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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Andenken an Amelia

Zum Tode von Amelia Platts Boynton Robinson

Von Helga Zepp-LaRouche

Amelia ist im stolzen Alter von 104 Jahren von uns gegangen. Bis ganz kurz vor ihrem Tod war sie bei klarem Bewußtsein, wie immer erfüllt von ihrer leidenschaftlichen Liebe zur Menschheit, und der Idee, daß „Gott noch viel für sie zu tun habe“ - eine Lebensmaxime, die sie nie aufgeben ließ, sei es beim berühmten Freiheitsmarsch von Selma nach Montgomery am 7. März 1965, dem „Bloody Sunday“, bei dem Amelia auf der Edmund-Pettus-Brücke von der Polizei zusammengeschlagen und leblos zurückgelassen wurde, sei es, als sie in einem Fluß zu ertrinken drohte und überlebte, obwohl sie nicht schwimmen konnte, nur weil sie unbeirrbar von ihrer Mission überzeugt war.

Sie war eine, vielleicht die wichtigste Initiatorin der Bürgerrechtsbewegung, bereits in den dreißiger Jahren, als sie sich für die Registrierung afro-amerikanischer Wähler, und hier besonders von Frauen, einsetzte. Und dies zu einem Zeitpunkt, als noch fast die gleichen Bedingungen wie zur Zeit der Sklaverei herrschten. In Anbetracht des tiefsitzenden Rassismus, der in Alabama als Teil der Südstaaten bis zum heutigen Zeitpunkt vorherrscht, und der sehr präsenten vom Ku-Klux-Klan ausgehenden Gefahr gehörten dazu ein enormer Mut und eine unbeirrbare Vision von der wahren Identität der Menschheit. Zusammen mit ihrem Ehemann, Samuel William Boynton, brachte sie viele Führer der Bewegung nach Selma, darunter James Bevel, der als erster zum Marsch nach Montgomery aufrief, Hosea Williams und Martin Luther King, dem sie ihr Haus als Operationsbasis anbot.

Der im vorigen Jahr veröffentlichte Film Selma, in dem Amelia zwar dargestellt ist, wurde ihrer bahnbrechenden Bedeutung aber in keinster Weise gerecht. Sie selbst erzählte mir im April bei unserem letzten persönlichen Treffen in Philadelphia, es müsse ein weiterer Film über die Anfänge der Bürgerrechtsbewegung gemacht werden, der die entscheidende Rolle der afro-amerikanischen Frauen hervorhebe, ohne die es die Bewegung nie gegeben hätte.

Ich lernte Amelia bereits Anfang der 80er Jahre in Virginia im Kontext der Zusammenarbeit meines Ehemanns Lyndon LaRouche mit vielen amerikanischen Bürgerrechtlern kennen. Sie war eine außergewöhnliche Person von großer Ausstrahlungskraft, die es augenblicklich vermochte, ihre Gesprächspartner auf eine höhere historische Ebene zu versetzen. Sie sah im Schiller-Institut die Kontinuität zur Bürgerrechtsbewegung, und trug zu dessen Arbeit von 1984 bis 2009 als stellvertretende Vorsitzende durch zahlreiche internationale Reisen, Vorträge und Interventionen bei.

Eine größere Intensität erfuhr unsere Beziehung, als Amelia im März und April 1990, also unmittelbar nach der friedlichen Revolution und in der Übergangsphase der deutschen Wiedervereinigung Cottbus, Zwickau, Chemnitz, Sondershausen, Worbis, Heiligenstadt, Crivitz und einige andere Städte besuchte und den Menschen in vielen Vorträgen Mut machen und die Parallelen der amerikanischen und der damaligen Bürgerrechtsbewegung aufzeigen konnte. Sie brachte in dieser aufgewühlten Periode der deutschen Geschichte ihre einzigartige Fähigkeit als Dichterin ein - mit ihren Gedichten und Erzählungen über Martin Luther King sowie mit Wärme vorgetragenen Spirituals -, den Menschen in den Regionen, die dabei waren, sich von der DDR zu den neuen Bundesländern zu wandeln, die ewigen menschlichen Prinzipien bewußt zu machen, die alle diejenigen, die sich für Freiheit, Menschen- und Bürgerrechte einsetzen, über die Zeiten, Nationen und Kulturen miteinander verbindet. In diesen bewegten Tagen adoptierten wir uns als Mutter und Tochter.

25 Jahre lang arbeitete Amelia mit dem Schiller-Institut als dessen Vizepräsidentin und mit der Bürgerrechtsbewegung Solidarität zusammen, besuchte oftmals Länder wie Schweden, Dänemark, Frankreich, Italien, Deutschland, Indien, Iran, Jordanien, Ägypten, und natürlich zahllose Städte in den USA selbst. Immer hob sie die Bedeutung der Liebe zur Menschheit, des Friedens und des Dialogs der Kulturen hervor. Und die vielen tausend Menschen, die sie inspirierte, größer über die Menschheit zu denken, reagierten dankbar darauf, eine Botschafterin des anderen Amerika kennenzulernen, vor allem in der Zeit, in der die Serie der US-Kriege, die auf Lügen aufgebaut waren, zur Mode wurde.

Sie verurteilte 2003 den Irakkrieg und sagte in einem Interview gegenüber der italienischen Zeitung Confronti: „Das Böse kann nur durch sein Gegenteil, das Gute, geändert werden. Aus diesem Grund bin ich gegen den Krieg, und ich glaube nicht, daß etwas Böses durch ein noch größeres Unrecht, das viele unschuldige Menschen das Leben kosten wird, korrigiert werden kann... Ich bin stolz auf das, was ich bin, ich bin stolz darauf, mit Martin Luther King zusammen gearbeitet zu haben - von dem Moment an, als er nach Selma kam, bis zu seinem Tod -, und ich bin heute stolz auf meine Zusammenarbeit mit Lyndon LaRouche, einem Weißen, und dem Schiller-Institut.“

Und etwas später im Interview sagte sie: „Die Vereinigten Staaten waren lange Zeit ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Welt... Leider sind die amerikanische Gesellschaft und Demokratie durch viele unserer politischen Führer befleckt, die Blut und immer mehr Blut sehen wollen. Viele sagen, der Krieg in Afghanistan habe dazu gedient, die Tatsache zu vertuschen, daß unsere Wirtschaft in einem schlechten Zustand ist und wir 32 Billionen Schulden haben... Alle unsere Probleme dem 11. September zuzuschreiben, ist eine Methode, die Wahrheit zu vertuschen und die Aufmerksamkeit der Welt von unseren Schwächen abzulenken. Die USA können keinen Kampf für die Gerechtigkeit führen, wenn sie selbst ungerecht sind. Sie können nicht die Welt zur Solidarität führen, wenn sie selbst weiter nach dem Motto ,Teile und herrsche’ handeln und sich einfach von einem schwächeren Land nehmen, was sie haben wollen. Doch diejenigen, die den Krieg gegen den Irak und potentiell noch weitere Kriege wollen, verkörpern nicht die Mehrheit des amerikanischen Volkes. Die Amerikaner sehen mit Schrecken und Beschämung, was wir in irgendwelchem Namen anderen Ländern antun.“

Es klingt angesichts der unmittelbaren Gefahr, daß die USA und die NATO dabei sind, einen großen Krieg gegen Rußland und China anzuzetteln, wie ein Vermächtnis, wenn Amelia im selben Interview in Confronti sagte, die Europäer sollten den USA ihre Unterstützung verweigern und Vertreter ihrer Parlamente und Regierungen entsenden, um ihnen zu erklären, daß „ihre Länder bei diesem Rachefeldzug nicht mitmachen werden, daß die Benutzung von Militärbasen auf ihrem Territorium nicht erlaubt und keine wirtschaftliche Unterstützung für das Töten gegeben wird“.

In einer anderen italienischen Publikation, Buddismo e Societa, erschien der Text einer Rede, die Amelia am 28. September 2002 vor tausend Teilnehmern auf einer Konferenz in Rom gehalten hatte. Dort heißt es u.a.: „Meine Ehemann meinte kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, wir säßen auf einem Pulverfaß, das jederzeit explodieren könne. Heute habe ich das gleiche Gefühl. Deshalb müssen wir unbedingt handeln, nicht nur um den Krieg gegen den Irak zu verhindern, sondern auch um all die anderen Kriege zu vermeiden, die daraus folgen können. Heute ist es der Irak, doch morgen könnte es Pakistan, Nordkorea, Vietnam und vielleicht auch bald Ihr Land sein... Lassen Sie es nicht zu, daß man Sie korrumpiert, lassen Sie es nicht zu, daß man Sie zwingt, ihre NATO-Basen für diesen Krieg zu Verfügung zu stellen.“

In ihrem Bericht über den Bürgerrechtskampf in den USA verglich Amelia die Afro-Amerikaner, die damals Angst hatten, unabhängige Farmer zu werden, mit denen, die heute bereit sind, den Krieg zu akzeptieren: „Sie [diese Afro-Amerikaner] kamen mit der Vorstellung, eigenständig zu arbeiten, nicht zurecht, weil sie jahrhundertelang indoktriniert worden waren. Sie dachten, sie müßten immer für ihre Herren arbeiten, genauso wie viele heute indoktriniert sind und denken, wenn Bush Krieg will, dann muß Amerika auch Krieg führen.“

Amelias unmittelbare Umgebung war anfangs von Obama als erstem afro-amerikanischen Präsidenten geblendet, ebenso wie unzählige Europäer, wie die 200.000 Menschen, die Obama 2008 in Berlin frenetisch feierten. Inzwischen ist allerorten Ernüchterung eingetreten. Um so mehr sollten alle, die sie geliebt haben, ihre Unsterblichkeit dadurch zelebrieren, daß wir die Welt in ihrem Sinn und wunderbaren Geist erhalten und befreien.

Geliebte Amelia, Du wirst für immer bei uns sein, und wir bei Dir!

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