Konfuzius im heutigen China
Von Dr. Cui Hongjian
Dr. Cui Hongjian, Direktor der europäischen Studien am
Chinesischen Institut für Internationale Studien, hielt bei der Konferenz des
Schiller-Instituts am 14. April den folgenden Vortrag.
Als ich gebeten wurde, diesen Vortrag über Konfuzius im heutigen China zu
halten, dachte ich zunächst an eine Art Pause ohne Kaffee, zwischen so vielen
schwierigen Fragen zur geopolitischen Krise, zur Finanzkrise etc. Aber jetzt
stelle ich fest, daß es fast eine unerfüllbare Aufgabe ist, denn sogar für
mich als Chinesen ist es kaum möglich, die Rolle von Konfuzius im heutigen
China in wenigen Minuten deutlich zu machen.
Es gibt zwei wesentliche Punkte. Erstens: Wer ist Konfuzius, und was ist
Konfuzianismus? Und dann, was ist das Problem im heutigen China?
Ich will es versuchen. Ich denke, Konfuzius ist hier in Europa nur wenig
bekannt, im Vergleich zu anderen chinesischen Denkern wie Laotse. Ich glaube,
daß die meisten Menschen in Deutschland Laotse Konfuzius vorziehen, weil
einige deutsche Philosophen darauf hingewiesen haben, daß Laotses Theorie eher
die eines Philosophen ist, insbesondere vom Standpunkt des deutschen
Denkens.
Aber ich möchte sagen, daß Konfuzius im Vergleich zu Laotse ein antiker
Denker ist, der sich mehr mit Theorie befaßt, mit den Gesetzen für die
Menschen. Wie sollen wir leben und arbeiten? Ich denke, es ist sehr, sehr
inspirierend für uns heute, für unsere Probleme und Herausforderungen, für die
Krise, mit der wie es zu tun haben, daß Konfuzius heute ein sehr, sehr großes
Ansehen in der Welt hat. 1988 haben mehr als 35 Nobelpreisträger die
Menschheit dazu aufgerufen, mehr von der Weisheit des Konfuzius zu lernen, für
das Überleben der Menschheit. Und, wie der amerikanische Philosoph [Ralph
Waldo] Emerson sagte, Konfuzius sollte man als eine Glorie für alle Nationen
der Welt betrachten.
Ich muß an dieser Stelle einen Satz des deutschen Philosophen [Karl]
Jaspers zitieren. In seinem Buch Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
prägt er den Begriff der Achsenzeit - und damit meint er, daß es eine Zeit gab
[800-200 v. Chr.], in der es sowohl im Osten wie im Westen einige weise Männer
gab. In China gab es Konfuzius, in Europa Aristoteles und Platon, in Indien
Buddha. Konfuzius hat also in China und in der übrigen Welt ein sehr hohes
Ansehen.
Einige Chinesen haben das Gesetz des Konfuzius in der Geschichte Chinas so
beschrieben, daß die Menschheit im Dunklen tappen müßte, wenn es Konfuzius
nicht gegeben hätte. Und auch jetzt gilt Konfuzius als einer der größten
Denker, Erzieher, Politiker und Moralisten in China und der Welt. Sein Beitrag
legte auch die Grundlage für das politische philosophische, erzieherische und
ethische System Chinas.
Konfuzius wurde vor mehr als 2500 Jahren geboren. Natürlich hat sich sein
Denken an andere chinesische Denker und auch an gewöhnliche Chinesen vererbt,
sodaß wir dieses theoretische System den Konfuzianismus nennen. Unter den
Menschen, die zu den Erben des Konfuzius gehören, sind Menzius, Xunzi, und Zhu
Xi und andere. In verschiedenen historischen Perioden Chinas entwickelten sie
die Theorien des Konfuzius weiter.
Die Säulen des Konfuzianismus
Aus dem sehr umfassenden System seiner Theorien möchte ich nur einige der
meiner Meinung nach wesentlichen Punkte herausgreifen.
Der zentrale Wert des Konfuzianismus ist zunächst einmal der Geist des
Rationalismus. Was ist die Bedeutung des Rationalismus für Konfuzius?
Er glaubte, daß die Evolution der Existenz der Menschheit durch Gesetze
gelenkt wird - nicht durch natürliche Gesetze, sondern durch menschliche
Gesetze. Und zweitens glaubte er, daß jeder, alle Menschen, dazu erzogen
werden sollten, Gentlemen zu sein - aber man kann sich natürlich auch die
britische Königin als Vorbild wählen.
Und zweitens hatte er sehr offensichtlich eine dialektische Methode.
Er glaubte, daß es einen Übergang oder eine Konversion gibt zwischen gut und
schlecht, zwischen Gewinn und Verlust, sodaß der vielleicht größte Schatz des
Lebens, für die Menschheit, in der Balance liegt. Wir müssen deutlich machen,
was die beiden Extreme sind - beispielsweise, was ist links und was rechts?
Was ist das Beste, und was ist das Schlimmste? Und dann müssen wir den
Mittelweg einschlagen.
Das dritte ist sein pragmatischer Aktivismus. Wenn wir über das
Verhalten des chinesischen Volkes reden, dann ist, denke ich, pragmatisch
eines der nützlichsten Worte, um es zu beschreiben. Das liegt sicherlich am
sehr tief verwurzelten Einfluß des Konfuzianismus. Wie wir wissen, hat
Konfuzius keine Bücher, Artikel oder Papiere geschrieben. Wir kennen sein
Denken nur durch Notizen, die von seinen Schülern hinterlassen wurden. Und in
seinem ganzen Leben tat er nur eines: Er reiste durch verschiedene Länder.
Damals war China noch kein geeintes Land wie heute. Es gab viele kleine
Länder, wie im heutigen Europa. Um sein politisches Ideal zu propagieren,
reisten Konfuzius und seine Schüler in verschiedene Länder, um seine Theorien
zu verbreiten und um die Könige dazu zu bewegen, etwas Besseres für ihre
Völker zu tun. Aber am Ende ist er gescheitert. Fast niemand verstand und
akzeptierte das, was er dachte und das, was er tat.
Schließlich ist da, meiner Meinung nach das wichtigste Charakteristikum der
Ideen des Konfuzius, der Humanismus. Es gibt äußerst bemerkenswerte
Worte des Konfuzius: Ob ein Gesetz oder eine Theorie nützlich ist oder nicht,
hängt davon ab, ob es nützlich ist für die Menschen. Ansonsten ist es Unsinn.
Ich denke, das ist eine bemerkenswerte Reflektion des Humanismus im
Konfuzianismus.
Konfuzius bat die Politiker oder Könige seiner Zeit, eine Art des Ren
zu praktizieren, was soviel heißt wie eine wohlmeinende Regierungsführung.
Da es ein chinesisches Wort ist, ist es schwierig, das ins Englische oder
andere Sprachen zu übersetzen, aber man findet eine sehr umfassende Erklärung
für dieses Wort in der englischen Sprache: Es bedeutet, eine wohlmeinende
Politik, aber es bedeutet auch Humanität. Da es kein sehr klares Konzept war,
fragten ihn seine Schüler immer wieder nach der Bedeutung dieses Wortes.
Schließlich sagte Konfuzius: „Was ist das Ren eigentlich? Was ist
Benevolenz? Es ist, jemanden zu lieben.“ Wir finden hier also eine Ähnlichkeit
zwischen Konfuzius und den Christen.
Der Konfuzianismus und der Westen
Nach 2500 Jahren müssen wir uns Sorgen machen um das Schicksal des
Konfuzianismus in China. Ich denke, daß es in dem, was wir die Zeit des
modernen China nennen, eine Art Konflikt zwischen dem Konfuzianismus und
anderen Theorien oder Gesetzen gibt.
Im 18. Jahrhundert, vor allem, als die europäischen Länder nach Asien
expandierten - das bezeichne ich als die erste Begegnung zwischen dem
Konfuzianismus und dem Kapitalismus aus Europa. Denn China wurde von den
europäischen Ländern besiegt und wurde Teil des Kolonialsystems der
europäischen Länder. Damals fühlten sich die chinesischen Intellektuellen
immer mehr enttäuscht vom Konfuzianismus, denn sie dachten, so gut er auch
sei, er habe dem chinesischen Volk nicht geholfen, dem Schicksal zu entgehen,
auf diese Weise erobert zu werden.
Dann kam das, was in den 1960er und 1970er Jahren geschah - die
Kulturrevolution. Es war das Ziel dieser Revolution, wie man damals sagte,
„den Konfuzianismus zu zerbrechen“. Das war eine weitere Tragödie für den
Konfuzianismus in Cina.
Die dritte Periode kam nachdem sich China „öffnete“ und die Reformpolitik
einleitete. Wir nannten das eine „Modernisierungs-Periode“, als die
Marktwirtschaft in China eingeführt wurde. Die traditionelle Geisteshaltung,
der traditionelle Lebensstil des chinesischen Volkes wurden durch diese völlig
andere Lebens- und Denkweise in Frage gestellt. Diese Herausforderungen für
China bestehen weiter.
Das ist der Grund, warum wir heute über den Konfuzianismus und über
Konfuzius reden. Offen gesagt, aufgrund der sehr schnellen wirtschaftlichen
Entwicklung der letzten 30 Jahre steht China vor einigen gewaltigen Problemen,
einigen großen Herausforderungen. Wir müssen den Preis für dieses sehr
schnelle Wirtschaftswachstum bezahlen.
Das Problem ist jetzt, daß die traditionellen sozialen Strukturen von
einigen politischen Bewegungen zerbrochen wurden, und daß das
Wirtschaftswachstum zu schnell war. Die Menschen fühlten sich von all dem
beunruhigt, und infolgedessen mußte das traditionelle moralische System in
China umgebaut werden.
Das Schlechte in der heutigen Gesellschaft Chinas ist, daß die meisten
Menschen nur dafür leben, so schnell wie möglich Geld zu verdienen. Ich fühlte
mich etwas beschämt als Chinese, als ich vor einigen Tagen hörte, daß China
die Vereinigten Staaten überholt hat und jetzt der weltweit größte Importeur
von Luxusgütern geworden ist! Gut, die Chinesen werden reicher und reicher.
Aber das Problem ist, daß dies nur für wenige gilt. Gemessen am
Pro-Kopf-Einkommen ist China immer noch ein armes Land. Es kann nicht
akzeptabel sein, daß in einem armen Land so wenige Menschen eine so große
Kaufkraft haben.
Ich denke, daß das ganze Problem darin liegt, daß die Regierung einige
Gelegenheiten versäumt hat, die wirtschaftlichen Gesetze und die soziale
Gerechtigkeit ins Gleichgewicht zu bringen. Mit der Möglichkeit der
Verbesserung der Produktion und der Infrastruktur wurden die politischen
Entscheidungsträger meistens von der wirtschaftlichen Blase getrieben,
beispielsweise der Immobilienblase. China muß jetzt also den Preis für diese
Fehler bezahlen. China muß sein Wirtschaftsmodell anpassen und sein
Wirtschaftswachstum bremsen.
Ich denke, dies ist, vor allem aufgrund der Wirkung der amerikanischen
Krise und der europäischen Krise, die letzte Chance für die chinesische
Regierung und für das chinesische Volk, über die Gewinne und die Verluste der
letzten 30 Jahre nachzudenken. Die Regierung muß mehr tun, mit neuen Ideen, um
ein neues Entwicklungsmodell zu entwickeln.
Die Ziele der Regierung sind klar genug. Sie wollen die Industrien
verbessern und mehr in die reale Wirtschaft investieren, nicht in die Finanz-
oder Immobileinmärkte. Und sie versuchen, dem Denken von Herrn LaRouche zu
folgen und die nationale Wirtschaft zu entwickeln und sich nicht von den
ausländischen Aktienmärkten treiben zu lassen. Vor einigen Tagen hörte ich,
daß die chinesischen Devisenreserven auf 3,53 Billionen US-Dollar angewachsen
sind - das ist fast genau soviel wie das deutsche BIP! Ich denke nicht, daß
das eine gute Nachricht ist. Ich glaube, daß es einen starken Druck auf die
chinesische Regierung gibt, das Gleichgewicht zu halten, denn jetzt gibt es
immer mehr Beschwerden von Seiten der einfachen Chinesen: Wie kann man soviel
Geld an die Wall Street oder an andere spekulative Märkte geben? Warum gibt
man es nicht den chinesischen Menschen? Denn sie ist ja die chinesische
Regierung!
Wir sollten zurück zu der Denkweise, dem Lebensstil des Konfuzius und des
Konfuzianismus. Auch nach 2500 Jahren, denke ich, sind alle diese Theorien,
diese Gedanken immer noch sehr nützlich, sehr instruktiv für das chinesische
Volk - und vielleicht nicht nur für die Chinesen, sondern auch für die
Menschen in anderen Ländern. Denn der Konfuzianismus bedeutet, daß wir für
Jeden, für jeden Teil der Gesellschaft, für jede Organisation innerhalb einer
Gesellschaft deutlich machen müssen, was unsere Mission ist, unsere Position
und unsere gemeinsamen Bemühungen für das gleiche Ziel.
Ich glaube daher, daß wir, insbesondere die chinesische Gesellschaft, einen
neuen Konsens zwischen der Regierung, der Bevölkerung und den Unternehmern
herbeiführen müssen, und zwischen China und einigen anderen Teilen der
Welt.
Ich glaube, daß der Konfuzianismus in der Zukunft vielleicht Schiller und
Goethe begegnen wird, denn ich denke, daß der Konfuzianismus in China
vielleicht als das klassische Gesicht der chinesischen Kultur betrachtet
werden sollte.
Ich stelle mir vor, daß wir, wenn wir erst einmal mehr Austausch zwischen
China und Europa haben, insbesondere kulturellen Austausch, uns auch
gegenseitig besser verstehen können. Vielleicht können wir dann voneinander
mehr und mehr Lösungen für unsere eigenen Probleme erfahren. Ich denke, das
sind gute Aussichten; aber wir müssen jetzt auch anfangen, es zu tun!
Vor einigen Tagen nahm ich an einer Konferenz in Brüssel teil, die
stattfand zwischen einer Delegation von NGOs aus China und dem Wirtschafts-
und Sozialausschuß der Europäischen Union. Wir sprachen da über die Idee eines
kulturellen Austausches. Und wir erkannten einige Prinzipien an: Wir müssen
die Diversität und die Unterschiede untereinander erkennen, bevor wir anfangen
können, mehr Gemeinsamkeiten zu finden. Es ist mein Wunsch - und ich hoffe,
daß das auch Ihr Wunsch ist -, daß wir versuchen können, mehr zu tun, für die
letzte Chance der Menschheit
LaRouche - ein konfuzianischer Mentor
Schließlich möchte ich als chinesischer Gelehrter noch Herrn und Frau
LaRouche meinen Tribut zollen. Ich weiß, daß die Beziehungen zwischen Herrn
und Frau LaRouche und China schon 20 Jahre zurückreichen, als ein sehr
bekanntes chinesisches Journal einen Artikel von Herrn LaRouche publizierte.
In diesem Artikel sagte Herr LaRouche voraus, daß China damals noch etwas mehr
tun müsse, sonst werde der Reichtum Chinas aus den ländlichen Regionen des
Binnenlandes in die Küstengebiete und von dort in andere Länder exportiert
werden. Und Herr LaRouche erinnerte uns auch daran, daß im damaligen China ein
sehr schlechtes Denken vorherrschte - daß man nämlich so schnell wie möglich
Geld verdienen müsse. Er sagte, das wäre gefährlich für das moralische System
Chinas und gefährlich und schädlich für jene Leute, jene Eliten, die darüber
entscheiden können, welche Richtung für China, als ein großes Land, die
geeignete sei. Herr LaRouche hat damals vorgeschlagen, daß China zu einem
klassischen, nationalen Wirtschaftsprinzip zurückkehren müsse, weil das die
Grundlage für den Aufstieg aller großen Mächte des Westens gewesen sei.
Und vor zehn Jahren hat einer meiner Freunde, Herr Ding, ein Interview mit
Herrn LaRouche geführt, und er sagte mir, daß er Herrn LaRouche sehr, sehr
bewundere, weil dieser fast eine Legende sei; er sei jemand, der in einem
westlichen Land lebt, aber trotzdem diese Art der Entschlossenheit habe und
die westliche Zivilisation umgestalten wolle.
Die Zeit flieht, auch für das chinesische Volk. Wir haben immer jene
Menschen respektiert, die glauben, daß sie ihr Leben um eines Zieles willen
führen, als Konfuzianer. Erlauben Sie mir also, Herrn LaRouche einen
konfuzianischen Mentor zu nennen.
Vielen Dank.
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