Februar 2006 Wirtschaft

Die SPD braucht keinen grünen, sondern einen klaren Kopf!

Von Dr. Helmut Böttiger

"Genossen zweifeln am Atomausstieg", schrieb Die Tageszeitung am 26. Januar und meinte die Äußerungen des brandenburgischen SPD-Europaabgeordneten Norbert Glante bei einem energiepolitischen Stammtisch in Brüssel: "In der SPD regt sich Widerstand gegen den Atomkonsens. Über die Laufzeiten von Reaktoren müsse neu nachgedacht werden." Gante fand: "Rundherum entwickelt sich diese Industrie, doch die Sozialdemokraten zuhause wollen die besseren Grünen sein." Der SPD-Parteivorsitzende Matthias Platzeck dagegen hatte noch am 24. Januar einen Richtungswechsel ausgeschlossen: "Es bleibt beim Atomausstieg."

Nun erklärt sich auch ein Interview, das Die Tageszeitung am 23. Januar unter der Überschrift "Die Atomaufsicht ist ideologisch" abgedruckt hatte. Darin wurde der Staatssekretär im Umweltministerium, Michael Müller, gefragt: "Ihr Chef, Umweltminister Sigmar Gabriel, hat angekündigt, die deutsche Atomaufsicht international prüfen zu lassen. Was ist an der so schlecht?" Und er antwortete: "In der internationalen Atomdebatte wird immer behauptet, deutsche Atomkraftwerke seien die sichersten der Welt. Wir haben daran unsere Zweifel..." Die Zweifel hätten sie, so Müller, von Jürgen Trittin übernommen. Man könnte mit der nicht geäußerten Begründung fortfahren: Und weil uns im Inland allmählich die Felle davonzuschwimmen beginnen, erbitten wir uns nun die Hilfe ausländischer Aufpasser.

Am Schluß des Interviews erklärt Müller, worum es eigentlich geht: "Es geht nicht darum, jemandem die Show zu stehlen. Dazu ist das Thema zu wichtig. Es geht um eine friedlichere Welt. Die wird es nur geben, wenn wir deutlich weniger Energie verbrauchen. Dagegen aber steht die Logik der Atomkraft."

Nun ist Energie bekanntlich die Voraussetzung zur Produktion benötigter Versorgungsgüter. "Deutlich weniger Energie verbrauchen" heißt also: deutlich weniger Versorgungsgüter für Menschen herstellen, sprich Einschränkung, Mangel, möglicherweise sogar Not.

Damit haben Müller und sein Chef, der etwas außerhalb der Legalität beträchtliche Gelder vom SPD-nahen VW-Konzern beschaffen konnte, kein Problem. Denn die Not haben die anderen. Der große Irrtum besteht darin zu glauben, wenn die Not entsprechend groß sei, würden die Genötigten auch "friedlich".

Grüne "Intelligenz"

Seit den 80er Jahren haben in der SPD hinter der offiziellen Führung einige betuchte, selbstgefällige, eitle, autoritäre Aktivisten, die die Medien fälschlicherweise der "Intelligenz" zurechneten, das Sagen. Man kann sie treffend als "Fundamentalisten einer säkularen Naturreligion" bezeichnen. Diese Leute behaupten, sie träten für soziale Gerechtigkeit ein, bekämpfen aber fanatisch deren materielle Voraussetzungen - Wirtschaftswachstum und technische Entwicklung.

Sie wollen "das Klima retten" und treten leidenschaftlich für das Kioto-Protokoll ein, das die Überwachung des Energieverbrauchs an ein UN-Gremium abtreten will. Nach ihren Dogmen ist der Einsatz fossiler Brennstoffe für alle unerfreulichen Wetterereignisse verantwortlich, ob extreme Hitze- oder Kältewellen, Trockenheiten, Überschwemmungen, das Absterben von Korallenriffen, den Meeresspiegelanstieg usw. Deshalb müsse das Kioto-Protokoll vorbehaltlos angenommen und seine Auflagen in den kommenden Jahren noch verstärkt werden - auch wenn es selbst nach dem Glauben der CO2-Gegner am Klimageschehen nichts Wesentliches ändern kann!

Diese Leute ficht auch nicht an,

  • daß die Durchschnittstemperaturmessungen, die erst seit 1979 von Satelliten aus möglich wurden, kaum einen Temperaturanstieg erkennen lassen,
  • daß über das Wachsen und Schrumpfen der Gletscher der Niederschlag entscheidet und nicht die Temperatur,
  • daß selbst Experten offiziell die Ungenauigkeit der Prognosen von Klima-Computermodellen zugeben müssen (weshalb diese Modelle, um die gewünschten Ergebnisse zu liefern, ständig "korrigiert" werden müssen), und schließlich
  • daß die wirtschaftlichen Folgen des Kioto-Protokolls, nüchtern betrachtet, verheerend ausfallen werden. Die Herren versprechen sich vom Handel mit CO2-Emissionsrechten gewaltige Geldgewinne, ohne zu überlegen, wer die entsprechenden Kosten trägt.

Der Hauptfeind ihres religiösen Fanatismus ist jede wirtschaftlich mögliche Alternative zum Einsatz fossiler Energieträger, insbesondere die Kernenergie. Stattdessen helfen sie parasitären Jägern auf Finanzschnäppchen, die in Zeiten unruhiger Finanzmärkte nach staatlichen Garantien ausschauen, und bieten ihnen "sichere" Anlagemöglichkeiten in Windmühlen- und Solaranlagen an, die zwar keine verläßliche Energie liefern, dafür aber eine staatlich garantierte Zwangsabnahme zu überhöhten Preisen. Daß andere Länder auf Kernenergie setzen und der Ausstieg Deutschlands wirtschaftliche Bedeutung allmählich zu einem Witz verkommen läßt, schert diese Herren ebenfalls nicht.

Kernkraft weltweit auf dem Vormarsch

In den nächsten zehn Jahren ist der Bau von 120 bis 140 neuen Kernkraftwerken geplant, die Hälfte davon in China und Indien. Ungarn will seine 30 Jahre alten Kernkraftwerke mindestens noch 20 Jahre weiter betreiben. In den USA haben bereits 34 Kernkraftwerke ihre Laufzeitverlängerung von 40 auf 60 Jahre genehmigt bekommen. Finnland baut sein neues 1600 MW-Kernkraftwerk Olkiluoto 3, um veraltete Kohlekraftwerke zu ersetzen und um seine Abhängigkeit von russischem Strom und Erdgas in Schranken zu halten, weil Kernenergie in der Grundlast die wirtschaftlichste Lösung ist und Kernkraftwerke die höchste Anlageverfügbarkeit aufweisen. In Litauen soll das als Aufnahmebedingung in den Westen abgeschaltete Kernkraftwerk Ignalina durch neue Kernkraftwerke ersetzt werden. (So berichtet die FAZ vom 20. Januar.)

Die Südafrikanische Republik hat am 4. Oktober 2004 beschlossen, den inhärent sicheren und einfach zu bedienenden HTR in Serie zu bauen, um ihn auch an noch unterentwickelte Länder zu verkaufen. Dieser in Deutschland entwickelte Reaktor wurde in Hamm-Uentrop nach 16 000 Stunden Betriebszeit durch politische Preistreibereien sabotiert und vernichtet. Man rechnet in Südafrika damit, das erste Kraftwerksmodul im Jahre 2013 vom Band laufen zu lassen. Ein ähnliches Ziel verfolgt China mit dem gleichen Reaktortyp.

Und wie sieht es mit der von pseudoreligiösen Fanatikern protegierten Windenergie aus? In Dänemark wurde die staatliche Förderung der Windkraftwerke eingestellt. Der südlich von Sylt geplante Windpark Butendiek steht inzwischen auf der Kippe, weil die bei der Planung in Erscheinung getretenen Kosten über die Ufer treten. Das Werk ist bei dem veranschlagten Herstellungspreis von 9,1 cts/kWh (Euro-Cent pro Kilowattstunde) nicht finanzierbar. Der Baubeginn wurde erst einmal bis 2008 hinausgeschoben, was die 8500 Privatanleger, die vor fünf Jahren 6 Mio. Euro in das Projekt investiert haben, natürlich frustriert.

In Frankreich konnte die mit großem Aufwand betriebene Werbung deutscher Windmühlenhersteller nicht landen. Es entstanden inzwischen 250 Bürgerinitiativen für Landschaftsschutz, die sich unter einem Dachverband namens "Wind des Zorns" zusammengeschlossen haben. Sie erreichten, daß 50 % der Windparkprojekte von den Präfekten oder Verwaltungsgerichten abgelehnt wurden. Präsident Jacques Chirac nannte die Windmühlen deshalb kürzlich "eine Beleidigung der Natur". Frankreich erzeugt 83,4 % seines Stroms durch Kernenergie und kann ihn seinen Bürgern deshalb für 7,65 cts/kWh verkaufen, ein Preis, von dem man in Deutschland nur träumen kann.

Das Wirken der grünen SPD-Elite ist einer der wesentlichen Gründe dafür, daß dieser ehemaligen Arbeiterpartei selbst in Krisenzeiten die Wähler davonlaufen. Die Leute begreifen allmählich, daß man ein Schnitzel, das man nicht produziert hat, weder verteilen noch essen kann, und daß die Verfügbarkeit von Energie die Voraussetzung dafür ist, das man das, was man verteilen und verbrauchen will, auch herstellen kann. Es fragt sich also, wann die ehrlichen Sozialdemokraten zur Besinnung kommen und ihre grünen Phantasten ins Glied zurückstellen. Die frühere EAP hatte wohl recht, als sie in den 70er Jahren auf einem Plakat gefordert hatte: "Die SPD braucht einen Kopf". Leider ist das heute noch gültig.

Dr. Helmut Böttiger