Februar 2004 Neues Bretton Woods

Neue italienische Initiative für ein Neues Bretton Woods

Im italienischen Senat und in der Deputiertenkammer sind zwei Anträge eingebracht worden, in denen eine grundlegende Reorganisation des Weltfinanzsystem gefordert wird. Durch den Parmalat-Bankrott sei erneut die völlige Abkopplung der aufgeblähten Finanzstrukturen von der Realwirtschaft offenbar geworden, erklärten die Parlamentarier.

In Rom scheint man politisch weiter zu blicken als in Berlin. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages können von ihren italienischen Kollegen einiges lernen: Am 13. Februar wurde im Senat und im Repräsentantenhaus ein neuer Antrag eingebracht, in dem eine Reform des Weltwährungs- und Finanzsystems nach dem Vorbild von Bretton Woods gefordert wird.

Initiator des von 49 Abgeordneten unterstützten Antrags in der Deputiertenkammer ist Mario Lettieri von der Oppositionspartei La Margherita. Zu den Unterzeichnern gehören weitere Mitglieder der La Margherita wie Giovanni Bianchi, der 2001 Lyndon LaRouche eingeladen hatte, im Parlamentsgebäude in Rom zu sprechen. Bianchi, ein langjähriger Kämpfer für eine Reorganisation der Schulden der Dritten Welt, hatte im September 2002 im Parlament darauf hingewiesen, daß LaRouche vor einem weltweiten Finanzkrach gewarnt hatte. Bekannte Mitunterzeichner sind außerdem die früheren Minister Antonio Maccanico und Nerio Nesi sowie der frühere stellv. Außenminister Ugo Intini. Auch der frühere Gewerkschaftsführer Giorgio Benvenuto von den Demokratischen Sozialisten (DS) und einige Abgeordnete der Regierungskoalition unterzeichneten den Antrag.

Den Antrag im Senat brachte Senator Oskar Peterlini ein, der sich schon seit langem für ein Neues Bretton Woods einsetzt. 17 Senatoren verschiedener Parteien unterstützten seinen Antrag. Schon im Februar 2002 hatte Peterlini einen Antrag für ein Neues Bretton Woods vorgestellt und seinen Kollegen Brunner veranlaßt, in der Deputiertenkammer einen ähnlichen Antrag einzubringen, der dann im September 2003 diskutiert und (in abgeschwächter Form) fast einstimmig verabschiedet wurde.

Der Antrag wurde von Paolo Raimondi, LaRouches Repräsentant in Rom, mitverfaßt. Er erfolgte inmitten einer nationalen Debatte über die Ursachen und Folgen der Parmalat-Pleite, des größten Firmenzusammenbruchs in der Geschichte Europas. Die Parmalat-Pleite führte zu einer parlamentarischen Untersuchung, bei der es um umfassende Reformen im Banken- und Finanzsystem geht. Als Sekretär des Finanzausschusses der Deputiertenkammer sitzt Lettieri in der Parmalat-Untersuchungskommission, die sich aus Senatoren und Deputierten der Finanz- und Industrieausschüsse zusammensetzt.

Machtkampf im Bankenwesen

Die Anhörungen des Parmalat-Ausschusses belegten die Anfälligkeit eines Systems, in dem die Banken im ganz großen Stil mit Unternehmensanleihen sowie damit verbundenen Derivaten spekulieren - und dabei mit dem Geld der Investoren hohe Risiken eingehen. 100 000 italienische Haushalte verloren ihr Geld, das sie auf Anraten ihrer Hausbanken in Parmalat-Anleihen angelegt hatten. Zuvor hatten bereits 450 000 Familien ihr Geld mit Argentinien-Anleihen verloren, die ihnen die Banken in ähnlicher Weise aufgeschwatzt hatten. Beim Konkurs des Lebensmittelkonzerns Cirio gingen die Ersparnisse von 25 000 Investoren verloren. Die Untersuchung ergab sogar, daß die Banken Anleihen, die Cirio und Parmalat nicht mehr bedienen konnten, an ihre Kunden abgestoßen haben!

Nach alledem wächst in den Parteien die Unterstützung für eine Reform des italienischen Bankenwesens, dessen Vertrauensverlust die ganze Wirtschaft bedroht. Den wenigen Politikern, die wie Bianchi oder Peterlini die Idee des Gemeinwohls verteidigen und sich für LaRouches Vorschläge einsetzen, schließen sich jetzt weitere an, die dies aus pragmatischeren Gründen tun.

So fordert eine Fraktion der italienischen Finanzelite, die der Vorsitzende des Parmalat-Ausschusses Giorgio La Malfa vertritt, eine Rückkehr zu dem 1992 abgeschafften System der "Brandmauern" im Geldgeschäft, wo die finanziellen Aktivitäten von Sparkassen und Investmentbanken streng voneinander getrennt waren.

Diese Fraktion ist historisch mit der Investmentbank Mediobanca verbunden, die bis zur Deregulierung 1992 eine vorherrschende Stellung in Italiens Finanz- und Industriesystem hatte. Im vergangenen Jahrzehnt verlor die traditionellere Politik der Mediobanca viel Boden an die aggressiven "innovativen" Finanzpraktiken neuer, meist in den 90er Jahren privatisierter Bankengruppen: Globalisierung, Fusionen und Übernahmen, Derivatspekulation und "Shareholder Value". Aber nun schlägt die bisher in der Defensive stehende Mediobanca-Gruppe zurück, nachdem klar ist, daß das "wilde Jahrzehnt" der Deregulierung und Spekulation Italiens Banken und Industrie an den Rand des Ruins brachte.

Der Vorsitzende des Industrieausschusses der Deputiertenkammer, Bruno Tabacci, unterstützt La Malfas Vorstoß. Diese Gruppe fordert den Rücktritt des Zentralbankchefs Antonio Fazio wegen dessen Mitverantwortung an der Parmalat-Pleite.

Ein weiteres Thema im Parmalat-Ausschuß ist, daß sich die Zentralbank Banca d'Italia nach der Privatisierung des italienischen Bankenwesens heute in den Händen privater Interessen befindet, die zum Teil von ausländischen Gruppen beherrscht sind. So gehören z.B. 27,2% ihrer Aktien der Banca Intesa (die durch die Fusion von Banca Commerciale, Banco Ambrosiano Veneto und Cassa di Risparmio delle Province entstand), die von der mit der Lazard-Gruppe verbundenen französischen Crédit Agricole kontrolliert wird. Erst kürzlich versuchte diese Gruppe, die Kontrolle der Assicurazione Generali - eine der größten Versicherungsgruppen der Welt - sowie der Mediobanca zu gewinnen. Gerüchten zufolge hätte Zentralbankchef Fazio die Übernahme gern gesehen.

Der ehemalige Minister Antonio Maccanico - Mitunterzeichner des Lettieri-Raimondi-Antrags und früherer Chef der Mediobanca - hat vorgeschlagen, die Anteilseigner der Zentralbank zu entschädigen und diese einer öffentlichen Stiftung zu unterstellen, deren Vorstand vom Parlament ernannt wird.

Die Debatte erinnert an jene, die zum Bankengesetz von 1936 führte, das bis zur "Draghi-Reform" 1992 galt. Es ersetzte die Praxis ungeregelter Bankgeschäfte unter dem allmächtigen Chef der Banca Commerciale, Giuseppe Toepliz, durch ein streng reguliertes System unter Alberto Beneduce.

Heute wie damals steht das italienische Banken- und Industriesystem am Rande des Bankrotts. Neue Regulierungen, die Einführung der "Brandmauern" und die Verstaatlichung der drei größten Banken verhinderten damals durch Rückgriff auf Steuergelder zwar den Bankrott des Systems, erzeugten jedoch keinen Aufschwung. Würde man heute, wie es die Mediobanca-Gruppe fordert, Vorschriften wie die von 1936 wieder einführen, ohne das System zu reorganisieren und eine Aufbaupolitik nach dem Vorbild von Roosevelts New Deal zu betreiben, so würde man die historischen Fehler nur mit schlimmeren Folgen wiederholen.

Die Intervention der LaRouche-Bewegung

Deshalb ist die Intervention der LaRouche-Bewegung so entscheidend. Der Lettieri-Raimondi-Peterlini-Antrag korrigiert den bisher vom Ausschuß verfolgten Ansatz, er behandelt direkt den Bankrott des Weltfinanzsystems und konzentriert sich auf das eigentliche Kernproblem im Fall Parmalat: die Derivatblase.

In den Anträgen der Parlamentarier werden fast wörtlich die Formulierungen des Textes einer Erklärung wiederholt, die Raimondi am 20. Dezember 2003 abgegeben hatte. Kurz darauf hatte Lyndon LaRouche in einer längeren Erklärung die verantwortungsbewußten Politiker aufgefordert, sich statt auf die internen Auswirkungen des Falls Parmalat auf die globalen und systemischen Aspekte konzentrieren. Er verwies auf die Parallelen zum Fall LTCM 1998, der beinahe das Weltfinanzsystem zerbrechen ließ.

Mitte Januar gab Raimondi eine weitere Erklärung heraus und betonte darin den besonderen Aspekt der Spekulation mit Kreditderivaten - Collateral Debt Obligations (CBOs) - , die bei Parmalat im großen Stil zur Anwendung kamen. Beide Erklärungen Raimondis wurden vom einflußreichen Informationsdienst des Parlaments AgenParl verbreitet.

Mehrere Parlamentarier, die schon in der Vergangenheit den Vorschlag eines Neuen Bretton Woods verfolgt hatten, griffen Raimondis Initiative auf. Am 11. Februar forderte die Europaabgeordnete Cristiana Muscardini die Europäische Kommission auf, angesichts von Parmalat Initiativen gegen die Finanzspekulation zu ergreifen. Frau Muscardini, die Vizepräsidentin der Union für das Europa der Nationen im Straßburger Europaparlament ist, erklärte:

"Parmalat und Cirio in Italien, Enron in den USA, ähnliche Fälle in Großbritannien oder in Frankreich sind die Symbole der Krise, die seit einiger Zeit die multinationalen Finanzstrukturen trifft und die verursacht ist von der verheerenden Kluft zwischen der Realwirtschaft und der Spekulationsblase - einem Papier- und Scheinreichtum, der den tatsächlichen Wohlstand, der auf Produktion und Ersparnissen beruht, bei weitem übersteigt."

Muscardini polemisiert gegen die Zentralbanken und andere im System, die behaupten, von den illegalen Manövern der Banken nichts gewußt zu haben, und fordert Kontrollen im Finanzsystem auf europäischer Ebene. Die EU müsse sich "ernsthaft allen möglichen und neuen, verhängnisvollen Folgen stellen, welche die gewaltige Kluft zwischen Real- und Finanzwirtschaft auslösen könnte. Bis wir Maßnahmen ergreifen, um diese Kluft zu verkleinern, wird das Risiko immer bedrohlich hoch sein."

Auch Muscardini hatte in der Vergangenheit zusammen mit Kollegen Anträge und Anfragen zur Notwendigkeit eines Neuen Bretton Woods gestellt, die bisher jedoch von inkompetenten Mitgliedern der Europäischen Kommission arrogant abgelehnt wurden.

Am 14. Februar berichtete AgenParl, daß Sen. Peterlini bereits im März 2002 in einem Senatsantrag vor einer Krise wie Parmalat gewarnt hatte. "Wir haben jetzt eine dritte Version dieses Antrages eingebracht", sagte Peterlini, und fährt fort:

"Wir verlangen, daß die italienische Regierung... auf internationaler Ebene aktiv wird - denn die Finanzwelt ist international - , um endlich vor allem zusammen mit den Industrienationen, aber auch den übrigen Ländern der Welt eine neue Finanzorganisation einzuführen. Die letzte, mit den Vereinbarungen von Bretton Woods 1944, unternahmen Länder, die sich nach der weltweiten Krise von 1929 endlich entschieden hatten, gemeinsam eine finanzielle Reorganisation durchzuführen, die auf zwei Säulen ruhte: Die erste war die Konvertibilität des Dollars mit Gold, die zweite die Konvertibilität des Dollars mit anderen Währungen. Beide Säulen sind eingestürzt, und ich erhebe nun meine Stimme, da ich den Sektor ein wenig kenne und die Sorgen der Kleinanleger und Arbeitnehmer ebenso wie die in der Wirtschaft kenne. Sie alle fordern eine Anstrengung unserer Regierung für ein Neues Bretton Woods oder wenigstens eine Weltkonferenz über eine Reorganisation der Finanzmärkte."

Unterdessen wächst die Unterstützung für den Raimondi-Lettieri-Peterlini-Antrag, der hoffentlich bald eine breite Mehrheit im Parlament finden wird.

Claudio Celani



Zurück zum Seitenanfang