Interview
„Das Theater ist der beste Botschafter einer Nation“
Feride Gillesberg-Istogu vom dänischen Schiller-Institut sprach mit dem
Schauspieler Eshref Durmishi über die Lage und Bedeutung der klassischen Kunst
in Kosovo.
Ich hatte die Möglichkeit, Ende Oktober/Anfang November wieder mein
Heimatland Kosovo zu besuchen. Dieses Mal gelang es mir, Gespräche mit
mehreren Persönlichkeiten der Kultur in Kosovo zu führen. Trotz der
dramatischen wirtschaftlichen Lage gibt es in Kosovo eine Handvoll von
Musikern und Künstlern, die für die klassische Musik und Kultur brennen und
wissen, welche wichtige Bedeutung diese für den Aufbau einer Nation haben -
vor allem einer so jungen Nation wie Kosovo, die immer noch im Entstehen ist.
„Wirtschaftliche Entwicklung“ oder „keine wirtschaftliche Entwicklung“ - das
ist die reale Frage. In Kosovo gibt es kulturelle Persönlichkeiten, denen es
bewußt ist, daß die wirtschaftliche Entwicklung mit der kulturellen
Entwicklung Hand in Hand geht, wobei die klassische Kultur ein wichtiger
Grundstein ist.
Ich hatte die Ehre, eine längere Unterredung mit Eshref Durmishi zu führen,
einem Schauspieler am National-Theater in Kosovo - hier ein Auszug aus unserer
Diskussion.
Feride Gillesberg-Istogu: Wie steht es mit dem
National-Theater in Kosovo?
Eshref Durmishi: Alle in Kosovo wissen, daß wir nach dem
Krieg wieder ganz von vorn anfangen mußten, um das National-Theater wieder
aufzubauen. Wir haben seit Jahren Schwierigkeiten, vor allem finanzielle
Probleme. Trotz der schwierigen Lage arbeiten wir hart und sorgen dafür, daß
wir Aufführungen haben. Wir haben sogar ganz erfolgreiche Theaterstücke
gespielt!
Gillesberg-Istogu: Ich habe gesehen, daß ihr Shakespeare
aufführt?
Durmishi: Ja, das ist richtig, wir haben das Drama Die
Zwölfte Nacht (Was ihr wollt) von Shakespeare aufgeführt, wo ich
die Rolle des Sebastian gespielt habe. Wir haben dieses Theaterstück gewählt,
weil es einen guten Einblick in die albanische Geschichte gibt. Dieses Stück
spielt sich in Illyrien ab, dem Gebiet des heutigen Kosovo und Albanien. Wir
habe daran gearbeitet, das Stück so original und authentisch wie möglich zu
machen, so daß es den Vorstellungen Shakespeares entspricht. Ich glaube, daß
das uns gelungen ist. In den zwei Jahren, in denen wir Die Zwölfte
Nacht aufgeführt haben, hatten wir eine hervorragende Teilname, das
Theater war immer voll, also sehr gut besucht, obwohl das Stück drei Stunden
lang ist. Wir wissen auch, daß es Leute gibt, die die Vorstellung mehrmals
gesehen haben. Die Übersetzung ins Albanische war eine Kombination einer
älteren und einer neueren Übersetzung, in einem schönen, heutigen
Albanisch.
Ich weiß nicht, was das nächste Stück von Shakespeare sein wird, das wird
vom Regisseur entschieden.
Gillesberg-Istogu: Wie siehst du die Rolle des Theaters in
Bezug auf die Entwicklung des Charakters einer Nation?
Durmishi: Das Theater, vor allem das Drama, spielt eine sehr
wichtige Rolle. Man kann zum Beispiel ganz gut Dramen mit unserer heutigen
Lage verknüpfen. Die Probleme, die in einem Shakespeare-Drama behandelt
werden, sind die gleichen Probleme, die wir auch heute haben. Drama heißt vor
allem, unsere Gesellschaft zu entwickeln. Man kann auch die Bühne dazu nutzen,
einen politischen Prostest zu vermitteln, um so den Politikern zu
demonstrieren, was sich in der Bevölkerung rührt. Das klassische Theater
spielt überhaupt eine wichtige Rolle dabei, die Kultur und Tradition zu
formen. Die Dramen von Shakespeare geben auch eine gute Idee von Geschichte.
Das Theater kann auch Nationen näher bringen. Jede gute Aufführung erfordert
so viel. Gute Aufführungen in einer Nation geben anderen Nationen das Beste,
davon können die Leute von anderen Nationen inspiriert werden. Unsere
Theatergruppe hat mit Shakespeares Zwölfter Nacht an mehreren
internationalen Theaterfestivals in Makedonien und Albanien erfolgreich
teilgenommen. Es ist uns wirklich gelungen, das Publikum zu bewegen. Die
Zuschauer wurden Zeugen lebendiger Geschichte, sie wurden durch die Leiden,
aber auch die Freuden der Menschen geführt.
Gillesberg-Istogu: Was würdest du unseren deutschen Lesern
gerne zum Abschluß sagen?
Durmishi: Ich würde gerne allen Lesern sagen, daß Kunst und
Theater weltweit die besten Botschafter einer Nation sind. Diese Botschafter
dürfen nicht untergehen, das ist nur möglich, wenn ihr für das klassische
Theater kämpft!
Das klassische Theater spielt eine wichtige Rolle für jede Nation. Einer
der größten Söhne unseres Theaters, Alexander Moissi, würde sich freuen zu
sehen, daß es in Kosovo heute junge Schauspieler gibt, die sich mit großer
Mühe für das klassische Theater einsetzen.
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