von Leibniz beeinflußt ist, eine zentrale Rolle: bei dem Konzept der physischen Wirtschaft. Wirtschaft ist in erster Linie physisch, und finanzielle und währungspolitische Aspekte sind nachgeordnete. Sie dienen der Verwaltung.

Was ist eine physische Wirtschaft? Wären wir Affen, wäre die menschliche Population unter den gegebenen Umständen nie über die Anzahl einiger weniger Millionen Exemplare hinaus gewachsen. Heute leben mehr als sechs Milliarden Menschen auf der Erde, weil wir als Gattung unsere Fähigkeit, uns die Natur nutzbar zu machen, ständig weiterentwickelt haben. Der russische Wissenschaftler Wladimir Wernadskij war der Ansicht, Leben übernähme mit der Entstehung der Biosphäre nicht nur die Herrschaft über die nichtlebenden Aspekte der Erde, sondern die Entwicklung der Erde, die Veränderungen der Erde aufgrund der zusammengenommenen Arbeit der Menschen, vor allem der schöpferischen Tätigkeiten der Menschen, verliefen schneller und seien einflußreicher als der Prozeß des Lebens selbst.

In der heutigen ökonomischen Betrachtung wird oft übersehen, daß der Anstieg der Arbeitsproduktivität sich im Kern aus ursprünglichen wissenschaftlichen Entdeckungen wie etwa Keplers Entdeckung der Schwerkraft oder der Entwicklung der Infinitesimalrechnung durch Leibniz oder den Entdeckungen von Gauß und Riemann ableitet. Dieses Konzept der Entdeckung universeller physikalischer Prinzipien macht den Unterschied zwischen Affen und Menschen aus.

Wir sind heute in der Lage, sechs Milliarden Menschen und mehr auf diesem Planeten zu erhalten, weil im Verlauf der Jahrtausende vor uns Menschen, die in bestimmte Kulturen eingebunden waren, viele Entdeckungen gemacht haben, die die Fähigkeiten der Gattung Mensch erhöht haben. Damit wird die Menschheit zu einer in gewisser Hinsicht unsterblichen Gattung. Über die Ideen, die wir entwickeln und die wir von der Vergangenheit in die Zukunft weitergeben, besitzen wir eine besondere Art der Unsterblichkeit, selbst vom Standpunkt der Ökonomie aus gesehen. Denn die Ideen in uns, die sich auf grundlegende Entdeckungen beziehen und die uns von vorangegangenen Generationen übergeben wurden, unterscheiden uns von Affen oder von Menschen, die es vorziehen, sich wie Affen zu verhalten. Oft geht in der Ökonomie das Verständnis für die Bedeutung tatsächlicher Kreativität, wie sie sich in grundlegenden wissenschaftlichen Entdeckungen aber auch in den Werken unsterblicher Kunst wie bei etwa Bach ausdrückt, verloren.

Der Bau unserer Zukunft

Heute haben wir es mit der Ideologie der sogenannten postindustriellen Kultur zu tun, einer Nullwachstumskultur. Man hat die Veränderungen hingenommen, die seit Mitte der 60er Jahre bis heute erfolgten und die einen grundsätzlichen Wandel der europäischen Zivilisation herbeiführten. Bis dahin waren wir trotz aller Fehler und Schwächen in den Gesellschaften führend, die sich wissenschaftlich-technischem Fortschritt verpflichtet fühlten. Wir waren stolz auf unsere Entwicklungsingenieure im Maschinenbau, die in gewisser Hinsicht die Verbindung zwischen Wissenschaft und der Verbesserung der Technologie in der Produktion verkörpern.

Dies alles haben wir zerstört. Wir haben die Infrastruktur zerstört, auf der unsere Industrie beruht. Diese verschwindet, und mit ihr das Wissen. Die Bedeutung jener Maschinenbauentwicklungsingenieure, die ich in den USA zu retten versuche, liegt darin, daß sie die physikalische Entdeckung, die ein Wissenschaftler gemacht hat, mit speziell dazu konzipierten Experimenten überprüfen und dann das daraus gewonnen Wissen zur Entwicklung neuer Technologien oder Maschinen einsetzen. Das ist der Weg des Fortschritts. Das haben auch fortschrittliche Landwirte so gemacht. Und das haben wir zerstört.

Ob mein Vorschlag erfolgreich ist, hängt davon ab, ob wir junge Menschen, junge Erwachsene, die die kommenden 50 Jahre der Wirtschaft repräsentieren, integrieren können, denn es geht hier um Investitionen über einen Zeitraum von 25-50 Jahren. Wir brauchen eine Generation junger Menschen, die sich an wissenschaftlichen Errungenschaften und deren Anwendung orientiert. Wir müssen unser Bildungs- und Ausbildungswesen verändern, damit dort diese Art von Menschen herangebildet werden. Und wir müssen ihnen dann klarmachen: "Ihr seid die Zukunft, sie liegt in euren Händen."

Das ist die wesentliche Grundlage meines Aktionsprogramms. Wenn wir eine demoralisierte Welt, in der die dominierenden Generationen in den heutigen USA und Europa keine Hoffnung mehr in die Zukunft setzen, nicht überzeugen können, müssen wir uns an die Jugend, die eine Zukunft haben will, wenden und ihr sagen: "Wir versprechen euch eine Zukunft." Und dann können wir die größte aller wirtschaftlichen Ressourcen freisetzen - wir können sie "Anstieg der Produktivität" nennen - , indem wir den jungen Menschen sagen, daß wir sie dabei unterstützen, sich zu kreativen Persönlichkeiten zu entwickeln, deren zusammengenommene Anstrengungen die Menschheit in den kommenden 50 Jahren weiterentwickeln werden. Denn dann werden sie den "Laden" übernehmen.