Nur die Kernkraft kann den Energiebedarf der Welt decken
Von Henri Safa
Prof. Dr. Henri Safa ist ein französischer
Nuklearwissenschaftler, Autor und internationaler Experte für Energiedichte,
Kerntechnik und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Nuklearabteilung
der französischen Kommission für atomare und alternative Energie (CEA). Er
eröffnete am 13. April mit der folgenden Rede die Vortragsrunde zum Thema
„Energiesicherheit für das 21. Jahrhundert“ bei der Frankfurter Konferenz des
Schiller-Instituts.
Guten Tag. Ich möchte Ihnen heute Nachmittag gerne zeigen, warum die
Kernkraft langfristig gesehen wirklich unvermeidbar scheint.
Erstens: Wenn wir von einer historischen Perspektive ausgehen, dann weiß
man, daß Energie für die Menschheit schon immer wichtig war, und wir haben
schon vor sehr langer Zeit angefangen, Biomasse zu nützen. Biomasse war die
erste Energiequelle, die wir sehr, sehr lange Zeit genutzt haben. Seit die
Kohle im 17. Jahrhundert in England entdeckt wurde, hat sie unsere Welt
wirklich verändert, denn sie führte zur industriellen Revolution, die es ab
dem 18. Jahrhundert gab. Und danach kam, im 19. Jahrhundert, natürlich die
Entdeckung des Öls, die zu dem gewaltigen Wachstum führte, das wir weltweit im
20. Jahrhundert erlebten, und was den Transport weltweit sehr erleichtert
hat.
Danach, 1956, kam dann die Verflüssigung von Gas, die ebenfalls eine große
Steigerung ermöglichte, die wir heute bei der Ausweitung des Energieverbrauchs
sehen.
Als wir bei den Niagara-Fällen anfingen, die Elektrizität zu nutzen, war
dies gleichzeitig eine erstaunliche Nutzung des Energietransports über große
Entfernungen, man konnte sie leicht, bloß über einen dünnen Draht - einen
dünnen Kupferdraht - übertragen.
Und jeder weiß, daß Enrico Fermi 1942 seinen ersten Atommeiler im Stadion
von Chicago gebaut hat, und es war damals sehr erstaunlich, daß er erstmals
Energie aus Uran gewinnen konnte. Und das wurde im späten 20. Jahrhundert
ausgeweitet.
Abb. 1: Energieumwandlung: Joules Experiment
Energie verschwindet nicht
Nun bloß einige grundlegende Zahlen zu den Energiemengen, die man kennen
sollte, wenn man darüber redet. Die Einheit ist natürlich ein Joule (J), aber
die üblichere Einheit sind Kilowattstunden (kWh), das ist die, die wir jeden
Tag verwenden. Und eine Kilowattstunde - bloß um die Dinge in Perspektive zu
setzen - ist 40% von dem, was wir täglich essen, um einen menschlichen Körper
zu ernähren, aber man kann damit ein Auto nur einen Kilometer weit fahren.
Wenn wir beispielsweise losfahren, um ein Baguette beim Bäcker zu holen, dann
bewegen wir etwa eine Tonne Metall über mehrere Kilometer, bloß um ein 250
Gramm schweres Baguette zu bekommen. Ein Punkt, den ich hier betonen wollte,
ist die Effizienz unserer Energiequellen. Und das ist sehr wichtig.
Etwas anderes, worüber über die Jahrhunderte diskutiert wurde, insbesondere
bei James Joule, ist, daß Energie tatsächlich nicht aus dem Nichts entsteht
(Abbildung 1). Man wandelt lediglich Energie aus einer Energieform in
eine andere um. Energie verschwindet also nicht. Energie ist eine konservative
physikalische Einheit, und wenn wir Energie „verbrauchen“, dann verwandeln wir
nur eine Form der Energie in eine andere. Und das hat Joule mit diesem kleinen
Apparat hier gezeigt, wo eine kleine Masse mit der Schwerkraft fällt und diese
kleine Masse über eine Schraube mit einem Behälter verbunden ist, der im
Wasser rotiert. Er zeigte, daß die Gravitationsenergie in Wärmeenergie im
Wasser umgewandelt wird. Und er maß die Temperatur und auf diese Weise stellte
er fest, daß wir 4,4 J an Wärme benötigen, um ein Gramm Wasser um ein Grad zu
erhitzen.
Seither ging es immer darum, Energie aus einer Form in eine andere
umzuwandeln, und wir haben eine Menge Technologien entwickelt, um Energie aus
einer Form in eine andere umzuwandeln. Da gibt es natürlich Wärmeenergie, es
gibt chemische Energie, elektrische Energie, mechanische Energie,
Strahlungsenergie, Kernenergie und hydraulische Energie.
Wenn man beispielweise zur Beleuchtung eine Lampe verwendet, dann leitet
man elektrische Energie durch einen Widerstand, man erhitzt diesen Widerstand
und wandelt sie in thermische Energie um, und wenn diese thermische Energie
eine ausreichend hohe Temperatur erreicht, dann erhält man Strahlungsenergie.
Man geht also von einer Energieform zu einer anderen über und von dieser zu
einer dritten.
Wenn man das tut, dann beträgt die Gesamteffizienz beim Übergang von
elektrischer Energie zu Strahlungsenergie nur 2%. Das bedeutet, daß wir bei
diesem Prozeß 98% der Energie verlieren! Und deshalb ist es wichtig, daß der
Prozeß effizient ist.
Wenn man Kernenergie nutzt, dann geht man von einem nuklearen Material aus
und erzeugt durch die Kernspaltung Wärmeenergie, heizt damit Wasser auf
(Dampf), das durch eine Turbine geleitet wird (mechanische Energie) und
verwandelt sie in einem Wechselstromgenerator in elektrische Energie. Man
verwandelt also diese vier Formen der Energie in elektrische Energie.
Abb. 2: Energiegehalt von Brennstoffen (Wh/kg)
Abb. 3: Weltweiter Primärenergieverbrauch nach Energieträgern,
in Megatonnen Erdöl-Äquivalent (Mtoe)
Abb. 4: Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen dem Entwicklungsstand
eines Landes (Human Development Index, HDI, senkrechte Achse) und dem
Energieverbrauch pro Kopf des betreffenden Landes (waagrechte Achse,
toe/Kopf)
Energiedichte
Die andere wichtige Frage ist hier die Energiedichte. Als wir die Kohle
entdeckten, war die Kohle sehr interessant - warum? Weil ihre Energiedichte
doppelt so groß ist wie die von Biomasse. Das machte es möglich, genug Kohle
in den Zug zu laden, um die Lokomotive anzutreiben. Und als wir Öl und Gas
entdeckten, was die größte Energiedichte hat, die wir bei chemischer Energie
auf der Erde kennen, wurde das sogar noch mehr genutzt und war noch begehrter,
weil die Energiedichte dreimal so groß ist wie bei Biomasse.
Und für uns hier ist wichtig zu sehen, daß sie beim Uran - weil es sich da
um Kernbindungskräfte handelt - noch 100.000 mal dichter ist als beim Erdöl
(Abbildung 2).
Aus dieser Tatsache wird meines Erachtens klar, daß wir diese enorme
Energiedichte nutzen müssen. Dieser Faktor 100.000 ist sehr wichtig für uns,
weil wir eine sehr geringe Masse der Erde verwenden können, um die gleiche
Menge Energie wie bei der Verbrennung von Öl zu erhalten. Behalten Sie diese
Zahl 100.000 im Kopf. Diese schlichte Tatsache deutet darauf hin, daß die
Menschen die Kernkraft in der Zukunft als ihre wichtigste Energiequelle nutzen
werden.
Wenn wir nun den weltweiten Energieverbrauch betrachten, sehen wir, daß der
Energieverbrauch auf der Erde enorm angestiegen ist - zunächst einmal, weil
die Bevölkerung gewachsen ist, aber auch Wohlstand und Wirtschaftswachstum
verlangen mehr Energie. Wichtig ist bei diesen Zahlen, daß wir, wenn neue
Energiequellen entdeckt werden, die anderen Energiequellen nicht einfach
hinter uns lassen; Energiequellen wurden noch nie verdrängt, wie haben
vielmehr zu dem, was wir bereits kannten, mehr und mehr Energie
hinzugefügt.
Sie sehen, daß auch heute noch die Nutzung von Biomasse, der ältesten
Energiequelle der Menschheit, immer noch wächst. Kohle wächst immer noch -
auch Öl. Und Sie sehen übrigens auch, daß die erneuerbaren Energiequellen
weniger als 1% ausmachen.
Alle diese Formen der Energie wachsen weiter und die Menschen haben eine
immer größere Nachfrage nach Energie. Warum? Weil Energie und Wachstum sehr
eng miteinander zusammenhängen. Es kann keine menschliche Entwicklung geben
ohne Energie. Es ist klar: Wenn ein Land sich entwickeln will, dann braucht es
dazu genug Energie pro Kopf, um sich entwickeln zu können, um auf der
richtigen Seite dieser Kurve zu sein (Abbildung 4) - die rechte Seite
sind die entwickelten Länder.
Viele Länder müssen sich in der Zukunft auf das Niveau der wohlhabendsten
Länder entwickeln, und wir brauchen mindestens 4 t Öl-Äquivalent (toe) pro
Kopf, um uns genug entwickeln zu können. Das bedeutet, daß wir schon jetzt
vorhersehen können, daß der weltweite Energieverbrauch sich in der Zukunft
noch ausweiten wird.
Wenn wir also mehr Energie brauchen, woher können wir diese Energie auf der
Erde bekommen? Wie Sie wissen, gibt es fossile Energieträger, wie wir eben
schon besprochen haben - Kohle, Erdöl, Erdgas -, und es gibt erneuerbare
Energien - Wasserkraft, Wind, Solar, Biomasse, Erdwärme. Die meisten
Erneuerbaren - außer der Erdwärme - beruhen auf der Sonneneinstrahlung. Und es
gibt die Kernenergie, die zu Beginn der Entstehung der Erde gebildet wurde,
als das Uran von Anfang an in die Erdkruste eingebaut wurde.
Es hat lange Zeit gedauert, bis diese fossilen Brennstoffe entstanden waren
- Hunderte von Millionen Jahren. Dies sind diffuse und vorübergehende
Energiequellen. Wir brauchen also etwas, was ausreichend lange als Ressource
dienen kann, und wir brauchen etwas, was nicht so vorübergehend und diffus
ist, sondern genug Energiedichte hat, um genug Kraft zu liefern.
Wenn wir die gegenwärtigen Ressourcen der Welt betrachten - das sind im
Wesentlichen Öl- und Gasvorkommen - und noch die nachgewiesenen Reserven
hinzunehmen, dann werden sie wahrscheinlich noch ein paar Jahrhunderte lang
reichen. Das bedeutet, daß sie schon im kommenden Jahrhundert sehr, sehr teuer
sein werden, weil sie knapp sind. Wir müssen immer tiefer ins Meer
hinabsteigen, um Zugang zu diesen Ressourcen zu erhalten.
Kohle ist noch etwas reichlicher vorhanden, wir haben mehr Kohle auf der
Erde als Öl oder Gas. Kohle wird sehr ausgiebig genutzt werden, und es ist
heute beispielsweise die Ressource, die in China genutzt wird - der
grundlegende Rohstoff in den meisten Ländern ist heute die Kohle. Und wenn wir
Uran verwenden, so wie wir es in den heutigen Reaktoren verwenden, dann haben
wir nur für etwa 300 bis 400 Jahre Vorräte. Das bedeutet, daß man, wenn man
die Kernenergie länger nutzen will, neue Reaktortypen braucht, um genug
Ressourcen zu haben, damit sie länger halten als es heute möglich ist.
Abb. 5: Vorteile der hohen Energiedichte
Speicherung von Energie ...
Abb. 6: ...durch ein Pumpspeicherkraftwerk...
Abb. 7: ... und andere Speicher: Thermische Speicher, Chemische Speicher,
Brennstoffzellen
Abb. 8: Kosten verschiedener Methoden zur Speicherung von Elektrizität: Bei
den meisten verfügbaren Speichermethoden (abgesehen von den
Pumpspeicherkraftwerken, PSH, oben links) sind die Energiemengen gering und
die Kosten hoch
Abb. 9: In einem Kernkraftwerk der heute üblichen Bauart wird nur ein
Drittel der Energie in Strom umgewandelt, zwei Drittel gehen verloren
Abb. 10: Das Kernkraftwerk Nogent-sur-Seine. Ein großer Teil der in
Kraftwerken erzeugten Wärme wird heute als Abwärme ungenutzt in die Umwelt
abgegeben
Abb. 11: Bei ausschließlicher Nutzung der jetzt üblichen
Kernkraftwerkstypen (v.a. Leichtwasserreaktoren) wären die jetzt bekannten,
wirtschaftlich nutzbaren Uranvorkommen um 2030 aufgebraucht, die vermuteten
Uranvorkommen um 2060 (obere Kurve). Mit dem Einsatz von Schnellen Brütern
reichen die Uranvorkommen länger, bei einem baldigen Einsatz (ab 2030, untere
Kurve) sogar Jahrtausende
Nur ein paar Worte über die Uranvorkommen (Abbildung 5). Aufgrund
dieses Faktors von 100.000, von dem ich gesprochen habe, liefert dieses kleine
nukleare Pellet von nur sieben Gramm Gewicht, das wir in den Reaktor laden,
soviel Energie wie fünf Fässer Erdöl. Das bedeutet, daß wir nur sehr geringe
Mengen an Rohstoffen brauchen, um die gleiche Energiemenge zu erhalten. Dieser
Faktor 100.000 ist also sehr wichtig vom Standpunkt der Ressourcen, die uns
auf der Erde zugänglich sind.
Energieunabhängigkeit, geringe Kosten, geringe Abfallmengen und geringe
Wirkung auf die Umwelt: über das alles können wir später vielleicht noch
ausführlicher sprechen.
Zukunftsaussichten
Was sind nun die Aussichten für die Zukunft - kurzfristig und langfristig?
Kurzfristig müssen wir in eine neue Ära eintreten, in der wir die
Energienutzung gegenüber heute verändern müssen. Und einige Energieregeln
können den Energieverbrauch auf der Erde vollkommen verändern.
Die erste davon ist die Speicherung von Energie - sehr wichtig. Wir wissen
heute noch nicht, wie man Elektrizität aufbewahren kann, und deswegen müssen
wir den Strom dann erzeugen, wenn wir ihn verbrauchen, und das bedeutet sehr
strenge Anforderungen für die Stromerzeugung.
Der zweite Aspekt, der die Lage gründlich verändern wird, den ich hier
erwähnen will, ist die Nutzung der Abwärme aus unseren Kraftwerken - und da
ist sehr viel Wärme, die man zurückgewinnen kann.
Das dritte ist die Stromverteilung und das vierte sind die längerfristigen
nachhaltigen Energiequellen der Zukunft.
Der einzige große Speicher für Elektrizität - ich spreche hier nur über die
Speicherung von Terrawattstunden, nicht über die kleine Batterie ihres
Computers, die nur 112 Watt speichern kann - sind Pumpspeicher-Kraftwerke
(Abbildung 6): Wenn man zuviel Strom hat, kann man das Wasser in den
oberen Teil des Speichers pumpen, und wenn man ihn nutzen will, dann läßt man
es einfach durch sein mechanisches Gewicht wieder herunterlaufen. Das geht
aber natürlich nur in Ländern, in denen es Berge gibt. Anderswo ist das sehr
schwierig.
Andere Formen der Stromspeicherung sind die Speicherung von Druckluft im
Untergrund, Schwungräder - man läßt die Räder sich einfach mit hoher
Geschwindigkeit drehen und versucht dann, die Energie zurückzugewinnen -,
natürlich Batterien sowie supraleitende magnetische Energiespeicher. Das alles
wird derzeit in den Forschungslabors studiert, aber nichts davon ist nutzbar
für große Energie- und Strommengen.
Andere Formen der Speicherung von Energie (Abbildung 7): Thermische
Speicherung - hier sehen Sie ein Haus bzw. einen Gebäudekomplex, in dem man im
Sommer Energie speichern und im Winter nutzen kann. Es gibt chemische Speicher
- das beste Beispiel dafür ist der Tank in ihrem Auto. Und es gibt die
Speicherung von Wasserstoff in Brennstoffzellen.
Aber man muß die konkreten Zahlen für alle diese Formen der Speicherung
sehen, denn wir brauchen genug Kraft in diesen Speichern (Abbildung 8).
Man will hier im oberen Bereich im Bereich von 100 MW liegen und man will, daß
dieser Speicher nicht sehr teuer ist. Bei den meisten
verfügbaren Speichermethoden sind die Energiemengen gering und Kosten hoch,
da ist also noch viel Arbeit zu leisten, damit die Kosten dieser
Speicherformen in den Bereich der übrigen gelangen. Das ist die
Herausforderung für die kommenden 30 Jahre.
Rückgewinnung von Wärme
Die zweite Aufgabe ist die Rückgewinnung der Abwärme aus den Kraftwerken.
Warum?
Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß wir lediglich eine Energieform in eine
andere umwandeln, wenn man in einem Kraftwerk elektrischen Strom erzeugt. Hier
ist z.B. ein Kernkraftwerk (Abbildung 9): Wenn man das Wasser des
Primärkreislaufs im Reaktorkern aufheizt und die Wärme dann in elektrischen
Strom umwandelt, wird nur ein Drittel der freigesetzten Energie in
Elektrizität umgewandelt. Zwei Drittel gehen einfach verloren und werden in
die Umwelt freigesetzt, und dann heizen sie die Vögel oder die Fische. Und das
ist nicht so gut. Ein Beispiel hierfür ist unser Kernreaktor in
Nogent-sur-Seine (Abbildung 10). Sie sehen, daß eine Menge Wärme in die
Atmosphäre gelangt.
Was kann man also tun? Wir können etwas im System des sekundären
Kühlkreislaufs des Reaktors ändern, um diese Wärme zurückzugewinnen, und
können diese Wärme dann benutzen, um Städte zu heizen.
Das Problem ist, daß die Kernkraftwerke normalerweise weit von den Städten
entfernt gebaut werden. Die Aufgabe ist also, Wärme über große Distanzen - oft
Hunderte von Kilometern - von den Kernkraftwerken in die Städte zu leiten. Und
das ist heute mit sehr geringen Verlusten möglich. Wir können eine
Fernwärmeleitung über 150 km mit weniger als 2% Wärmeverlust nutzen, und wir
haben Programme, mit denen wir versuchen können, z.B. die Abwärme des
Kernkraftwerks Nogent-sur-Seine zurückzugewinnen und nach Paris zu leiten -
das ist 120 km entfernt. Paris hat bereits ein Fernwärmenetz, das das größte
in Frankreich ist, und es besteht schon seit fast 100 Jahren. Es begann mit
den Zügen im Gare de Lyon, wo man versuchte, den Dampf in Gare de Lyon
aufzuheizen, und das gibt es immer noch. Es arbeitet immer noch. Die Wärme
kommt aus dem Kohlekraftwerk in Saint Ouen oder aus Gaskraftwerken. Und wenn
man die Abwärme von Kernreaktoren nutzen kann, dann spart man eine Menge
Ressourcen und eine Menge Geld.
Transport und Nachhaltigkeit
Die dritte Herausforderung ist die Elektrifizierung des Verkehrs. Warum den
Verkehr elektrifizieren? Was ist der Vorteil?
Wenn man einen Verbrennungsmotor verwendet, hat man einen Wirkungsgrad des
Motors von 33% und nur 20% werden in die Bewegung des Fahrzeugs umgesetzt. Das
bedeutet, daß man pro Kilometer und Stunde 600 Watt verliert. Nimmt man ein
elektrisches Auto, verliert man nur 200 Watt pro Kilometer, weil der
Elektromotor einen Wirkungsgrad von 90% hat. Das bedeutet, daß man für die
gleiche Bewegung nur ein Drittel der Energie benötigt, und man hat überhaupt
keine Kohlendioxid-Emissionen.
Die vierte Herausforderung ist die langfristige Nachhaltigkeit der
Kernkraft, und die Nachhaltigkeit treibt die Entwicklung neuer Reaktorsysteme
voran, in denen wir die Uranvorkommen viel effizienter nützen können, als wir
es heute tun: 50mal so effizient.
Wie kann dies geschehen? Dies sind die Uranvorkommen, die wir heute zum
jeweiligen Preis nützen können (Abbildung 11). Wenn wir die
gegenwärtigen Kernreaktoren weiterverwenden, dann werden wir nur unser Uran
verbrauchen. Und Sie sehen, daß wir in 50 Jahren das Maximum der Ressourcen
erreicht haben werden, die wir zum gegebenen Preis nützen können. Wir müssen
also etwas tun, um zu neuen Kernreaktoren zu wechseln, die wir als Schnelle
Brüter bezeichnen. Wenn wir sie frühzeitig einführen, können wir für sehr
lange Zeit genug Energie aus diesen Schnellen Brütern erhalten. Und wenn ich
sage, für sehr lange Zeit, dann meine ich Zehntausende von Jahren. Es ist also
ein viel längerer Zeitraum als bei den jetzigen Kernreaktoren.
Für einen Schnellen Brüter brauchen wir als Rohstoff nur acht Tonnen
abgereichertes Uran, verglichen mit 200 Tonnen natürliches Uran, das in den
heutigen Reaktoren verwendet wird. Das bedeutet, daß wir daraus einen großen
Zuwachs an Nachhaltigkeit für die Reaktoren gewinnen. Und schon das allein
rechtfertigt auf lange Sicht die Entwicklung dieser neuen Kernreaktoren.
Es gibt ein Internationales Forum für die Vierte Generation der Kerntechnik
(International Generation IV Forum), das wir im Jahr 2000 gegründet haben;
dort haben wir sechs verschiedene Typen für Schnelle Reaktoren der Zukunft
ausgewählt: der Schnelle Natrium-Reaktor, der Schnelle Blei-Reaktor, der
Schnelle Gas-Reaktor, der Hochtemperatur-Reaktor, der überkritische
Wasserreaktor und der Flüssigsalzreaktor. Ich denke, Sie werden über einen
dieser Typen, den Flüssigsalz-Reaktor, gleich noch etwas mehr erfahren.
Heute arbeiten wir in Frankreich, im wesentlichen in der CEA (Kommission
für atomare und alternative Energie), an zwei dieser Reaktortypen: dem
Schnellen Natrium-Reaktor, weil wir damit eine Menge Erfahrung haben - wir
haben 30 Jahre Erfahrung im Bau von Schnellen Natrium-Reaktoren - und dem
Schnellen Gas-Reaktor, der eine größere Herausforderung ist, weil es ein auf
Helium beruhender Schneller Reaktor ist, den wir bisher noch nie gebaut haben.
Hier sehen Sie zwei Prototypen des Schnellen Natrium-Reaktors, die wir in den
nächsten zehn Jahren in Frankreich bauen werden.
Zusammenfassend sei gesagt: Die Energiedichte ist die Schlüsselfrage für
die Nutzung künftiger Energiequellen auf der Erde. Wir brauchen natürlich
Energie, denn wir brauchen Wirtschaftswachstum. Beides hängt eng miteinander
zusammen. Die Änderungen, die wir in den kommenden 30 Jahren sehen werden,
sind die Speicherung von Elektrizität, die Rückgewinnung der Abwärme aus
Kraftwerken und die Elektrifizierung des Verkehrs. Und auf lange Sicht würde
ich sagen, Kernreaktoren sind unvermeidlich.
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