Die chinesische Dimension des Dreiecks USA-Rußland-China heute
Von Alexander Nagorny
Alexander Nagorny aus Rußland ist stellv. Herausgeber der
Wochenzeitung Sawtra und Mitglied des Isborsk-Klubs. Er ist Historiker und
spezialisiert sich auf die Beziehungen zwischen China, den Vereinigten Staaten
und Rußland in den letzten Jahrzehnten. Er hielt seine Rede im Rahmen der
ersten Vortragsrunde der Konferenz des Schiller-Instituts bei Frankfurt/M. am
13. April. (Originalsprache Russisch, Zwischenüberschriften von der Redaktion
hinzugefügt.)
Zunächst möchte ich dem Schiller-Institut und Lyndon LaRouche persönlich
meinen großen Dank dafür aussprechen, daß sie eine so interessante, große und
zeitgemäße Konferenz veranstalten.
Wir vertreten einen neuen intellektuellen Klub, der vor etwa sechs Monaten
in Rußland gegründet wurde, den Isborsk-Klub, der verschiedene Experten und
Fachleute mit mannigfaltigen Ansichten zusammenführt, die über die Zukunft
nachdenken - das, worüber Lyndon LaRouche gerade auf so tiefschürfende und
interessante Art gesprochen hat.
Das Thema meines kurzen Vortrags läßt sich als Fortsetzung der von LaRouche
vorgetragenen Thesen einordnen. Der Titel lautet „Die chinesische Dimension
des Dreiecks USA-China-Rußland heute“. Ich denke, man sollte das Thema
vielleicht ein wenig erweitern: Zu dem Dreieck sollte auch die Europäische
Union oder Europa als solches gehören, da es zu den Akteuren in den
internationalen Beziehungen gehört, die wesentlich über die gegenwärtigen
politische Lage auf der Welt und über die Aussichten für die Zukunft der Welt
und der Menschheit entscheiden. Lyndon LaRouche hat das gerade
angesprochen.
Um nicht bei trockenen, theoretischen Betrachtungen stehenzubleiben, möchte
ich meinen Vortrag damit beginnen, die dramatische Lage zu beschreiben, die
gegenwärtig auf der Welt Gestalt annimmt, so wie es Massenmedien wie CNN,
ABC, Euronews usw. hinaustrompeten. Fast alle Aufmerksamkeit richtet sich
auf die Lage in Korea. Gerade eben, bevor ich heute morgen das Hotel verließ,
sah ich die neuesten Nachrichten von CNN, worin über eine
außerordentliche Erklärung des amerikanischen Außenministers Kerry in Seoul in
Südkorea berichtet wurde. Er sagte, die Vereinigten Staaten seien ebenso wie
die ganze übrige Welt äußerst besorgt über die atomare Bedrohung aus
Nordkorea, und die USA seien zum Dialog mit Nordkorea bereit und würden
mehrere Manöver absagen.
Dann kam Kerry zum Kern seiner Rede, als er sagte, er werde jetzt nach
Beijing fliegen, und die chinesische Führung, die chinesischen Genossen
sollten die entscheidende Rolle dabei spielen, diese aktuelle Krise, bei der
es auch um die Gefahr eines Konflikts unter Einsatz von Kernwaffen geht,
beizulegen.
Ich denke, diese Episode bringt die Gesamtlage zum Ausdruck, die sich in
innerhalb dieses großen Dreiecks oder Vierecks, von dem ich spreche, ausprägt.
Wir sehen hier, daß die Vereinigten Staaten als vorherrschende Weltmacht und
Hauptakteur der internationalen Beziehungen eine praktisch absolute
Konzentration militärisch-strategischer Macht in den Händen halten und
faktisch die Politik internationaler wirtschaftspolitischer Organisationen wie
Weltbank, IWF, WTO etc. bestimmen. Die USA waren gezwungen, sich an die
Volksrepublik China zu wenden - man könnte fast sagen, nach China zu fliegen
und einen Kotau vor den chinesischen Kaisern zu machen - und sie zu bitten,
irgend etwas zu tun, um die Lage zwischen Nord- und Südkorea zu beruhigen, um
zu verhindern, daß Pjöngjang Kernwaffen einsetzt und die Welt an den Rand der
nuklearen Katastrophe bringt.
Hier liegt meiner Ansicht nach das Geheimnis der chinesischen Diplomatie.
Folgt man der Logik, so ist durch den starken Grad der Abhängigkeit Nordkoreas
von China, sowohl in der Energieversorgung (80-85%) als auch bei
Nahrungsmitteln, eine Situation entstanden, in der die Vereinigten Staaten,
obwohl ihre Macht in militärisch-politischer wie auch ideologischer Hinsicht
diejenige Chinas weit übersteigt, gezwungen sind, an die Führung von China zu
appellieren und sie zu bitten, einzugreifen und zu helfen, einen militärischen
Zusammenstoß zu vermeiden.
Wenn wir nun die Lage in ihrer Gesamtheit betrachten, so sehen wir, daß
diese Koreakrise wichtiger geworden ist als die Lage im Iran und in Syrien,
und daß alle Aufmerksamkeit sich auf diesen koreanischen Aspekt richtet. China
hat damit demonstriert, daß die Vereinigten Staaten politisch das Gesicht
verloren haben. Und das ist sehr wichtig für die Asien-Pazifik-Region, wo
China traditionell und bis heute wegen seiner sehr hohen Rate der Entwicklung
Anspruch auf die Führungsrolle erhebt.
Neue Geopolitik
Diese Episode ist ein Sonderfall, aber es ist einer, aus dem sich leicht
Schlüsse über die Weltlage verallgemeinern lassen. Was haben wir in den
letzten paar Jahren erlebt? Die Geopolitik ist auf die Welt zurückgekehrt. Es
gibt eine Wiederaufrichtung der Linien, die typisch für die herkömmlichen
geopolitischen Konstrukte waren, wie sie die Weltpolitik im 19. und 20.
Jahrhundert kannte, welche nach der Auflösung der Sowjetunion, als der
sozialistische Block seine Stellung in den internationalen Beziehungen verlor,
in den Hintergrund getreten waren. 1991 gewannen die Vereinigten Staaten die
Fähigkeit, an globale Fragen völlig neu heranzugehen. Die USA hätten die
Speerspitze bei der Überwindung der globalen Probleme bilden können, über die
in den 80er Jahren so viel diskutiert wurde. Doch statt dessen konzentrierten
sie sich darauf, ihre egoistischen Positionen zu stärken.
Infolgedessen wurden wir Zeugen einer ganz neuen Konstellation, besonders
seit der Jahrtausendwende. Dies beruhte insbesondere auf der gigantischen
Zunahme der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Macht der
Volksrepublik China.
An dieser Stelle sollte ich ein paar Worte über Rußland sagen. Rußland
geriet 1991-93 praktisch völlig unter den politischen Einfluß der USA, doch
unter Putin begann sich dieser Zustand zu verändern. Inzwischen spielt Rußland
langsam wieder eine zunehmend unabhängige Rolle innerhalb dieser
geopolitischen Konstellation.
Es ist ziemlich klar ersichtlich, daß diese Wiedergeburt der Geopolitik auf
dem Egoismus der größeren Akteure in den internationalen Beziehungen beruht.
Unter diesen Bedingungen sucht jeder Beteiligte dieser komplexen geometrischen
Konstrukte - Dreieck oder Viereck - seinen eigenen Nutzen und strebt danach,
ihn zu verwirklichen, direkt oder manchmal indirekt (wie im Falle Syriens, wo
die USA und Europa im Grunde den weltlichen Staat zerschlagen, um eine völlig
neue Lage hinsichtlich der Energieversorgung Europas zu schaffen).
Dieser engstirnige Egoismus zeichnet so gut wie alle Akteure aus. Das ist
ein Hindernis für alle Bemühungen bei der Suche nach einem gemeinsamen
Vorgehen zur Lösung der globalen Probleme, von denen Lyndon LaRouche
gesprochen hat. Schließlich kann man sich schwer vorstellen, daß so
unterschiedliche Akteure der internationalen Beziehungen wie China, Europa und
die USA sich zu einem solchen einheitlichen Programm zusammenführen lassen.
Dennoch ist völlig klar, daß ein solches einheitliches Programm notwendig ist
und die Gefahr über den Köpfen der Menschheit schwebt.
Deswegen können wir mit absoluter Gewißheit sagen, daß der Aufstieg dieses
geopolitischen Denkens die Möglichkeit behindert, sich auf ein solches
gemeinsames Programm zu einigen. Wenn man sich alle beteiligten Länder
betrachtet, kann man erkennen, daß die Vereinigten Staaten ihre Ausrichtung
auf die Aufrechterhaltung ihrer faktischen Hegemonie im
militärisch-politischen wie im wirtschaftlichen Bereich werden aufgeben
müssen. Alle fraglichen Länder werden Einstellungen und Prinzipien, die auf
nationalem Egoismus im Verhältnis zu ihren Nachbarn beruhen, überdenken
müssen. Und was LaRouche erwähnte, ist extrem wichtig: man muß die heute
vorherrschenden Theorien des Monetarismus und Liberalismus in den
internationalen Wirtschaftsbeziehungen verwerfen.
Werden sich solche Kurswechsel bewerkstelligen lassen? Ich habe den
Einruck, daß es schwierig sein wird, das zu erreichen.
Kooperation statt neuer Blöcke
Betrachten wir noch einmal die Lage in der Asien-Pazifik-Region. Die
Vereinigten Staaten haben den sog. „Asia Pivot“ angekündigt, d.h. daß sie
ihren Schwerpunkt auf den Asien-Pazifik-Raum verlagern. Was bedeutet das für
Beijing und für die chinesischen Genossen? Es bedeutet, daß sie nach und nach
spüren werden, wie die Vereinigten Staaten langsam aber sicher ein System von
Hindernissen und Gegengewichten schaffen, das im Endeffekt ein System zur
militärisch-politischen und militärisch-strategischen Isolierung Chinas
ist.
China sieht diese Lage von dem Standpunkt aus, daß die Vereinigten Staaten
zu jeder beliebigen Zeit bewirken könnten, China von seiner Versorgung mit
Brennstoffen und Energieträgern abzuschneiden und damit die chinesische
Wirtschaft abgewürgt wird und sozial inakzeptable Zustände für die Existenz
des chinesischen Volkes entstehen. Aus dieser Sicht muß Beijing sich natürlich
nach einem Ausweg aus dieser Situation umsehen, nach einer Art Garantie. Sie
müssen einen Weg suchen, aus dem rigiden System, das gegenwärtig konstruiert
wird, auszubrechen. Das ist die Motivation dafür, daß China sich um die
Beteiligung an wirtschaftlichen Großprojekten in Zentralasien bemüht, in
Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan, sowie für Chinas Angebot eines
plötzlichen Schubs in den Beziehungen zur Russischen Föderation.
Es war kein Zufall, daß der neue chinesische Staatsführer Xi Jinping die
Russische Föderation als Ziel seiner ersten Auslandsreise wählte. Mehrere
ziemlich wichtige Abkommen wurden dabei geschlossen. Noch wichtiger ist, was
hinter verschlossen Türen besprochen wurde und worauf Xi und Putin sich
geeinigt haben mögen. Natürlich werden sich diese Gespräche darum gedreht
haben, wie sie angesichts des Drucks der Amerikaner und Europäer so
erfolgreich wie möglich ihre Interessen verteidigen können.
Wir sehen also, wie sich - vielleicht schrittweise - neue Blöcke bilden.
Die treibende Kraft hinter dem Aufbau dieses neuen geopolitischen Systems sind
fraglos die Knickpunkte in der Wirtschafts- und Finanzkrise, und viel wird
davon abhängen, was geschieht, wenn die zweite Welle dieser Wirtschafts- und
Finanzkrise ihren Höhepunkt erreicht. Völlig klar ist jedoch: Wenn die Akteure
ihren nationalen Egoismus nicht überwinden, dann wird durch den natürlichen
Prozeß, daß die internationalen Beziehungen und diese neuen Blöcke zunehmend
chaotisch werden, die Welt ziemlich leicht nicht nur an den Rand, sondern
mitten hinein in militärisch-politische Zusammenstöße geraten, möglicherweise
beginnend auf regionaler Ebene und von da ausgehend auf eine megaregionale
Ebene.
Ich bin überzeugt davon, daß in dieser Konfiguration unsere Konferenz eine
sehr wichtige Rolle spielen muß und daß sie in beträchtlichem Maße den
Führungen der großen geostrategischen Zentren demonstrieren kann, daß man sich
in eine ganz andere Richtung bewegen muß - nicht in den Aufbau dieses neuen
Block-Schemas, sondern zu Projekten strategischer Zusammenarbeit, zu denen
jedes Land seine eigenen finanziellen, menschlichen und
kulturell-ideologischen Ressourcen beitragen kann.
Mir scheint, daß diese Herangehensweise, dieses neue politische Denken -
ich verwende diesen Begriff nicht gerne, weil er mit Gorbatschow verbunden ist
und wir wissen, wie Gorbatschows Experiment in Sowjetrußland endete. Dennoch
ist genau das notwendig, daß dieses neue politische Denken etwas ist, wofür
Putin ein gewisses Verständnis besitzt und daß er versucht, Berührungspunkte
mit Europa, mit den Vereinigten Staaten und vor allem mit der Volksrepublik
China zu finden.
Ich sehe Putins und Rußlands Beziehungen zur Europäischen Union mit einiger
Skepsis, besonders seit der Situation, die in Zypern entstand, als Deutschland
Putin sozusagen das Messer in den Rücken stach. Ich denke, er wird das in
seinem Verhältnis zu Merkel nicht vergessen, auch wenn er nach außen hin sein
diplomatisches Lächeln beibehalten wird. Die Erfahrung lehrt, daß Rußlands
Herangehensweise an die Beziehungen zu Deutschland nicht die sein wird, die
sie hätte sein können, wenn das auf zivilisiertere Art abgelaufen wäre.
Was das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland betrifft,
ist es ebenfalls schwierig, große positive Aussichten auszumachen. Der jüngste
Vorschlag Washingtons für einen radikalen Abbau der strategischen und
taktischen Nuklearstreitkräfte ist im wesentlichen für die Russische
Föderation unannehmbar, weil die eigentliche Grundlage unserer Sicherheit
davon betroffen ist. Nachdem die sowjetische Militärmaschinerie massiv
verkleinert und praktisch zerschlagen wurde, bleiben nur unsere nuklearen
Raketenstreitkräfte als eigentliche Garantie der Unverletzlichkeit der Grenzen
Rußlands. Deshalb werden sich beide Seiten, obwohl man natürlich weiter mit
Washington in Form diplomatischer Kontakte mit diplomatischem Lächeln
verkehren wird, auf das schlimmste vorbereiten.
In diesem Kontext könnten die Vorschläge, von denen Lyndon LaRouche
gesprochen hat, das Eis brechen, wenn alle Beteiligten sich zu einer
grundlegend neuartigen Herangehensweise an die wichtigsten Aspekte ihrer
Staatskunst entschließen. In diesem Sinne wiederhole ich, daß dies bedeutet,
das amerikanische Hegemoniedenken aufzugeben, und für die regionalen Mächte,
ihren nationalen Egoismus aufzugeben. Und es bedeutet eine ganz neue
Herangehensweise an die Organisation der Weltwirtschaft.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
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