Zypern als Versuchskaninchen für den Bail-in
Von der Grünen Partei Zyperns kam die folgende Grußbotschaft
an die Teilnehmer der Konferenz des Schiller-Instituts am 13./14. April.
Liebe Freunde,
ich möchte Ihnen zunächst danken für die Gelegenheit, die Sie mir bieten,
mich an Ihre Konferenz zu wenden. Ich hoffe, daß Ihre Beratungen gute Früchte
tragen und alternative Einsichten in diesen schweren Zeiten ergeben. Als
Vertreter des Volkes von Zypern glaube ich, daß andere Perspektiven und
alternative Maßnahmen dringendst notwendig sind, wenn die Welt vor dieser
erzwungenen Schuldknechtschaft bewahrt werden soll.
Ich will mich kurz halten und nur die wesentlichen Komponenten der neu
entdeckten zypriotischen Wirtschaftskrise berühren, als meinen kleinen Beitrag
zu Ihren Beratungen, und dabei unsere grüne Perspektive in dieser Frage
darlegen.
Wir glauben, daß die jüngsten Entwicklungen an der Wirtschaftsfront in
Zypern direkt mit der allgemeinen wirtschaftlichen Rezession zusammenhängen,
unter der dieses neue Jahrhundert leidet, mit der schnellen politischen
Entwicklung von geopolitischer Bedeutung in der Region und mit der internen
Politik der Insel. Diese Schlüsselelemente überlappen sich gegenseitig und
trüben dadurch das Wasser, sodaß nur wenig Klarheit und wenig Hoffnung
besteht, daß rationale Entscheidungen getroffen werden, um die Probleme, die
entstanden sind, zu überwinden.
Die bisherige Regierung weigerte sich, sich mit dem Sturm zu befassen,
dessen Wolken sich bereits seit 2008 angesammelt hatten, und war daher nicht
darauf vorbereitet, mit ihrem Ausschluß von den internationalen Finanzmärkten
umzugehen. Aber selbst dann wurden keine Strategien für die Handhabung des
überwältigenden Defizits und der stets weiter wachsenden Schulden - sowohl der
Regierung wie der privaten Unternehmen und insbesondere des Bankensektors -
vorgelegt. Der Präsident der Republik Zypern und der Gouverneur der
Zentralbank von Zypern schienen in einem ständigen Disput zu
stehen1 und taten nichts, um gemeinsam zu versuchen, Lösungen für
die bevorstehende Wirtschaftskrise herbeizuführen. Es war keine Überraschung,
daß die Amtszeit des Gouverneurs nicht verlängert und ein neuer Gouverneur,
Panikos Demetriades, ernannt wurde. Aber selbst dann schien es so, daß keine
Lösungen vorgelegt wurden, um die Schlupflöcher2 und die wachsenden
Probleme zu verringern, die aufgrund des erzwungenen „Haarschnitts“ bei den
griechischen Staatsanleihen, mit dem Geldtransfer von zypriotischen Banken an
griechische Banken und den wachsenden Schulden, die sich aufgrund der
Europäischen Liquiditätshilfe in den beiden systemrelevanten Banken
akkumulierten, entstanden waren..
Während all dies geschah, führten zypriotische Politiker einen Wahlkampf
und versuchten, den anderen die Schuld zuzuschieben, während sich die
Sturmwolken ansammelten und unser Bankensystem an die Grenzen stieß.
Im Januar 2013 verbreiteten sich die ersten Gerüchte über einen
bevorstehenden „Bail-in“ und sorgten für einen Abzug von Bankguthaben einiger
der größten Anleger in den Banken. Sobald die Präsidentschaftswahl vorüber
war, zirkulierten diese Gerüchte erneut, diesmal mit größerer Sicherheit, und
zwangen die Zentralbank von Zypern und die Regierung, Erklärungen abzugeben,
daß solche Maßnahmen für unsere Seite inakzeptabel und sowieso unsinnig seien,
da sie die Grundlagen des Bankensystems erschüttern würden. Es scheint, daß
sie sich da geirrt haben, denn am 16. März forderten die Führer der Eurozone
und der Weltwährungsfonds gemeinsam einen Bail-in von allen Anlegern
sämtlicher Bankinstitute der Insel und vereinbarten unterschiedliche
Prozentsätze für die Anleger mit mehr und mit weniger als 100.000 Euro.
Angesichts eines unmittelbar bevorstehenden Runs auf die Banken kehrte die
Regierung [von der Sitzung in Brüssel] nach Zypern zurück und verlangte, daß
das Parlament am nächsten Tag zu einer Sondersitzung zusammenkomme, um die
notwendigen Gesetze zu beschließen. Die politischen Parteien reagierten,
verschoben die Plenarsitzung auf Dienstag, den 19. März, und stimmten gegen
die Entscheidung der Troika. Die Banken wurden für eine ganze Woche
geschlossen, während die politische Führung der Insel sich beeilte, das beste
aus einer schlechten Entscheidung zu machen, die mit ihrer Ablehnung einen
Wirbelsturm von Folgen ausgelöst hatte. Schließlich stimmte das Parlament
dafür, die größte systemrelevante Bank (Marfin Laiki) aufzulösen und ihre
„guten“ Werte der zweiten systemrelevanten Bank der Insel (Bank of Cyprus) zu
übertragen, um wenigstens einen Teil der Guthaben über 100.000 Euro zu retten
(Guthaben von mehr als 100.000 Euro in Marfin Laiki werden eingefroren, bis
die „schlechten“ Werte liquidiert sind, und wahrscheinlich nur zu einem
Bruchteil zurückbezahlt, der Schätzungen zufolge bei 5-10% liegen wird).
Guthaben in anderen Banken wurden nicht angetastet, aber unversicherte
Guthaben (über 100.000 Euro) in der Bank of Cyprus bleiben eingefroren, bis
der Prozentsatz, um den sie reduziert werden sollen, ausgerechnet ist.
Gleichzeitig wurden sofort Beschränkungen bei den Geldtransfers sowohl
innerhalb des Landes als auch ins Ausland erlassen, um Runs auf die Banken und
weitere Krisen zu verhindern. Diese Beschränkungen sind auch heute noch, einen
Monat nach diesen Ereignissen, in Kraft, was zum Stillstand der lokalen
industriellen und kommerziellen Aktivitäten geführt hat.
Die Bombe, die uns die Troika vor die Füße geworfen hat und die von einigen
als Schocktherapie und von anderen als Abschreckungsmaßnahme beschrieben
wurde, hat unsere Bank- und Finanzoperationen völlig zerstört und den Bankrott
nicht nur der Bankinstitute, sondern auch anderer privater Unternehmen
herbeigeführt. Da die kleinen und mittleren Unternehmen 95% der
wirtschaftlichen Mischung in Zypern darstellen (meist Unternehmen in
Familienbesitz) und der Bankrott von etwa 60% aller in Zypern registrierten
Unternehmen erwartet wird, ist klar, daß die Zyprioten auf viele Jahre hinaus
große Härten und eine negative Entwicklung der Wirtschaft erleiden werden.
Die Grüne Partei Zyperns versucht seit vielen Jahren, diese Fragen
anzusprechen und setzt sich für nachhaltige alternative Modelle der
Entwicklung und für Zurückhaltung bei den Ausgaben der Regierung ein. Unsere
Vorschläge für einen Grünen New Deal wurden aber nicht aufgegriffen, und die
zyprische Wirtschaft ist weiterhin von einer ungesunden Mischung der
wirtschaftlichen Aktivitäten beherrscht: Bankdienstleistungen, Tourismus und
Bau. Es ist eine übermäßige Abhängigkeit von Importen entstanden, und da keine
Gelder in die Förderung unserer kleinen Landwirtschafts- und Industriesektoren
flossen und auch keine neuen Dienstleistungen (wie Forschung und Entwicklung,
Schiffahrt oder erneuerbare Energien) in die Mischung eingeführt wurden, war
es nur eine Frage der Zeit, bis unser ganzes System zusammenbrechen würde.
Die Frage ist, wie konnte es so weit kommen? War es bloß ein Mangel an
Disziplin der Zyprioten selbst, oder haben andere politische
Entscheidungsprozesse dafür gesorgt, daß der katastrophale Kurs beibehalten
wurde? Unsere Einschätzung ist, daß die Lage, trotz einiger Mängel, die
unseren bestehenden Strukturen innewohnten, unter Kontrolle war und der Kurs
mit etwas Unterstützung geändert und ein neues, nachhaltiges und ausgewogenes
Wirtschaftsmodell geschaffen werden konnte. Die neugewählte Regierung hat
bereits ihre Entschlossenheit gezeigt, alle notwendigen Änderungen
vorzunehmen, die Mehrheit der politischen Parteien auf der Insel haben ihre
Bereitschaft geäußert, dabei mitzuwirken, und es wurden bereits im Vorjahr
harte Entscheidungen getroffen, obwohl eine Absichtserklärung noch gar nicht
unterzeichnet worden war. Was war das Schlüsselelement, das die Troika zu dem
Schluß veranlaßte, Zypern sei das perfekte Versuchskaninchen für ihren
nächsten Schritt nach dem Haarschnitt bei den Regierungsanleihen, nämlich, die
Stützung der Banken durch das Geld ihrer eigenen Einleger?
Unsere Einschätzung ist, daß es die fehlende unmittelbare Rückwirkung auf
die anderen Volkswirtschaften der Eurozone war (wegen der geringen Größe und
dem Fehlen systemischer Beziehungen), die relative Leichtigkeit, mit der die
institutionellen und gesetzlichen Änderungen durchgesetzt werden konnten, und
überhaupt die Kontrolle, die man über ein so kleines Land erreichen konnte -
all das trug dazu bei, daß diese Entscheidung getroffen wurde. Aber insgesamt
glauben wir, daß es das letztendliche Ziel war, die völlige Kontrolle über die
Politik dieser kleinen Nation zu erreichen, die sich im Netz der größeren
geopolitischen Entwicklungen in der Region gefangen sieht und kurz davor
stand, große Erdgasvorkommen anzuzapfen, die die EU verzweifelt unter ihrer
eigenen - und keines anderen - Kontrolle halten will, und die sich als äußerst
stur gegenüber Hinweisen der übrigen Mitgliedstaaten in Bezug darauf erwiesen
hatte, was ihre Außenpolitik sein sollte, insbesondere in Bezug auf den
Mitgliedstatus der Türkei in der EU. Diese Fakten können nicht leicht
ignoriert werden, wenn man die gewaltigen Folgen betrachtet, die dieser
einzelne Schlag gegen unsere Wirtschaft (der noch dazu von
Unseresgleichen3 kam) für unsere inneren und äußern Beziehungen
haben wird. Man schaudert, wenn man darüber nachdenkt, welche weiteren
Entscheidungen uns noch bevorstehen, wenn erst einmal eine Absichtserklärung
der Eurozonenländer unterzeichnet und ratifiziert ist.
Die Grüne Partei Zyperns betrachtet diese Absichtserklärung als ein sehr
schlechtes Geschäft, das um jeden Preis verhindert werden sollte. Es würde
stets ein unmittelbar drohender Bankrott bevorstehen, und der Mangel an
Kontrolle über unseren eigenen Entscheidungsprozeß als Nation ist ein viel
größeres Opfer, als unter Austeritätsmaßnahmen und einer Wirtschaftsdepression
zu überleben, bis wieder eine normale wirtschaftliche Aktivität hergestellt
ist. Es ist unsere Überzeugung, daß die Zyprioten ein hart arbeitendes Volk
sind, das einen Weg finden wird, seine Wirtschaft und sein Land
wiederaufzubauen, so wie 1974 nach der Invasion der Insel durch die Türkei,
die dazu führte, daß sie nicht nur 35% ihres Territoriums verloren, sondern
auch, und vielleicht noch wichtiger, 65% ihres produktiven Agrarlandes, 70%
ihrer Mineralvorkommen, 70% ihrer industriellen Infrastruktur und 80% ihrer
touristischen Infrastruktur. Diesmal werden wir alles in unserer Macht
stehende tun, um nachhaltige und ausgewogene Wirtschaftsaktivitäten zu
schaffen, in der Hoffnung, ein vorbildliches Land zu schaffen, das alle
Prozesse des Grünen New Deal realisiert, die ein Land und eine Nation aus
eigener Kraft und für lange Zeit stabil und wohlhabend machen können.
George Perdikes, Mitglied des Parlaments, Grüne Partei Zyperns
Efi Xanthou, Sekretärin für internationale Beziehungen, Grüne Partei Zyperns
Fußnoten
1. Herr Athanasios Orphanides war vom vorherigen Präsidenten der Republik
zum Gouverneur der Zentralbank von Zypern ernannt worden, und Präsident
Christofias (AKEL, Kommunistische Partei) traute ihm nicht, sodaß zwischen den
beiden Institutionen kaum Informationen ausgetauscht wurden.
2. Einer der Gründe für die Pleite einer der beiden systemrelevanten Banken
Zyperns war ihre Fusion mit einer griechischen Bank und die Übernahme der
alten Schulden und schlechten Portfolios dieser Bank, eine Maßnahme, die von
der Zentralbank von Zypern nicht abgesegnet worden war, aber aufgrund der
Schlupflöcher in den Gesetzen nicht verhindert werden konnte.
3. Den anderen EU-Mitgliedern.
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