Eine Renaissance der klassischen Kultur in Europa
Den Abschluß der Konferenz des Schiller-Instituts bildete ein
Podiumsgespräch zwischen der Vorsitzenden des Schiller-Instituts, Helga
Zepp-LaRouche, der Vorsitzenden der LaRouche-Bewegung in Italien (Movisol),
Liliana Gorini, Odile Mojon von der Solidarité et Progrès aus Frankreich,
sowie Katarzyna Kruczkowski (Essen) und Stefan Tolksdorf (Berlin) von der
Bürgerrechtsbewegung Solidarität. Wir dokumentieren hier ihre Beiträge, sowie
Ausschnitte aus der abschließenden Diskussion mit dem Publikum.
Helga Zepp-LaRouche: Wir kommen nun zum abschließenden Teil
dieser Konferenz, den man etwas hochgestochen „das Kultur-Panel“ nennen
könnte, doch eigentlich soll damit Gelegenheit für weitere Diskussionen
gegeben werden. Ich habe deswegen die vier Teilnehmer auf dem Podium hier
gebeten, sich jeweils kurz dazu zu äußern, wie sie sich Europa in der Zukunft
vorstellen. Ich bin trotz all der schrecklichen Dinge, über die wir gestern
und heute diskutiert haben, ein unverbesserlicher Optimist, einfach weil ich
glaube, daß alle Menschen potentiell kreativ sind. In letzter Zeit sind nur
deswegen so wenige Genies in Erscheinung getreten, da die materiellen
Belastungen es den Menschen nicht erlaubt haben, ihr kreatives Potential zu
entwickeln, und deswegen meint man, ein Genie sei eine Ausnahmeerscheinung.
Ich bin aber zutiefst davon überzeugt, daß dies der natürliche Zustand des
Menschen ist.
Nikolaus von Kues, den ich viel zitiere, ist ein wahrer Quell der
Erkenntnis, und ich kann nur jeden, der es noch nicht getan hat, ermuntern,
sich mit seinen Werken zu beschäftigen. Seine De Docta Ignorantia hat
er mit der Bemerkung eingeleitet, er sei sich völlig darüber bewußt, hiermit
etwas ganz Neues geschrieben zu haben, was bisher noch kein Mensch auf der
Erde gedacht hätte, und diese Gedanken bedeuteten für die Menschheit den
Anbruch einer neuen Ära.
Das stimmte vollkommen. Aber wie konnte er das wissen und die Zukunft auf
so kühne Weise vorhersagen? Nun, er wußte, daß er durch die Ablehnung des
falschen Denkens der Peripathetiker und Scholastiker die Ideen Platons auf
einer höheren Ebene wiederbelebte. In seiner kurzen Verteidigungsschrift gegen
die Angriffe des Johannes Wenck, der die Docta Ignorantia als
pantheistische Häresie angegriffen hatte, beschreibt er Menschen, die etwas
Wahres gefunden haben; sie seien wie die Menschen, die von einem hohen Turm
herab auf jene Aristoteliker herabschauen, die den Dingen kreuz und quer
hinterherjagten. Jemand, der sich auf die Ebene des platonischen Denkens
gehoben habe, sehe hingegen das Gejagte, den Jagenden und den Prozeß des
Jagens.
Er war sich demnach der Dynamik insgesamt bewußt, während der arme
Aristoteliker, der meint, etwas sei entweder nur a oder b, in diesen
Widersprüchen gefangen ist und gar nichts versteht.
Wir müssen die Paradigma-Diskussion wirklich ernst nehmen, denn das, was
Platon die „Hypothese der höheren Hypothese“ oder was Nikolaus von Kues die
„Coincidentia Oppositorum“ nennt, ist eine völlig andere Denkweise. Jeder muß
diesen Sprung im Denken nachvollziehen, und nicht umsonst sagt mein Ehemann,
der wahrscheinlich der beste Prognostiker ist, der derzeit auf der Erde lebt,
schon seit Monaten, daß wir die Menschen von der Ebene der Sinnesgewißheiten
wegbringen müssen, denn das verdumme die Leute. Die Oligarchie reduziert die
Menschen bewußt auf die Ebene des maximalen Lustgewinns und der
Schmerzvermeidung im Hier und Jetzt, um sie mit all der blödsinnigen
Unterhaltung noch banaler, noch brutaler, perverser und pornographischer zu
machen.
Genau das müssen wir bewußt zurückweisen, denn Europa befindet sich derzeit
nicht nur wirtschaftlich in einem schrecklichen Zustand, Europa ist auch
moralisch weit weg von dem, was es sein sollte.
Ich lehne die Europäische Union aus vielerlei Gründen ab, aber der
wahrscheinlich wichtigste Grund ist, daß die EU nichts mit den Hochperioden
Europas zu tun hat. Es wird nichts unternommen, um die klassische Periode des
antiken Griechenlands wiederzubeleben, und man spricht mit dem spanischen Volk
nicht vom Standpunkt der andalusischen Renaissance oder der Gemälde Goyas oder
von Raimundus Lullus oder der anderen kostbaren Beiträge, die Spanien
geleistet hat. In Italien wird nicht versucht, die italienische Renaissance
wiederzubeleben - von Deutschland einmal ganz abgesehen. Wobei ich mit
Professor Tahhan von gestern übereinstimme, daß Deutschland stolz auf seine
Vergangenheit sein kann. Allerdings gibt es einen großen Unterschied zwischen
der klassischen Tradition und dem heutigen Heer mittelmäßiger und noch
dümmlicherer Politiker, die keinerlei Anteil an dieser Tradition haben.
Aus dieser Konferenz sollte etwas hervorgehen, was für die Zukunft Europas
getan werden muß: Wir müssen nicht nur eine Offensive starten, um den dritten
Weltkrieg zu verhindern, sondern auch den Leuten die Alternativen aufzeigen,
daß es Entwicklung statt Krieg geben kann: Der neue Name für Frieden heißt
Entwicklung. Wir müssen nicht nur das Problem des Euros lösen, und dafür
brauchen wir das Fachwissen von Prof. Hankel, der schließlich einmal die
Währungsabteilung des Finanzministeriums geleitet hat und Chefökonom der
Kreditanstalt für Wiederaufbau gewesen ist. Er kommt aus einer Zeit, in der
man noch realwirtschaftlich dachte. Zusätzlich brauchen wir aber auch dringend
die Errungenschaften meines Ehemanns, der nach meiner bescheidenen Ansicht
heute immerhin der weltweit führende Ökonom ist, der das Konzept der
physischen Ökonomie wie kein anderer weiterentwickelt hat. Er sieht die Lösung
darin, die Menschen von ihrem Vertrauen auf Sinnesgewißheiten wegzubringen,
sie wieder zu kreativem Denken zu erheben, und das nicht nur am Sonntag,
sondern die gesamte Woche. Es muß zu einer Lebenseinstellung werden, Probleme
vom Standpunkt kreativer Lösungen anzugehen, in Metaphern zu denken, Flanken
zu eröffnen, Ungewöhnliches zu denken, sich nicht auf zwei Dimensionen zu
reduzieren, sondern sein kreatives Potential zu entwickeln. Das muß in der
Bevölkerung wiedererweckt werden, damit sie die Süßigkeit der Wahrheit wieder
mehr zu lieben beginnt als die Süße von Konfektstückchen.
In gewisser Weise müssen wir das gleiche tun wie Friedrich Schiller mit
seinen großen Dramen: Wenn ein normaler Bürger ins Theater geht, wird er dort
durch Schiller mit den großen Fragen der Zivilisation konfrontiert, er muß
sich mit dem Schauspieler auf der Bühne identifizieren und sich dafür
entscheiden, Gutes für die kommenden Generationen zu tun und wie ein
Staatslenker oder wie ein König in Schillers historischen Dramen zu denken
(womit ich keinesfalls der Monarchie das Wort reden will). Dadurch werden
Leute dazu gebracht, wirklich groß zu denken, an die gesamte Menschheit, an
Europa zu denken und sich persönlich dafür verantwortlich fühlen, was aus
dieser Geschichtsepoche herauskommt.
Wenn wir das in die Bevölkerung hineintragen, wird es absolut möglich sein,
Europa wiederzubeleben. Zusätzlich zu den wirtschaftlichen Entwicklungsplänen
brauchen wir eine moralische Renaissance; wir müssen zur klassischen Kultur
zurückkehren und wieder die Idee durchsetzen, daß Kunst schön sein muß - womit
sofort alle möglichen Kategorien von dem, was heute als Kunst ausgegeben wird,
wegfallen. Schiller hat in einem Brief an Körner einmal das sehr überzeugende
Argument benutzt, daß ein Gedicht, das nicht schön ist, ein schlechtes Gedicht
ist.
Deswegen muß die Schönheit in die Diskussion zurückkehren, und wir müssen
die klassische Musik wiederbeleben; das ist nicht nur eine Frage des
Geschmacks, sondern klassische Musik ist die einzige Musik, die den kreativen
Fähigkeiten des menschliches Geistes entspricht, während alle anderen Formen
der Musik, insbesondere der Krach bestimmter Rhythmen, zerstörerisch für alle
Denkprozesse sind.
Ich weiß, daß es schwieriger ist, verdummte Menschen kreativ zu machen, als
Leute in Dummköpfe zu verwandeln, aber das ist der einzige Weg, der uns offen
steht. Und dafür kämpfe ich hier in Europa.
Damit gebe ich das Wort an Liliane.
Das Don-Giovanni-Prinzip
Liliana Gorini: Mein Name ist Liliana Gorini, und für
diejenigen, die mich noch nicht kennen - es sind ja einige neu hier: Ich bin
die Vorsitzende von Movisol, der LaRouche-Bewegung in Italien, und ich hatte
in den letzten 40 Jahren die Ehre, mit Herrn und Frau LaRouche in einigen der
wichtigsten Kampagnen für eine kulturelle Renaissance zusammenzuarbeiten -
angefangen mit unserer Kampagne für die Rückkehr zur Verdi-Stimmung, die 1988
die Unterstützung von mehr als 2000 Opernsängern in aller Welt fand, und, erst
kürzlich, dem Don-Giovanni-Projekt in Virginia, in dem unsere jungen Sänger
von der LaRouche-Jugendbewegung eine ganze Oper aufführten - Don
Giovanni von Mozart.
Aber bevor ich auf die positive Seite eingehe, was zu tun ist, um ein
Europa zu bekommen, das kulturell auf der Höhe der Renaissance und der
deutschen Klassik, der spanischen Klassik und der arabischen Klassik steht,
möchte ich dies mit etwas kontrastieren, was Sie vielleicht schockieren wird.
Denn gestern abend hatten wir einen kulturellen Höhepunkt, mit Beethoven und
Verdi, und jetzt bekommen sie einen Geschmack - nur einen sehr kurzen - vom
tiefsten Punkt der heutigen Kultur. Ich werde das zuerst zeigen, und dann
werde ich sagen, was es ist - einige werden es vielleicht kennen.
[Sie zeigte dann einen kurzen Ausschnitt aus dem Video „Gangnam Style“ des
südkoreanischen Rappers „Sky“.]
Einige werden das vielleicht kennen - es ist einer der größten Hits auf
MTV. Sie kennen es? Da bin ich mir sicher. [Lachen.] Was mich vor ein
paar Wochen schockierte, war folgendes: Ich befolge den Rat Daniel Estulins
und nutze Facebook. Wir sind in Italien nur eine sehr kleine Organisation und
müssen alle Mittel nutzen, um bekannt zu werden. Ich veröffentliche daher
unsere Stellungnahmen und LaRouches Erklärungen auf Facebook. Und auf Facebook
fand ich einige Leute, die sagten, daß dieses Musikstück im Mittelpunkt eines
Treffens von 12.000 Menschen in Spanien stand, die alle in einem gigantischen
Stadion zusammenkamen, um diesen ekelhaften Tanz zu tanzen, der so aussieht,
als würden man auf einem Pferd reiten und es peitschen. 12.000 Menschen
tanzten gemeinsam dieses Zeug. Und das ist vielleicht die Antwort auf Helgas
gestrige Frage, warum nicht mehr junge Menschen auf den Straßen sind, um gegen
den Krieg und für den Wiederaufbau des Nahen Ostens zu kämpfen: Sie waren
dort, statt sich auf der Straße für unser Programm zur Entwicklung des Nahen
Ostens einzusetzen.
Das ist eine Herausforderung für uns, denn das ist es, womit wir
konfrontiert sein werden, wenn wir auf die Straße gehen und junge Menschen
treffen. Vielen von ihnen haben das im Kopf, oder die Disko, oder sie wollen
sich schon mit 15 Jahren betrinken. Das ist Teil des Plans der Oligarchie, die
Bevölkerung zu zerstören. Wie wir schon sagten, ihr Feind sind die Menschen,
und die Kultur wird dazu benutzt, Menschen zu töten - zuerst geistig, aber
dann auch physisch. Ich weiß nicht, wie das in anderen Ländern ist, aber in
Italien gibt es viele Autounfälle, bei denen junge Menschen sterben, nach der
Disko am Samstagabend.
Eines der Prinzipien, die meiner Meinung nach bei dem Don-Giovanni-Projekt
im vergangenen Jahr in Virginia deutlich wurden, ist das, was ich das
„Don-Giovanni-Prinzip“ in der Politik nenne. Diese Leute, diese Politiker -
Frau Merkel, Monti, Samaras, praktisch sie alle, auch Hollande: Sie glauben,
daß sie die Wähler betrügen können, daß sie sich über das Naturrecht
hinwegsetzen können. Sie sind wirklich so arrogant, daß sie glauben, sie
könnten sich weiter an der Macht halten, selbst wenn die Bevölkerung leidet
und an Hunger stirbt, oder weil sie keine Krankenversorgung hat.
Nun, das Don-Giovanni-Prinzip zeigte sich in einer Reihe von Fällen,
beispielsweise als Berlusconi abgesetzt wurde. Er war einer dieser Kerle und
glaubte, er könne Spaß mit minderjährigen Mädchen haben und trotzdem der
beliebteste Politiker auf der Erde bleiben, aber er ging bei der Wahl unter.
Dominique Strauss-Kahn ist ein weiteres Beispiel.
Aber es sind nicht nur Männer, es geht nicht bloß darum, Frauen zu
vergewaltigen, es geht um die Vergewaltigung ganzer Nationen. Und das können
sogar Frauen tun - Merkel tut es, Susan Rice tut es. Obama tut es in dem
Sinne, daß er glaubt, er könne das Naturrecht mißachten und trotzdem gewinnen,
so wie er wieder die Wahl gewonnen hat. Er denkt, es spiele keine Rolle, daß
das amerikanische Volk leidet, er werde trotzdem weitermachen und gewinnen -
denn er ist ein Nero, ein Egomane - und die Menschen würden ihn immer noch
mögen.
Sie haben kein Mitleid für die Bevölkerung, was Obama beispielsweise in
seiner ersten Debatte mit Romney gezeigt hat.
Aber was lehrt uns Don Giovanni?
Der Commendatore, der das Naturrecht verkörpert, bestraft am Ende Don
Giovanni, indem er ihn zum Essen einlädt und in die Hölle führt. Und Don
Giovanni nimmt diese Einladung an, weil er glaubt, sich auch dort noch über
das Naturrecht hinwegsetzen zu können und am Ende zu gewinnen. So, wie sie es
im vergangenen Jahr in der Mailänder Scala den Don Giovanni aufgeführt
haben: Sie ließen ihn gewinnen. Das zeigt, daß die Oligarchie genau weiß, was
das Don-Giovanni-Prinzip in der Politik ist.
Helga hat mich gebeten, mir vorzustellen, wie Europas Kultur in zehn Jahren
ausschauen wird. Nun, wenn wir gewinnen, dann wird es so ausschauen, daß neue
Dantes dessen Commedia neu schreiben werden. Und sie werden viel
Material dafür haben, wie Graf Ugolino, der seinen eigenen Sohn auffrißt, „E
dopo il pasto ha più fame che pria -- und nach dem Mahl ist er hungriger als
zuvor“: Das ist die Oligarchie, das sind die Investmentbanken. Es ist genau
dieses Bild.
[Roberto] Benigni beispielsweise, der berühmte Schauspieler und
Oscar-Gewinner, liest Dantes Commedia auf den Plätzen von Florenz, weil
die Regierung Monti beschlossen hat, den Lehrstuhl für Dante-Studien an der
Universität von Florenz abzuschaffen. Deshalb haben sie das auf den Plätzen,
auf den Straßen tun müssen. Und er sagte, Monti sei ein perfekter Kandidat für
den Höllenkreis der Technokraten in Dantes Commedia.
Ich denke also, anstatt Gangnam-Style zu tanzen, sollten die Italiener eine
neue Commedia schreiben über diese empörenden Politiker, die wir in den
letzten 30 Jahren hatten - angefangen mit Monti, Draghi und der gegenwärtigen
Regierung. Und natürlich sehe ich in zehn Jahren, daß sich junge Leute in den
Stadien versammeln - nicht um Gangnam-Style zu tanzen, sondern um Beethovens
Ode an die Freude aufzuführen. Das ist meine Vorstellung für in zehn
Jahren - wenn wir gewinnen. [Applaus.]
Man nimmt uns die Möglichkeit, zu kommunizieren
Odile Mojon: Guten Tag, ich bin Odile Mojon aus Paris von
Solidarité et Progrès. Ich möchte in die gleiche Richtung gehen wie Liliana
und dazu kurz ein Bild skizzieren. Was wir in der Kultur sehen, ist in vieler
Hinsicht offensichtlich, aber auch in anderer Hinsicht sehr hinterhältig.
Durch die Kultur und das Umfeld, das durch sie geschaffen wird, kann man die
Menschen wirklich zu dieser freiwilligen Knechtschaft verleiten, wie es
Jacques [Cheminade] heute morgen erwähnt hat, indem man die Menschen
vollkommen zu Komplizen ihrer eigenen Knechtschaft und Zerstörung macht, bis
sie am Ende Sklaven werden. Und ich sehe zwei wesentliche Punkte, die sehr
wichtig sind, wie universelle Ideen zerstört werden. Und sie werden
offensichtlich zerstört, indem man kulturellen Relativismus einführt. Das ist
sehr klar.
Ich will Ihnen ein Beispiel aus Frankreich anführen. Vor etwa 20 Jahren
wurde ein sehr großes Gebäude in Paris gebaut, die „Cité de la Musique“, unter
der Leitung von Pierre Boulez, [einem Komponisten und Dirigenten] der für
seinen schrecklichen Charakter berüchtigt ist. Und dort befindet sich die
bedeutendste Musikschule Frankreichs. Nun hat man sie nicht der „Musik“
gewidmet - im Singular -, sondern den „Musiken“ im Plural. Man stellt also
alle möglichen Formen der Musik auf die gleiche Ebene, die klassische Musik
ebenso wie alle anderen Formen der Musik. Es gibt nichts besonderes mehr, alle
Musiken sind wie Produkte in einem kulturellen Supermarkt, in der
ausdrücklichen Absicht, die klassische Musik zu banalisieren und jedes
Verständnis für sie zu beseitigen. Und das ist das wichtige daran, wie man
durch diesen Prozeß des kulturellen Relativismus die Zerstörung jedes Prinzips
bewirkt.
So wie dafür geworben wird, geht das damit einher, daß diese Musik vor
allem auf die sinnliche Wirkung ausgerichtet ist. Ich spreche hier jetzt nur
über die Musik, aber das gilt auch für viele andere Felder. Wenn man
beispielsweise in Frankreich in ein Konzert geht - ich denke hier zunächst an
Paris -, gibt es in allen Konzerten, sagen wir, einen klassischen Komponisten,
etwa Beethoven, aber dann beispielsweise dazu einen Prokofjew oder ein Stück
von Schönberg - alles mögliche. Dadurch wird die Einheit des klassischen
Prinzips der Kunst zerstört. Und das hat wirklich eine Wirkung auf die
Menschen, denn sie können nicht mehr verstehen, was klassische Musik
bedeutet.
Eine weitere Wirkung, die ich auch erwähnen möchte, ist die Frage der
Sprache. Ich habe ab und zu im Internet nach moderner Poesie gesucht. Und ich
bin zu dem Schluß gekommen, daß es so etwas wie eine moderne Poesie gar nicht
gibt. Das ist sicherlich eine der Künste, die vollkommen kaputtgemacht wurden.
Ich habe Dinge gesehen, die als „Gedicht“ bezeichnet wurden, die aber bloß
Ansammlungen von Worten ohne jede Bedeutung waren, ohne jegliche Idee -
nichts.
Und das ist sehr wichtig, denn Poesie ist eine Sprache, und eine Sprache
ist die Fähigkeit, Ideen auszudrücken. Und wenn man jetzt an die Krise denkt,
in der wir uns befinden: Wir treffen oft Leute, die interessante Ideen haben,
aber man erkennt sehr schnell, daß es ihnen sehr schwer fällt, diese Ideen
auszudrücken.
Es ist noch schlimmer, wenn man in die Vorstädte geht, denn hier gibt es
Menschen, denen alles genommen wurde, denen jeder Zugang zu produktiven
Aktivitäten genommen wurde - keine Arbeit, keinerlei Zukunft und natürlich
auch keine Kultur - außer dem, was Liliana gezeigt hat, oder ähnlichem. Und
diese Leute können Ideen einfach nicht ausdrücken, sie können sich Ideen nicht
einmal vorstellen. Man hat ihnen also sogar die Fähigkeit geraubt, überhaupt
zu denken.
Und um darauf zu kommen, was in zehn Jahren sein könnte: Ich denke, dafür
braucht man vor allem das, worüber wir im Zusammenhang mit den Großprojekten
gesprochen haben. Denn sobald man die Verantwortung für die Kolonisierung des
Weltraums trägt, wird es auch eine andere Kultur geben, denn dazu muß man
natürlich denken können, Ideen formulieren können. Wenn man ein neues
Grenzgebiet entdeckt, eine neue Welt, von der wir noch gar nichts wissen, dann
wird es auch notwendig sein, daß man etwas neues ausdrücken kann, um es seinen
Mitbürgern mitzuteilen - ein neues Werkzeug. Was dieses Werkzeug sein mag,
weiß ich nicht, aber es wird auf der Ebene der Kunst sein; es könnte Poesie
sein, es könnte Musik sein, ich weiß es nicht. Aber man muß einen neuen Weg
finden, um das, um eine neue Schönheit auszudrücken.
Und wo werden wir das finden? Man wird es finden, indem man die Klassik
wieder aufgreift und etwas findet, was ihr im Geiste am nächsten kommt, um
darüber hinaus zu gehen, aber die gleiche Qualität der Sprache beizubehalten.
Und man wird das als Sprungbrett benutzen, um eine neue Qualität der Musik,
eine neue Qualität der Poesie, des Theaters oder irgendwelcher anderen Formen
der Kunst zu entwickeln.
Noch etwas, was ich für sehr wichtig halte: Wir werden auch neue,
schöne Städte bauen müssen. Denn es ist sehr schwer für die Menschen,
darüber nachzudenken, wie sie diese neue Qualität der Kunst erschaffen können,
wenn sie in scheußlichen Städten leben, so wie es heute bei den meisten
Menschen der Fall ist. [Applaus.]
Nur einige wenige werden die Träume verwirklichen
Katarzyna Kruczkowski: Guten Tag, mein Name ist Kasia
Kruczkowski, und ich bin politisch aktiv bei der Bürgerrechtsbewegung
Solidarität in Essen.
Nun, Europa in zehn Jahren? Ich denke, Europa wird dann wirkliche „Leader“
haben - und in zehn Jahren wird man das auch auf deutsch ausdrücken können.
Wir sind in einer Zeit, in der wir ein großes Problem haben. Denke wir an
alle die Vorträge, die wir in den letzten beiden Tagen gesehen haben, alle
diese Früchte, die wir für die Zukunft pflanzen - viele Menschen haben
Probleme, das zu kommunizieren, und da müssen wir anfangen, vor allem die
Jugend in Europa.
Denn das Bild der Lage, insbesondere für die junge Generation, ist wirklich
eklatant. In Spanien beispielsweise liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 78%.
Und dann die Zahl der Selbstmorde. Alle diese Dinge, von denen wir immer mehr
hören, sind ein Zeichen, daß wir etwas grundsätzlich ändern müssen, im Denken
und in der Herangehensweise der Politik. Und das muß bei der Vorstellung von
der Zukunft anfangen.
Frau LaRouche hat uns und insbesondere die jungen Aktivisten in dieser
Bewegung wiederholt aufgefordert, eine klare Vorstellung davon zu zeichnen,
wie wir uns die Zukunft vorstellen, wie die Welt unserer Meinung nach
ausschauen sollte. Ich weiß, daß die meisten diesen Denkprozeß innerhalb von
fünf Sekunden abbrechen. Sie alle wissen, was für Gedanken dazwischenkommen,
so etwas wie: „Ach, das sind ja bloß Tagträume.“ Oder: „Dazu wird es nicht
kommen.“ Oder: „Das ist zu schön, um wahr zu sein oder wahr zu werden.“ Und da
müssen wir anfangen, wenn wir alle diese Projekte verwirklichen wollen.
Ich möchte Sie nur daran erinnern, daß es sehr lange ein Traum der Sklaven
war, frei zu werden und Bürger zu werden, denen alle Menschenrechte zuerkannt
sind. Die meisten konnten sich das gar nicht vorstellen, konnten nicht einmal
darüber nachdenken, und es waren nur sehr wenige, die es dann durchgesetzt
haben.
Es war ein sehr, sehr großer Traum vieler Menschen, fliegen zu können. Die
meisten konnten sich das gar nicht vorstellen, sie hatten keine Idee davon,
aber es waren einige wenige, die es dann möglich gemacht haben. Und es war
auch ein sehr, sehr großer Traum vieler Menschen, unseren Fuß auf einen
anderen Planeten zu setzen, und wie Sie wissen, gibt es noch heute viele
Menschen, die sich das gar nicht vorstellen können und sogar abstreiten, daß
es geschehen ist. Und wieder waren es nur sehr wenige Menschen, die das
erkämpft haben.
Und ich möchte Sie fragen, ob es bloß ein Traum ist, sich eine Welt
vorzustellen, in der alle Nationen für die gemeinsamen Ziele der Menschheit
zusammenarbeiten. Jeder, der versucht, andere Menschen zu organisieren, weiß,
daß es für die meisten Menschen sehr schwer ist, sich das auch nur
vorzustellen. Und das ist die Herausforderung für uns. Und es werden nur sehr
wenige sein, die das realisieren werden.
Diese Führer Europas werden durch diese Konferenz inspiriert sein, durch
diese Ideen, diese Projekte, die bis jetzt bloß Gedankendinge sind. Aber es
liegt an uns, sie zu realisieren und dafür zu sorgen, daß sie wahr werden.
Ich weiß, daß viele der Menschen, mit denen wir reden, sagen: „Ja, ich
stimme vollkommen zu, es muß sich etwas grundsätzlich ändern. Aber es muß von
der Jugend kommen, der jungen Generation.“ Wie ich schon sagte: Die sind nicht
auf den Straßen, aus mehreren Gründen.
Ich stimme zu, daß die Jugend zu denen gehört, die am stärksten von der
Krise betroffen sind, aber es ist nicht nur die Jugend. Denn was die
Jugend braucht, ist Inspiration. Sie brauchen eine Idee, worum es in der
menschlichen Gesellschaft überhaupt geht. Und jeder von uns ist Teil der
menschlichen Gesellschaft. Wir sollten also diese Ideen, über die wir in den
letzten beiden Tagen diskutiert haben, hinaustragen und so viele Menschen wie
möglich dafür begeistern. Damit diese Menschen nicht bloß von einer besseren
Zukunft träumen, sondern aktiv daran teilnehmen, sie zu verwirklichen. Vielen
Dank. [Applaus.]
Eine Lehre von Frederick Douglas
Stefan Tolksdorf: Mein Name ist Stefan Tolksdorf und ich bin,
wie Kasia, politisch aktiv - in der Hauptstadt Berlin. Nun, die Zeit läuft
davon, und ich möchte gerne, daß wir noch diskutieren können. Deshalb möchte
ich mich sehr kurz halten. Ich denke viel darüber nach, wie man die junge
Generation und die heutige Jugend in diesen Kampf hineinholen kann. Und jeder,
der organisiert, weiß, wie schwierig das ist. Wir haben ausführlich über die
Probleme gesprochen. Und ein sinnvolles Mittel, herauszufinden, daß es in der
Arbeitsweise des menschlichen Geistes etwas Universelles gibt, sind Witze.
Deshalb will ich hier einen kurzen Witz erzählen, bloß um einen kleinen
Geschmack davon zu vermitteln, auch wenn das eine Art Bruch des Protokolls
darstellt.
Der Witz handelt von einem polnischen Juden, der im 19. Jahrhundert mit
seiner Frau Paris besucht. Sie besuchen also die Stadt, besichtigen die
wichtigsten Orte, die man dort sehen muß, wie den Louvre, andere Museen usw.
Und eines Abends haben sie eine Verabredung in einem berühmten Club, dem
Moulin Rouge. Sie sind also im Hotel, und der Mann hat sich schon umgezogen
und wartet in der Halle darauf, daß seine Frau mit ihrem Make-up und allem
anderen fertig wird. Und während er da sitzt, kommt eine sehr elegante und
schöne junge Frau die Treppe herunter, und als sie an ihm vorüberschwebt,
sieht sie, daß er sie anschaut. Und sie flüstert ihm ins Ohr: „Tausend
Francs.“ Und der arme Mensch denkt einen Bruchteil einer Sekunde nach und
flüstert zurück: „Fünfhundert.“ Sie geht weiter und schwebt zur Tür hinaus.
Seine Frau kommt und sie nehmen die Kutsche ins Moulin Rouge, wo ein Tisch für
sie reserviert ist, und genießen das Programm, was immer man dort bietet. Der
Platz neben dem Mann ist leer. Da kommt dieselbe junge Frau herein, setzt sich
auf den leeren Platz. Und sie sieht sich die Ehefrau an und flüstert ihm ins
Ohr: „Sehen Sie, was Sie für Ihre fünfhundert bekommen haben.“ [Lachen.]
Nun, wie ich schon sagte, Sie werden mir das vergeben müssen. Ich benutze
oft Witze beim Organisieren - es gibt schlechte Witze, es gibt bessere, für
die man etwas mehr Arbeit und Zeit braucht, aber Witze haben etwas
Universelles. Sie provozieren zum Lachen, und wenn man darüber nachdenkt, dann
kann man eine Art Voraussage machen. Man tut etwas, und man hat bereits eine
Vorstellung davon, wie derjenige, mit dem man spricht, darauf reagieren wird.
Das ist nicht notwendigerweise etwas, was sie wollen. Ich meine, sie können
auch völlig blockiert sein und dann werden sie gar nicht lachen, und dann ist
es beinahe peinlich - auch das kommt vor.
Nun, Beethoven und Schiller haben, auf einer viel höheren Ebene als ein
einfacher Witz, eine Wirkung auf den menschlichen Geist, und ich kann Ihnen
versichern, daß das, was sie gestern abend gesehen haben, nur eine ganz kleine
Kostprobe davon war. Wenn sie bloß das gesehen haben, haben Sie noch gar
nichts gesehen, auch wenn es schön war. Es gibt noch sehr viel mehr in dieser
Welt, das entdeckt und den Menschen nahegebracht werden muß.
Diese Konferenz ist etwas ganz besonderes, denn anders als andere
Konferenzen, die wir hatten, erinnert sie mich an etwas, was ich vor vielen
Jahren gehört habe, von Dr. Martin Luther King: Nur wenn es dunkel genug ist,
kann man die Sterne sehen. Und ich denke, die Krise ist so schlimm und so
offensichtlich geworden, daß die Menschen nach Antworten suchen. Das hat - für
mich sehr bewußt - die Diskussion bestimmt, die wir hier hatten, eine sehr
bewußte Diskussion darüber, daß wir mit unserem Leben nicht herumspielen
können - nicht in dieser Zeit, in dieser Welt.
Ich habe etwas Schwierigkeiten, vorherzusagen, wie die Welt in zehn Jahren
oder in 50 Jahren aussehen könnte. Aber ich akzeptiere nicht, daß diese dummen
Bürokraten den Namen „Europa“ für ihr Konstrukt in Beschlag nehmen, für ein
Konstrukt, das unmenschlich und brutal ist und Menschen umbringt. Ich kann das
nicht akzeptieren, weil es nicht akzeptabel ist.
Ein Schritt, den man dazu machen kann - und ich rede immer sehr gern über
ihn - ist es, Frederick Douglas kennenzulernen. Denn Frederick Douglas tat als
Sklave in Amerika zwei Dinge, die den Herausforderungen ähneln, die sich uns
stellen. Das eine war, ganz persönlich der Sklaverei zu entfliehen - die
eigene Sklaverei nicht hinzunehmen und einen Ausweg zu finden.
Aber dann auch - und bei ihm war das nicht viel später -, die Verantwortung
zu entdecken, die mit dieser Handlung verbunden ist. Und das ist: Wie holt man
auch die anderen Sklaven aus der Sklaverei? Nun ist die heutige Sklaverei weit
abscheulicher und hinterhältiger, sie verleitet junge Menschen dazu, zu
glauben, daß es gar keine Sklaverei sei, sondern Spaß. Und wenn man ein
bißchen darüber nachdenkt, ist Spaß, nach heutigem Verständnis, immer einfach.
Es ist immer einfach - man sieht einen Film an, man nimmt Drogen, man geht auf
Parties. Nichts davon bedeutet irgendwelche Mühe für denjenigen, der diese Art
von Spaß sucht.
Schon das sollte uns mißtrauisch machen. Wenn es zu einfach ist, kann es ja
gar nicht so viel Spaß sein. Und bei Douglas erkennt man, daß es nicht um die
leichten Dinge geht, es sind wirklich die schwierigen Dinge. Beispielsweise
die Tatsache, daß er trotz des Systems, in dem er aufgewachsen war, das ihm
nicht einmal einen Familiennamen gab und ihm seine Familie verweigerte (er
kannte weder seinen Vater noch seine Mutter, man behandelte ihn praktisch wie
ein Tier) - trotzdem unterzog er sich der intellektuellen Mühe, zu erkennen,
daß die Unabhängigkeitserklärung und die Verfassung der Vereinigten Staaten
Instrumente der Freiheit sind, die mit Ideen geschaffen wurden, für die man
viele Jahrhunderte gekämpft hatte. Und es war Frederick Douglas, wenn ich mich
richtig erinnere, der Schiller den Namen „Dichter der Freiheit“ gab. Und er
las ihn auf deutsch. Nun, das ist eine Herausforderung für Sie!
Ich denke, darüber sollten wir diskutieren, aber ich denke auch, das sollte
von dem Standpunkt des Organisierens aus geschehen. Das ist manchmal eine sehr
schwierige Sache, manchmal kann das auch ziemlich frustrierend sein, wenn man
am Informationsstand organisiert und versucht, die Menschen mit unseren Ideen
bekannt zu machen, sie ihnen nahe zu bringen - oder manchmal sogar, sie
überhaupt nur zum Stehen zu bringen, um überhaupt mit ihnen reden zu können,
das manchmal eine ziemliche Arbeit. Aber auf der anderen Seite ist es die
einzige Quelle wirklicher Freude. Denn man tut etwas, was zu etwas beiträgt,
was viel, viel größer ist als das eigene Leben oder das der Person, mit der
man gerade redet. Und ich denke, das ist das einzige, was wirklich zählt -
jene Dinge, von denen man sicher sein kann, daß sie wichtig sind, noch lange
nachdem man sein Leben gelebt hat: Das ist die Quelle der Glückseligkeit.
[Applaus.]
Der extraterrestrische Imperativ
Toni Kästner: Ich möchte etwas ansprechen, weil es ja die
Tendenz gibt, Witze über die Kultur zu machen, ohne daß man erkennt, wie
schlimm sie wirklich ist. Vor etwa sechs Wochen haben sich z.B. drei junge
Leute in Berlin so sehr gelangweilt, daß sie einfach einen anderen jungen Mann
totgeschlagen haben, und gerade gestern ist das schon wieder geschehen, fast
am gleichen Platz. Wir bekommen mehr und mehr Berichte dieser Art - vor drei
Monaten hat, glaube ich, ein 15jähriger seine 8jährige Schwester vergewaltigt.
Ich meine, das ist das, was diese Kultur anrichtet, und wir sind uns dessen
nicht so bewußt, aber das fängt mit diesen Videos an. Denn sie schwächen uns
immer mehr - man hat ständig eine Ausrede, nicht menschlich zu sein. Und es
fängt nicht bloß mit diesen Videos an, es fängt schon damit an, daß man sagt:
„Ja, ich habe mein Privatleben und ich habe [getrennt davon] mein
Arbeitsleben, oder ich habe mein politisches Leben und ich habe mein privates
Leben.“ Und das funktioniert nicht.
Herr LaRouche und auch Helga [Zepp-LaRouche], so wie ich sie kenne, sie
trennen das nicht. Sie sagen wirklich: „Ich stelle mich der Herausforderung,
mein Potential zu entwickeln.“ Und das ist, denke ich, die größere Aufgabe bei
all den Programmen, über die wir heute gesprochen haben - den Nationen die
Möglichkeit zu bieten, daß die Menschen das haben können. Schließlich kann ein
Kind, das mit zwei Jahren verhungert, diese menschliche Qualität, dieses
menschliche Potential wohl nicht entwickeln. Aber wir reden hier über
Beethoven und seine Musik, weil sie den Menschen hilft, dieses Potential zu
verwirklichen, nicht wahr?
Wenn wir über ein Mars-Programm reden, dann nicht, weil wir irgendwelche
verrückten Science-Fiction-Fans wären, sondern weil wir das als unsere Mission
als Mensch betrachten, weil wir die einzige Gattung sind - jedenfalls, soweit
wir wissen -, die die Fähigkeit dazu hat. Und eine Person, die mit unserer
Bewegung zusammengearbeitet hat, Krafft Ehricke, hat gesagt, daß es einen
extraterrestrischen Imperativ gibt: Wir müssen es tun. Und von diesem
Standpunkt, wenn man das ernst nimmt, ist die Frage: Haben wir wirklich eine
Kultur, mit der das geht? Haben wir eine Kultur, die uns in die Lage versetzt,
zum Mars zu gelangen?
Viele Leute, die sich durch unser Material arbeiten, denken vielleicht:
„Ja, wir schaffen es zum Mars.“ Nun, meine Herausforderung ist: Wie kommen wir
weiter, über unser Sonnensystem hinaus? Wir kommen wir zum nächsten
Sonnensystem? Das ist eine große Herausforderung. Und ich kann Ihnen sagen:
Wenn sie diesen [Gangnam-]Tanz in einem Raumschiff tanzen wollen, dann könnte
es auseinanderfallen. Man würde gar nicht erst zum Mars kommen, nicht einmal
zum Mond. Nehmen wir also diese Herausforderung an und betrachten wir es aus
der größeren Perspektive, daß es um uns geht, um unsere Natur, wenn wir diese
Idee entwickeln und das, was wir tun müssen.
Wahrscheinlich hast du, Helga, auch etwas dazu zu sagen. Du kanntest ja
Krafft Ehricke sehr gut und ich weiß, daß das auch für unsere Bewegung eine
begeisternde Zeit war. Also, vielleicht kannst zu dem noch etwas hinzufügen.
[Applaus.]
Helga Zepp-LaRouche: Nun, Krafft Ehricke - wir haben
verschiedene Dinge mit ihm zusammen getan, mit der Fusion Energy Foundation,
aber einmal erklärte er sich auch bereit, eine Rundreise durch Deutschland für
uns zu machen, um das Wissenschaftsprogramm und die bemannte Weltraumfahrt
wiederzubeleben. Und bei zwei Gelegenheiten, einmal in München und auch in
Braunschweig, wenn ich mich nicht irre, wurden seine Veranstaltungen von den
Grünen angegriffen. Und das war der Punkt, an dem er sagte, daß er genau das
auch in den dreißiger Jahren gesehen hat. Warum sollte jemand einen
Wissenschaftler angreifen, der ein Marsprogramm entwickeln will? Das zeigt die
Bestialität der Grünen.
Und dann, später, als er leider an Krebs erkrankt war, hatten wir mehrere
längere Telefongespräche und er sagte, er wolle wirklich seine volle
Unterstützung für das Schiller-Institut zum Ausdruck bringen, denn die
Wissenschaft sei nicht das Problem. Wissenschaft kann zum Guten wie zum Bösen
dienen, das liegt ganz an den Menschen, die diese Wissenschaft nutzen. Und
deshalb sagte er, brauche man, ganz wie wir es sagen, den wissenschaftlichen
und technischen Fortschritt, man müsse ihn aber unbedingt mit einer
Renaissance der Kultur verbinden und man braucht die ästhetische Erziehung der
Menschen. Denn man kann alles entwickeln und damit die Zivilisation zerstören,
wie jetzt mit thermonuklearen Waffen, aber man kann auch die friedliche,
thermonukleare Kernfusion entwickeln und die Reisezeit zum Mars auf eine Woche
reduzieren.
Und er hatte diese phantastische Idee über die Evolution der Zivilisation
und des Lebens auf der Erde. Er wollte eine Stadt auf dem Mond bauen und
Städte auf dem Mars bauen. Aber er war vollkommen davon überzeugt, daß die
Bildung des Menschen, die humanistische Bildung, die wichtigste
Herausforderung ist.
Und ich denke, da haben wir die größte Krise. Denn die Vorstellung, daß die
Menschen danach streben sollten, schöne Seelen zu werden, ist nicht mehr das
Ideal. Wenn man heute in eine Schulklasse gehen und die Kinder fragen würde:
„Habt ihr schon daran gedacht, etwas für die Schönheit eurer Seele zu tun?“ -
dann würden sie wahrscheinlich denken, man sei verrückt. Aber wenn man sie
fragte: „Wart ihr schon im MacFit“ oder etwas ähnlichem, um schöne „Muckies“,
also starke Muskeln zu bekommen, dann wären sie sehr daran interessiert.
Ich denke daher, daß diese Idee, daß man an seinem eigenen Geist arbeiten
muß, daß man an der Schönheit der eigenen Seele arbeiten muß, daß man seine
Emotionen durch die klassische Kunst erziehen muß - das ist etwas, was jeder
große Wissenschaftler weiß. Deshalb hat Einstein auf seiner Geige gespielt,
bevor er an seine Studien ging. Man braucht diesen geistigen Rahmen, der
unsere Fähigkeiten in einer ganz besonderen Weise darauf einstimmt, kreativ zu
denken.
Man muß sozusagen „den Computer säubern“ von allem, was das stört. Wenn man
schlechte Gewohnheiten hat, muß man versuchen, sie so schnell wie möglich
abzulegen. Die Menschen werfen ihr Leben einfach weg, anstatt daran zu denken,
daß das Leben sehr kurz ist und daß man wirklich einen Plan braucht, um ein
kreativer Mensch zu werden.
Krafft Ehricke hat das verkörpert, und mit das Schönste in meinem Leben
war, daß ich durch die Arbeit mit meinem Ehemann das Glück hatte, einige der
besten Menschen auf diesem Planeten zu treffen - einige der kreativsten, wie
Norbert Brainin, aber auch viele andere, und einige der herausragendsten
Staatsführer, wie Indira Gandhi; Menschen, die ihr Leben der Aufgabe gewidmet
hatten, die Menschheit voranzubringen.
Und einige Leute haben das Unglück, daß sie niemals in ihrem Leben auch nur
eine einzige Seele treffen, die den göttlichen Funken in ihnen berührt, und
dann tun sie, was sie tun, und sterben irgendwann - und wofür überhaupt?
Ich habe viel über die Frage nachgedacht: Warum konzentriert sich Lyn
[LaRouche] so sehr auf die Frage der Kreativität? Warum redet er soviel
darüber, daß wir die Sinnesgewißheit überwinden müssen? Müßten wir nicht viel
dringender über die Gefahr des Dritten Weltkrieges reden?
Aber ich denke, es ist ganz klar. Er weiß, wenn wir nicht in den Menschen
diese Liebe zur Kreativität wecken, dann bleiben sie Sklaven der Oligarchie.
Und ich möchte wirklich, daß Sie diese Botschaft aus dieser Konferenz
mitnehmen, daß Sie wirklich ein neues Leben beginnen, daß Sie sagen: „Ich habe
jetzt die Zeit, den Zweck meines Lebens und meine Herangehensweise neu zu
definieren.“
Stürzen Sie sich in die klassische Musik, fangen Sie an, Gedichte zu lesen,
versuchen Sie, ein Gedicht zu schreiben. Warum nicht?
Sie werden feststellen, daß es eine große Herausforderung ist, ein Gedicht
zu schreiben, das die Kriterien eines klassischen Gedichts erfüllt. Denn man
kann dann keine Seifenoper schreiben, es kann kein Smalltalk sein, man kann
nicht einfach irgendwelche Reime ohne Rhythmus und ohne Sinn aneinanderreihen,
man braucht eine poetische Idee, und diese Idee muß entwickelt werden, sie muß
durchkomponiert werden, und sie muß auch ein Ende haben, damit die Metapher
des Gedichts uns über die Prosa hinausführt. Denn sonst könnte man auch Prosa
schreiben. Und das - oder auch ein Musikstück zu komponieren, das ist das
gleiche - ist eine Herausforderung. Man muß bis an die Grenzen des eigenen
Denkens gehen.
Es muß notwendig sein, nicht willkürlich, es muß etwas sein, was notwendig
ist. Denn das ist auch etwas, was die Menschen vergessen - daß Notwendigkeit,
Leidenschaft und Freiheit ein und dasselbe sind. Freiheit liegt nicht
außerhalb der Notwendigkeit, sonst hätte man Anarchie. Aber das zu tun, was
notwendig ist, in der Freude, daß man das tut, was die Menschheit braucht -
das macht uns frei. Und dies sind Gedanken, die Sie durchdenken müssen, und
wenn Sie sie durchdacht haben, dann werden Sie zu dem Schluß kommen, daß Sie
Ihr Leben dafür einsetzen werden, ein Teil der Lösung zu sein, an einem Punkt,
wo es nicht garantiert ist, daß die Menschheit durchkommt.
Ich möchte Ihnen diesen Druck nicht abnehmen. Wir haben heute nicht viel
darüber gesprochen, aber die Russen haben extrem scharf auf die Entsendung der
Patriot-Raketen [in die Türkei] reagiert; sie haben im Grunde gesagt, daß die
den Zweck haben, eine Flugverbotszone in Syrien durchzusetzen. Nun wollen
diese Idioten dazu auch noch AWACS-Flugzeuge hinschicken - Sie wissen schon,
diese militärischen Systeme, die das begleiten sollen, und es ist eine
militärische Vorbereitung auf den Dritten Weltkrieg.
Das ist der Druck, unter dem wir über diese Ideen diskutieren, und ich
denke, das ist etwas, was Sie nachhause mitnehmen sollten und dann darüber
nachdenken, was Sie dagegen tun wollen. [Applaus.]
Schließen Sie sich der Bewegung an!
Leona Meyer: Hallo, ich bin Leona Meyer, und ich bin aktiv
bei der BüSo in Stuttgart. Ich denke, wenn die Menschen nicht handeln, hat das
sehr viel mit ihrem Pessimismus zu tun. Und ich denke, dieser Pessimismus
kommt daher, daß man an die Sinneswahrnehmungen glaubt, daß man diese
abscheuliche Kultur sieht, daß man diese Politiker sieht, die nichts tun oder
das falsche tun. Und ich denke wirklich, daß wir diese Sinneswahrnehmungen
überwinden müssen.
Es ist möglich, in die Geschichte zurückzuschauen, auch Mike Billington hat
darüber berichtet: Wir haben schon Wunder vollbracht, mit kleinen Kräften,
aber mit der größten Kraft des Geistes weniger Menschen. Und ein solches
Wunder müssen wir jetzt vollbringen.
Wie ich schon sagte, ich arbeite jetzt in Baden-Württemberg, und dort gab
es im 19. Jahrhundert wichtige Menschen, die für die Zukunft der Menschheit
gekämpft haben, wie Friedrich Schiller, der mit den Humboldt-Brüdern und
vielen anderen in Kontakt stand. Man sieht, daß es ein Netzwerk war, das
tatsächlich nur ein kleiner Prozentsatz der gesamten Bevölkerung war, aber
diese Leute haben die Zukunft für die Menschheit verbessert.
Wir müssen uns jetzt dieser Herausforderung stellen, und wir können das
nächste weltweite Netzwerk schaffen - nicht von Milliarden Menschen, aber von
Menschen, die das richtige, kreative Denken haben, und mit jener Qualität, die
das Individuum braucht, um die Geschichte wirklich zu verändern. Das ist es,
was wir jetzt tun müssen. Und ich denke, daß alle die jungen Menschen hier
darüber nachdenken sollten, sich dazu so schnell wie möglich unserer Bewegung
anzuschließen. [Applaus.]
Helga Zepp-LaRouche: Ich denke, das war das letzte Wort. Ich
möchte Ihnen allen dafür danken, daß Sie hier waren und daß Sie die
Leidenschaft und die Geduld hatten, diese beiden Tage lang hier zu sitzen. Und
ich möchte Sie alle auffordern: Machen Sie mit. Verhindern wir den Dritten
Weltkrieg und schaffen wir eine bessere Welt! [Applaus.]
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