Das Leben mit dem Euro und dem extremen Monetarismus des Kasino-Kapitalismus
Von Theodore Katsanevas
Prof. Katsanevas, Professor an der Universität Piräus und
früherer Abgeordneter des griechischen Parlaments, sprach auf der Konferenz
des Schiller-Instituts am 13.-14 April 2013 in Frankfurt.
Zeus, der oberste der antiken griechischen Götter, verliebte sich in die
schöne Europa und beschloß, sie zu verführen. Er verwandelte sich in einen
weißen Stier und mischte sich unter die Herde ihres Vaters. Als Europa und
ihre Gespielinnen Blumen pflückten, sah sie den Stier, streichelte seine
Flanken und kletterte schließlich auf seinen Rücken. Zeus nutzte die
Gelegenheit, lief zum Strand und schwamm mit ihr auf dem Rücken bis zur Insel
Kreta. Dort gab er sich zu erkennen, und Europa wurde die erste Königin
Kretas. Doch heute lebt Europa in Trauer und Not; verfallen sind früherer Reiz
und Glanz. Das dürfen wir nicht tolerieren.
Eine moderne griechische Tragödie
Griechenland übernahm den Euro im Januar 2001, wodurch angeblich unsere
Wirtschaft geschützt und entwickelt werden sollte. Doch das Gegenteil trat
ein. In all den Jahren zuvor haben wir mit unserer historischen Währung, der
Drachme, nie eine solche Katastrophe wie heute erlebt. Man kann mit Fug und
Recht von einer modernen griechischen Tragödie sprechen. Ein Teil der Schuld
trifft zwar die Verwerflichkeit unseres politischen Systems, doch das gleiche
politische System gab es im Grunde bereits früher, in den Jahren mit der
Drachme.
Griechenland erlebt nun das vierte tiefe Rezessionsjahr in Folge. Das BIP
des Landes sank um 28-30%, und dieser Abwärtstrend setzt sich fort, ohne daß
ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen wäre. Hunderte, ja Tausende von Firmen
haben geschlossen. Die Hauptstraßen Athens und anderer Städte gleichen einem
Friedhof leerer Geschäfte. Die offizielle Arbeitslosigkeit ist auf 28%
gestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit sogar auf über 50%. In einem Land mit 11
Mio. Einwohnern verlieren jeden Tag über 1400 Menschen ihren Job und 3-5
Menschen begehen Selbstmord.
Die Armut breitet sich immer mehr aus, und die Not ist überall sichtbar.
Viele gehen verzweifelt ins Ausland, um sich dort Arbeit zu suchen. Es gibt
eine massive Abwanderung von Griechen und gleichzeitig einen massiven Zustrom
illegaler Einwanderer, überwiegend Moslems, was die ethnische Struktur des
Landes verändert. Nach seiner 3000jährigen Geschichte könnte es Griechenland
in 50 Jahren nicht mehr geben.
Es ist schon ironisch, daß sich das alles im Schatten der Akropolis
abspielt, des Grundsteins der größten Zivilisation der Antike. Die
Geburtsstätte Europas wird von einer EU mißhandelt, die sich von ihren eigenen
Idealen von Annäherung und Solidarität zwischen den Nationen entfernt hat. Das
Land, in dem die Demokratie, die Philosophie, die Mathematik, die Künste, die
Suche nach Wissen und Schönheit erfunden wurde, zahlt heute den Preis für das
idiotischste und irrationalste Wirtschaftsexperiment in der modernen
Geschichte, das der Eurozone, einer abnormen Gemeinschaftswährung, ohne
irgendeinen zentralen politischen und wirtschaftlichen Schirm.
Zypern auf den Knien
Werfen wir einen Blick auf die jüngsten Ereignisse in Zypern. In dem
jüngsten Bericht des Schiller-Instituts wird bereits festgestellt: „Die
Gesetzesvorlage im Europaparlament beweist, daß der zypriotische Raubzug kein
Eingreifen der deutschen Regierung in letzter Minute war, sondern eine von der
EU-Kommission ausgeheckte, wohl geplante Operation.“
Und Jacques Cheminade erklärte, daß „die Eurozone die Bankoligarchie
unterstützt. Der Euro wurde von monetaristischen Zentralbankern vom Schlage
eines Robert Mundell geschaffen und war von Anfang an zum Scheitern
verurteilt. Zypern sollte austreten. Das wird kein Zuckerschlecken werden,
aber wie Griechenland weiß, bedeutet ein Bleiben, von außen gefoltert zu
werden. Europa insgesamt muß als Vereinigung souveräner Nationen mit
gemeinsamen Entwicklungsprojekten, als Europa der Völker und Vaterländer
wiederaufgebaut werden.“
Das südliche Zypern war eines der wohlhabendsten Länder, bevor es im Januar
2008 der Eurozone beitrat. Nur wenige Jahre danach liegt die notleidende Insel
auf den Knien. Der Norden Zyperns ist entgegen allen UN-Entscheidungen von den
Türken besetzt und war und ist entsprechend den Wirtschaftsindikatoren immer
noch weitaus ärmer als sein südlicher Bruder. Aber ohne Teil der Eurozone zu
sein, steht das nördliche Zypern jetzt ganz gut alleine da. Wie kommt es, daß
ein armes Territorium der Depression so einfach widersteht, aber ein viel
entwickelteres Land das nicht kann?
In Zypern soll viel Schwarzgeld gewaschen worden sein. Das trifft in
gewissem Maße zu, besonders vor seinem Beitritt zur Eurozone. Aber es wäre
abwegig, solche Vorwürfe allein gegen Zypern zu richten, wo doch etwa die
Hälfte aller internationalen Wirtschaftstransaktionen über Offshorezentren
und/oder Steuerparadiese auf der ganzen Welt abgewickelt werden. Nach Angaben
der OECD gehören zu den 45 Staaten, die sich nicht an international
akzeptierte Steuerregeln halten: Irland, Costa Rica, Liberia, Zypern,
Liechtenstein, Vanuatu, Luxemburg, Uruguay, Panama, Singapur, Finnland,
Hongkong, Seychellen, Samos, Belize, Bahamas, Nauru, Gibraltar,
Gerstein-Inseln, Bermudas, Britische Jungferninseln, Kaimaninseln,
Nevis-Inseln, Niue usw. Das gutinformierte Magazin Forbes zählt zu den
Steuerparadiesen u.a. den US-Bundesstaat Delaware, Luxemburg, die Schweiz, die
Londoner City, die Kaimaninseln, Liechtenstein, Monaco und die Azoren, wobei
Deutschland, Frankreich bzw. Spanien vor allem zu den letzten drei
bekanntermaßen enge Beziehungen haben.
Die Bosse des internationalen Kasinokapitalismus könnten diese schmutzigen
Steueroasen, jene Orte des Bankenmißbrauchs und des Waschens schmutzigen
Geldes, über Nacht stillegen. Aber sie wollen das nicht. Eine Ausnahme ist
wohl Zypern, das für sie aus verschiedenen Gründen ein Stein des Anstoßes war
- einer davon waren die angeblichen Verbindungen zu russischem Schwarzgeld. Es
scheint, daß die, die die Macht haben, die Musik bestellen und die Regeln
ausgeben. Im Fall der Eurozone liegt die Macht bei jenen, die den Schlüssel
zur Sparbüchse besitzen. Das sind die, die den Euro drucken, verwalten und
manipulieren.
Schuld ist der Kasinokapitalismus
In einer unserer Untersuchungen an der Universität Piräus haben wir uns mit
den wichtigen Wirtschaftsindikatoren - BIP, Zahlungsbilanzen, öffentliche
Verschuldung, Inflation und Arbeitslosigkeit - beschäftigt, um so zu
versuchen, den Entwicklungskurs von Ländern innerhalb und außerhalb der
Eurozone zu erforschen. Wir stellten fest, daß die Randstaaten, Griechenland,
Italien, Portugal, Spanien, Irland - die GIPSI - vor dem Eurobeitritt
1999-2002 wirtschaftlich ganz gut dastanden, doch kurz danach abfielen. Das
gleiche gilt mehr oder weniger auch für andere Länder der Eurozone, besonders
für Slowenien, Slowakei, Estland und Belgien. Nur Deutschland, Frankreich,
Österreich, Finnland und den Niederlanden scheint es allgemein ganz gut zu
gehen.
Länder außerhalb der Eurozone wie Großbritannien, Dänemark, Schweden,
Tschechien, Bulgarien, Ungarn, Polen und Rumänien behaupten einen stetigen
Aufwärtstrend, wobei es im Zuge der Krise von 2009 teilweise zu Rückschritten
kam. Länder außerhalb der EU wie Norwegen, Serbien und die Türkei überstanden
die Krise und entwickeln sich jetzt mit normaler und/oder schneller
Geschwindigkeit. Das gleiche gilt für Rußland, China, Indien, Brasilien,
Argentinien und sogar für Äthiopien, Ghana und viele andere
Entwicklungsländer.
Grafik: Steve Keen (BLS, BEA)

Abb. 1: Schon in Ende der 1980er Jahre überflügelte der Finanzsektor die
übrige Wirtschaft und wuchs danach noch erheblich schneller
Somit stehen heute, vier Jahre nach der Wirtschaftskrise von 2008, die
meisten Länder der entwickelten und sich entwickelnden Welt wieder auf eigenen
Füßen. Nur Griechenland, Italien, Portugal, Spanien, Irland und Zypern, die
Randländer der Eurozone, ähneln Schiffen in Seenot.
Es stellt sich eine grundlegende Frage: Was ist die wirkliche Ursache
dieses Paradoxes? Ich würde gerne mehrere Vorschläge hören. Doch die
statistischen Daten lassen auf nur eine überzeugende Erklärung schließen. Laut
Prof. Steven Keen liegt dies hauptsächlich an „der schlecht funktionierenden
Eurozone in Kombination mit den gewissenlosen und extrem monetaristischen
Methoden des Kasino-Kapitalismus, der Weiterexistenz international geschützter
Steuerparadiese, unkontrollierter Kapitalströme, der Zusammenlegung von
Handels- und Investmentbanken, der Unterbewertung der produktiven
Realwirtschaft und humanitärer Werte zugunsten von Marktidealen.“
Wie Keen nachgewiesen hat, überflügelte der Finanzsektor Ende 1980 den
Nichtfinanzsektor auf internationaler Ebene und wuchs danach noch erheblich
schneller (Abbildung 1). Die „Blasenwirtschaft“ überholte die
Realwirtschaft, was zur Vergrößerung der Einkommensunterschiede und zu
beängstigenden Weltwirtschaftskrisen führte.
Wie das Schiller-Institut in seiner Einladung zu dieser Konferenz schrieb:
„Bürger- und Sozialrechte, jahrhundertelang erkämpft, verschwinden sang- und
klanglos in der Versenkung.“ Dennoch verlangen die Habenden immer mehr von den
Habenichtsen, wie sich Bertold Brecht ausgedrückt hat.
Neuauflage der griechischen Tragödie
Der Nobelpreisträger Paul Krugman schrieb:
„Vor 15 Jahren war Griechenland kein Paradies, aber es befand sich auch
nicht in der Krise... Dann trat Griechenland dem Euro bei und das
Erschreckende geschah: Die Leute begannen zu glauben, daß man dort sicher
investieren könnte. Ausländisches Geld strömte nach Griechenland, und mit
einigem davon, wenn auch nicht mit allem, wurden die Staatsschulden
finanziert; die Wirtschaft boomte; die Inflation stieg; und Griechenland wurde
zunehmend wettbewerbsunfähig. Die Griechen verschleuderten zwar viel, wenn
nicht das meiste Geld, das ihnen zufloß, aber das gleiche taten dann alle
anderen auch, die in den Sog der Euroblase gerieten. Und dann platzte die
Blase, wodurch die Grundfehler des gesamten Eurosystems nur zu offensichtlich
wurden.
Man frage sich, warum das Dollargebiet - auch als Vereinigte Staaten von
Amerika bekannt - ohne die schweren regionalen Krisen, von denen Europa jetzt
erfaßt wurde, mehr oder weniger funktioniert. Die Antwort lautet, daß wir eine
starke Zentralregierung haben, und die Aktivitäten dieser Regierung bewirken
praktisch automatische Bail-outs für Bundesstaaten, die in Schwierigkeiten
geraten sind...
Der Ursprung dieses Desasters liegt weiter nördlich, in Brüssel, Frankfurt
und Berlin, wo die Verantwortlichen ein zutiefst - vielleicht unheilbar -
fehlerhaftes Währungssystem schufen und die Probleme dieses Systems noch
verschlimmerten, indem Analyse durch Moralisieren ersetzt wurde. Und die
Lösung der Krise, wenn es eine gibt, müßte von den gleichen Stellen
kommen...
In Griechenland gibt es in der Tat viel Korruption und Steuerhinterziehung,
und die griechische Regierung hatte die Angewohnheit, über ihre Verhältnisse
zu leben. Außerdem ist die griechische Arbeitsproduktivität nach europäischem
Standard niedrig - etwa 25% unter dem EU-Durchschnitt. Es ist jedoch
beachtenswert, daß die Arbeitsproduktivität etwa in Mississippi nach
amerikanischem Standard ähnlich niedrig ist...
Andererseits ist vieles, was man über Griechenland hört, einfach nicht
wahr. Die Griechen sind nicht faul - im Gegenteil, sie arbeiten länger als
fast alle anderen in Europa, und erheblich länger als insbesondere die
Deutschen. Auch ist Griechenland kein ausufernder Sozialstaat, wie
Konservative gern behaupten; die Sozialausgaben als Anteil des BIP, dem
Richtmaß für die Größe eines Sozialstaates, sind in Griechenland erheblich
niedriger als etwa in Schweden oder Deutschland, Länder, die die europäische
Krise bisher recht gut überstanden haben.
Wie ist Griechenland also in so große Schwierigkeiten geraten? Der Euro ist
schuld.“
Kenneth Rogoff, ein anderer bekannter Ökonom, fügt hinzu:
„Das Problem in Griechenland ist keine gewöhnliche Rezession, sondern eine
ausgewachsene Finanzkrise, etwas, wovon sich Länder gewöhnlich viel länger
erholen müssen. Diese Art Wirtschaftskollaps reicht viel tiefer als eine
normale Abkühlung. Je länger das Schrumpfen der Wirtschaft anhält, desto
unruhiger werden die Gewerkschaften und um so mehr Druck baut sich bei den
Politikern auf, dem Elend ein Ende zu bereiten. Das Land könnte die
Währungsunion verlassen und beispielsweise zur Drachme zurückkehren. Die
Drachme würde gegenüber dem Euro sofort stark abgewertet, wodurch die
griechischen Exporte und der griechische Tourismussektor wieder
wettbewerbsfähig würden.“
Hans Werner Sinn, ein führender deutscher Ökonom, stellt fest:
„Die billigen Kredite, die der Euro dem Land gebracht hat, haben die Preise
und Löhne künstlich erhöht... [Europa] sollte ihnen das Geld geben, um den
Austritt aus der Währungsunion zu erleichtern... Nach einem kurzen Gewitter
scheint die Sonne wieder. [Griechenland] würde wieder wettbewerbsfähig. Weil
griechische Produkte schlagartig billiger würden, würde die Nachfrage
umgelenkt, weg vom Import und hin zu eigenen Waren... Die reichen Griechen,
die zig, wenn nicht Hunderte von Milliarden Euro in der Schweiz deponiert
haben, fänden es angesichts der gesunkenen Immobilienpreise und Löhne wieder
interessant, in ihrem eigenen Land in Arbeitsplätze zu investieren.
Das Chaos kann nur dann einigermaßen vermieden werden, wenn Griechenland
austritt und die neue Währung sofort abwertet... Der Plan, Griechenland im
Euro radikal zu sanieren, ist illusionär... Die Griechen werden von den Banken
und Finanzinstituten von der Wall Street, aus London und Paris als Geisel
genommen, damit das Geld aus den Rettungspaketen weiter fließt - nicht nach
Griechenland, sondern in ihre eigenen Taschen... Es heißt immer, ,die Welt
geht unter, wenn Ihr Deutschen nicht zahlt’. In Wahrheit gehen nur die
Vermögensportfolios einiger Investoren unter.“
Darüber hinaus betont auch Helga Zepp-LaRouche:
„Die Errichtung des Eurosystems als ,Preis für die deutsche
Wiedervereinigung’ hatte nie den Zweck, eine prosperierende europäische
Wirtschaft zu schaffen, sondern, Europa in einen Feudalstaat unter einer
supranationalen Diktatur zurückzuverwandeln. Die jetzige Krise in der Eurozone
ist das Ergebnis eines angestrebten ,Regimewechsels’, weg von den souveränen
Nationalstaaten hin zu einer feudalen Diktatur, in der die EU zum
Juniorpartner eines anglo-amerikanisch dominierten Imperiums wird, was nur ein
anderer Ausdruck für ,Globalisierung’ ist.“
Frau Zepp-LaRouche beschrieb auch die Wirtschaftspolitik, die statt dessen
umgesetzt werden müsse. „Wir brauchen sofort eine komplette Bankentrennung
nach Vorbild von Glass-Steagall, um den finanziellen Giftmüll zu beseitigen,
anstatt die Steuerzahler dafür zur Kasse zu bitten.“ Dem müßten die Schaffung
eines Kreditsystems und der Wiederaufbau der Realwirtschaft durch genau
definierte Entwicklungsprogramme für Südeuropa, den Mittelmeerraum und Afrika
folgen, wie sie das Schiller-Institut erarbeitet habe.
Der Euro-Anzug paßt Südeuropa nicht
Der Euro-Anzug ohne einen zentralen politischen Schirm paßt den
südeuropäischen Volkswirtschaften nicht. Das trifft vor allem auf Griechenland
zu, dessen Wirtschaft vor allem auf Tourismus und die Landwirtschaft
abgestellt ist, welche einen arbeitsintensiven Produktionsprozeß erfordert.
Die Arbeitskosten können nicht unter ein bestimmtes Niveau gedrückt werden, so
daß die Gesamtproduktionskosten niedriger als oder genauso hoch wie die
unserer Mitbewerber wären. Das läßt sich empirisch belegen: Ein griechisches
Hotelzimmer kostet etwa doppelt soviel wie in der Türkei, Ägypten, Bulgarien,
Rumänien, Ungarn usw. Außerdem fallen unsere Orangen, Zitronen, Pfirsiche,
Kirschen und Oliven von den Bäumen und verrotten. Anstelle dieser Produkte
wird billige Importware aus dem fernen Argentinien, Marokko, Ägypten usw.
herangeschafft.
Die griechische Wirtschaft leidet also unter nicht wettbewerbsfähigen
Preisen. Dazu kommt, daß Düngemittel, die von Oligopolkonzernen in Nordeuropa
hergestellt werden, für Griechenland mehr als doppelt so teuer sind - mit
entsprechenden Folgen für die Produktionskosten. Rüstungsgüter, die in den
letzten 12 Jahren aus dem Westen importiert wurden, kosteten etwa € 100 Mio. -
eine Summe, die fast unserem ursprünglichen Defizit entspricht. Die Türkei,
ein EU-Betrittskandidat, hat unverhohlene Drohungen gegen die territoriale
Integrität Griechenlands und Zyperns ausgestoßen, was uns genötigt hat, den
größten Anteil des BIP international hinter den USA für Rüstungsgüter
auszugeben. Warum schützt die EU nicht ihre östlichen Grenzen und läßt
Griechenland in den schwierigen Gewässern dieser Gegend allein kämpfen?
Andererseits kommt der harte Euro den nordeuropäischen Ländern, die mit
kapitalintensiven und innovativen Hochtechnologien Oligopolprodukte
produzieren, sehr gelegen. Die Kosten dieser Produkte können erheblich gesenkt
werden, und die Gewinnspannen sind riesig. Das erlaubt den Nordländern, große
Devisenüberschüsse anzuhäufen und mit den großen Spannen zwischen den
Währungen zu spekulieren.
So wie die Dinge heute stehen, ist die einzige saubere Lösung der „Grexit“
[Austritt Griechenlands] zusammen mit ähnlichen Schritten der anderen
Südländer, wobei Italien den Ton anzugeben scheint. Der Ausstieg aus dem Euro
wird am Anfang zweifellos schmerzhaft sein. Heute erleben wir indes genauso
schmerzhafte Stunden, aber ohne Hoffnung auf die Zukunft.
Die Fortführung einer Volkswirtschaft im Zustand der finanziellen Paralyse
läßt nicht viel Raum für Hoffnung auf einen Aufschwung. Die jetzige extreme
Rezessionspolitik, der tragische Anstieg der Arbeitslosigkeit, die massive
Senkung der Arbeitsentgelte und Renten sind unmenschlich und unökonomisch. Sie
führen zu einem massiven Rückgang der Inlandsnachfrage sowie zu verbreiteter
sozialer Unruhe mit tragischen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen.
Depression bringt mehr Depression hervor und läßt die Steuereinnahmen
sinken. Armut erzeugt mehr Armut, Elend und Aufruhr. Kredite führen zu mehr
Krediten und Abhängigkeiten - ein ewiger Kreislauf. Wie bereits der alte
griechische Philosoph Menandros sagte: „Darlehen machen aus Menschen Sklaven.“
Die schlechte Wettbewerbsfähigkeit des Landes, seine schrumpfende
Inlandsproduktion und -konsumtion führen in einen Teufelskreis von
Schuldenausfällen und einem Bedarf an immer neuen Krediten. Langfristig ist
dies für alle belastend, selbst für unsere Gläubiger.
Das ist die völlig falsche Politik. Sie folgt keinerlei Logik. Was wir
heute brauchen, ist eine gemeinsame Logik. Ansonsten bewahrheitet sich, was
einige flüstern: Hinter dieser Politik steht ein finsterer „Big Brother“, der
die schwächeren Länder völlig dem Willen der Bosse des internationalen
Kasinokapitalismus unterordnen will.
Was ist zu tun?
Nach unserem „Plan B“, der auf umfangreichen wissenschaftlichen und
politischen Forschungen beruht, sollte der Austritt aus dem harten Euro, nicht
jedoch aus der EU, von einem kontrollierten Konkurs begleitet werden, wodurch
50-70% der Gesamtverschuldung gestrichen werden. Nach einer tilgungsfreien
Zeit von zwei Jahren wird die Rückzahlung der restlichen 30-50% bei
verlängerten Rückzahlungsfristen begonnen. Die neue Drachme wird deflationiert
und soll sich in Richtung eines vernünftigen Wechselkurses bewegen, gebunden
an einen Währungskorb, der den Euro, den Dollar und andere weiche Währungen
unserer Mitwettbewerber enthält.
Eine weitere Lösung wäre die Schaffung einer weichen Verbindung zwischen
den nationalen Währungen der südeuropäischen Länder nach ihrem Austritt aus
der Eurozone. All dies sollte mit Kontrollen der Kapital- und Warenströme
sowie mit der Trennung von Handels- und Investmentbanken in Übereinstimmung
mit dem Glass-Steagall-Prinzip einhergehen.
Außerdem sollte der Austritt begleitet sein von eingeschränkten
Staatsausgaben, einer Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, der
Sozialversicherung und des Gesundheitswesens, dem Kampf gegen Korruption,
Straflosigkeit und Bürokratie sowie der Steuerhinterziehung zusammen mit einem
Gespür für Gerechtigkeit, Effizienz, Kompetenz und Ehrlichkeit. Niedrige und
mittlere Löhne und Gehälter sollten schrittweise auf ein moderates Niveau und
entsprechend einer Stärkung des Binnenkonsums angehoben werden, um so die
Gefahr der Hyperinflation zu vermeiden.
Die Regierung muß die Verantwortung für die Versorgung mit grundlegenden
Gütern wie Lebensmitteln, Medikamenten, Treibstoff usw. übernehmen sowie
Handelsmißbräuche und Schwarzmarktpraktiken unterbinden. Bestimmte,
hauptsächlich importierte Güter werden eine Zeitlang verschwinden. (Aber wir
werden auch ohne Whisky, Kaviar, Porsche Cayennes usw. überleben.) Wir müssen
uns von dem erbärmlichen Bild eines „Importlandes“ befreien, unsere
Produktionsbasis reaktivieren und versuchen, nicht mehr zu verbrauchen, als
wir erzeugen. Für all das muß ein Entwicklungskonzept, ein neuer Marshallplan,
entwickelt werden.
Ein Nachwort
Abschließend möchte ich vorschlagen, daß unsere Konferenz eine Resolution
verabschiedet:
„Wir verurteilen die Funktionslosigkeit der Eurozone und die extreme
monetaristische Politik des Kasinokapitalismus; der Schutz internationaler
Steuerparadiese und der unkontrollierten Kapitalströme müssen aufhören; wir
fordern die Einführung eines Trennbankensystems zwischen Handels- und
Investmentbanken, die Schaffung eines Marshallplans für bedürftige Länder, die
Förderung der produktiven Realwirtschaft über die Märkte, die Beförderung
einer neuen Vision menschlicher Entwicklung; und die Einleitung einer
Renaissance klassischer Kultur auf Grundlage der schönen Seele des
Menschen.“
Wie Schiller sagte: „Nicht in die ferne Zeit verliere dich. Den
Augenblick ergreife. Der ist dein... Wage du, zu irren und zu träumen“ -
für die Renaissance von ganz Europa. Knüpfen wir wieder an an die Blütezeiten
vergangener Epochen wie des antiken Griechenlands, aber nicht nur dieser. Dann
und nur dann werden wir „durch das Tor der Morgenröte in das Land der
Erkenntnis“ eintreten und die glorreichen Erinnerungen an das Goldene
Zeitalter des Atheners Perikles wachrufen. Und dann wird der von Zeus
entführten Europa die Sonne scheinen, und sie wird wieder lächeln.
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