September 2005 Neues Bretton Woods

Rio-Gruppe für Neues Bretton Woods

Im Namen der Rio-Gruppe forderte der argentinische Außenminister Rafael Bielsa in seiner Rede vor der Konferenz der UN-Vollversammlung über die Finanzierung von Entwicklung ein "Neues Bretton Woods". Es folgen Auszüge..

Es ist mir eine Ehre und große Verantwortung, hier die Position der Rio-Gruppe zur Entwicklungsfinanzierung zu erläutern.

Wie Sie wissen, hat die Rio-Gruppe den Prozeß der Erhaltung und Konsolidierung der Demokratie in Lateinamerika erlebt und dabei eine wichtige Rolle gespielt.

Ich sage dies gleich zu Beginn, denn unsere Gruppe glaubt, daß die Demokratie eine der Grundvoraussetzungen für Entwicklung ist...

Trotzdem waren unsere Demokratien nicht in der Lage, den sozialen Erfordernissen, die sich heute in unseren Ländern in Form von Hunger, Mangel an Arbeitsplätzen und Schutz zeigen, gerecht zu werden.

Ein langsames und instabiles Wachstum hat in Verbindung mit den Ratschlägen und politischen Maßnahmen, die die internationalen Kreditkörperschaften durchgesetzt haben, zu einer geringen Rate neuer Arbeitsplätze, immer weniger festen Arbeitsverhältnissen und einer wachsenden Kluft zwischen qualifizierten und unqualifizierten Arbeitnehmern geführt. Wie wir in allen Foren immer wieder gesagt haben, lehrt uns unser Lateinamerika, daß die Steigerung der Wachstumsrate nicht mit Entwicklung einhergeht, wenn ihr Nutzen nur wenigen zugute kommt und sich die Kluft zwischen den Ländern und innerhalb unserer Gesellschaften vergrößert.

Nach unserem Verständnis muß Entwicklung die Idee der Fairneß enthalten. Ohne sie wird Entwicklung nur zu einem Wirtschaftsindikator ohne Bezug zur sozialen Wirklichkeit.

Für uns ist Entwicklung mehrdimensional, und ihr Kern ist das Wohl der Menschen und der Gesellschaft. Deshalb ist die Demokratie ihr natürliches Umfeld, denn die Demokratie zielt auf gleiche bürgerliche, politische und soziale Rechte für alle Menschen.

Demokratie ist ein Mittel und ein Ziel, und die Rio-Gruppe gibt starke Signale dieser Überzeugung. Aber die Realität der Globalisierung konfrontiert uns mit der Gewißheit, daß Entwicklung nicht nur von den Überzeugungen und Bemühungen eines Landes abhängt. Noch vor einem Jahrzehnt war es - auch wenn es umstritten war - noch möglich, sich eine Entwicklung aus eigener Kraft vorzustellen. Das ist heute nicht mehr möglich. Wir brauchen ein günstiges internationales Umfeld.

Die Rio-Gruppe ist besorgt über die Bedingungen im Weltfinanzsystem, die uns daran hindern, dieses günstige Umfeld zu schaffen. Das verzögert nicht nur die Entwicklung, sondern es erzeugt Pessimismus, ob die Ziele der Milleniumserklärung zu erreichen sind.

Deshalb sind wir auch der Ansicht, daß es notwendig ist, die gegenwärtige Finanzinfrastruktur zu reformieren, weil wir sie für veraltet und ineffizient halten...

Es ist notwendig, ein neues System zu schaffen, das von Werten wie Transparenz und Verantwortung bestimmt wird, die akzeptiert sind und propagiert werden und die Grundpfeiler für den Bau eines demokratischeren und faireren internationalen Systems sind. Natürlich ist dies nicht nur die Haltung der Rio-Gruppe. Es gibt viele Experten, spezialisierte Gruppen und politische Führer in aller Welt, die die Durchführung einer neuen internationalen Konferenz von Staatschefs, ähnlich der von Bretton Woods 1944, unterstützen, um eine neue Finanz- und Währungsinfrastruktur zu schaffen, die die Finanzblasen beseitigen und sich darauf konzentrieren würde, die Realwirtschaft zu fördern.

Dabei sollte der Bericht "Für eine neue internationale Finanzinfrastruktur", der für das Exekutivkomitee der Vereinten Nationen für wirtschaftliche und soziale Fragen erstellt wurde, hervorgehoben werden. Dieser Bericht unterstreicht die mangelnde Fähigkeit der internationalen Finanzinstitutionen, gegen die Krise vorzugehen, unter der die Weltwirtschaft in der jüngsten Vergangenheit gelitten hat...

Ich halte es für notwendig, hier insbesondere den Weltwährungsfonds zu erwähnen, denn er hat unverantwortlicherweise eine Politik vorgeschlagen und verlangt, die die Entwicklungsländer in größere Armut gestürzt hat, anstatt ihre wirtschaftliche und soziale Lage zu verbessern. Und dies alles im Namen des Wirtschaftswachstums und des freien Handels...

Die unbezahlbaren Auslandsschulden arbeiten den Milleniumszielen entgegen. Viele Länder Lateinamerikas haben deutliche Fortschritte dabei gemacht, dieser Plage zu begegnen.

In dieser Hinsicht arbeiten wir an unseren Vorschlägen und Programmen, die Auslandsschulden in Bildung umzusetzen, was vielen Kindern helfen würde, im Leben voranzukommen.

Wir befürworten auch eine Neuformulierung der Buchführung in den Ländern und internationalen Kreditkörperschaften, damit produktive Investitionen in die Infrastruktur bei der Ermittlung des Primärüberschusses nicht als gewöhnliche Ausgaben bewertet werden...

Es wäre tragisch, die Finanzierung von Entwicklung als milde Gabe zu betrachten.

Die Wirtschaft muß ein Instrument des Gemeinwohls sein, und das soziale Wohl ist garantiert durch die Würde, die durch die Arbeit geschaffen wird. Arbeit zu schaffen, um die Armut zu verringern und die demokratischen Regierungen in den am wenigsten entwickelten Ländern zu stärken, nützt auch den entwickelten Ländern, denn die soziale Instabilität und Verschlechterung der Umwelt wird die illegale Migration verstärken und die globale Stabilität gefährden.

Wo Hunger herrscht, gibt es keine Familie, kein Krankenhaus und keine Schule. Nur wo es ordentliche Arbeit gibt, ist eine menschliche, wirkliche Entwicklung möglich. Die Finanzierung der Entwicklung muß eine vorrangige Aufgabe der internationalen Gemeinschaft sein.



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