Wie Satelliten auf vielfältige Weise dem Gesundheitswesen dienen
Von Dr. med. Antonio Güell
Dr. Antonio Güell, Raumfahrtmediziner aus Toulouse, hielt die
folgende Rede auf der Konferenz des Schiller-Instituts „Ein neues Paradigma
für das Überleben der Zivilisation“ am 24.-25. November 2012 in Flörsheim. Es
folgt eine leicht gekürzte Übersetzung des auf französisch gehaltenen
Vortrags.
Ich möchte mich zunächst bei den Veranstaltern des Schiller-Instituts für
die Einladung bedanken, hier über ein Thema sprechen zu dürfen, das ich für
äußerst faszinierend und interessant halte.
Ich bin 15 Jahre lang in der neuropsychiatrischen Klinik von Toulouse
ärztlich tätig gewesen. Nach 15 Berufsjahren habe ich jedoch mein Leben völlig
umgestellt, denn ich wurde stellvertretender Leiter der französischen
Raumfahrtbehörde CNES, zuständig für Anwendungen im Weltraum und der
Gesellschaft, für Patente, Technologietransfer usw.
Meine Arbeit in dieser Position endete am 1. Juli 2012, und ich bin seither
im Ruhestand. Allerdings setze ich mich weiter dafür ein, daß der Nutzen von
Satelliten allen Menschen auf der Welt zugute kommt.
Das Thema Ihrer Konferenz lautet „Ein neues Paradigma für das Überleben der
Zivilisation“. Das Wort Paradigma kann im Französischen einer Gedankenfolge
entsprechen, die einem oft dazu verhilft, eine eigene ursprüngliche Idee zu
entwickeln, und ich betone dabei das Wort „ursprünglich“. Wie wir sehen
werden, ist es unumgänglich, solche Ideen weiterzuverfolgen und Innovationen
umzusetzen. Das Wort Innovation hat mich mein gesamtes Berufsleben als Arzt
und dann bei der CNES begleitet, und Sie werden gleich verstehen, warum.
Ideen mögen technologisch, methodologisch oder humanitär sein, aber immer
sind sie das Ergebnis wissenschaftlicher Grundlagenforschung, wie [mein
Vorredner] Didier Schmitt mit Blick auf die Weltraumforschung im breitesten
Sinne erwähnt hat. Diese Art der Forschung führt systematisch oder in 95% der
Fälle zu angewandter Forschung, die das Wohlergehen der Bevölkerung eines
bestimmten Landes, eines Kontinents oder der gesamten Menschheit fördert.
Mein Vortrag ist in vier Teile unterteilt.
Warum brauchen wir Innovationen in einem Bereich, den ich „Gesundheit und
Satelliten“ nenne? Ich möchte Ihnen dafür zwei konkrete Beispiele nennen:
Eines aus der Umwelt, und eines, das 7,5% der Leute hier im Raum betrifft;
warum, sage ich Ihnen gleich. Anschließend werde ich einige Schlüsse ziehen
und Empfehlungen für Innovationen nennen.
Medizinische Innovationen mit Hilfe ziviler Satelliten
Ich bin zwar im Ruhestand, doch ich arbeite weiter als Berater des
Instituts für Weltraummedizin von Toulouse, das entstand, als die ESA, die
CNES und die DLR in Deutschland ihre Beteiligung an dem
Hermes-Raumfährenprojekt beschlossen, das dann aber aus politischen Gründen
fallengelassen wurde.
Ich meine, es ist wichtig, im Kopf zu behalten, daß sich die Welt
verändert. Ich meine damit nicht die Konflikte, auf die in vorangehenden
Beitragen eingegangen wurde, sondern das, was ich als einfacher Arzt sehe, der
für die Menschen da ist, in welchem Land oder auf welchem Kontinent sie leben
oder welche Sprache sie auch sprechen. Die Welt verändert sich im
medizinischen Bereich, da die Menschen immer älter werden, sei es in Europa,
in Amerika oder im Nahen Osten.
Was ist die unmittelbare Folge hiervon für das öffentliche
Gesundheitswesen? Chronische Erkrankungen, von denen bisher nur wenige
betroffen waren, werden sich verdreifachen, wenn nicht sogar vervierfachen. In
einer Studie des französischen Gesundheitsministeriums wurde festgestellt,
daß, wenn die Regierung nichts gegen die Fettsucht unternähme, 25% der
Bevölkerung in weniger als 30 Jahren fettsüchtig sein würde. Dickleibigkeit
erzeugt viele chronische Krankheiten, vor allem Diabetes. Schon heute leiden
7% der Franzosen, 6,2% der Deutschen und 5% der Chinesen an Diabetes; und wenn
man 5% von 1,3 Mrd. Menschen rechnet, dann sind das sehr viele Leute. Somit
ist das Altern der Bevölkerung ein Veränderungsfaktor.
Ein weiterer Faktor im neuen sozialen Verfahren ist all das, was mit „Tele“
zu tun hat, wie Telearbeit und Gebäudeautomation. Man sitzt zu Hause im Sessel
und drückt einfach nur eine Taste auf dem Computer, und alles geschieht
automatisch. Man tut selbst nichts mehr, macht seinen Mittagsschlaf, ißt usw.
Alles geschieht im Sitzen, was der zweite relativ wichtige Veränderungsfaktor
ist.
Aufgrund der Krise in Europa, insbesondere in Südeuropa, haben wir leider
immer weniger Geld, weswegen wir pragmatische und ganz praktische Ansätze
brauchen.
Es gibt auch technische und wissenschaftliche Entwicklungen in der
Informations- und Kommunikationstechnologie, sei es durch landgestützte
Netzwerke oder Satellitennetzwerke, durch Nanotechnologien oder Biocaptors und
Biosensoren. Dadurch werden neue Verfahren, neue Gewerbe, neue Arbeitsplätze
entstehen. Auf medizinischem Bereich entwickelt sich daraus in Frankreich,
Spanien, Italien und anderen europäischen Ländern - ich weiß nichts über
Deutschland - eine Art „Entmedikalisierung“, d.h. ein Trend zu immer weniger
Ärzten und Pflegepersonal, was sehr problematisch ist. Es ist absolut
notwendig, bei diesen Veränderungen Überlegungen über das öffentliche
Gesundheitswesen anzustellen, und wir werden sehen, welche Beiträge die
Raumfahrt hierbei leisten kann.
Zu den Technologien, die entwickelt werden und immer positivere Ergebnisse
bringen, zählen die Robotertechnik, die Telechirurgie und medizinische
Bildgebung. Als ich 1970-71 meinen Facharzt in Neurochirurgie machte und ich
einen Patienten mit Halbseitenlähmung nach einem Schlaganfall untersuchte, gab
es noch keinen Röntgen- oder Magnetresonanzscanner. Wie sollte ich also eine
richtige Diagnose stellen? Da fühlte man sich etwas wie ein Tierarzt.
Heute hat sich die Technologie weiterentwickelt, genauso wie die
Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Dadurch eröffnen sich
Perspektiven für Konsultationen in entlegenen Orten, für personalisierte
medizinische Behandlungen, für die Anleitung von Patienten und die
Gesundheitsüberwachung zu Hause ohne persönliche Anwesenheit eines Arztes. Was
folgt daraus? In 5-6 oder 10 Jahren werden Patienten - zumindest in den Augen
jener Heilberufler, die an neuen IKTs und Übermittlungsverfahren zu Land oder
per Satellit interessiert sind - immer seltener ins Krankenhaus gehen; statt
dessen kommt das Krankenhaus zu ihnen. Die Ärzte werden nämlich über neuartige
Datenverbindungssoftware und Instrumente und eine Vielzahl technologischer
Systeme zur Überwachung und Diagnosestellung verfügen.
Jetzt etwas zu den Satelliten. Satelliten sind im Grunde wie Raketen; man
muß dieser Tatsache ins Auge sehen. Genauso wie Raketen erfüllten Satelliten
anfangs militärische Aufgaben. Jedoch gibt es Leute in den Raumfahrtagenturen,
sei es in den Vereinigten Staaten, Rußland, Europa, Frankreich oder
Deutschland, die etwas menschlicher denken und versuchen, zivile Anwendungen
für den Einsatz von Satelliten zu finden.
Ich erinnere mich noch an die Satcoms; der erste [französische]
Telekommunikationssatellit hieß Astérix. Auf Anordnung General de
Gaulles war dieser Satellit damals heimlich entwickelt worden, weil ein
Militär de Gaulle klargemacht hatte, daß Frankreich mit Hilfe dieses
Satelliten viel schneller Informationen übertragen könnte; ansonsten würden
wir im Morsezeitalter verbleiben. Das war 1966-67. Dieser Satellit war der
Vorläufer von Télécom 1A, Télécom 1B usw.
Wer hat Satellitennavigationssysteme (GPS) entwickelt? Das amerikanische
Verteidigungsministerium für den ersten Golfkrieg. Damals kamen erstmals
einige GPS-Systeme auf den Markt. Heute ist der GPS-Markt riesig, und der
Galileo-Markt wird es bald ebenso sein.
Die jüngste Entwicklung - die Erdbeobachtungssatelliten, die auf Betreiben
des Militärs gebaut wurden, so daß sich unterschiedliche Armeen gegenseitig
ausspionieren können - wird heute in verschiedenen Bereichen eingesetzt: So in
der Landwirtschaft und der Tele-Epidemiologie.
Die meisten heutigen Satelliten werden inzwischen für zivile Anwendungen
gebaut, für Beobachtung, Ortung oder Telekommunikation. Der Markt für Dienste
mit zivilen Satelliten außerhalb des Militärs beläuft sich auf 100 Mrd. Euro
im Jahr, was sich wie folgt verteilt: 75% für Telekommunikationsdienste, d.h.
75 Mrd. Euro, wovon 90% TV-Plattformen sind (CanalSat, Astra, Eutelsat usw.);
23% für GPS und Galileo (TomTom, Bankgeschäfte, Präzisionsarchitektur); die
verbleibenden 2% dienen der Erdbeobachtung.
Abb. 1: Vier Arbeitsfelder für den Einsatz von Satellitentechniken im
Bereich der Medizin
Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? Meine Erklärung basiert auf
persönlichen Erfahrungen nach mehreren Jahren bei der CNES: Als wir die
Verwendung von Satelliten definierten, entsprachen sie stets den sozialen
Bedürfnissen potentieller Nutzer wie Landwirten, Stadtplanern usw., die
verstanden, warum der Satellit für ihre Zwecke vorteilhaft wäre. Bei der
Erdbeobachtung schickten jedoch nur DLR, CNES oder ESA ihre Ingenieure, die
sich vor allem mit bildgebenden Verfahren auskannten, und sobald diese
Satelliten entwickelt waren, wurden sie auf Raketen montiert, und schließlich
kreisten Satelliten über unseren Köpfen, mit denen wir im Grunde nichts
richtiges anzufangen wußten. Das ist die traurige Seite des europäischen
Erdbeobachtungsprogramms (GMES).
1997 war für CNES und meine Kollegen ein wichtiges Jahr, denn der für uns
zuständige Bildungs- und Forschungsminister Claude Allègre richtete damals an
den CNES-Direktor die folgende Frage: „Können Satelliten für das
Gesundheitswesen hilfreich sein, ja oder nein? Erbitte Bericht in 6-9
Monaten.“ Daraufhin fragte der CNES-Direktor mich als einzigen Arzt, eine
Arbeitsgruppe einzurichten. Ich hatte zwei Möglichkeiten: Ich könnte entweder
eine Gruppe mit Ingenieuren von CNES, ESA und DLR, mit denen wir
zusammenarbeiteten, einrichten oder ich könnte mich an die Anwender wie Ärzte,
Krankenschwestern, Patienten wenden. Ich entschied mich für letzteres, und
daraus ergaben sich vier Themen, von denen ich hier zwei erläutern will
(Abbildung 1).
Satellitengestützte Gesundheitsdienste in entlegenen Gegenden
Das erste Thema ist die sogenannte Telekonsultation in isolierten,
entlegenen Gegenden, das zweite ist die Tele-Epidemiologie. Die beiden
anderen, Weiterbildung und häusliche Überwachung, beziehen sich nur auf die
Sammlung und Übermittlung automatisierter Daten.
Telekonsultation nennt sich die Gesundheitsversorgung in isolierten
Gegenden. Welchen Beitrag können Kommunikationssatelliten hierfür leisten? Und
was verstehen wir überhaupt unter isolierten Gegenden? Das sind geographisch
entlegene Gegenden wie die Tiefen des brasilianischen Amazonas, Wüsten oder
das Hinterland von Nizza - das ist wirklich sehr abgelegen, wo man zwischen
sieben Stunden und zwölf Tagen auf eine notfallmäßige Ultraschalluntersuchung
warten muß. Und das nur 100 km von Nizza entfernt! Oder Französisch-Guyana mit
seinen etwa 250.000 Einwohnern, von denen 122.000 etwa zwei
Hubschrauberflugstunden vom nächsten Krankenhaus entfernt leben.
Auch aufgrund von Naturkatastrophen oder Industrieunfällen können Orte
abgeschnitten werden. Ich selbst habe das in Toulouse erlebt, als dort die
Düngemittelfabrik AZF explodierte, wobei 33 Menschen starben und 37.000
verletzt wurden, was innerhalb von zwei Tagen viele Krankenhausbehandlungen
bedeutete. Ein ganzer Stadtteil von Toulouse wurde schwer beschädigt. Wir
waren überrascht, daß es nicht mehr Tote gegeben hat. In den ersten zwei Tagen
konnten die Ärzte untereinander und mit den Rettungskräften und den
Krankenhäusern nur über Satellit kommunizieren. Wir betrachteten das als
isolierten Ort. Bei einem Erdbeben, einem Tsunami oder selbst bei einem
Staatsstreich fallen als erstes die landgestützten Kommunikationssysteme aus.
Mit Telekommunikations- oder Navigationssatelliten läßt sich dann gut
arbeiten.
Bild: ESA
Abb. 2: Mit Mitteln der ESA entwickeltes ferngesteuertes Ultraschallgerät
Bild: MEDES
Abb. 3: Für den Einsatz in abgelegenen Gebieten entwickeltes mobiles
Untersuchungszentrum, dessen Daten per Satellitenverbindung an ein Krankenhaus
übertragen werden können
Bild: MEDES
Abb. 4: Mobile Telekommunikations- zentrale für den Einsatz in Katastrophenfällen
Bild: MEDES
Abb. 5: Mobiles Gerät zur EKG- und Blutdruckmessung, dessen Daten
automatisch an das nächste Krankenhaus übertragen werden
Bild: MEDES
Abb. 6: Augenuntersuchung im Untersuchungsfahrzeug im Rahmen der
DIABSAT-Reihenuntersuchung
Bild: MEDES
Abb. 7: Darstellung des SPOT-Satelliten zur Erfassung und Beobachtung von
Veränderungen der natürlichen Gegebenheiten der Erdoberfläche, aus denen
Rückschlüsse auf die Gefahr des Ausbruchs von Seuchen gezogen werden
können
(Das war im übrigen auch der Grund, warum Hugo Chavez, als er vor sieben
oder acht Jahren von der CIA und der spanischen Polizei entführt wurde,
entkommen konnte: Er hatte einen GPS-Sender in der Tasche, ein Geschenk seiner
Frau, so daß er sehr schnell geortet werden konnte.)
Weitere isolierte Orte sind Schiffe, Flugzeuge und zivile oder militärische
Expeditionen. Ein Airbus 380 zum Beispiel oder bestimmte Charterflugzeuge
werden einmal bis zu 1.052 Passagiere befördern können. Während eines
15stündigen Nonstopflugs kann immer ein medizinisches Problem auftauchen, das
die Flugbegleiter - und selbst ein Arzt an Bord - nicht lösen können. Wenn die
Durchsage kommt: „Befindet sich ein Arzt an Bord?“ so wird zumindest in
Frankreich ein Arzt dies geflissentlich überhören. Denn was die Arzthaftung an
Bord eines Flugzeugs betrifft, so haben es die Franzosen dummerweise den
Amerikanern nachgemacht.
Und es kann, wie gesagt, in geographisch entlegenen Gegenden wie im Fall
Nizza und manchmal sogar in Ballungsgebieten zu einem Mangel an Ärzten und
Rettungskräften kommen.
Betrachten wir einige Hilfsmittel für die Gesundheitsversorgung, die dank
der Raumfahrt entwickelt wurden. Dieses Ultraschallgerät (Abbildung 2)
wurde mit Geldern entwickelt, die [mein Vorredner] Didier Schmitt vergeben
hat. Der Tastkopf wird dabei auf den Bauch oder eine andere Körperstelle des
Patienten gebracht und mit einem „Joystick“ gelenkt, der 100, 1000 oder 15.000
km entfernt ist - oder auch nur im Raum nebenan. Das nennt sich
„Fern-Ultraschall“. Dieses Gerät gibt es bereits. In Frankreich wurden drei
mittelständische Unternehmen gegründet, um die dazugehörigen Teile
herzustellen.
In Abbildung 3 ist ein weiteres Produkt zu sehen: Ein
Kleintransporter mit einer Satellitenantenne auf dem Dach, über die Bilder und
relativ große Datenmengen von jedem beliebigen Standort an ein Krankenhaus
übertragen werden können.
Abbildung 4 zeigt Geräte für den Notfall, wie sie der französische
Zivilschutz einsetzt, denn bei einer Naturkatastrophe fallen meist zuerst die
Kommunikationseinrichtungen aus.
Dieser Behälter (Abbildung 5) wurde im Januar vor zwei Jahren in
Haiti eingesetzt - ein kleines Gerät, das inzwischen weiter miniaturisiert
wurde. Es hat einen Computer und Geräte zur EKG- und Blutdruckmessung, und
alle diese Daten werden aufgezeichnet und automatisch an das nächste
Krankenhaus übertragen.
Das DIABSAT-Projekt setzt sich aus den Wörtern Diabetes und Satellit
zusammen. In Frankreich, in Spanien, in Italien, in vielen europäischen
Ländern steigt die Zahl der Diabetiker. 80% von ihnen wissen gar nicht, daß
sie zuckerkrank sind, und merken es erst, wenn sich Komplikationen einstellen.
Vier Komplikationen müssen sehr ernst genommen werden. Der Patient kann
erblinden, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden, seine Nieren können
ausfallen und er kann sämtliche Empfindung an den unteren Gliedmaßen
verlieren.
Einen Termin beim Augenarzt, Neurologen, Kardiologen oder einem
Nierenspezialisten zu bekommen, kann ein wahrer Hindernislauf werden. Um in
Paris einen Augenarzttermin zu bekommen, muß man mindestens sechs Monate
warten, in Toulouse sogar zwischen 12 und 15 Monaten.
Wie sind wir vorgegangen? Wir haben alle diese fachärztlichen
Untersuchungsmöglichkeiten in einem Kleintransporter untergebracht. Darin
fährt kein Arzt, sondern eine Pflegekraft mit, und der Wagen ist in ländlichen
Gegenden unterwegs. Wir haben vor drei Jahren eine Studie begonnen, in der
insgesamt 2000 Patienten erfaßt wurden. Seither haben die öffentlichen
Gesundheitsbehörden auf regionaler Ebene in Frankreich zwischen 1 und 3
solcher Krankenwagen für ihre Regionen bestellt.
In einem Beispiel werden die gesammelten Daten mit Satellitentechnik
zwischen 12 und 18 Uhr an das Krankenhaus von Toulouse übermittelt, was sich
sehr bewährt hat. Die Kosten für die vier Untersuchungen einschließlich
Abzahlung des Krankenwagens und Bezahlung der Pflegekraft betragen 105 Euro.
Vier fachärztliche Untersuchungen für 105 Euro und das ohne jede Anfahrt für
den Patienten - wobei man wissen muß, daß einer der Gründe für das „Loch“ im
französischen Krankenversicherungssystem die Kosten für Patientenfahrten
sind.
Im DIABSAT-Krankenwagen können fünf Untersuchungen durchgeführt werden:
Augenhintergrund, Blutdruck, Sensibilität [in den Extremitäten],
Fußgeschwürrisiko und Nierenfunktion (Abbildung 6). Das ist kein
Screening auf Diabetes, sondern auf diabetische Komplikationen, was ein
Unterschied ist.
Was waren die Ergebnisse? Die Untersuchungsreihe begann im Oktober 2010 und
endet im Dezember 2012. Bis Juni 2011 wurden 1000 Patienten untersucht und
mehr als 3500 Tests durchgeführt. Besonders interessant war, daß bei etwa 240
Patienten eine sofortige stationäre Behandlung als erforderlich erwies. Das
bedeutete, der oder die Betreffende drohte zu erblinden, stand kurz vor dem
Nierenversagen, hatte Angina pectoris, Arterien waren verschlossen oder ein
offenes Bein wollte nicht heilen. Das war extrem nützlich und hat eine relativ
große Bedürftigkeit in der Bevölkerung sichtbar gemacht.
Erdbeobachtungssatelliten für die Tele-Epidemiologie
Das zweite Beispiel, das ich anführen möchte, betrifft die sogenannte
„Moskitologie“, eine katalanische Spezialität. Darunter werden alle
Krankheiten gefaßt, die durch fliegende Vektoren, Mücken oder Vögel,
übertragen werden.
Man muß wissen, daß 3,5 Mrd. Menschen auf der Erde zur „Risikobevölkerung“
von vier Krankheiten gehören: Hämorrhagisches Fieber, Malaria (2 Mio. Tote pro
Jahr, die Hälfte davon Kinder), Meningitis und Cholera. Diese vier Krankheiten
gelten als „umweltbedingt“, d.h. sie stehen mit Umweltveränderungen,
hauptsächlich Klimaveränderungen und allem, was in den betreffenden Ländern
mit Wasser zu tun hat, in Zusammenhang: Niederschlag, Feuchtigkeit, Temperatur
und andere Faktoren, die die Vermehrung von Stechmücken begünstigen.
Heute morgen wurden in einem Vortrag Bewässerungsprojekte in Ägypten
zwischen dem Suezkanal und dem Sinai erwähnt. Dazu muß man sagen, daß zwei
Jahre nach Fertigstellung dieser Projekte das Rift-Valley-Fieber (RVF)
auftauchte, eine Krankheit, die durch Rinder, Kamele und Schafe von
Mauretanien über den Sudan nach Ägypten eingeschleppt wurde. Durch eine
Veränderung der Umwelt konnten nun Mücken diese Krankheit vom Tier auf den
Menschen übertragen.
Bis Ostern letzten Jahres galt nur ein Department in Frankreich als
Risikobereich für mückenübertragene Krankheiten. Jetzt wurden auf Antrag des
Gesundheitsministeriums im Journal Officiel vier weitere Departments
genannt. Zunächst war es nur Alpes Maritimes, doch jetzt sind auch Var,
Vaucluse und Bouches du Rhone betroffen. Also im gesamten Südosten Frankreichs
sehen wir Anzeichen dafür, daß sich dort in 7-10 oder vielleicht erst in 20
Jahren ein subtropisches Klima einstellen wird, worin sich Vektoren zur
Übertragung solcher Krankheiten vermehren können.
Die Bevölkerungszahl nimmt zu, und 50% der Weltbevölkerung ist Krankheiten
ausgesetzt, die mit dem Klimawandel einhergehen. Das Wiederauftauchen von
Infektionskrankheiten könnte zu 4-5 Mio. Todesfällen im Jahr führen, die
Hälfte davon Kinder, was sehr hoch ist. Die Tiersterblichkeit liegt bei 10-15
Mio. pro Jahr. Allein die Zahlen für Malaria sind beängstigend.
Wir haben in der Tele-Epidemiologie eine ungewöhnliche Methode verfolgt.
Wir verknüpfen verschiedene vor Ort - in einem bestimmten Department, einer
bestimmten Stadt, Region oder Land - gesammelte Daten mit Daten von
Erdbeobachtungssatelliten über Vegetation, Niederschläge, Luftfeuchtigkeit in
einzelnen Ländern oder Kontinenten. Die Kombination dieser Daten füllen wir
dann in einen „Drucktopf“, und das daraus hervorgehende mathematische Modell
erlaubt uns, Risikokarten zu erstellen. Somit läßt sich sagen: „Geehrter
Minister für Tourismus und Landwirtschaft in Senegal, zwischen Februar und
März 2013 wird die Wahrscheinlichkeit für eine Rift-Valley-Fieber-Epidemie
oder einen Malaria-Ausbruch zwischen Dakar und Tambacounda etwa 80% betragen.
Bitte treffen Sie Vorkehrungen für die Mückenbekämpfung.“
Der Ansatz für RVF beispielsweise in Senegal könnte so aussehen: Es beginnt
mit einem Rohbild des Erdbeobachtungssatelliten SPOT (Abbildung 7).
Dessen Daten werden mit Bodendaten, tiermedizinischen Zahlen, Gebräuchen und
Traditionen zusammengebracht, um eine Risikokarte zu erstellen. In den
dunkelsten Zonen sollte man sich definitiv nicht aufhalten, die roten Zonen
sind sehr riskant, und in den gelben Zonen kann man sich aufhalten, wenn man
über einen guten Insektenschutz verfügt. Solche Karten lassen sich alle drei
Tage erstellen und werden den Behörden auf Anfrage zur Verfügung gestellt.
Das gleiche gilt für die Malaria in den Städten. Bereits heute können wir
in einer Stadt wie Dakar und in anderen Städten von Subäquatorialafrika
feststellen, wo sich Mücken bzw. Anophelesweibchen konzentrieren und wo die
Risikobereiche sind. Diese Karten werden dem senegalesischen Tourismusamt
ebenfalls jede Woche zugestellt. Genauso verfahren wir in Burkina Faso in
bezug auf die Malaria in ländlichen Gebieten.
Die Erarbeitung dieser Methode brauchte sieben Jahre. Als ich damals mit
dem Leiter des SPOT-Programms sprach, sagte ich ihm, als Arzt sei ich daran
interessiert, Erdbeobachtungsbilder zu studieren, um Krankheiten zu bekämpfen.
Ich fürchtete, er wolle mich umbringen oder aus der CNES werfen, denn er
dachte, ich sei verrückt oder exzentrisch. Es dauerte sieben Jahre, um zu
verdeutlichen, daß dies eine fundierte Idee war, und heute sind in Südamerika,
Afrika und Asien etwa 22 Netzwerke etabliert. Vier kleine Unternehmen von je 7
bis 10 Mitarbeitern wurden gegründet, um die Bilder und Daten zu verarbeiten.
Die Idee ist also Realität geworden und wird sich in den kommenden Jahren
weiter verbreiten.
Schlußfolgerung
Abschließend möchte ich sagen, daß der Einsatz von Satelliten in der
Medizin, zur Aufdeckung von Epidemien und zur Unterstützung der
Gesundheitsversorgung in abgelegenen Gebieten Realität geworden ist. Das ist
eine gute Antwort auf die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation,
besonders was die Umwelt und den Klimawandel angeht.
Zur Erweiterung dieses Vorgehens müssen wir dieses Know-how an alle
Regionen Frankreichs sowie an andere Länder und Kontinente weitergeben, ohne
dabei allzu sehr auf den Preis zu starren. Tatsächlich betragen die Kosten für
Telekommunikation via Satellit nicht mehr 15 Dollar pro 10 Sekunden, wie es
noch vor sieben oder acht Jahren bei Inmarset der Fall war. Heute sind das 0,5
Euro bei Globalstar bzw. Thuraya. Wir müssen diese Instrumente und Methoden in
unser Gesundheitswesen integrieren und sie den Patienten verfügbar machen.
Denn diese müssen zusammen mit den Ärzten darüber entscheiden, nicht die
Ingenieure und sicherlich nicht die Raumfahrtbehörden.
Der Schluß aus dem Schluß? Um eine neues Paradigma in der Weltraum- und
Sozialforschung zu etablieren, brauchen wir Innovationen. Das ist das
Entscheidende im Gesundheitswesen. Innovationen sind nicht leicht, wenn man
konservativ ist. Wir brauchen Veränderungen, und wir müssen sie wollen. Wir
müssen das Vorgehen, den Ansatz und das Denken ändern. Das muß verständlich
gemacht werden, genauso wie Sie hier heute diskutiert haben, daß sich der Iran
in einer sehr schwierigen Lage befindet, weil fünf oder sechs Staatschefs aus
keineswegs klaren Gründen es so wollen.
Außerdem müssen die „Nutzer“ das Sagen haben. Nicht die Ingenieure, die
Satellitenhersteller, die Technik- und Verwaltungseliten in den
Regierungskabinetten, sondern die Nutzer sollten entscheiden: Landwirte,
Diabetiker, Psychiater usw. - das ist noch nicht in unser Denken eingedrungen.
Wir brauchen einen integrierten Ansatz. Vieles davon gibt es bereits, wir
müssen nur alles miteinander verbinden.
In Deutschland und Frankreich gibt es etwas wirklich Außergewöhnliches: Das
Airbus-Programm. Teile davon werden in England, andere Teile in Deutschland
und Spanien produziert, und der Zusammenbau ist auf zwei Standorte verteilt:
Hamburg und Toulouse. Beide Städte erlebten dadurch ein außergewöhnliches
Wirtschaftswachstum. Man sollte deshalb den integrativen Ansatz nicht
vergessen, aber man sollte nicht alles neu erfinden, was es bereits gibt. Wir
brauchen revolutionäre Ideen. Je revolutionärer die Idee, desto besser. Wir
brauchen revolutionäre Ideen und dürfen keine Angst davor haben, sie zu
äußern.
Ich möchte auf den Fachmann [Claude Allègre] zurückkommen, den ich oben
erwähnt habe. Ich kenne ihn sehr gut, und ihm sind gewöhnlich zehn neue Ideen
am Tag eingefallen. Eine im Monat wurde dann aufgegriffen, und das ist schon
sehr gut.
Man muß auch wahrhaftig und ehrlich sein. Man verlangt kein Geld, um
irgendwelche Aktionäre zu befriedigen, sondern um diese oder jene Innovation
umzusetzen.
Wenn man sich alle Möglichkeiten aus der Weltraumforschung vor Augen führt,
könnte man neben dem Gesundheitsbereich und der Sicherheit weitere Anwendungen
wie Ressourcen (Landwirtschaft, Wasser, Energie) und Transport zu Land, zu
Wasser und in der Luft hinzufügen. Was Raumfahrttechniken im Gesundheitswesen
angeht, so sind bis letzten Juli in Frankreich 47 kleine und mittlere Firmen
in diesem Bereich mit 1250 Beschäftigten und einem Umsatz von fast 1 Mrd. Euro
im Jahr entstanden. Wenn man Satelliten für zivile und menschliche Zwecke
einsetzt, lassen sich wunderbare Dinge machen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit
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