18. Juli 2012;
Eine wichtige Fraktion des britischen Establishments hat begriffen, daß mit
der Eruption des LIBOR-Skandals in das öffentliche Bewußtsein und in den Focus
der Staatsanwälte das Ende des transatlantischen Finanzsystems besiegelt ist -
und zieht die Reißleine. Ausgerechnet von führenden Vertretern der City of
London und den Finanzmedien kommt jetzt die Forderung, daß nur die gemeinsame
Wiedereinführung des vollen Glass-Steagall-Standards in der Tradition von
Franklin D. Roosevelt durch Großbritannien und die USA noch irgend etwas
retten kann.
Im Januar 2009 schrieb ich einen Artikel mit der Überschrift „Ist das ganze
Weltfinanzsystem ein Madoff-Schwindel?“, in dem ich die Vermutung aufstellte,
daß nicht nur der frühere Chef der Technologiebörse NASDAQ, Madoff, seine
Kunden um 50 Milliarden Dollar betrogen hatte, sondern daß das ganze
Weltfinanzsystem offenbar mit betrügerischen Methoden arbeitet. Diese
Einschätzung war die Untertreibung des Jahres, denn Madoffs 50 Milliarden sind
im Vergleich zu den Summen, die kriminelle Großbanken ergaunern, nur die
berühmten „Peanuts“!
Die transatlantischen Großbanken sind in eine ganze Serie von kriminellen
Machenschaften verwickelt, die zusammengenommen ein Betrugssystem
repräsentieren, bei dem die großen „player“ astronomische Gewinne
einstreichen, gierige „Investoren“ mitbedienen, die absolute Mehrzahl ihrer
Kunden und indirekt die Bevölkerung ausplündern und die gesamte Gesellschaft
in den Zusammenbruch treiben. Die französische Zeitung Le Monde
diplomatique schrieb am 13. Juli: „Kann es eine größere Verschwörung
geben? 20 der größten privaten Banken der Welt sollen sich von 2005-2009
zusammengetan haben, um das internationale Zinsgefüge zu ihren Gunsten zu
manipulieren. Durch koordinierte falsche Angaben gegenüber der britischen
Bankenvereinigung wurde der sogenannte LIBOR-Zins im Eigeninteresse höher oder
tiefer gedrückt. Das hatte Auswirkungen auf die Zinsen für Außenstände im
Umfang von rund 350 Billionen US-Dollar.“ Pro Tag!
Das bedeutet, daß Hunderttausende, wahrscheinlich Millionen von Kunden um
Milliarden von Euro und Dollar betrogen worden sind, denn bei diesen
Billionenbeträgen genügt schon eine Manipulation der Zinsraten an der dritten
Stelle nach dem Komma, um gigantische Summen zu erschwindeln. Eine Konsequenz
des Skandals wird ein Tsunami von Schadensersatzklagen sein, bei denen es um
bis zu zwei-, möglicherweise dreistellige Milliardenbeträge gehen wird!
Dabei ist die LIBOR-Manipulation - es gibt Hinweise, daß sie den Zeitraum
von 2001 bis heute umfaßt - nur eine von vielen kriminellen Praktiken der
Großbanken. Es laufen bereits mehrere riesige Gerichtsprozesse, bei denen es
um einige der Betrügereien geht, die in dem über 600 Seiten dicken
Angelides-Report aufgeführt sind, darunter bewußte Irreführung von Kunden beim
Verkauf spekulativer Wertpapiere aus dem Immobilienbereich, den sogenannten
Mortgage Backed Securities (MBS). Die US-Behörde für Eigenheimfinanzierungen
(FHFA) hat im November 2011 17 Banken aus den USA, Japan und Europa unter
anderem wegen Betrugs angeklagt, weil sie mithilfe getürkter Informationen MBS
im Wert von rund 200 Milliarden $ an die Hypothekenfirmen Fannie Mae und
Freddie Mac verkauft haben sollen. Beide Institutionen mußten dann mit
Milliarden von Steuergeldern vor dem Konkurs „gerettet“ werden.
Zumindest eine der Großbanken, deren Beteiligung am LIBOR-Schwindel
untersucht wird, muß sich am 17. Juli vor einem Ausschuß des US-Senats einer
weiteren Untersuchung stellen: die HSBC, die bereits seit Monaten von der SEC
und dem Justizministerium wegen des Verdachts untersucht wird, in Geldwäsche
aus dem Drogenhandel und der Finanzierung terroristischer Aktivitäten
involviert zu sein.
Untersucht wird auch eine mögliche Verbindung zu dem extrem brisanten
Skandal, der in den USA unter dem Code-Namen „fast and furious“ bekannt ist
und bei dem es um umfangreiche amerikanische Waffenlieferungen an das
mexikanische Drogenkartell geht, bei denen auf ominöse Weise 2.000 Waffen
„verschwunden“ sind. Der amerikanische Justizminister Eric Holder hatte die
Herausgabe von Daten zu diesem Skandal verweigert und ist dafür vom Kongreß
mit dem Bescheid „kriminelle Mißachtung des Kongresses“ belegt worden.
Die Tatsache, daß das Weiße Haus über diesen Vorgang wiederum ein so
genanntes „executive privilege“, also einen Untersuchungsstopp verhängt hat,
obwohl Präsident Obama angeblich nie von diesen Vorgängen informiert gewesen
sein soll, hat die Republikaner veranlaßt, von einer Vertuschung in der
Tradition von Watergate zu sprechen. Untersucht wird nun unter anderem die
Frage, wohin die Gelder, die für diese Waffen gezahlt worden sind, geflossen
sind.
Sowohl der oberste Drogenbeauftragte Rußlands, Viktor Iwanow, als auch
Antonio Maria Costa, der bis vor kurzem das UN-Büro zur Bekämpfung von
Rauschgifthandel und organisiertem Verbrechen leitete, haben wiederholt
betont, daß das internationale Finanzsystem in den letzten Jahren nur mit
Hilfe eines massiven Zuflusses illegaler Gelder aus dem Drogengeschäft durch
Geldwäscheoperationen überlebt hat. Der Drogenhandel könne nur dann mit Erfolg
bekämpft werden, wenn die derzeitige Finanz- und Wirtschaftsarchitektur der
Welt vollkommen umgestaltet würde.
Untersuchungen im Kongreß haben einen E-Mail-Verkehr und Memoranden ans
Tageslicht gebracht, aus denen hervorgeht, daß der amerikanische
Finanzminister Timothy Geithner bereits 2007, als er noch Chef der New Yorker
Federal Reserve Bank war, von den Zinsmanipulationen zu Gunsten der Großbanken
wußte. Neil Barofsky, der ehemalige Chef des TARP- Programms, äußerte
gegenüber Bloomberg die Auffassung, daß sich die illegalen Aktivitäten
um die LIBOR-Affäre auch zu einem Skandal für die Regierung ausweiten werde,
weil die Regierungen Großbritanniens und der USA sowie die Aufsichtsbehörden
sich der Komplizenschaft schuldig gemacht und erlaubt hätten, daß diese
kriminellen Aktivitäten fortgesetzt wurden. Die Großbanken operierten nach
Regeln, die sie selbst gemacht hatten, und in dem Bewußtsein, daß sie „too big
to fail“ seien, daß sie Anklagen bislang nicht zu fürchten hatten, da sie
„systemisch“ seien und ihr Untergang den Kollaps des gesamten Finanzsystems
zur Folge hätte.
Bezüglich einer E-Mail Geithners von 2008 betonte Barofsky: „Wenn Sie nur
eine E-Mail geschickt haben [als Reaktion auf das Wissen um die Manipulation,
HZL], dann ist das ein Skandal, der ein Skandal für die Banker ist, aber es
wird auch für die Regierung ein Skandal sein.“
Genau mit diesen kriminellen Aktivitäten ist es jetzt
vorbei. Die Vorstände der Banken Barclays und UBS haben Abkommen mit
amerikanischen bzw. britischen Behörden geschlossen, daß sie bei der
Aufdeckung der kriminellen Manipulationen kooperieren und dafür eigene
Immunität erhalten. Da 75% aller amerikanischen Städte Swap-Vereinbarungen mit
den Banken abgeschlossen hatten, ist die Wut der betrogenen Bürgermeister und
Stadträte, die zum Teil Insolvenz anmelden oder angesichts der Verluste in
Millionenhöhe dramatische Kürzungen bei den Sozialprogrammen vornehmen mußten,
was eine Reihe von Menschenleben kostete, enorm. Es ist mit einem „Tsunami“
von Schadensersatzklagen zu rechnen, angesichts dieses Betruges von
„kosmischen Dimensionen“, wie Robert Reich es formulierte. Die Forderung nach
einer sofortigen Durchsetzung des Glass-Steagall-Gesetzes, um diesem
kriminellen Treiben ein für alle Mal ein Ende zu setzen, ist jetzt in
Washington und in den ganzen USA das überragende Thema - und, wer hätte das
gedacht, auch in London!
Der ESM muß vom Tisch!
Für Europa muß die Konsequenz aus diesem größten Finanzskandal in der
Geschichte heißen: Der ESM muß vom Tisch! Denn mit den bisherigen
Rettungspaketen wurden lediglich die Banken und Spekulanten, die vom
LIBOR-Skandal und wahrscheinlich auch von Geldwäsche profitiert haben, mit
Steuergeldern in die Lage versetzt, umso unverschämter gegen die
Staatsanleihen derselben Staaten zu spekulieren, die soeben die Rettungspakete
finanziert hatten.
Die gesamte Praxis der G-20-Staaten und der EU seit dem Ausbruch der
Finanzkrise im Juli 2007 hat über jeglichen Zweifel hinaus bewiesen, daß die
Regierungen von den Großbanken wie die Hasen getrieben worden sind, natürlich
immer, weil sie „systemisch“ waren. Peinlich nur, daß dieses „System“ durch
und durch kriminell ist. (Und vielleicht noch ein Sahnehäubchen: In Spanien
wurde soeben ein Strafverfahren gegen 33 frühere Manager der mittlerweile
verstaatlichten Großbank Bankia und deren Muttergesellschaft BFA eröffnet.
Unter den Beschuldigten befindet sich auch der frühere Bankia-Chef Rodrigo
Rato, der zwischen 2004 und 2007 Chef des Weltwährungsfonds war.)
Deshalb kann es keine Beruhigung sein, wenn das Direktorat des ESM von den
EU-Finanzministern berufen werden und lebenslange Immunität genießen soll.
Denn entweder waren die Finanzminister, die EZB und die EU-Kommission in den
vergangenen Jahren unfähig und konnten den gigantischen Betrug, der sich vor
ihrer Nase abspielte, nicht erkennen, oder sie wußten es und drückten um des
eigenen Vorteils willen beide Augen zu. In jedem Fall wäre es fahrlässige
Unachtsamkeit, mit dem ESM, dessen Direktorat jederzeit auf die nationalen
Haushalte zugreifen und mit den Geldern auf dem primären und sekundären
Geldmarkt spekulieren könnte, einen rechtsfreien Raum zu schaffen, in
dem sich Vertreter einer Zunft tummeln könnten, deren Markenzeichen ihr
fehlendes Unrechtsbewußtsein ist.
Nach dem LIBOR-Skandal macht sich jeder, der den ESM weiterhin unterstützt,
des Hochverrats an der Bevölkerung und dem Gemeinwohl schuldig!
Auch auf dem europäischen Kontinent muß deshalb umgehend das
Trennbankensystem umgesetzt, die EU-Verträge von Maastricht bis Lissabon
aufgekündigt und die Rückkehr zur souveränen Kontrolle der Währung und der
Wirtschaftspolitik in Gang gesetzt werden.
Es gibt ein Leben nach dem Euro: die Einführung einer neuen DM, und die
Schaffung eines Kreditsystems in der Tradition der Politik der KfW beim
Aufbauprogramm nach dem Zweiten Weltkrieg, aber diesmal für das Aufbauprogramm
für Südeuropa, den Mittelmeerraum und Afrika, wie wir es vorgeschlagen haben
(siehe http://www.bueso.de/wirtschaftswunder). Und eine internationale
Pecora-Kommission wird es auch geben, wenn auch in der abgeänderten Form von
strafrechtlichen Verfahren der Staatsanwälte.