Friedrich Schiller Denkmal
Friedrich Schiller




Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

     Konferenz in Flörsheim, November 2012   

Daisuke Kotegawa
Forschungsdirektor am Canon Institute for Global Studies
ehemaliger IWF-Exekutivdirektor für Japan
ehemaliger Beamter des japanischen Finanzministeriums

 

Schriftlicher Beitrag


1. Ich war verantwortlich für die Sanierung der japanischen Wirtschaft Ende der 90er Jahre und Anfang der 2000er Jahre. Unter anderem war ich verantwortlich für die Liquidation der Finanzhäuser Sanyo Securities und Yamaichi Securities 1997, für die Teilverstaatlichung der Long Term Credit Bank und der Nippon Credit Bank 1998 und für die Gründung der Industrial Revitalization Corporation of Japan 2003. Dabei waren wir Zielscheibe von Kritik nicht nur von inländischen Wählern, sondern auch von internationalen Meinungsführern, die den Vorwurf des Mißmanagements des japanischen Finanzsektors erhoben. Mehrere Mitarbeiter der Aufsichtsbehörden, u.a. des Finanzministeriums und der Bank von Japan, wurden verhaftet und schuldig gesprochen. Einige von ihnen begingen Selbstmord, darunter Freunde von mir. Vor diesem Hintergrund kann ich ziemlich leicht vorhersagen, was in der aktuellen Finanzkrise als nächstes kommen wird, weil alles so abläuft wie bei der Krise, die ich in Japan vor zehn Jahren miterlebt habe - ein unwillkommenes Déjà-Vu.

2. Als erstes ist es wesentlich, diejenigen zu identifizieren, die für diese Krise verantwortlich sind. Es sind Investmentbanker in den angelsächsischen Ländern, die hochriskanten kasinoartigen Geschäften frönten und eine Blase schufen. Es ist ziemlich peinlich, wenn man sieht, daß niemand verhaftet wurde, der von dieser Blase profitierte. Fast alle Vorstandsmitglieder der während der japanischen Finanzkrise 1997-98 liquidierten oder teilverstaatlichten Finanzinstitute wurden verhaftet und vor Gericht gestellt.

3. Die wichtigste strukturelle Ursache der Finanzblase in den Vereinigten Staaten und Europa von 2002 bis 2007 war die vollständige Aufhebung des Glass-Steagall-Gesetzes im Februar 1999. Diese Aufhebung geschah unter Leitung von US-Finanzminister Lawrence Summers im Zuge des Prozesses der Liberalisierung der Finanzmärkte Ende des 20. Jahrhunderts. Das Glass-Steagall-Gesetz war 1933 beschlossen worden, um angesichts der tragischen Erfahrungen der Großen Depression die Bank- und Wertpapiergeschäfte zu trennen. Überschüssige Liquidität, die über eine längere Periode lockerer Geldpolitik im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts unter der Schirmherrschaft des Federal-Reserve-Vorsitzenden Greenspan geschaffen wurde, schürte finanzielles Glücksspiel der Investmentbanken, das mit den Gesetzen realer Nachfrage unvereinbar war.

4. Dann machten die Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens einen schweren Fehler bei der Liquidation von Lehman Brothers. Als Yamaichi Securities im November 1997 geschlossen wurde, ließ die japanische Regierung die Liquidation von Yamaichi erst zu, nachdem alle grenzüberschreitenden Geschäfte abgewickelt waren. - Das hatte hauptsächlich den Zweck, nicht zuzulassen, daß ausländische Finanzinstitute von der Schließung von Yamaichi getroffen würden und daß Japan in das Zentrum einer Weltdepression gezogen würde. - Dies war bei der Schließung von Lehman Brothers nicht der Fall. Lehman ging bankrott, ohne seine enorm umfangreichen grenzüberschreitenden Geschäfte abzuwickeln. Das hatte eine außergewöhnlich ansteckende Wirkung auf das Weltfinanzsystem, es wurde eine Weltdepression ausgelöst, vergleichbar mit der Großen Depression vor dem Zweiten Weltkrieg. Hätte man Lehman erst geschlossen, nachdem alle Auslandsgeschäfte abgewickelt waren, dann hätte man eine weltweite Krise vermeiden können.

5. Das nächste Problem betrifft den Prozeß der Rettung von Finanzinstituten. Die US-Behörden retteten Banken, indem sie öffentliche Gelder in sie hineinpumpten, um das Finanzsystem zu schützen. Im Licht unserer Erfahrungen in Japan gibt es hinsichtlich der Verfahrensweise bei den Rettungsaktionen in den Vereinigten Staaten drei Probleme:
I. Die Bilanzen der großen Finanzinstitute wurden von keiner staatlichen Aufsichtsbehörde gründlich auf ihren aktuellen Marktwert geprüft;
II. Der Umfang der öffentlichen Mittel, die notwendig waren, um die faulen Kredite in jedem Institut vollständig abzuschreiben, wurde nicht klar benannt;
III. Keines der Institute schrieb alle faulen Kredite vollständig ab, deshalb war für die Investoren am Markt unklar, ob faule Kredite in den Bilanzen verblieben waren oder nicht.

6. Auf Druck des amerikanischen Kongresses wurde die reguläre Bilanzierung nach dem aktuellen Marktwert ausgesetzt. Anders als in Japan ist die Methode der Bilanzprüfung der großen Finanzinstitute nicht strikt.

7. Alle großen Finanzinstitute außer Lehman Brothers vermieden nicht nur die Liquidation, sondern wurden durch staatliche Rettungspakete und wegen ihres politischen Einflusses erhalten. Diese Situation machte es nicht nur schwierig, grundlegende Reformen des Finanzsystems zu unternehmen, sondern auch, die wahre Ursache der Finanzkrise vollständig zu untersuchen. Insbesondere ist es dadurch äußerst schwierig, die Verantwortung der Vorstände von Großbanken zu untersuchen. Infolge davon haben die Spitzenmanager der Großbanken in den Vereinigten Staaten keinerlei Lehren aus der Lehman-Krise gezogen. Der Gedanke, daß diese Vorstände wahrscheinlich die gleichen Fehler wieder machen, ist beängstigend.

8. Westliche und insbesondere britische und amerikanische Investmentbanken wurden trotz schiefer Bilanzen intakt gehalten. Sie haben sich von der Insolvenz nicht erholt, sehen aber oberflächlich gesund aus dank Rettungspaketen, Lockerungen der Bilanzvorschriften und undurchsichtiger Streßtests. Um so schnell wie möglich aus dieser gefährlichen Situation herauszukommen, bemühen sie sich verzweifelt, in kurzer Zeit hohe Gewinne zu machen.

9. Dafür fanden die Investmentbanken geeignete Opfer: Länder, die unter Haushaltsdefiziten litten, wegen der Konjunkturprogramme, die sie 2009 gegen den wirtschaftlichen Abschwung aufgelegt hatten, wie Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Italien. Die Banken benutzten die überschüssige Liquidität auf dem Markt, die die Zentralbanken angeblich zur Förderung der Wirtschaft lieferten, die jedoch wegen der fehlenden realen Nachfrage die Wirtschaft nicht ankurbelte. Leerverkäufe und Kreditausfallderivate dienten als Angriffswaffen. Als Folge davon mußten sich die europäischen Länder auf Austeritätspolitik verlegen.

10. Dies hat verheerende Folgen für die Erholung der europäischen Wirtschaft. Wie aus der Wirtschaftskrise in Japan wohlbekannt ist, litten die Sektoren der Privathaushalte und der Unternehmen während der Wirtschaftskrise nach dem Platzen der Finanzblase unter der Altlast der Überschuldung aus der Zeit der Blase. Sie versuchten, alles aus ihren Bilanzen herauszupressen, um Kredite zurückzuzahlen. Ohne Unterstützung von außen würde das zu einem Schrumpfen der Volkswirtschaft führen. Daher muß der öffentliche Sektor seine Ausgaben erhöhen, um mit einem Defizit die Binnenwirtschaft zu stützen. Aber der Angriff der Märkte macht es für die europäischen Länder schwierig, auf eine solche Politik zu setzen. Ich fürchte, daß die europäischen Länder in einen Teufelskreis wirtschaftlicher Kontraktion geraten.

11. Im Kampf gegen die Wirtschaftskrise ist jetzt ein grundlegendes Umdenken wesentlich. Statt auf Austerität zu setzen, sollte man Regeln und Vorschriften wie das Glass-Steagall-Gesetz einführen, die es Banken unmöglich machen, Nationen anzugreifen.

12. Mit der Einführung von Glass-Steagall zum Zweck der Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken werden die Großbanken mit der gebührenden Sorgfalt handeln und ihre Vermögenswerte und Verpflichtungen offenlegen müssen. Höchstwahrscheinlich wird eine solche sorgfältige Prüfung ergeben, daß Investmentbanken insolvent sind und ihnen kein anderer Ausweg bleibt als die Liquidation. Die Streichung ihrer Positionen würde die Verpflichtungen der Geschäftsbanken erheblich verringern. Es ist zu hoffen, daß durch die Durchführung dieses Verfahrens sowie möglicherweise Liquiditätsspritzen öffentlicher Gelder in Geschäftsbanken die Bilanzen der Finanzinstitute in den westlichen Ländern bereinigt werden und das Vertrauen in den Sektor wiederhergestellt wird. Das ist eine Voraussetzung für eine wirtschaftliche Erholung aus der Krise. Die uns verbliebenen Optionen sind sehr klar: entweder die Interessen der Banker oder die Interessen der Allgemeinheit. Die Antwort sollte einfach sein.

13. Gewaltige Summen wurden aufgewendet, um Banken zu retten. Dieses Geld ist verschwendet. Es half den Investmentbanken nicht, ihre Bilanzen zu verbessern. Statt dessen stürzten sie sich in eine weitere Runde von Spekulationsgeschäften. Dieses Geld hätte man statt dessen zur Belebung der Realwirtschaft nutzen sollen. Die Bereitstellung überschüssiger Liquidität durch Zentralbanken hat keine reale Nachfrage geschaffen und Gelder wurden dazu mißbraucht, europäische Regierungen anzugreifen, wodurch sie der Allgemeinheit in diesen Ländern Schaden zufügten. Staatliche Anreize müssen für Investitionszwecke verwendet werden, nicht für den öffentlichen oder privaten Konsum. Man erinnere sich daran, daß das Konjunkturpaket in den Vereinigten Staaten 2009 in dieser Hinsicht völlig ineffizient war. Angesichts des Ausmaßes des wirtschaftlichen Schrumpfungsprozesses auf der ganzen Welt sollten die Regierungen im Weltmaßstab große Infrastrukturprojekte in Angriff nehmen, um im Weltmaßstab reale Nachfrage zu schaffen. Zusätzlich zur Lockerung internationaler Vorschriften wie Basel III, die verhindern, mit privaten Geldern entsprechende Risiken einzugehen, sollten Regierungen großangelegten Infrastrukturprojekten einen Schutzschirm anbieten, etwa in Form von staatlichen Garantien, damit reichlich flüssige Mittel auf den Märkten wirksam mobilisiert werden, solche Projekte zu wagen.