Wir wollen Frieden auf Erden sehen
Von Ramsey Clark
Ramsey Clark war unter Präsident Lyndon B. Johnson
US-Justizminister und kämpfte sein ganzes Leben lang für die Erhaltung der
verfassungsmäßigen Republik in den Vereinigten Staaten.
Ich werde mich kurz halten. Es ist eine sehr wichtige Gelegenheit und ein
wichtiger Moment. Das letzte, was ich gerade eben in den Nachrichten gehört
habe, ist, daß einer unserer Flugzeugträger Kurs auf den Persischen Golf und
das Arabische Meer genommen hat, um erneut gegen den Irak loszuschlagen -
einer unserer beliebtesten Boxbälle in den letzten vier oder fünf Jahrzehnten.
Ein Ort, den man die Wiege der Zivilisation nannte, der mehr Gewalt erfahren
hat über einen längeren Zeitraum - mindestens seit 1963, 1973, 1983, wie Sie
wollen - als irgendein anderes Land. Jetzt liegt er größtenteils in Trümmern,
und wir werden noch einige hinzufügen.
Als ich im Taxi herfuhr, bemühte ich mich, unsere militärischen
Aggressionen seit Vietnam zusammenzustellen, aber bevor ich dazu komme, will
ich erst das Erfreulichere sagen.
Ich habe im letzten Jahr sowohl Korea als auch Vietnam zweimal besucht. Es
waren runde Jahrestage der beiden Kriege, 1953 für Korea und 1973 für Vietnam.
Und das ist mehr oder weniger das einzige Optimistische auf dem Planeten
heute, das ich kenne, denn insbesondere Vietnam blüht auf. Die Menschen sind
froh, die Straßen sind voller Menschen. Einige sitzen vielleicht zu fünft auf
einem Motorrad, aber sie haben Spaß daran, und sie haben reichlich zu Essen,
und es gibt keine Gewalt.
In den Krankenhäusern gibt es immer noch Kinder, deren Körper und
Gliedmaßen von [dem von den USA im Vietnamkrieg versprühten Gift] Agent Orange
grausam verstümmelt sind, und wir wissen nicht, wie lange das so weitergehen
wird. Die schlauen Köpfe, die sich Agent Orange ausgedacht haben, dachten
nicht daran, wie lange es dauern würde, bis man es aus einem System, in dem es
sich weit verbreitet hat, wieder herausbringt, so daß es keine Kinder nicht
mehr schädigt.
Aber man kann alles überwinden und nach vorne blicken, und diese beiden
Opfer unserer Gewalt sind dafür ein eindrucksvoller Beweis auf der Erde
heute.
Die Kriege in Korea und Vietnam waren besonders verheerend, im schlimmsten
Sinne. Es gab natürlich den Zweiten Weltkrieg. Aber es waren seitdem noch so
viele andere. Als ich im Taxi hierherfuhr, versuchte ich, einige davon
aufzulisten. Nach Vietnam kam Nikaragua, das war in gewissem Maße ein
Stellvertreterkrieg, aber für Nikaragua war er verheerend. Er hat die
Wirtschaft geschwächt, viele Menschen dort getötet und sehr viel von der
Infrastruktur des Landes zerstört. Wir haben zwar ihr Land nicht durch Agent
Orange kaputtgemacht, wie in Asien, und Nikaragua ist frei und unabhängig,
aber es ist arm.
Zurück in die Steinzeit
Irak und Libyen sind heute schlimmer verwüstet als zu irgendeiner anderen
Zeit seit einem Jahrhundert, und sie sind auch die beiden jüngsten Fälle.
Beides waren wohlhabende Länder, die wohlhabendsten in ihren Regionen. Sie
hatten eine gute medizinische Versorgung, gute Wohnungen, gute Schulen. Nun
liegen beide in Trümmern. Libyen können wir uns etwas schwieriger vorstellen
als den Irak, weil wir mehr über den Irak hören, aber in Libyen hatte es seit
dem Wüstenfeldzug 1942 keine Gewalt mehr gegeben, auch wenn sie an ihren
Küsten immer noch Landminen aus dem Zweiten Weltkrieg finden. Wahrscheinlich
sind immer noch ein paar da, das machen wir nun einmal so. Aber ihr
Lebensstandard war hoch, und ihr Bildungsniveau war hoch und stark. Und wir
haben beide „in die Steinzeit zurück gebombt“, wie einige unserer Generäle
gerne sagen. Ich kann mich noch gut an diesen Satz erinnern - wir bomben sie
in die Steinzeit zurück. Frohes neues Jahr!
Grenada ist ein gutes Beispiel. Eine friedliche kleine Urlaubsinsel - eine
wirklich liebenswerte Insel. Es gab dort keinen Krieg, sie hatten gar keine
Mittel, Kriege zu führen, und dort gab es nicht einmal 110.000 Menschen. Und
eines Tages sind wir dort einmarschiert, wir jagten den jungen Amerikanern,
die an der Küste an einer medizinischen Hochschule studierten, einen großen
Schrecken ein. (Ich weiß nicht, wieviel Medizin sie da wirklich studiert
haben, wo der schöne Strand so nahe lag.) Und wir haben in Grenada, gemessen
im Verhältnis zur Bevölkerung, mehr Menschen umgebracht, als wir selbst im
Zweiten Weltkrieg verloren haben. Ich sage Ihnen: Es gab auf dieser Insel
niemanden, der nicht jemanden kannte, der bei diesem kleinen Ausflug getötet
wurde...
Länder wie Ruanda und Panama. In Panama ließen wir unsere Artillerie von
unseren Stützpunkten entlang des Kanals Feuer auf die Hauptstadt regnen,
trafen das Rathaus und das Büro des Bürgermeisters, und hinterließen an den
Stränden eine Sauerei. Die Leichen wurden den Strand entlanggeschleift und mit
Flammenwerfern eingeäschert, und dann die Asche ins Meer gespült. Keiner kann
sagen, wie viele Menschen starben.
Es gab dort einen General - ich kam etwa acht Tage nach der Invasion
dorthin -, und da war ein General, ein Generalmajor, und er sagte, 68 Menschen
seien umgekommen. Und eines Tages ging ich eine Straße entlang und mir
begegnete ein Priester, der sagte mir: „Gehen Sie zum Friedhof, er heißt
Jardin de Paz (Garten des Friedens).“ Ich antwortete ihm, ich wisse nicht, wo
der sei. Da sagte er: „Ich fahre jeden morgen daran vorbei, und im
Morgengrauen kommen Militärfahrzeuge dorthin, mit Segeltuchplanen, man kann
nicht sehen, was darauf ist, aber irgendwas geht da vor.“ Wir fuhren also zu
diesem Friedhof, und davor spielten ein paar Kinder und sprangen auf den
Grabsteinen herum. Und wir fragten: „Habt ihr die Lastwagen gesehen?“ Sie
antworteten: „O ja!“ „Wo fahren die hin?“ Daraufhin fuhr eines der Kinder mit
uns zu einem Wald. Und da waren drei lange Gräben, sie waren etwa 50 bis 60
Meter lang. Ich habe sie abgeschritten, es waren drei Schritte, etwa drei
Meter [Breite]. Zwei davon waren ganz voll, der dritte etwa zur Hälfte. Als
sie exhumiert wurden, waren es etwa 500 Leichen. Ich glaube nicht, daß die
Angehörigen irgend etwas wußten, wer es war und was mit ihnen passiert war.
Aber da waren sie. Und Panama ist noch eines der kleinen Opfer, wenn man
bedenkt, was Afghanistan durchgemacht hat.
Der Sudan war interessant. Wir kamen aus irgendeinem Grund zu dem Schluß,
daß wir den Sudan nicht mochten. Und eines schönen Tages haben wir, als wäre
es bloß eine sportliche Übung, zwei Langstreckenraketen auf die größte
Arzneimittelfabrik in ganz Afrika abgefeuert, sie war gleich außerhalb der
Hauptstadt. Eine moderne Fabrik, natürlich in ausländischem Besitz. Und bumm -
war sie nur noch Staub. Sie hatte 20% ihrer Produkte kostenlos in Länder
Schwarzafrikas exportiert. Sie war die wichtigste Quelle für die modernsten
Medikamente, die man dort bekommen konnte. Warum wir gerade sie als Ziel
ausgewählt haben, kann man bloß erahnen. Aber ich kann Ihnen sagen: Das sind
Ziele, an die sich die Menschen lange erinnern, wenn sie davon erfahren. Und
die Menschen in Khartum haben mit Sicherheit davon erfahren.
Nie wieder!
Jedenfalls war die Zahl der Kriege groß und mörderisch, und wir haben die
Macht der Gewalt dermaßen glorifiziert. Wir haben soviel von unserem
Erfindungsreichtum darauf verwendet, wie wir Menschen billig und mit dem
geringsten Risiko für uns selbst umbringen können. Und wieviel Jahre ist es
her, seit Dr. Martin Luther King 1967 hier in der Riverside-Kirche sagte: „Der
größte Lieferant von Gewalt auf der Erde war mein eigener Staat.“ Gewalt sei
die große Erniedrigung für den Menschen. Andere Tierarten bringen einander
nicht massenhaft um, nicht wahr? Es ist schwierig genug für sie,
Nahrungsmittel zu finden, sie denken nicht daran, wie sie willkürlich ihre
eigene Gattung umbringen können. Aber wir wenden dafür jede Menge Geld und
Erfindungsreichtum auf. Und so wahr, wie das 1967 war, sind wir heute mit
Sicherheit noch immer der größte Lieferant von Gewalt.
Ich habe wohl schon erwähnt, das letzte, was ich heute früh im Radio gehört
habe, war, daß heute morgen ein Flugzeugträger an den Persischen Golf
geschickt wurde, um der Wiege der Zivilisation, die seit unserer Invasion 1991
nicht einen Augenblick Frieden erlebt hat, noch ein paar Schläge zu verpassen.
Bedenken Sie, wir haben [im Irak] innerhalb von vier Monaten 115.000
Bombenangriffe geflogen, Sie können sich also ausrechnen, wie viele das in
jeder Minute waren, es war eine erstaunliche Anzahl. Ich war während der
Angriffe dort, und da waren ständig die amerikanischen Flugzeuge.
Ich erinnere mich, einmal haben wir im ganz oben im Hotel im Dunkeln
gegessen, weil der Strom ausgefallen war, und ganz in der Nähe schlugen einige
Bomben ein; deshalb sind wir losgelaufen. Wir waren am Schatt-el-Arab, wo
Tigris und Euphrat zusammenkommen und in den Golf strömen und gleich auf der
anderen Seite des Stroms der Iran liegt. Und dort war auf einer kleinen Insel
- ich weiß nicht, warum man es dort hingestellt hat - ein Krankenhaus, ein
gutes Lehrkrankenhaus. Ein großes Krankenhaus, ich war schon vorher dort
gewesen. Dorthin führen zwei Brücken, etwa acht bis zehn Meter breit. Es gab
im ganzen Land keinen Strom, mit Sicherheit nicht in Basra. Aber sie hatten
eine Notbeleuchtung. Es gab Licht in den Intensivstationen, wo sie elektrische
Generatoren betrieben. Und wir sahen, wie Bomben auf den Schatt herunterfielen
und die Insel trafen. Und dann gingen in dem Krankenhaus die Lichter aus.
Es gab in dieser ganzen Region nicht die geringste militärische Bedrohung
für die Vereinigten Staaten - erst recht nicht in dem Krankenhaus oder dem
Hotel, in dem wir gegessen haben. Wir waren die einzigen Gäste dort. Der Koch
war so froh, er machte uns Brötchen und kochte im Dunklen oder mit Gaslampen
oder ähnlichem.
Und hier ist der Irak, nach all diesen Jahren, und steht vielleicht vor der
schlimmsten Gewalt, die er je erlebt hat. Unser militärisch-industrieller
Komplex, wie wir ihn lange Zeit genannt haben, ist die größte Bedrohung für
das Leben auf diesem Planeten.
Wir leben hier. Wir haben Stimmen, wir haben Herzen, wir haben Köpfe, wir
haben Energie. Und wir müssen aufstehen und sagen: „Schluß damit! Nie wieder!“
Wir wollen, daß unser Land der Gewalt auf der Welt ein Ende setzt, statt
selbst der größte Lieferant von Gewalt auf dem Planeten zu sein. Wir wollen,
daß diese militärische Planung und Rüstung aufhört. Wir wollen, bevor es zu
spät ist, einen Frieden auf Erden sehen, in dem unsere Kinder ein gesundes
Leben führen und mit gesundem Körper und Geist aufwachsen können, um in
Frieden zu leben und einander zu lieben...
Vielen Dank.
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