August 2006 Wirtschaft

Die neuen babylonischen Hohenpriester

Von Lyndon LaRouche,
28. August 2006

Athen, die führende Kultur des Mittelmeerraumes in der Zeit ein bis zwei Generationen vor Perikles, war ähnlich wie die Vereinigten Staaten unter Präsident Abraham Lincoln so stark, daß kein Angriff einer bewaffneten äußeren Macht es zerstören konnte. Athen wurde durch den Einfluß des delphischen Apollo-Kultes ruiniert; der Kult steuerte es mit der Zersetzung durch seinen Sophismus praktisch in die Selbstzerstörung durch den Wahnsinn des Peloponnesischen Krieges. Ganz ähnlich wurden die Vereinigten Staaten, die bis zum Tode Präsident Franklin Roosevelts der großartigste Nationalstaat waren, den die Welt je gekannt hat, von innen zerstört, indem die Jugend der höheren Gesellschaftsschichten, die zwischen März 1945 und dem Ausbruch der schweren Rezession 1957 geboren wurde, durch sophistische Indoktrination aus Ecken wie Professor Sidney Hooks Kongreß für kulturelle Freiheit verdorben wurde.

Anders als die typischen neunmalklugen Zaungäste der aktuellen Weltgeschichte behaupten, rührt die größte Gefahr für die Welt nicht von den Vereinigten Staaten an sich her, sondern daher, daß eine Kombination anglo-holländischer liberaler und synarchistischer Finanzinteressen aus Europa, die hinter der Regierung Bush/Cheney stehen, die Vereinigten Staaten zur Selbstzerstörung durch Sophismus verleiten wollen. Inzwischen ist es soweit gediehen, daß in maßgeblichen Kreisen der USA gemeinhin der Eindruck vorherrscht, die auf uns einstürmenden finanziellen und verwandten strategischen Krisen seien unerklärlich und ausweglos. Das System bricht zusammen, und fast niemand scheint zu wissen, warum - bis meine Mitarbeiter und ich erklären, was hier vor sich geht: Die Entwicklungen seit dem Präsidentschaftswahlkampf 2000 und speziell die Politik der Regierung Bush bedeuten, daß hier eine Militär- und Wirtschaftspolitik betrieben wird, die vor allem auf die immer schnellere Zerstörung der Vereinigten Staaten durch ihre eigene Regierung hinausläuft.

Deshalb konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Führung meiner Organisation auf drei hervorstechende Trends der amerikanischen Politik:

1. Die Kriegspolitik der Regierung Bush, die die USA immer tiefer im Treibsand asymmetrischer Kriege versinken läßt, einen närrischen Schritt nach dem anderen, und deren Fortsetzung offensichtlich bedeuten würde, daß es aus wäre mit der Rolle als große Mächte, die die USA und ihr vermeintlicher israelischer Verbündeter noch im Jahr 2000 zu haben schienen.

2. Die immer schnellere Auflösung der US-Wirtschaft, deren Bankenwesen kurz vor einem explosiven, kettenreaktionsartigen Zusammenbruch steht.

3. Der rasante geistige und damit verbundene moralische Verfall der sozialen und finanziellen Oberschicht der amerikanischen Bevölkerung.

Obwohl dieser Prozeß der Zerstörung praktisch schon unmittelbar nach Präsident Franklin Roosevelts Tod mit plötzlichen, radikalen Änderungen der Politik der USA einsetzte, sorgte die wirtschaftliche Stärke der USA in den beiden Jahrzehnten nach Roosevelts Tod immer noch für ein beeindruckendes reales Wachstum. Mit dem Beginn des törichten Indochinakrieges nach der Ermordung von Präsident John F. Kennedy begann das Abgleiten der USA in den moralischen und physischen Verfall. Die Abwärtswende der Wirtschaft wurde 1967-68 erstmals sichtbar, als die meisten das noch für eine Folge der steigenden Kosten des Indochinakriegs hielten. In der Zeit zwischen 1969 und 1981 wurden die Vereinigten Staaten systematisch einer wahnsinnigen, zerstörerischen Ausmerzung von Franklin Roosevelts Reformen unterzogen, was ab 1977 zum physischen Ruin der Wirtschaft und dem Zusammenbruch des Gemeinwohls der ärmeren 80% der Haushalte führte.

Wenn wir alle mit diesen politischen Veränderungen verbundenen, klar erkennbaren physischen Faktoren und ihre Folgen in Betracht ziehen, sollte sich uns die Frage aufdrängen: "Wie konnten wir Amerikaner (und Europäer) so dumm sein, uns diese politischen Veränderungen aufdrängen zu lassen?"

Fast automatisch und sinnvollerweise sucht man die Antwort auf diese Frage, indem man die Entwicklungen - bzw. das Fehlen notwendiger Entwicklungen - im höheren Bildungswesen unter die Lupe nimmt.

Am deutlichsten zeigen sich die Tatsachen bei der Ausbildung in den Naturwissenschaften. So konzentriert sich unsere Aufmerksamkeit im besonderen auf die Spitze der kulturellen Pyramide: auf den Mechanismus, durch den unsere akademischen Doktorgrade verliehen werden.

Wie babylonische Priester

Da wir schon wissen, daß der moralische und intellektuelle Verfall der USA in den kulturellen Ruin dieselbe Form hat, die entsprechende Forscher aus dem Studium des selbstverschuldeten Unterganges von Perikles' Athen kennen, ist es ein intelligenter Ansatz, den athenischen Sophismus als Vergleichsmaßstab für die Erforschung unserer heutigen Probleme heranzuziehen.

Den Höhepunkt der Entwicklung der klassischen Kultur dessen, was man in der Neuzeit das alte Griechenland nennt, bildete der Stand der Wissenschaft unter dem Einfluß der Pythagoräer und der mit ihnen verbundenen Kreise um Sokrates und Plato. Die Methode der Pythagoräer und Platons, die sog. Sphärik, ließ keine willkürlichen, vermeintlich "offensichtlichen" Definitionen, Axiome und Sätze zu, sondern beruhte ausschließlich auf experimentell beweisbaren Naturprinzipien. Die Reduktionisten hingegen, für die die Sophisten im allgemeinen und Euklid im besonderen typisch waren, stützten ihre Argumente auf das, was irgendeine meinungsführende Gruppe als allgemein gängige "offensichtliche" Überzeugungen behandelte. Typisch für dieses System sind die "Definitionen, Axiome und Sätze" des Euklid.

Die wirkliche Naturwissenschaft, wie die der Pythagoräer und Platons, nimmt also nichts als bewiesen an, was nicht im Experiment als Naturprinzip nachgewiesen ist. Sie duldet keinerlei "offensichtliche" oder ähnliche populäre Meinungen wie die Prämissen des Newtonschen Systems, als Ersatz für die strengen experimentellen Maßstäbe, für die in der neuzeitlichen Wissenschaft die Arbeiten von Johannes Kepler und Gottfried Leibniz typisch sind.

Doch in unserer heutigen Kultur sind es in der Regel Ausschüsse von Fachkollegen (Peer Review), welche sich auf Doktoranden wie fertige Wissenschaftler stürzen, die den Maßstab für erwiesene "Glaubwürdigkeit" setzen. Deshalb ist heute die gesamte Lehre und Praxis der Volkswirtschaft in den USA und Europa völlig inkompetent - und zwar gerade in dem Maße, wie solche "Fachausschüsse" sie als angemessen bestätigt haben.

Im Endeffekt findet man kaum noch einen Unterschied zwischen dem Verfahren zur Bestätigung der Lehren des imperialen römischen Pantheons durch die Autorität des Kaisers als "Pontifex Maximus" und der Art und Weise, wie heute bestimmte Stränge akademischer Meinung institutionalisiert werden.

Wenn man ein Volk, oder wenigstens seine einflußreichsten Schichten, dazu verleiten kann, einem Schwindel die Autorität von Wahrheit zuzuerkennen, dann kann man es auch dazu verleiten, freiwillig etwas zu tun, womit es sich und seine Gesellschaft zugrunde richtet.

So haben die Feinde unserer Republik unsere Republik dazu gebracht, sich selbst zu zerstören, und das ist in vollem Gange.

Was man dagegen tun kann, läßt sich aus dieser Beobachtung selbst leicht herauslesen.