Aus dem Tagebuch einer spanischen Emigrantin des 21. Jahrhunderts
Die spanische Astrophysikerin Amaya Moro-Martin setzt sich ein
für die Erhaltung der wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung in Spanien,
die aufgrund der Haushaltskürzungen bedroht ist. Sie übermittelte der
Konferenz des Schiller-Instituts eine längere Grußbotschaft. Wir bringen
Auszüge.
Ich streife derzeit durch die Wüsten von Sonora und Mohave im Südwesten der
Vereinigten Staaten. Ihre eingeborenen Bewohner leben in Indianerreservaten
und sind beschränkt auf Regionen mit begrenzten natürlichen Ressourcen. Eine
scheinbare Unabhängigkeit erlaubt es ihnen, einige Gesetze zu ändern, sodaß
Kasinos und der Verkauf von Tabak, also Aktivitäten, die in den übrigen Teilen
der USA streng reguliert sind, die Grundlage ihrer prekären Wirtschaft
bilden.
Ich muß dabei an Eurovegas denken, den gigantischen Komplex von Kasinos und
Golfplätzen, die Las Vegas Sands bei Madrid errichten will. Um sich diesem
Unternehmen anzubiedern, will die spanische Regierung die Einwanderungs- und
Arbeitsgesetze aushöhlen, die Tabakgesetze ändern und großzügige
Steuernachlässe erteilen.
Ich denke dabei an jenen Doktor der Biologie, einen früheren Mitarbeiter
des Spanischen Nationalen Forschungsrates, den das spanische Arbeitsamt jüngst
zu einer Fortbildung geschickt hat, damit er Croupier wird. Welche Ironie, daß
das Schicksal des Volkes dieses Landes, das einst zu Neuspanien gehörtem, und
unser Schicksal im alten Spanien möglicherweise in einem Spielautomaten
zusammenkommen...
Ich mache diese Reisen nicht zum Spaß. Ich bin Wissenschaftlerin und ich
suche Arbeit. Ich arbeite für den Spanischen Nationalen Forschungsrat und
meine befristete Anstellung endet in wenigen Monaten. Es gibt tausende
Forscher wie mich. Aber wir sind unsichtbar. Die jüngsten Äußerungen des für
Forschung und Entwicklung zuständigen Abgeordneten der spanischen
Regierungspartei klingen mir noch in den Ohren: „Es gibt keinen Brain-drain,
das ist bloß ein unbegründetes Klischee.“
Ich denke an das letzte unserer zahlreichen Treffen im Kongreß mit ihm und
den „jungen“ Wissenschaftlern, die dabei waren: Diego ist gerade nach
Australien gegangen, Andy hat ein Angebot in Brasilien, und ich bewerbe mich
in Nordamerika um Arbeitsstellen...
Der Spanische Forschungsrat hat in den letzten 15 Monaten 1208
Wissenschaftlerstellen verloren, 205 allein im Januar und Februar 2013, und
die einzige Maßnahme, die die spanische Regierung ergriffen hat, um diesen
Brain-drain zu stoppen, ist, Umschulungen zum Croupier anzubieten. Es gibt
zuviele Wissenschaftler und zuwenige Croupiers. In einem Brief an das Magazin
Nature schrieb der spanische Staatssekretär im Juni 2012: „Das
spanische Forschungssystem ist nicht groß genug, um die Bezahlung von mehr
Forschern als gegenwärtig zu rechtfertigen.“
Wissenschaftler, die in Ruhestand gehen, werden nicht ersetzt, und die Zahl
der neuen permanenten Wissenschaftlerstellen, die zu besetzen sind, wurde
immer weiter zusammengestrichen, von 681 im Jahr 2007 auf 15 im Jahr 2013...
Wenn man so tut, als könne die Wissenschaft den Stillstand überleben, der
durch diese drastischen Haushaltskürzungen erzwungen wird, ist das so, als
bitte man jemanden, eine Stunde lang den Atem anzuhalten... Sie zerreißen die
Zukunft unserer Kinder und machen daraus Kasinochips - buchstäblich. Die
Steuernachlässe, die derzeit für Las Vegas Sands erwogen werden, könnten die
Größenordnung des gesamten Jahresbudgets der Fördergelder für Forschung und
Entwicklung erreichen.
In der gerade beschlossenen Spanischen Strategie für Wissenschaft,
Technologie und Innovation werden die drastischen Kürzungen der letzten Jahre
in Forschung und Entwicklung nicht erwähnt, ihre Wirkungen werden nicht
eingeschätzt und es werden keine Maßnahmen vorgeschlagen, um der Vernichtung
des Wissens entgegenzuwirken. Sie führt nicht einmal die menschlichen und
finanziellen Ressourcen auf, die kurz- und mittelfristig für Forschung und
Entwicklung zur Verfügung gestellt werden sollen...
Diese sogenannte Strategie ist mehr als bloßes Wunschdenken. Vielleicht auf
Anweisung der Chicagoer Schule der Ökonomie, sieht sie den Transfer der
Ressourcen aus der Grundlagenforschung des öffentlichen Sektors in
Innovationen des privaten Sektors vor. In welchen privaten Sektor? In den, der
schon, als die Wirtschaft noch blühte, nicht in Forschung und Entwicklung
investierte? Und was für Innovationen wären das? Die Grundlagenforschung
bildet den Grundbaustein allen wissenschaftlichen Fortschritts, und dieses
magische Wort Innovation wird ohne den wissenschaftlichen Fortschritt, der im
öffentlichen Sektor erreicht wird, nirgendwohin führen. Und, noch
grundlegender: Die spanische Regierung sollte berücksichtigen, was für unsere
Gesellschaft wichtig ist, und nicht nur, was für die Aktienmärkte von Wert
ist. Wie will man den Wert der Suche nach Leben auf anderen Planeten oder
einer Kur für eine seltene Krankheit finanziell bewerten?
Wir haben eine Lobby für die Wissenschaft aufgebaut, die die gesamte
Wissenschaftsgemeinde vertritt, zusammen mit der Konföderation
wissenschaftlicher Gesellschaften, der Konferenz spanischer
Universitätskanzler, zweier großer Gewerkschaften und der Föderation junger
Wissenschaftler. Hat die Regierung auf unsere Warnungen vor der
unwiderruflichen Zerstörung eines Forschungssystems gehört, das in vier
Jahrzehnten aufgebaut wurde? Absolut nicht.
Ich erhebe meine Augen von meinem Laptop und sehe eine öde Landschaft. Eine
Werbetafel wirbt für ein nahegelegenes Kasino...
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