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Friedrich Schiller



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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Frieden und Überwindung der Armut

Von Ramsey Clark

Der frühere US-Justizminister (1966-67) Ramsey Clark hielt bei der New Yorker Konferenz des Schiller-Instituts am 7. April die folgende Rede.

[Applaus.] Vielen Dank, vielen Dank! Welch ein gutes Publikum und Treffen für die Sache des Friedens, die Überwindung der Armut, und dafür, die letzten wahren Herausforderungen für die Menschheit anzupacken und in Frieden gemeinsam auf Mutter Erde zu leben.

Wir mißhandeln unsere Mutter auf vielfältigere Art und Weise, als wir wirklich begreifen.

Ende letzten Jahres flog ich von Norden nach Süden in Korea, und von Norden nach Süden in Vietnam, und die Verheerungen, die diesen beiden Ländern im letzten Jahrhundert zugefügt wurden, sind immer noch sehr sichtbar. Man sieht diese Gebiete, in denen damals gedankenlos Agent Orange eingesetzt wurde, und man sieht etwas, was man nur als eine gewaltige Öde bezeichnen kann - schlimmer als eine Öde; es ist gesundheitsschädlich, sich dort aufzuhalten, und das nach allen den Jahren. Die Geldsummen, die wir ausgegeben haben, und das Ausmaß unserer nationalen Anstrengungen für die „Projekte“ (wenn man sie so nennen kann) des Todes und der Zerstörung - sowohl der physischen Zerstörung als offensichtlich auch auch der moralischen, obwohl die sich nicht so leicht messen läßt -, sind unermeßlich.

Wir stehen immer noch vor der gewaltigen Herausforderung, Prinzipien zu finden und nach ihnen zu leben, die uns den Frieden garantieren. Diese Prinzipien werden uns herausführen aus den Labors, in denen immer noch verrückte Wissenschaftler versuchen, noch bessere und wirksamere Mittel der Massenvernichtung zu erfinden, und hineinführen in eine Gesellschaft, die sich mehr für das Wohl ihrer Kinder interessiert als für den Zustand unserer Landesverteidigung. (Im Grunde wird damit das Wort „Verteidigung“ auf den Kopf gestellt, weil es eigentlich das genaue Gegenteil bedeutet, nämlich die Macht, durch die Drohung oder Anwendung überlegener Technologien und Massenvernichtungswaffen und überlegener einsatzbereiter Kräfte andere in die Knie zu zwingen.) Die Erde ist immer noch bewohnbar, obwohl wir uns die größte Mühe für das Gegenteil geben, aber wenn wir so weitermachen, dann könnten wir eines Tages aufwachen und feststellen, daß Mutter Erde krank ist, daß wir die Ursache ihrer Krankheit sind und daß wir, wenn wir unsere Mama nicht lieben, einen hohen Preis dafür bezahlen werden.

Eine freudvolle Herausforderung

Tatsächlich ist die Herausforderung, eine solche Krise zu bewältigen, eine der glücklichsten Herausforderungen, die eine Bevölkerung jemals hatte. Das sollte einem sehr viel mehr Freude bereiten, als neue Technologien zur Massenvernichtung zu erfinden, denn es geht nicht nur darum, die natürlichen Bedingungen auf unserem Planeten zu erhalten, sondern darum, sie zu verbessern. Es ist ein wunderschöner Planet, der allen Frieden und Wohlstand bietet, dem aber wegen unserer Gier und unseres Verhaltens immer noch die Massenvernichtung droht.

Ich staune über die Wissenschaft; ich habe mich immer über die Wissenschaft gefreut, weil ich dachte, daß sie unsere Bemühung ist, alle Aspekte der Umgebung, in der wir leben, zu verstehen - nicht nur die globale, sondern auch die planetare und interplanetare. Auf unserem Planeten sind immer noch große Unternehmungen möglich, und noch interessanter wird es sein, jedenfalls was die uns noch unbekannten Aspekte angeht, das ganze übrige Universum zu meistern. Die größte Herausforderung für uns ist einfach die, mit Liebe und Zuneigung und konstruktivem Verhalten miteinander zu leben - in unserer Familie, mit unseren Nachbarn und im ganzen Land - und, am allerwichtigsten, in Frieden und konstruktiver Zusammenarbeit mit allen unseren Nachbarn, mit denen wir diesen Planeten teilen - diesen Planeten, der immer noch überwiegend sehr schön ist, auf dem es aber wegen unserer Gedankenlosigkeit und des gefährlichen Mißbrauchs von „Mutter Natur“ immer mehr Ödland gibt.

Wir hätten die Fähigkeiten, alle unsere Probleme zu lösen, aber wir geben uns mehr Mühe, Probleme zu schaffen, dafür wenden wir den größeren Teil unserer Energie und Ressourcen auf. Und leider haben wir sogar den Ehrgeiz, andere auf der Welt durch Drohung und Anwendung von Gewalt zu beherrschen - etwas, was ein menschenliebendes Volk schon längst verhindert und überwunden hätte.

Aber schauen Sie sich die Größe unserer Streitkräfte an, denken Sie an die ständigen Ausgaben für das Erfinden und Bauen und manchmal das Anwenden - entweder als Drohung oder durch tatsächlichen Einsatz - der Massenvernichtungsmittel, die wir jetzt haben. Wenn man auf die Rüstungsausgaben verzichtet und sie einsetzt für Bildung und Nahrungsmittelproduktion und Wohnungsbau und den Schutz der Familien in Asien, in Afrika und in Lateinamerika, dann würde dies die Lebensqualität auf der Erde auf eine neue Ebene heben. Doch wir geben immer noch Milliarden für vielfältige Formen der Gewalt und die Androhung ihres Einsatzes aus, um andere dazu zu bringen, so zu handeln, wie wir es wollen, in einer Weise, die weder deren Kinder noch unseren eigenen nützt.

Solange wir nicht unsere vermeintliche große Verpflichtung zur Überlegenheit bei Gewaltmitteln verwerfen, solange wir nicht erkennen, wie sie unsere Gegenwart und die Zukunft unserer Kinder gefährden, solange wir die Mittel zur Massenvernichtung nicht abschaffen und ihre Gegenwart nicht länger in unserer Mitte tolerieren - solange werden wir in der Gefahr leben, daß unser eigenes Verhalten die Möglichkeit der zukünftigen Generationen, in Frieden und Wohlstand zu leben, stark beeinträchtigt oder zunichte macht.

Dazu braucht es nicht viel, nur soviel, unsere Gier nach Besitz zu überwinden und das zu genießen, was wirklich gut und wirklich wichtig ist: die Gesundheit und das Wohlergehen und die Bildung aller Kinder überall, aller Erwachsenen und Senioren wie mir selbst, überall sicherzustellen. Wir müssen mit unserem Verstand und unseren Energien, die offensichtlich ausreichen, wenn man sie richtig nutzt, dafür sorgen, daß jedes Kind, das auf der Erde geboren wird, Gesundheit hat, Bildung, und die Chance, alle seine Potentiale für den eigenen Beitrag zum eigenen Wohl, dem der Familie und dem von uns allen zu entwickeln.

Das ist eine Herausforderung, die wirklich Freude macht - jedenfalls viel mehr, als in irgendeinem Labor an der Entwicklung neuer Technik zur Massenvernichtung zu arbeiten, auch wenn diese Technik scheinbar einen Nutzen hat. Denn in Wirklichkeit zerstört sie die Umwelt, die wir brauchen, damit das Leben auf unserem Planeten weiterbestehen kann.

Wenn die menschliche Natur Herausforderungen mag - und ich muß zugeben, daß ich eine große Leidenschaft für Herausforderungen habe, die interessieren mich viel mehr als alles andere -, dann werden wir diese Herausforderungen annehmen. Dann können wir das gewaltige Leid überwinden, das man selbst sehen kann, bei jeder Reise durch die armen Gebiete in den Vereinigten Staaten, so wie in großen Teilen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Wenn unsere Zeit und Energie und unsere Wünsche wirklich auf Lebensqualität ausgerichtet wären, und damit meine ich die Lebensqualität auf der Erde und aller lebenden Geschöpfe, die auf ihr herumwimmeln, dann müßten wir nicht die erste Gattung sein, die sich selbst vernichtet, und wahrscheinlich auch die meisten anderen mit sich vernichtet. Vielleicht kämen danach andere Lebensformen auf, die nicht so kriegerisch sind.

Mehr Leid als Wohlstand

Wir müssen uns der Frage stellen, warum wir immer noch Wissenschaftler haben, die Milliarden für die Suche nach immer besseren Massenvernichtungswaffen ausgeben, für die Herstellung von Technologien, die uns mit ihrem Produkt der Massenvernichtung einzwängen und aufzehren, während wir weit darin zurückliegen, gesunde und glückliche Kinder in harmonischen Familien aufzuziehen, und zwar nicht nur dort, wo wir leben, was dank unseres Wohlstands keine große Herausforderung ist, jedenfalls keine so große wie in den meisten Teilen der Welt. Wir haben ein wichtiges, urmenschliches Interesse daran, das für die Zukunft der Erde wesentlich ist, für die Gesundheit aller Kinder auf dem Planeten zu sorgen, von denen die meisten keine Krankenversorgung haben - weder in Form von Krankenversicherungen, noch in Form einfacher menschlicher Fürsorge. Denn die Kinder haben zwar die Mutterliebe, aber wenn die Mutter selbst hungrig und krank ist, dann sind ihre Möglichkeiten begrenzt. Und wenn man durch die Welt reist, dann sieht man, daß das Leid größer ist als der Wohlstand derjenigen, die im Überfluß schwelgen.

Das ist eine der interessantesten, schwierigsten und sicherlich eine der größten Herausforderungen, die die Menschheit jemals hatte, einfach aufgrund der Zahl der Menschen, um die es heute geht. Wir müssen uns dazu verpflichten, dauerhaft die Lebensqualität für alle Menschen auf der Welt zu verbessern, indem wir nicht nur den Militarismus, sondern auch alle anderen Formen der Gewalt gegen die Menschheit beseitigen.

Und die gefährlichste davon ist vielleicht gar nicht der Militarismus, sondern die Gefahr für die Umwelt. Wir haben einen wunderschönen Planeten. Er wurde uns kostenlos überlassen, aber wir müssen ihn pflegen. Aber das „Gewinnstreben“, wie man es in unserem System nennt, mißachtet nicht nur das Wohl von Mutter Erde, sondern beutet sie noch aus, denn für das Ergebnis unter dem Strich muß man nicht in die Erhaltung der Umwelt investieren und in die Produktivität der Böden und nicht in das Wissen, das Verständnis und die Entschlossenheit der Menschen zu einem Leben in Freiheit und Frieden.

Ich reise zuviel, ein vernünftiger Mensch würde das nicht tun, und ich reise nicht oft an glückliche Orte. Ich komme vielleicht durch den Flughafen von Paris, aber dann bin ich auf dem Weg nach Bangladesch oder einem anderen Ort, wo die Bedingungen für die Menschen inakzeptabel sind, wo schon die Sicherheit für Leib und Leben nicht gewährleistet ist, von Nahrung, Krankenversorgung und Bildung ganz zu schweigen. Wir stehen vor einer gewaltigen Herausforderung. Dennoch läßt sich für Menschen mit Gewissen kaum eine größere Quelle der Freude vorstellen, als sich dafür ins Zeug zu legen und zu erleben, daß man sich wohldurchdacht und mit genügend Wissen der Erhaltung des Lebens auf der Erde widmet, und der Chancen für alle die Kinder, die nach uns kommen, daß sie immer bessere Bedingungen genießen werden als jene, die wir ihnen hinterlassen.

Mutter Erde hat tiefe Narben unseres Verhaltens, man kann sie sogar in den Städten und Landgebieten der blühendsten Nationen sehen. Aber besuchen Sie die Kontinente, auf denen so viele arme Menschen leben, in Afrika und in vielen Teilen unserer eigenen Hemisphäre, in Teilen Asiens, wo Millionen und Abermillionen Menschen ohne angemessene Krankenversorgung, angemessene Bildung, anständige Wohnungen oder auch nur anständige Ernährung leben. Wenn Sie Herausforderungen lieben, dann leben wir in der besten aller Zeiten, denn wir haben die größte Herausforderung und die klare Möglichkeit, alle Bedrohungen für die Lebensbedingungen der Menschen auf diesem Planeten anzupacken und zu lösen. Es ist nicht notwendig, daß Kinder schon im Kindesalter sterben, daß sie unterernährt sind und jung sterben, daß sie ohne Frieden und Sicherheit leben, aber dennoch ist das für viele, wenn nicht die meisten in der Dritten Welt eine ständige Bedrohung. Und sogar hier, sogar in Großstädten wie New York, gibt es Kinder, die in einer Armut und Vernachlässigung aufwachsen, die für ein menschliches Gewissen inakzeptabel ist.

    Noch weit zu wandern bis zum Ruh’n
    Der Wald lockt tief und dunkel nun –
    Doch ich hab’ noch meinen Teil zu tun
    Und weit zu wandern bis zum Ruh’n.1

Wir müssen aber erkennen, daß wir uns auf einem Weg befinden, der ein Wettlauf zwischen Bildung und Katastrophe ist, zwischen dem Einsatz für das, was für das menschliche Leben auf diesem Planeten in den kommenden Jahrhunderten wesentlich ist, so wie es uns unsere Bildung sagt. Wie leben hier recht bequem, aber wenn man sich einmal umsieht, dann sind die realen Gefahren gewaltig, insbesondere im Bereich der Umwelt, wo wir an Boden verlieren. Das wird nicht erkannt, und die Menschen, die unter den schlimmsten Bedingungen leben, sind am wenigsten in der Lage, etwas daran zu ändern. Deshalb müssen diejenigen mit mehr Möglichkeiten uns allen zu Hilfe kommen, denn auf diesem kleinen Planeten mit seiner inzwischen großen Bevölkerung sitzen wir buchstäblich alle im selben Boot, meine Brüder. Wie es in dem alten Lied heißt: „Wenn man das eine Ende schüttelt, wird das andere gerüttelt.“

Diejenigen unter uns, die diese einzigartigen Chancen haben, Dinge zu wissen und ein Leben in Frieden zu führen und es sich vorzustellen - wir müssen die Ärmel hochkrempeln und uns erfreuen an dem wichtigsten Kampf, vor dem die Menschheit je stand, nämlich mit einer wachsenden Bevölkerung in Frieden zu leben. Wir sollten uns dieser Herausforderung mit Freude stellen. Wir haben das Glück, eine wichtige Aufgabe zu haben. Wir müssen es nur erkennen, die Ärmel hochkrempeln und es anpacken. Das ist die wahre Freude im Leben, wie schon Saul sagte: Sie liegt darin, sich intensiv für eine große Sache einzusetzen, von der man überzeugt ist, und gut abgekämpft zu sein, bevor man zum alten Eisen geworfen wird. Es ist die Gelegenheit, unseren Kindern zu einer Welt zu verhelfen, in der wir dazu beigetragen haben, viele der existierenden Herausforderungen zu bewältigen, damit sie in einer Zukunft von Frieden und Überfluß leben, in der die Liebe alle Gesellschaften durchdringt, jede für sich und alle zusammen.

Vielen Dank.


Anmerkung

1. „The woods are lovely, dark and deep, / But I have promises to keep, / And miles to go before I sleep.”
Aus dem Gedicht „Stopping by Woods on a Snowy Evening” von Robert Frost.
Übersetzung von Walter A. Aue („Halten am Walde im Abendschnee“, http://myweb.dal.ca/waue/Trans/Frost-Woods.html)