Die amerikanische Außenpolitik aus der Sicht von John Quincy Adams
Von Clifford Kiracofe
Der amerikanische Historiker Dr. Clifford Kiracofe hat auf der
Konferenz des Schiller-Instituts am 26. Januar 2013 in New York City die
folgende Rede gehalten.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich heute mit John Quincy Adams und den
traditionellen Werten der amerikanischen Außenpolitik beschäftigen.
Bevor ich den geschichtlichen Hintergrund beleuchte, will ich drei
grundsätzliche Feststellungen machen:
1. John Quincy Adams glaubte an eine Außenpolitik des Friedens durch
Diplomatie und Völkerrecht, und er glaubte an eine Politik der Entwicklung
durch internationale Zusammenarbeit und Handel.
2. Adams war gegen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten
souveräner Staaten.
3. Adams war gegen Imperialismus.
In meinen kurzen Bemerkungen möchte ich einige historische Hintergründe der
amerikanischen Außenpolitik und der internationalen Lage darstellen, in der
wir uns an verschiedenen Punkten der Vergangenheit befanden. Dann möchte ich
die diplomatischen Erfahrungen von John Quincy Adams und einige andere
wichtige Fragen schildern. Und zum Schluß will ich die jüngste amerikanische
Außenpolitik kommentieren.
I. Die US-Außenpolitik
Eine traditionell amerikanische Perspektive der Geschichte unseres Landes
würde die Ziele souveräner Unabhängigkeit und des wirtschaftlichen
Wohlergehens sowie die Gefahren der Einkreisung, des Bürgerkriegs und der
Spaltung in den Mittelpunkt stellen. Erlauben Sie mir, hierzu vier Dinge
anzusprechen:
1. Unsere Kolonialzeit von 1609 bis 1776 hat gezeigt, daß wir keineswegs
von der Weltpolitik „isoliert“ waren. Tatsächlich ging es um die Aufgabe,
unsere Sicherheit zu gewährleisten, angesichts der Tatsache, daß wir in
unseren kleinen Kolonien nahe des Atlantiks von starken imperialen Mächten
eingekreist waren: Frankreich und England im Norden und Spanien (und später
Frankreich) im Westen und Süden. Europäische Politik, Diplomatie und Kriege
wirkten sich direkt auf unsere Sicherheit und unser Wohlergehen aus. Wir waren
nie von der Weltpolitik isoliert.
2. Der Siebenjährige Krieg von 1756 bis 1763, in dem das Britische Empire
die Macht Frankreichs in unserem Norden ausschaltete, bedeutete für uns eine
größere Verwundbarkeit durch die britische Imperialmacht, da der potentielle
französische Verbündete in Kanada wegfiel. Damit war der Weg frei für eine
immer weiter zunehmende imperiale Beschränkung unserer Rechte und zur
Beschneidung unseres wirtschaftlichen und geographischen Potentials. Das war
die Ursache unserer Amerikanischen Revolution.
3. Der amerikanische Erfolg im Krieg von 1812 gebot den britischen Plänen
Einhalt, die Ergebnisse unserer Revolution rückgängig zu machen. Infolgedessen
waren wir in der Lage, unser Land soweit zu bevölkern und zu entwickeln, daß
wir 1850 als dritte Industriemacht hinter dem Britischen Empire und dem
französischen Empire dastanden. Mehrere Jahre lang versuchten jedoch
reaktionäre Kreise in England und Frankreich, die amerikanische Union zu
zerbrechen und dadurch die wirtschaftliche Bedrohung, die die Vereinigten
Staaten für diese beiden Imperien darstellten, aus der Welt zu schaffen.
4. England und Frankreich verabredeten sich zu einem Plan des „Teile und
Herrsche“, um durch einen Bürgerkrieg den Norden vom Süden zu trennen. Die
Franzosen setzten den österreichischen Erzherzog Maximilian auf dem Thron in
Mexiko ein, und die Briten unterstützten in einem Doppelspiel [in den USA]
sowohl die Sezessionisten im Süden als auch die extremen Abolitionisten im
Norden. Eines der Szenarios sah vor, daß Texas vom Norden wie vom Süden
unabhängig werden und einen „Pufferstaat“ zwischen der Südkonföderation und
Mexiko bilden sollte. Nach einem anderen Szenario sollten Texas und andere
Gebiete der Vereinigten Staaten einem Großmexiko einverleibt werden. Dank
Präsident Lincolns Führung und des militärischen Siegs der Union scheiterte
dieser Plan und die Union blieb erhalten.
II. John Quincy Adams (1767-1848)
John Quincy Adams war der Sohn von Präsident John Adams. Von früh an wurde
er zu einem Leben im Dienste der Öffentlichkeit erzogen. Er begleitete seinen
Vater, der amerikanischer Gesandter in Frankreich (1778-79) und in den
Niederlanden (1780-82) war, wodurch er internationale Beziehungen und
Diplomatie aus erster Hand kennenlernte. Er studierte außerdem an der
Universität Leiden in den Niederlanden.
Mit diesen Erfahrungen begleitete der junge Adams [den US-Gesandten]
Francis Dana nach St. Petersburg und diente dort drei Jahre lang als
Botschaftssekretär. Er konnte Reisen nach Schweden, Finnland und Dänemark
unternehmen. Er lernte Französisch und Holländisch und wurde mit der deutschen
und anderen europäischen Sprachen bekannt. Nach seiner Rückkehr nach Boston
machte er seinen Hochschulabschluß in Harvard, erwarb sich einen Mastertitel
von Harvard, machte weitere Studien und wurde Anwalt.
1793 ernannte Präsident George Washington den jungen Adams im Alter von 26
Jahren zum Botschafter in den Niederlanden. Als nächstes ernannte Präsident
Washington ihn 1796 zum Botschafter in Portugal. Als sein Vater 1797 Präsident
wurde, ernannte dieser ihn zum Botschafter in Preußen, wodurch er nach Berlin
versetzt wurde. Dort diente er bis 1801 und in dieser Zeit erneuerte er den
sehr liberalen und fortschrittlichen Freundschafts- und Handelsvertrag mit
Preußen.
Es ist interessant, anzumerken, daß Präsident George Washington bei der
Abfassung seiner zeitlosen „Abschiedsrede“ einige Ideen und Passagen aus einem
Brief berücksichtigte, den John Quincy Adams als junger Diplomat in den
Niederlanden an seinen Vater geschrieben hatte.
Die Argumentation des jungen Adams zielte darauf ab, daß sich die
Vereinigten Staaten von den Affären und endlosen Intrigen in Europa fernhalten
müßten. Präsident James Madison ernannte John Quincy Adams 1809 zu unserem
ersten Botschafter in St. Petersburg, wo er bis 1814 diente. Dann wurde er zu
den Verhandlungen über den Genter Vertrag abberufen, der den Krieg von 1812
zwischen dem Britischen Empire und den Vereinigten Staaten beendete.
Anschließend wurde er 1815-1817 als Botschafter nach London entsandt.
In die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, ernannte Präsident James Monroe
ihn zum Außenminister, einen Kabinettsposten, den er bis 1825 innehatte. In
dieser Zeit gelang es Adams durch meisterhafte Diplomatie, Florida
hinzuzugewinnen, die spanischen Besitzungen im Westen zu klären und den
Grenzverlauf mit Kanada anzugleichen. Das waren strategische Errungenschaften,
die letztlich dazu führten, daß sich unser Territorium als Kontinentalstaat
bis zum Pazifischen Ozean ausdehnte.
Wir alle kennen die „Monroe-Doktrin“, die von den europäischen Mächten
verlangte, sich aus den Angelegenheiten der westlichen Hemisphäre
herauszuhalten. Adams hat Präsident Monroes Doktrin verantwortlich entworfen.
In einer Zeit, in der die Südamerikaner um ihre Unabhängigkeit kämpften,
wollten Monroe und Adams die westliche Hemisphäre vor dem europäischen
Imperialismus schützen.
Ihre strategische und diplomatische Vorstellung war, daß die westliche
Hemisphäre ein separates, interamerikanisches System bilde, das von den
endlosen dynastischen und politischen Zwistigkeiten des europäischen
Staatensystems unabhängig sein müsse. Dieses von Europa abgetrennte
interamerikanische System sollte eine Prinzipiengemeinschaft sein.
In der Zeit, in der John Quincy Adams in diplomatischen Diensten stand,
reisten zahlreiche junge Amerikaner nach Europa, um sich durch die dortigen
Bildungsmöglichkeiten für öffentliche Ämter in den Vereinigten Staaten
auszubilden.
Einer der Hauptstudienorte hierfür war die Universität Göttingen. Prof.
Arnold Hermann Ludwig Heeren lehrte dort Philosophie und Geschichte, außerdem
war er Hofrat und Geheimer Justizrat. In seinen Studien konzentrierte sich
Heeren auf eine neue Interpretation der antiken und der europäischen
Geschichte sowie der europäischen Staatensysteme, wobei vor allem finanzielle
und wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund standen. Seine Werke wurden von dem
Amerikaner George Bancroft ins Englische übersetzt und waren an amerikanischen
Colleges und Universitäten weitverbreitet.
III. Der Imperialismus erfaßt die außenpolitische Elite der USA
Hat die heutige amerikanische Außenpolitik noch irgend etwas mit dem zu
tun, was John Quincy Adams und die Gründerväter wollten und befürworteten?
Natürlich nicht. Das heutige Washington ist vollständig in der
Imperialismuspolitik gefangen, die 1898 mit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg
ihren Ausgang nahm.
Infolge dieses Kriegs war der Imperialismus, den die Demokratische Partei
ablehnte, zum außenpolitischen Hauptthema bei den Wahlen 1900 geworden. Doch
kurz darauf paßten sich auch die Demokraten unter Woodrow Wilson dieser
Politik an. Man kann also sagen, daß es seit 1898 in beiden Parteien eine
imperiale Fraktion gab, wogegen es natürlich seitens einer traditionellen
Fraktion Widerstand gab, die glaubte, daß wir eine starke Republik, aber kein
Imperium sein sollten.
Ich möchte hierzu sechs Feststellungen machen und damit meine Bemerkungen
abschließen:
1. Nach unserem Bürgerkrieg änderte die frühere Kolonialmacht, das
Britische Empire, ihre Haltung gegenüber den USA. Im Zusammenhang mit dem
Aufstieg Deutschlands und der anglo-deutschen imperialen Rivalität versuchten
die Briten, sich über Elitekreise, die auf die eine oder andere Weise für den
britischen Einfluß empfänglich waren, die Unterstützung der Vereinigten
Staaten zu sichern. Gleichzeitig wurden bestimmte Elitekreise in den
Vereinigten Staaten darin bestärkt, londonfreundliche imperiale Anschauungen
zu entwickeln, anstatt die traditionelle Perspektive einer starken und
unabhängigen Republik beizubehalten.
2. In den Vereinigten Staaten führte die „imperiale Fraktion“ 1898 einen
völlig unnötigen Krieg gegen Spanien und erhielt so die Philippinen als
Kolonie. Die Briten unterstützten diese Aktion stillschweigend, denn London
rechnete sich aus, daß auf diese Weise der wachsende deutsche Einfluß im
Pazifik beschnitten und engere Beziehungen zwischen dem Britischen Empire und
der amerikanischen Republik entstehen würden. Solche Beziehungen könnten in
dem kommenden europäischen Krieg, der dann 1914 ausbrechen sollte, nützlich
sein. Aufstieg und Vorherrschaft der imperialen Fraktion in den Vereinigten
Staaten folgten auf den Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898. Wie bereits
erwähnt, wurde „Imperialismus“ als amerikanische Außenpolitik bei der Wahl
1900 zum nationalen politischen Thema, als die Demokratische Partei der
Republikanischen Partei deren offen imperialistische Außenpolitik vorhielt.
Die Gegner des Imperialismus wurden in der von der imperialen Fraktion
kontrollierten Presse als „Isolationisten“ hingestellt.
3. Die Demokratische Partei unter Präsident Woodrow Wilson paßte sich bald
der „imperialen Fraktion“ an. Die Ideologie der Demokratischen Partei erfuhr
einen deutlichen Wandel. Dieser Wandel trug die Handschrift der Wall Street
und des britischen Einflusses auf die Außenpolitik der Demokratischen Partei.
In der Ära Wilson wurde der Einsatz sogenannter „sanfter Gewalt“ immer mehr
mit dem Einsatz von Waffengewalt verbunden. Hinter der Maske, „die Welt für
die Demokratie sicher machen“, wurde politischer, psychologischer und
wirtschaftlicher Krieg geführt. Militärische Gewalt kam zum Einsatz.
4. Nach dem Ende des Kalten Krieges infolge der Auflösung der Sowjetunion
1991 standen die Vereinigten Staaten in ihrer Außenpolitik und nationalen
Strategie vor einer historischen Entscheidung. Die imperiale Fraktion
plädierte für die aussichtslose und untragbare Politik, zum globalen Hegemon
in einer sogenannten unipolaren Welt zu werden, die nun geschaffen werden
sollte. Traditionelle patriotische Kreise wollten dagegen, daß wir als eine
starke Republik und verantwortliche Großmacht in einer sich herausbildenden
multipolaren Welt friedlich koexistieren und Souveränität und Völkerrecht
achten.
5. Die unnötigen und verheerenden Kriege der Bush-Administration in Irak
und Afghanistan werden die Vereinigten Staaten bis 2020 schätzungsweise 5
Billionen Dollar kosten. Die imperiale Fraktion hat aus dem Scheitern der
unnötigen und kostspieligen Kriege in Korea und Vietnam nichts gelernt. Es
gibt sogar eine deutliche politische und personelle Kontinuität von der alten
antikommunistischen „China-Lobby“ über den Korea- und Vietnamkrieg bis zu den
Kriegen in Irak und Afghanistan und der heutigen Politik, „Chinas Aufstieg in
den Griff zu bekommen“.
6. Unter Obama hat sich daran nichts geändert.
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