Das Projekt ExoMars
Von Dr. Didier Schmitt
Didier Schmitt, Dr. med. und Dr. phil., Experte für
Weltraumforschung bei der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und der
Europäischen Kommission, sprach bei der Konferenz des Schiller-Instituts über
die historische Entwicklung der Raumfahrt und das europäisch-russische Projekt
„ExoMars“.
Es war keine Absicht, aber das Bild [auf dem Plakat zur Konferenz] werden
Sie auch in meinem Vortrag sehen: Der Mann mit dem Astronautenhelm ist Aldrin
auf dem Mond. Es gibt kaum ein Bild mit Armstrong auf dem Mond, außer diesem
hier: der Mann, den man [als Reflektion] auf dem Helm sieht, ist Armstrong.
Sonst ist auf den Bildern immer Aldrin zu sehen.
Zunächst muß ich sagen, daß ich hier keine Organisation repräsentiere, ich
repräsentiere mich selbst - was schon schwierig genug ist. [Lachen.] Ich bin
seit geraumer Zeit in der Weltraumforschung tätig. Das hier ist etwas, was wir
vor ungefähr 12 Jahren in der Weltraumorganisation ausgearbeitet haben; es ist
ein Plan für die bemannte und unbemannte Weltraumforschung. Wir werden sehen,
wie weit wir seitdem gekommen sind. Herr Cheminade hatte mich gebeten,
besonders über die Mission ExoMars zu sprechen; das werde ich auch tun, doch
ich glaube, daß es recht wichtig ist, einen allgemeinen Überblick zu haben,
was Weltraumforschung ist und warum wir sie allgemeinen betreiben.
Forschung liegt in den Genen des Menschen
Bilder: Smithsonian Institute, NASA
Abb. 1: Der Mensch als Forscher - vor 500.000 Jahren, (Nutzung des Feuers)
und vor 50 Jahren (Raumfahrt)
Ich habe meinen Vortrag etwas verändert, normalerweise halte ich ihn vor
einem wissenschaftlichen Publikum, aber hier habe ich natürlich ein anderes
Publikum. Beginnen würde ich gern vor langer Zeit.
Was ich sagen will, ist folgendes: Meiner Meinung nach haben wir den
Forscherdrang in unseren Genen, wegen des Ausleseprozesses.
Die Wissenschaftler sind sich darin einig, daß die ersten Menschen - bzw.
was auch immer für Vorformen es gab - fast alle aus dem Süden Afrikas kamen.
Und diejenigen, die in den Gebieten blieben, in denen sie lebten und an deren
Umwelt sie angepaßt waren, starben aus, als ihre Umwelt sich veränderte. Das
gilt z.B. für den Homo floresiensis und andere. Nur diejenigen, die Forschung
und Entdeckung trieben, hatten eine Überlebenschance, als sich die Umwelt
veränderte.
Ich will mich nicht allzu lange bei diesem Punkt aufhalten, aber er erklärt
viel von dem, was später geschah. Nach wie vor wirkt der menschliche
Forscherdrang (Abbildung 1). Das gilt für die Zeit vor 5000 Jahren im
Gebiet rund um das Mittelmeer genauso wie für die jüngere Geschichte, auch
wenn dieses Forschen und Entdecken in der Vergangenheit nicht immer positiv
war, aber nach wie vor, wenn man darüber nachdenkt, erklärt das forschende
Wesen des Menschen vieles, und wenn ich es genauer betrachte, auch meinige
heutige Sichtweise.
Ich betrachte die Raumfahrt nämlich auch als Forschen und Entdecken. Und
jüngst, d.h. schon vor einem halben Jahrhundert, fingen wir an, die Erde zu
verlassen. Dahinter steckt meiner Meinung nach wieder dieser Drang, immer
weiter zu gehen. Wir sind in die Tiefsee vorgestoßen, auf die Berge, zum
Nordpol, zum Südpol, also müssen wir auch in den Weltraum. Noch einmal: Beim
Forschen und Entdecken geht es um Anpassung und Überleben, d.h. um eine
Auslese. Alles andere ist deshalb nur eine Folge davon. Es gibt auch Forschung
für Reichtum, für Macht - wir kennen das alle aus den Geschichtsbüchern - und
dann natürlich zuletzt die Raumfahrt als Forschung aus Prestigegründen, so wie
seit den Sechzigern auch im Kalten Krieg in der Weltraumära.
Abb. 2: Auch in der Literatur herrscht ein Drang zur Forschung: Schon 1638
erschien der erste Science-Fiction-Roman, „The Man in the Moone“ von Francis
Godwin.
Bild: NASA
Abb. 3: Der Mars-Rover „Curiosity“ ist ein Beispiel für die Erfolge
der unbemannten Raumfahrt
Bild: NASA
Abb. 4: Die Internationale Weltraumstation (ISS)
Bild: NASA
Abb. 5 (a) Die beiden ersten Menschen auf dem Mond: Buzz Aldrin und -
als Spiegelbild auf Aldrins Helmvisier - Neil Armstrong (Apollo 11) und ...
Bild: NASA
... Abb. 5 (b) der bisher letzte Besucher des Mondes, Harrison Schmitt (Apollo 17)
Bilder: NASA
Abb. 6: Walerij Poljakow, der Astronaut, der sich bisher am längsten im
Weltraum aufgehalten hat (links) und
Abb. 7: Der mit 70 Jahren bisher älteste Mann im Weltraum: John Glenn
Bilder: NASA
Abb. 8: Beispiele der privaten Weltraumfahrt: (a) Der erste
„Weltraum-Tourist“ Dennis Tito und (b) der von einem privaten Unternehmen
betriebene Weltraumtransporter SpaceX
Science Fiction
Ein weiteres Element, das ich Ihnen gerne zeigen würde, ist, daß die
Erkundung des Weltraums z.B. auch in der Literatur präsent ist. Der erste
wirkliche „Science-Fiction-Film” ist für mich eine Geschichte aus dem 17.
Jahrhundert, wo der Autor mit einer Art Raumschiff, wie er es sich damals in
seiner Phantasie vorstellen konnte, den Mond erreichen will [Francis Godwin,
The Man in the Moone, 1638, Abbildung 2]. Sie kennen Jules
Verne. Ich will bei dem Thema nicht zu lange verweilen, aber es ist der
gleiche Geist: Man will immer weiter, bis zum Mond, und alles erkunden. Einige
kennen sicherlich die vielen Science-Fiction-Romane, die in den fünfziger und
sechziger Jahren in Zeitschriften erschienen. Zumindest in Europa dürfte sie
jeder kennen. Ich habe jüngst selbst ein bißchen dazu beigetragen, doch das
werde ich später zeigen. In der Unterhaltungsindustrie, im Kino -
„Unterhaltung“ ist dabei die amerikanische Betrachtungsweise dieser Kunst, nun
gut - handelte der erste je gedrehte Film - 1902 von Méliès („Die Reise zum
Mond“) - von der Raumfahrt. [An dieser Stelle zeigte Schmitt einen
kurzen Ausschnitt des Films.]
Das ist recht interessant zu sehen, daß der erste je gedrehte Kinofilm
sozusagen ein Science-Fiction-Film war, in dem die Helden des Films in einer
Raumkapsel auf dem Mond sind, die, wie schon bei Jules Verne zuvor, auf den
Mond geschossen wurde. Sie kehren dann zur Erde zurück, landen auf dem Meer
und so weiter - sehr interessant. Es geht also wirklich um Forschung.
Wie Sie wissen, war das nur das erste Produkt dieser Art. Es gab dann
später Star Trek [Raumschiff Enterprise], das kennt jeder, und
viele weitere wie Star Wars, 2001- Odyssee im Weltraum etc.,
jüngst Avatar: All das sind Elemente, die zeigen, daß wir forschen und
entdecken wollen. Und wenn wir es real nicht tun können, dann versuchen wir es
mit Hilfe von Literatur oder Kinofilmen. Ich hoffe also, es ist klar, was ich
demonstrieren wollte.
Ich habe selbst ein bißchen dazu beigetragen. Ich habe einen Weltraum-Comic
geschrieben, hauptsächlich über praktische Anwendungen der Raumfahrt. Er wird
im Januar in 24 Sprachen erscheinen und die Anfangsauflage beträgt 1 Million -
wir haben bereits 1 Million Anforderungen von Schulen und Lehrern.
Kommen wir zur Realität. Bisher ging es um Fiktion, aber Sie haben
wahrscheinlich auch die Realität im Kopf. Ich möchte nicht auf all diese
Bilder und die verschiedenen Schritte bei der Erkundung durch Roboter
eingehen. Das kennen Sie aus den Nachrichten, und Sie haben sicher auch vor
kurzem von dem amerikanischen Rover auf dem Mars gehört, der sehr
außergewöhnlich ist (Abbildung 3). Er ist wirklich außergewöhnlich. Der
Rover ist recht groß, nicht bloß ein Mercedes; die Deutschen würden sagen:
„Ein richtiger Wagen.“ [Lachen.] Er ist wirklich massiv. Aber er hat auch ein
paar Milliarden gekostet - sie können sich das leisten.
Bei den unteren Bildern geht es um Erforschung durch Menschen. In den
Programmen, die ich bei der ESA entwickelt habe, habe ich immer betont, daß
wir beides brauchen. Es gab immer Leute, die sagten, daß wir die Erkundung
durch Menschen nicht brauchen, das sei zu kostspielig, mit Robotern könnten
wir zehnmal mehr für die Wissenschaft leisten. Nun, das deren Ansicht.
Ich glaube, die Erforschung durch Menschen trägt etwas ganz anderes bei.
Wenn jemand in den kommenden 30 oder 40 Jahren auf dem Mars sein sollte und
man sieht ihn im Fersehen oder ähnliches, dann kann man sich mit ihm in
Verbindung setzen. Das ist ganz etwas anderes als nur einen Roboter zu
betrachten, einen Rover auf der Oberfläche des Mars. Rover sind keine Helden,
doch Sie werden später sehen, daß wir auch Helden brauchen.
Der Wettlauf zum Mond
Dazu könnte man viel sagen, aber um Ihnen nur ein bißchen zu zeigen: Das
war die erste Saljut-Station, und später werden wir sehen, warum die Russen so
weit voraus waren. Das hier ist die gegenwärtige Internationale Raumstation
(ISS, Abbildung 4) und das war das amerikanische Shuttle.
Nur wenige Leute wissen, daß die Russen auch so ein Shuttle-Programm
hatten. Es flog nur einmal, im Jahr 1988, und zwar automatisch, ohne daß
überhaupt Menschen an Bord waren.
Das soll nur zeigen, daß die Russen die ersten waren, die Amerikaner das
übernahmen und es internationalisiert wurde; später werden wir über den
chinesischen Status reden, der in den kommenden Jahren eine Menge verändern
wird. Die Russen waren voraus, ganz einfach. Die Russen hatten als erste einen
künstlichen Satelliten, die ersten Menschen im All - mit „Laika“ auch die
ersten Tiere -, die ersten Menschen also, die erste Frau im Raum, die erste
Raumstation - sie waren wirklich immer die ersten. Sie hatten die erste Sonde
auf dem Mond.
Der Grund dafür war sehr einfach. Als sie die Raketen konstruierten, die
eigentlich interkontinentale ballistische Raketen waren, gelang es ihnen
nicht, den Sprengkopf zu miniaturisieren. Sie hatten also einen massiven
Sprengkopf, eine Atombombe, und mußten dafür eine riesige Rakete entwickeln.
Sie mußte in der Lage sein, jederzeit und überall zu starten, sogar in
Sibirien. Dadurch hatten sie also eine ziemlich zuverlässige Rakete. Dann
mußten sie nur noch den Sprengkopf durch einen Satelliten oder durch eine
Kapsel mit Menschen ersetzen.
Die Amerikaner hatten zur gleichen Zeit zwei Raketentypen - z.B. die
Minuteman, wie hier auf dem Bild, die hatten einen kleinen Sprengkopf.
Als es dann darum ging, etwas anderes in den Weltraum zu befördern als
ballistische Raketen, waren die Amerikaner dazu nicht in der Lage. Sie mußten
also eine Rakete völlig neu entwickeln, um die Russen später überholen zu
können. Ich glaube, das sind historisch interessante Details.
Ein anderes interessantes Element ist, daß die Russen nur Pech hatten, daß
sie nicht die ersten auf dem Mond waren. Die entsprechenden Unterlagen wurden
kürzlich freigegeben. Die H-1-Rakete hatte drei große Stufen und 86
Triebwerke, und ihr Fehler oder ihr Pech war, daß immer ein, zwei oder drei
dieser Treibwerke ausfielen. Deshalb schlugen die ersten drei Versuche alle
fehl. Da stellten die Russen das Programm ein und unterstellten es absoluter
Geheimhaltung, nur um zu zeigen, daß sie nicht versagt hatten. Keiner konnte
sagen: „Ach, sie haben es versucht und haben es nicht geschafft.“ Die Russen
sagten: „Nein, wir haben nicht versagt, wir haben es gar nicht versucht. Wir
wollten diesen Wettlauf nicht.” In Wirklichkeit haben sie den Wettlauf
mitgemacht, ihn aber verloren.
Sie wissen natürlich, wer ihn gewonnen hat. Auch diese Informationen wurden
vor kurzem freigegeben. Das kommt von Johnson, dem Vizepräsidenten unter
Kennedy, in dem Dokument heißt es (es ist länger): „Wie können wir die Russen
schlagen?” Und Kennedy sagte: „Bringt mir jemanden, der eine Idee hat, wie man
die Russen in der Raumfahrt oder woanders schlagen kann.” So entstand die
Idee, einen Mann auf den Mond zu schicken, und der Rest ist bekannt: Mit 2%
des BIP der USA und 300.000 Beteiligten wurde der erste Mensch auf den Mond
gebracht. Auf meinem Bild (Abbildung 5a) ist, wie ich schon erklärt
habe, nicht Armstrong zu sehen, sondern Aldrin - Armstrong ist hier an der
anderen Stelle.
Das hier ist übrigens auch ein berühmtes Bild (Abbildung 5b). Dieser
Mann heißt Schmitt, genau wie ich, mit Doppel-t. Er war der letzte Mensch auf
dem Mond und der einzige Wissenschaftler. Alle elf anderen waren Militärs.
Leider hörte das Mondprogramm mit Nixon auf, und danach gab es gar kein
Programm wissenschaftlicher Flüge mehr.
Ich habe schon von Helden geredet, ich möchte das nicht so lang auswälzen.
Die Russen hatten ihre Helden. Es war wirklich eine Zeit, die Helden machte,
sei es in Rußland oder in Amerika, und das, wie Sie sich vorstellen können,
hauptsächlich aus politischen Gründen. Denn den anderen zu schlagen, entweder
den Kapitalismus oder den Kommunismus, das hatte mit Bildern und Helden zu
tun.
Ein Mann, den ich sehr mag, ist Walerij Poljakow (Abbildung 6) -
Antonio [Güell], Sie kennen Ihn auch. Ich habe mit ihm zusammen eine Woche im
Simulator in Moskau gearbeitet, er ist ein wirklich interessanter Mensch. Die
Russen haben entschieden, daß er 14 Monate am Stück an Bord der Raumstation
Mir fliegt. Das sollte beweisen, daß sie zum Mars und zurück fliegen
können, das dauert etwa 14 Monate. Und er hat es gemacht. Er war sogar in
guter Verfassung, als er zurückkam, anders als andere, die nur sechs Monate
flogen und in schlechter Verfassung waren.
Nun die Amerikaner. Dieses Bild zeigt die beiden ersten Piloten des
Shuttle-Programms 1980. Auch in Amerika war es ein Mechanismus, um
Helden zu machen. John Glenn (Abbildung 7) flog 1962, als ich geboren
wurde, und wieder 1998, als er 70 war. Es war recht interessant, wie die NASA
seinen Flug begründete - es war eine Belohnung, weil er sich so für die
Raumfahrt eingesetzt hatte.
Der Stand heute
Wo stehen wir heute? Das war eine kurze Zusammenfassung, ein Blick zurück
im Spiegel. Wo sind wir heute?
Es gibt immer noch konstante Elemente: So den grundsätzlichen
Forschungstrieb der Menschheit, wie ich schon sagte, das ist in den Genen, das
bleibt. Der Aspekt der Träume - ich glaube nicht, daß sich das seither viel
verändert hat. Das, was ich die „Flagge“ nenne: Jedesmal, wenn jemand als
erster irgendwo hinkommt, sei es der Südpol, der Nordpol oder Gott weiß wo,
der Mount Everest, er hißt immer eine Fahne. Er repräsentiert etwas, eine
Nation. Und das existiert immer noch, wir werden das gleich ein wenig bei der
chinesischen Raumfahrt sehen.
Sehr schnell tauchen neue Mitspieler und Parteien auf. Wir werden gleich
näher darauf eingehen - private Initiativen, wir werden über China sprechen,
etwas über die USA und etwas über Europa.
Erstens ist da der geschäftliche Faktor. Das ist sehr interessant und sehr
wichtig. Niemand hat das wirklich vorhergesehen. Wir in der Raumfahrt haben es
gesehen, aber wir konnten es nicht glauben. Die meisten, mit denen ich vor ein
paar Jahren darüber geredet habe, sagten: „Das wird niemals funktionieren, das
wird nie richtig abheben.“ Und was ist heute?
Hier ist ein Bild von Dennis Tito (Abbildung 8a), dem ersten
Weltraumtouristen. Inzwischen gab es etliche andere, bisher sind es sechs. Im
nächsten Jahr können Sie für 200.000 Dollar ein Weltraumticket kaufen, wenn
Sie soviel Geld haben. (Nun, wenn Sie soviel hätten, wären Sie wahrscheinlich
nicht hier.) Dann können Sie einen suborbitalen Flug machen, vier Minuten in
der Schwerelosigkeit, und die Erde von oben sehen. Es gibt die Initiative
SpaceX, die gegenwärtig Fracht zur Raumstation bringt (Abbildung 8b),
auch eine Privatinitiative. Ich wette mit Ihnen, daß man in fünf Jahren einen
Platz buchen kann, um zum Mond und zurück zu fliegen. Das wird 50 bis 60
Millionen Dollar kosten, aber es gibt eine ganze Menge Menschen, die soviel
Geld haben und die so etwas tun möchten.
Es gibt viele andere Initiativen. Ein Beispiel ist Xprise, ein Preis von 30
Millionen Dollar für den, der eine Robotersonde auf dem Mond absetzt. Da läuft
also einiges, und ich bin wirklich überzeugt, daß die privaten Initiativen
weitergehen und einen Teil des Forschungsprogramms vorantreiben werden.
Die Rolle Chinas
Dann gibt es China. Viele haben den chinesischen Faktor unterschätzt -
natürlich nicht die USA, weil die Amerikaner gute Informationen hatten, obwohl
es - Antonio [Güell] weiß das sehr gut - ein sehr geheimes Programm war.
Tatsächlich ist es ein komplett militärisches Programm. Der Name des ersten
Taikonauten, wie sie ihre Astronauten nennen, wurde erst bekannt, nachdem er
vom ersten Flug zurückgekehrt war. Daran sieht man, wie geheim sie es hielten.
Und die anderen zwölf, die trainierten, machten ihre Ausbildung jahrelang an
einem geheimen Ort und niemand wußte, wer sie waren.
Bild: CMSE
Abb. 9: Im vergangenen Jahr testeten die Chinesen erstmals das
Andocken eines Raumfahrtzeugs an einer Weltraumstation
Bild: NASA
Abb. 10: künsterlische Darstellung einer bemannten Mission zu einem
Asteroiden
Bild: ESA
Abb. 11: Das Lastpferd der der europäischen Raumfahrt, die Trägerrakete
Ariane-5
Sie haben viele Erstflüge gemacht, und im letzten Jahr hatten sie ihre
erste Frau im Weltraum. Dieses Jahr hatten sie das erste Andocken
(Abbildung 9), und jetzt halten sie alles weniger geheim. Vor zwei
Jahren kündigten sie an - wir wußten das schon, aber es war noch nicht
offiziell -, daß sie 2020 eine Raumstation im Orbit haben wollen - also
praktisch morgen. Und im letzten Jahr kündigten sie an, daß ihr Ziel ist,
einen Chinesen auf den Mond zu bringen. Wir wissen nicht, ob das permanent
sein soll oder nur ein Besuch wie damals von den Amerikanern. Und in diesem
Jahr haben sie angekündigt, daß ihr Ziel letztlich der Mars ist.
Die Chinesen sind also im Kommen. Sie reden erst, wenn sie etwas getan
haben, sie sagen nicht: „Wir werden das und das tun”, sondern sie sagen: „Wir
haben das und das getan.” So machen sie es gewöhnlich: Sie kündigen etwas erst
an, wenn sie ganz sicher sind, daß sie es tun können. Es ist nicht bloß
Bluff.
Das ist politisch sehr wichtig, weil sie wirklich zeigen wollen, daß sie
die nötige Technologie und den Mut haben und daß sie wenigstens regional, wenn
nicht global, den USA mindestens ebenbürtig sind.
Darauf müssen die USA natürlich reagieren und sie tun es. Die Regierung
Obama reagierte mit dem Vorschlag, den Bush 2004 machte, dauerhaft zum Mond
zurückzukehren - was damals meiner Ansicht nach, wie ich immer gesagt habe,
sehr seltsam war, weil man nicht wieder auf den Mond muß, um beispielsweise
weiter entfernte Missionen zum Mars zu rechtfertigen. Die Regierung Obama
bereitet also gegenwärtig einen Plan vor, die Chinesen zu schlagen. Wenn die
Chinesen zum Mond fliegen, werden die Amerikaner offensichtlich nicht zum
Mond, sondern weiter fliegen. Und mit diesem bemannten Raumschiff, der
Startrakete - das ist übrigens die, die von Braun entworfen hat, sie fanden
keine bessere Option - werden sie ungefähr 2025-30 einen Asteroiden besuchen.
Was bedeutet, daß sie viel weiter kommen werden, als die Chinesen es je
schaffen werden. Wir befinden uns also wieder in einer Art „kaltem Krieg”,
einem technologischen kalten Krieg zwischen China und Amerika.
Man sieht auf dem Bild hier (Abbildung 10), daß diese Leute hier
nicht laufen, sondern schweben. Es ist nämlich ein Asteroid. Das sind
Entwürfe, an denen die NASA derzeit arbeitet, sie testen es öffentlich. Das
machen sie nämlich immer so: Sie bereiten die Menschen geistig vor, und dann
machen sie eine Ankündigung. Möglicherweise werden sie schon sehr früh im
nächsten Jahr etwas ankündigen, wahrscheinlich wenn Obama zum zweitenmal das
Amt antritt.
Die Lage für Europa
Und wo stehen wir als Europäer? Ich möchte nicht wiederholen, was in den
Geschichtsbüchern über Europäer als große Entdecker steht, aber es ist wahr,
daß Europa hierin eine sehr große Rolle gespielt hat. Ich könnte die Wikinger
und natürlich andere erwähnen, das sind nur kleine Beispiele für Europäer als
Entdecker. Und wir machen weiter.
Auf diesem Bild sieht man z.B. den gegenwärtig entlegensten Ort der Welt,
eine Station in der Antarktis, 1100 km von der Küste entfernt. Dort leben
ständig zwölf Menschen, und ich habe ein Programm angestoßen, dort
Weltraumbedingungen zu simulieren, das seit 2005 läuft. Für uns, die ESA, ist
dort ein Arzt und es laufen seit 2005 etwa 5-10 Experimente in dieser Station,
weil sie eine gute Analogie zu einer Weltraumbasis darstellt.
Was haben wir nun technologisch in den Weltraumprogrammen für die Forschung
getan?
Sie alle kennen unser großes Pferd, die Ariane-5 (Abbildung 11), die
bis zu 20 Tonnen in die Umlaufbahn bringen kann, sie ist bekannt. Das
Fortgeschrittene Transfervehikel - im Grunde ist es ein Ferrari, verglichen
mit allen anderen Raumfahrzeugen: sehr autonom, ein sehr intelligentes System,
für das Andocken an die Internationale Raumstation. Wir haben das Raumlabor
Columbus, angedockt an die ISS, wir haben andere Systeme auf der
Raumstation gebaut und wir haben außergewöhnliche Leute, wie Frank de Winne,
den ersten Kommandeur der Raumstation nach Amerikanern und Russen.
Was werden wir als nächstes tun? Gerade wurde vor wenigen Tagen auf der
ESA-Ministerkonferenz entschieden, die erste Forschung und Entwicklung für das
Antriebssystem des nächsten amerikanischen bemannten Raumfahrzeugs zu
finanzieren. Das ist sehr strategisch. Wenn die USA mit dieser Kapsel irgendwo
mit Menschen hinfliegen - sei es zu einem Asteroiden, um den Mond oder weiter
-, wird es immer mit europäischer Technik sein. Ich halte das für einen guten
strategischen Schritt von uns.
Auch in der unbemannten Raumfahrt haben wir einiges. Wir haben seit 2003
einen Satelliten am Mars, den Mars Express; wir von der ESA sind am
weitesten im Sonnensystem gekommen, wir haben 2005 eine Sonde auf dem Titan,
einem Mond des Saturn, gelandet, was noch kein anderer getan hat. Wir haben
gegenwärtig einen Kometenjäger unterwegs, der 2014 auf einem Kometen landen
wird, wir werden dort Proben entnehmen und sie analysieren, was auch ein
weltweites Novum in der Kometenforschung sein wird.
Und wir haben das ExoMars-Programm. Ich habe versprochen, darüber zu
sprechen, deshalb werden wir kurz zu einem anderen Vortrag überwechseln, den
ich aus Zeitgründen nicht anpassen konnte. Er ist für ein wissenschaftliches
Publikum ausgelegt, aber ich werde ihn etwas schneller durchgehen.
Nun, die Planung für das ExoMars-Programm begann eigentlich 2009. Ich war
der erste Wissenschaftler, der daran gearbeitet und das Konzept entwickelt
hat. Und die Grundidee war ganz einfach. Viele amerikanische und russische
Programme dieser Zeit befaßten sich mit Geologie und Physik, doch unsere Idee
war: Konzentrieren wir uns auf das, was wirklich wichtig ist, nämlich Wasser
und Leben aufzuspüren. Wie wir Wasser und Leben auf dem Mars entdecken
können.
Das war ein Element. Das andere Element war, daß wir sagten, wenn wir eine
Sonde, ein Fahrzeug auf den Mars schicken, laßt uns auch danach forschen, wo
die Gefahren für Menschen in 20, 30, 40, 50 Jahren sind, wenn sie dorthin
kommen. Es war also ein doppeltes Programm: Identifizierung von Gefahren für
Menschen und Suche nach Leben.
Planungen für ExoMars
Wo stehen wir nun heute?
Das Problem ist, daß alle sehr interessiert an diesem Programm waren und
daß alle mehr damit anstellen wollten: mehr Wissenschaft, mehr Technik. Es
wurde aufgebläht, es wurde eine ganz große Sache daraus, und das könnte am
Ende das Aus für es bedeuten, wenn wir nicht das notwendige Budget dafür
haben.
Für 2016 haben wir vorgesehen, einen ersten Orbiter zu starten, der
beispielsweise nach Methan in der Atmosphäre sucht, was ein indirektes
Anzeichen für Leben wäre. Natürlich gäbe es noch viele andere Meßinstrumente.
Und wir wollen ein Fahrzeug testen, das zurückkehren kann, um zu sehen, ob wir
neue Techniken erfinden können, um die Atmosphäre des Mars zu durchdringen und
sicher zu landen.
Ich möchte jetzt dazu nicht in Einzelheiten gehen, denn wie ich schon
sagte, ist das hier für Wissenschaftler gedacht. Die Programme enthalten
mehrere wissenschaftliche Instrumente, ich möchte Ihnen nur die verschiedenen
Flaggen zeigen. Hier sehen sie die Flagge von Roskosmos. Wir hatten eine
Vereinbarung mit der NASA, daß sie die Trägersysteme liefern würde, weil wir
die Kosten teilen mußten, nachdem das Programm irgendwann die Größenordnungen
sprengte. Aber vor weniger als einem Jahr, im letzten Frühjahr, sagte die
NASA: Wir können das nicht machen, wir haben andere Prioritäten. Sie ließen
uns im Regen stehen, und wir mußten alles noch einmal überdenken. Nun
schlossen wir ein Abkommen - das war gerade erst diese Woche - mit der
russischen Weltraumbehörde, daß sie uns zwei schwere Trägerraketen für die
Missionen 2016 und 2018 liefern wird. Ich hoffe, daß es funktioniert.
Für 2018 haben wir dann das eigentliche Kernstück von ExoMars vorgesehen,
den Rover, mit etwas ganz neuartigem, nämlich einem Bohrer, der mindestens
zwei Meter tief in den Boden eindringt, um Spuren von Leben zu finden.
Gleichzeitig sind, wie ich schon sagte, viele andere Forscher interessiert,
und deshalb werden wir auch eine Art Wetterstation und geophysikalische
Station absetzen.
Es ist also eine ziemlich komplexe und ehrgeizige Mission, aber wir können
es schaffen. Wir - die Wissenschaftler, die Techniker und die Ingenieure -
haben dazu alles nötige Wissen. Man muß nur die Daumen drücken, daß wir so
lange ein stabiles Budget behalten.
Wir haben auch entschieden, wo wir damit landen und wie wir dort arbeiten
wollen. Ich möchte nicht in Einzelheiten gehen, das ganze ist natürlich nicht
so einfach. Wechseln wir zurück zum ersten Vortrag und belassen es hiermit in
Bezug auf ExoMars.
Bild: ESA
Abb. 12: künstlerische Darstellung einer bemannten Marsmission
Bilder: M. Amesbury, NASA
Abb. 13: Zwischen dem Homo habilis (oben) und dem Homo astronauticus (unten)
liegen 2,5 Millionen Jahre, aber nur 250 km
Eine politische Entscheidung
Was sind nun die Herausforderungen? Als wir anfingen, über unseren Zeitplan
für die Technik für diese ExoMars-Mission und andere Missionen zur
Vorbereitung bemannter Marsmissionen nachzudenken, waren Bilder mein einziges
Mittel, um Leute zu überzeugen und mit ihnen darüber zu reden. Es sind
synthetische Bilder wie dieses - aber von der NASA. Das reichte mir nicht,
deshalb ließ ich eine Zeichnung mit dem Logo der ESA anfertigen (Abbildung
12), und das war ein großer Erfolg. Aber ob die Zukunft so aussehen wird
oder nicht, weiß ich nicht.
Wirklich interessant ist aber dies: Man sollte wissen, daß der finanzielle
Aufwand gar nicht so groß ist. Wenn man das über 30 Jahre hin entwickelt und
dabei international alle zusammenarbeiten, ist es nur ein Zehntel der Kosten
des Irakkriegs. Ich bedaure es, wenn ich das wieder so ansprechen muß, ich
denke, wir hatten schon früher solche Diskussionen. Aber ich möchte das
wirklich wieder in die gegenwärtige Lage einbringen. Wir könnten, wenn wir ein
gemeinsames Ziel verfolgen, soviel Geld sparen, daß es wirklich „Peanuts“
wären.
Übrigens kosten diese europäischen Raumfahrtprogramme, über die ich
gesprochen habe, weniger als einen Euro pro Person im Jahr. Wenn Sie ein Bier
trinken, kann also schon ein Schluck Bier der Raumfahrt helfen. [Applaus.]
Jetzt weiß ich, daß ich hier in Deutschland bin. [Lachen.]
Wie schon gesagt, ist das ganze technisch eine Herausforderung, aber wir
haben alle Voraussetzungen dazu. Das einzige, was fehlt, ist der politische
Wille. Die Herausforderung ist rein politisch, sonst nichts. Es geht nur
darum, das ganze zu rechtfertigen und es zu beschließen.
Ich arbeite seit drei Jahren daran, das auf der politischen Ebene in der
Tätigkeit bei der Europäischen Kommission aufzubringen. Im letzten Jahr
konnten wir einiges erreichen. Ich war seitens der Kommission dafür
verantwortlich, eine internationale Konferenz zu organisieren. Es war das
erste Mal, daß sich nicht die Weltraumbehörden, sondern die Politiker trafen,
um über Raumfahrt zu sprechen. Der Außen-Staatssekretär aus den USA war da,
der Leiter der ukrainischen Raumfahrtbehörde, der Vizepräsident der
EU-Kommission, der Generaldirektor der ESA, der chinesische Forschungsminister
und jemand aus Rußland.
Zumindest die USA und China waren politisch sehr hochrangig vertreten. Das
hatte vorher noch niemand erreicht. Und wir haben es geschafft - das hat mich
viele lange Tage und Nächte gekostet, das kann ich Ihnen sagen -, daß man sich
darauf einigte, einen internationalen Dialog über Raumfahrt auf sehr hoher
Ebene einzurichten. Er wird weitergehen und von den USA aufgegriffen. Nach
drei derartigen Konferenzen in Europa wird die nächste in Amerika stattfinden.
Es ist das erste Mal, daß wir die Chinesen und die Amerikaner bei einem
politischen Thema wie der Raumfahrt an einen Tisch gebracht haben.
Nun frage ich mich, was in 50 Jahren sein wird. Wohin die Reise gehen wird,
weiß ich nicht, aber die Technik macht vieles möglich, und meine Einstellung
ist, daß die Raumfahrt und die Forschung allgemein ein globales Vorhaben sein
sollte, für die ganze Gesellschaft, für alle - daß wir ein gemeinsames Ziel
haben sollten. Man könnte lange philosophische Vorträge darüber halten. Aber
wie ich Ihnen gezeigt habe: Es ist technisch machbar, es ist finanziell
machbar, es fehlt nur, daß jemand - höflich gesagt - den Mut hat, es
anzupacken.
Also noch einmal: Es geht um mehr als um das Technische. Wir haben die
Technik, wir haben die Ingenieure, wir haben die Pläne fertig, alles ist
bereit, wir könnten die Sache sehr beschleunigen.
Nun nur noch eine kleine Frage, wir sind fast am Ende: Was ist der
Unterschied zwischen diesen beiden Männern? (Siehe Abbildung 13) Die
Antwort ist: 2,5 Millionen Jahre, aber nur 2,5 Millionen Dezimeter - also 250
Kilometer. Der Abstand in der Zeit ist also immens, aber in der Entfernung,
von der Erdoberfläche zum Astronauten, sind es nur 250 km. Eigentlich sind wir
also gar nicht besonders weit gekommen. Wir haben, das will ich damit
ausdrücken, noch sehr viel Raum für Verbesserung, wir müssen weitergehen. Und
wir sind bereit dazu.
Natürlich ist das nicht so einfach. Schließlich braucht man sehr viel Zeit
und Wissen und Forschung, um dorthin zu gelangen.
[An dieser Stelle zeigte Schmitt einen kurzen lustigen Videoclip, in dem
ein Astronaut gezeigt wurde, der auf den Mars tritt, und nachdem die Tür des
Landefahrzeugs hinter ihm zugeschlagen ist, feststellt, daß er keinen
Schlüssel dafür bei sich hat.]
Das möchte ich noch betonen: Einfach ist es nicht. Man kann einen Menschen
leicht in eine Erdumlaufbahn schicken; ich habe viele Astronauten als Freunde,
sie können in ein Rettungsfahrzeug springen und nach etwa drei Stunden wieder
zurück sein. Ihre Frau kann sie um drei Uhr nachmittags anrufen und fragen,
was sie zum Abendessen haben wollen. Vom Mond kann man in einer Notaktion in
drei Tagen zurück sein. Das ist also keine große Sache.
Aber wenn man Menschen zum Mars schickt - ich habe noch nicht darüber
gesprochen, aber ich habe viel an solchen Szenarien gearbeitet -, sind das
mindestens sechs Monate hin und sechs Monate zurück. Und wenn man auf der
Marsoberfläche arbeiten will, sind das entweder 40 Tage oder 500 Tage, wegen
der Planetenkonjunktion. Und niemand will, daß die Leute da oben nur ein paar
Wochen arbeiten. Wenn wir sie für soviel Geld dahin schicken, dann müssen sie
dort 500 Tage lang arbeiten und dann zurückkehren. Das ist also eine wirklich
große Sache. Und die Sicherheit ist dabei das wichtigste.
Ich könnte ewig weiter darüber reden, aber wir müssen zum Ende kommen. Die
Raumfahrt - das sage nicht ich, sondern mein Generaldirektor in der ESA -, die
Raumfahrt ist keine Frage des Ob, sondern des Wann. Wenn wir es nicht machen,
werden es unsere Kinder tun oder ein anderer, das können Chinesen sein oder
Amerikaner oder sonst wer. Aber jemand wird es tun. Warum also sollten wir
nicht jetzt anfangen? [Applaus.]
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