Deutschlands Potential beim Ausbau der Weltlandbrücke
Von Helga Zepp-LaRouche
Helga Zepp-LaRouche, die Vorsitzende des Schiller-Instituts,
eröffnete am 21. Oktober mit dem folgenden Vortrag die Essener Konferenz
„Deutschlands Chancen mit der Neuen Seidenstraße“.
Sehr verehrte Damen und Herren, sehr geehrte Gäste, sehr geehrter Herr
Gesandter,
ich bin sehr froh, daß die Veranstaltung mit dieser wunderbaren Darbietung
chinesischer Kunst angefangen hat, weil ich glaube, daß die Kunst am besten
geeignet ist, um die Herzen der Menschen zu öffnen für neue Ideen.
Wir veranstalten diese Konferenz hier in Essen und haben gerade vor zwei
Tagen eine ähnliche Konferenz in Lyon stattfinden lassen, zusammen mit dem
„Club Chine EM Lyon FOREVER“ - die EM ist eine der größten Managerschulen
Frankreichs –, und wir haben damit die Absicht ausgedrückt, daß vor allem die
Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich für die Neue Seidenstraße eine
neue Perspektive für Europa auf die Tagesordnung setzen kann. Wir wollen durch
das Veranstalten von vielen Konferenzen in vieler Hinsicht das politische,
wirtschaftliche und kulturelle Potential bekannter machen, das in der Politik
der neuen Seidenstraße liegt, denn die Neue Seidenstraße, die sich schon jetzt
in sehr großem Tempo praktisch entwickelt, ist mit großen Schritten dabei, ein
Projekt der Völkerverständigung zu werden und sich zur Weltlandbrücke zu
entwickeln.
Natürlich geht es bei der Neuen Seidenstraße um ein enormes Potential an
geschäftlichen „opportunities“, also geschäftlichen Beziehungen, aber
es geht eigentlich noch um etwas viel wichtigeres. Es geht hier nicht nur um
die Verbindung der Kontinente der Welt durch Infrastruktur und
Entwicklungskorridore, und um Innovationen als Wissenschaftsmotor für die
Weltwirtschaft, mit dem Ziel der Anhebung der Produktivität. Sehr viel tiefer
gehend und grundsätzlicher geht es darum: Kann sich die Menschheit angesichts
all der Krisen, mit denen wir im Augenblick konfrontiert sind, eine Ordnung
auf dieser Welt geben, in der die Menschen friedlich zusammenleben können? Ist
es der Menschheit möglich, die höhere Ebene der Vernunft zu definieren, oder
sind wir gezwungen, auf den jetzt betretenen Pfaden gegen die Wand zu knallen
und die Zivilisation vielleicht nicht für immer zu haben?
Ich glaube, daß es möglich ist, diese Ebene der Vernunft zu finden und auch
wirksam werden zu lassen. Genauso wie die alte Seidenstraße während der
Han-Dynastie vor etwa 2000 Jahren ein Austausch war nicht nur von Gütern,
sondern eben auch Technologien, Kultur, Philosophie, und damals zu einer
enormen Verbesserung des Lebensstandards geführt hat von allen Nationen und
Regionen, die mit der alten Seidenstraße kooperiert haben, genauso, denke ich,
wird es möglich sein, eine neue Seidenstraße, eine neue völkerverbindende
Politik auf die Tagesordnung zu setzen.
Existentielle Gefahren
Aber ich kann über die Vorzüge dieses neuen Paradigmas nicht sprechen, ohne
nicht wenigstens ganz kurz zu identifizieren, wie groß die Gefahren sind, mit
denen die Welt im Augenblick konfrontiert ist, und warum meiner Meinung nach
die Neue Seidenstraße nicht eine Option ist, sondern eine Notwendigkeit, wenn
wir nicht wirklich in einer Katastrophe enden wollen.
71 Jahre nach Kriegsende in Europa ist das, was eigentlich undenkbar
erschien - die Möglichkeit eines großen Krieges - in greifbarer Nähe, wenn der
deutsche Außenminister Steinmeier kürzlich sagte, er kann eine direkte
militärische Konfrontation zwischen den USA und Rußland nicht mehr
ausschließen; wenn der amerikanische Vizepräsident Biden sagt, die USA würden
eine Cyberattacke auf Rußland planen, zum „bestmöglichen Zeitpunkt“, wegen
angeblicher russischer Manipulationen des amerikanischen Wahlkampfs, was von
Konstantin Kosatschew, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des
Föderationsrates in Rußland, als die größte Bedrohung seit der Kubakrise
bezeichnet wurde; wenn die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria
Sacharowa sagt, daß die Obama-Administration eine „Politik der verbrannten
Erde“ gegenüber Rußland und den USA betreibt; und wenn auf dem 7.
Xiangshan-Forum in Beijing vor einer Woche russische und chinesische Militärs
warnten, daß die Obama-Administration sehr weit fortgeschritten sei bei der
Vorbereitung eines Erstschlages gegen diese beiden Länder auf der Basis der
„Prompt Global Strike“-Doktrin!
Niemand kann behaupten, daß Europa nicht noch weitere Krisen hat. Europa,
die EU nach dem Brexit: die Zukunft ist etwas unklar. Die Flüchtlingskrise hat
die Fundamente Europas erschüttert, das Ansehen der EU in der Behandlung der
Flüchtlingskrise ist weltweit absolut gesunken, wie ich mich selber vielfältig
überzeugen mußte. Wir stehen vor einem neuen Finanzkrach wie 2008, nur diesmal
potentiell viel gravierender, wobei die Krise der Deutschen Bank nur die
Speerspitze ist. Und jeder weiß, daß wenn die Deutsche Bank mit ihren 42
Billionen ausstehender Derivatkontrakte bankrott gehen würde, daß dann alle
die Banken, die angeblich zu groß sind zum Untergehen, die
„too-big-to-fail“-Banken, mit involviert wären. Und wie ein
Ex-Vorstandsmitglied einer großen europäischen Bank mir vor wenigen Tagen
sagte: Wenn der Sturm losbricht und die Regierungen es nicht schaffen, die
Sache unter Kontrolle zu bringen, dann werden die großen Verlierer diejenigen
sein, die durch ehrliche Arbeit ihre Lebensersparnisse erarbeitet haben. Wir
werden ein anderes Europa haben, voll von Unregierbarkeit - und Chaos und
Revolution steht an.
Ich will das nur als das Szenario andeuten, daß wenn wir den Kurs nicht
ändern, die Gefahr besteht, daß wir wirklich in eine nicht dagewesene Krise
hineinkommen.
Chinas Fortschritt
Nun, da alle diese Krisen das Resultat von menschengemachter Politik sind,
können wir auch optimistisch sein, daß wir, wenn wir diese Politik ändern,
diese Krisen überwinden können.
Von den westlichen Medien wurde kaum berichtet, welch dramatische
Veränderung sich in den letzten drei Jahren entwickelt hat, seit der
chinesische Präsident Xi Jinping die Neue Seidenstraße auf die Tagesordnung
gesetzt hat. Es hat sich damit eine vollkommen neue Perspektive ergeben, die
sich mit einer enormen Dynamik entwickelt, wo bereits über 70 Nationen
kooperieren.
China selbst - und das werden die meisten von Ihnen wissen, entweder durch
direkte Reisen oder Berichte - hat seit den Wirtschaftsreformen von Deng
Xiaoping eine unglaubliche Entwicklung vollzogen, von einem vollkommen
unterentwickelten Land zu einem Land, das im Grunde schon teilweise eine
Industrienation ist.
Und interessanterweise geschah das chinesische Wirtschaftswunder nach
denselben Prinzipien wie das deutsche Wirtschaftswunder beim Wiederaufbau nach
dem Zweiten Weltkrieg, nämlich die Prinzipien, die damals von der
Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) angewandt wurden und den Ideen des
deutschen Ökonomen Friedrich List nahestehen, der interessanterweise in China
der bekannteste und beliebteste deutsche Ökonom ist.
China hat in 40 Jahren das an Entwicklung nachvollziehen können, wofür die
Industrienationen bis zu 200 Jahre gebraucht haben. China hat längst
aufgehört, auf Billigproduktion zu setzen, sondern ist bereits Weltmarktführer
in vielen Bereichen, z.B. bei Schnellbahnsystemen. China hat bis Ende 2015
20.000 km Schnellbahn entwickelt, es wird bis 2025 38.000 km Schnellbahnen
haben und jede große Stadt in China auf diese Weise verbunden haben. Es hat in
der Digitalisierung der Industrie viele westliche Staaten überholt und ist
marktführend in weiteren Bereichen.
China hat in dieser Zeit 700 Millionen Menschen aus der Armut befreit, und
ich behaupte, daß es kein Land gibt, das soviel für die Menschenrechte getan
hat, wie eben China, denn die Armut ist die größte Menschenrechtsverletzung,
und demzufolge ist das ein großer Beitrag für die menschliche Zivilisation,
das getan zu haben. China hat soeben ein Weißbuch dazu veröffentlicht, daß es
die extreme Armut auf der ganzen Welt überwinden will, China selbst hat nur
noch drei Prozent extreme Armut und ist fest entschlossen, das bis 2020 zu
überwinden.
Auf dem gerade stattgefundenen G-20-Gipfel in Hangzhou, der von China
ausgerichtet wurde, hat China angekündigt, die globale Wirtschaft auf
Innovation zu basieren, auf eine „Win-Win“-Kooperation, und China hat die
Ambition, bis 2020 eine innovative Nation zu werden - meiner Meinung nach ist
es das schon -, eine international führende innovative Nation, bis 2030 und
ein „world powerhouse“ bis 2050. Die Innovation sei die primäre Antriebskraft
der Wirtschaft, und China ist entschlossen, den Vorteil von wissenschaftlichem
und technologischem Fortschritt in allen Bereichen zu eskalieren, in der
modernen Landwirtschaft, in der Informationstechnologie, beim Umweltschutz,
bei der Ozean- und Raumfahrtindustrie, im Bereich der Gesundheit und
Dienstleistungen.
Präsident Xi Jinping hat den chinesischen Wissenschaftlern aufgetragen, in
vier Bereichen fundamentale Durchbrüche zu erzielen. Erstens die Frage, was
ist die Struktur der Materie? Zweitens die Frage, was ist die Evolution des
Universums? Drittens, was ist der Ursprung des Lebens, und viertens, was ist
die Natur des Bewußtseins?
Es überrascht vielleicht einige, aber diese chinesische Wirtschaftstheorie
ist ganz nah an dem, was wir die physikalische Wirtschaft nennen, wie sie sich
von Leibniz her entwickelt hat und wie sie weiterentwickelt wurde von
Friedrich List, von Matthew und Henry C. Carey - die Wirtschaftsberater von
Lincoln - und Wilhelm von Kardorff, der der Hauptwirtschaftsberater von
Bismarck war und dem es zu verdanken ist, daß Bismarck sich von einem Anhänger
der feudalen Freihandelstheorie zu einem Vertreter der physikalischen Theorie
verwandelt hat und Deutschland zur Industrienation hat werden lassen.
Die Quelle des gesellschaftlichen Reichtums nach dieser Theorie, die von
(Lyndon) LaRouche, den wir hier auch bei uns haben, meinem Ehemann,
weiterentwickelt wurde, besagt, daß die Quelle des gesellschaftlichen
Reichtums weder die Kontrolle der Handelsbeziehungen ist - also etwa TPP oder
TTIP -, und auch nicht „billig kaufen, teuer verkaufen“, und auch nicht der
Besitz an Rohstoffen, und schon gar nicht der Handel mit Derivaten und anderen
spekulativen Produkten, sondern ausschließlich das kreative Potential des
menschlichen Geistes und die Anwendung des wissenschaftlichen und
technologischen Fortschritts im Produktionsprozeß, der die Produktivität
anhebt und damit zur Quelle der Verbesserung des Lebensstandards, der
Lebenserwartung wird.
China hat mit den Staaten entlang der Seidenstraße einen umfassenden Plan
entwickelt für die wissenschaftliche und technologische Kooperation, und wird
gemeinsame Forschungslabors und -zentren einrichten, Technologietransfer
organisieren, den Austausch von 150.000 wissenschaftlichem Personal, 5000
junge Wissenschaftler, und das Ziel ist explizit, die Produktivität in den
kooperierenden Ländern anzuheben.
Beim G-20-Gipfel hat Präsident Xi Jinping angekündigt, die Durchbrüche beim
wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt sofort an die
Entwicklungsländer weiterzugeben, um deren Entwicklung nicht aufzuhalten.
Dieses Ideal wurde meines Wissens zum ersten Mal im 15. Jahrhundert von
Nikolaus von Kues vorgestellt, der ebenfalls sagte, die menschlichen
Erfindungen sind für die menschliche Gattung so wichtig, daß man sie sofort in
einen internationalen Pool stellen sollte, an dem dann alle teilnehmen können,
damit ihre Entwicklung nicht aufgehalten wird.
Das größte Aufbauprogramm der Geschichte
Die chinesische Seidenstraßen-Konzeption ist das größte Infrastruktur- und
Industrieprogramm, das jemals auf der Erde existiert hat. Schon jetzt gibt es
30 Staatsverträge zwischen China und anderen Nationen, 70 Nationen
kooperieren, insgesamt betrifft es bereits 4,4 Milliarden Menschen. Die
Gesamtsumme der Investitionen beträgt 1,4 Billionen $, das ist zwölf Mal
soviel wie der Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg, nach heutiger
Kaufkraft bemessen.
Es ist eine Perspektive für die wirtschaftliche Transformation der Erde für
die nächsten 30-40 Jahre und betrifft keineswegs nur die Handelsrouten nach
Europa und Afrika. Zwar ist der Name „Seidenstraße“ von dem deutschen Geologen
Ferdinand von Richthofen 1877 so geprägt worden, aber tatsächlich ist
Seidenstraße ein Synonym für die Integration der Regionen und Routen für einen
Austausch von Wissenschaft und Technologie, und was damals Seidentechnologie
war - wie produziert man Seide, wie produziert man Porzellan -, das sind heute
die modernsten Technologien, etwa die Frage der Kernfusion oder der
Raumfahrttechnologie.
Es ist offensichtlich, daß die Zukunft für Deutschland in der Kooperation
mit diesem Projekt liegt, denn Deutschland hat etwas, was in der ganzen Welt
hochgeschätzt wird, und das ist der deutsche Mittelstand, der im Grunde am
meisten beiträgt für Innovationen. Die Entwicklung Deutschlands, das ja
bekanntermaßen kaum Rohstoffe hat, hat nur deshalb eine hohe Produktivität und
hohen Lebensstandard erreichen können, weil wir immer eine sehr hohe Rate von
wissenschaftlichem und technologischem Fortschritt hatten, und eine sehr hohe
Exportrate. Es ist der deutsche Mittelstand, wo die meisten Erfindungen und
Patente gemacht werden, woher 85% der Ausgaben für das Gemeinwohl kommen, und
es ist der deutsche Mittelstand, der am meisten profitieren würde bei der
Kooperation mit China - nicht nur Direktinvestitionen Deutschlands in China
und Chinas in Deutschland, sondern vor allen Dingen bei Joint Ventures in den
verschiedenen Projekten in Drittländern.
Rasante Veränderungen
In den letzten sechs Wochen hat diese Veränderung ein enormes Tempo
erreicht, und wir haben es mit einer vollkommen neuen Ausrichtung zu tun.
Anfang September war in Wladiwostok das Wirtschaftsforum, das die Neue
Seidenstraße Chinas mit der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) unter der
Führung Rußlands integriert hat. Es waren Ministerpräsident Abe von Japan da,
(Südkoreas) Präsidentin Park, mit großen Wirtschaftsdelegationen.
Das ging sofort weiter unmittelbar danach in Hangzhou beim G-20-Gipfel, wo
China ein neues Modell für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Nationen
präsentiert hat, fokussierend auf die UN-Charta, mit der Betonung von
Souveränität und Respekt für andere wirtschaftliche und soziale Modelle.
Präsident Xi sagte bei dieser Gelegenheit, das alte Modell ist nicht länger
tragfähig, wir brauchen jetzt eine innovationsgelenkte Strategie. Wir werden
die Spitze in Wissenschaft und Technologie bilden, und Grundlagenforschung
betreiben, um die wissenschaftlichen und technologischen Probleme, die die
wirtschaftliche und industrielle Entwicklung hemmen, zu lösen. Wir werden die
Vermarktung von Forschung und Entwicklung beschleunigen, und die strategisch
aufsteigenden Branchen fördern, und die Industrie auf ein mittleres bis hohes
Niveau der Wertschöpfungskette anheben.
Diese Philosophie wurde dann weiter diskutiert bei dem direkt danach
stattfindenden Gipfel der ASEAN-Staaten in Laos, die wirklich eine
strategische Orientierung auf China vollzogen und z.B. die chinesische
Position beim Konflikt im Südchinesischen Meer übernommen haben, und die in
einer gemeinsamen Erklärung sagten, die Entwicklung Chinas sei eine Chance für
die gesamte Region. (Der philippinische) Präsident Duterte hat gerade bei
seinem Besuch in China gesagt, daß er jetzt die Beziehung zu China
priorisieren wird.
Bei der ebenfalls kurz später stattfindenden Konferenz der BRICS-Staaten in
Goa, die das Kernstück der eurasischen Integration sind, wurden die
gemeinsamen Interessen betont, und die bestehenden Spannungen wurden
kleingeredet. Und damit ist im Grunde klar: Die asiatische Dynamik nimmt
weiter zu.
Das Tempo dieser strategischen Neuausrichtung zeigt ganz klar, daß das
Zentrum der Weltpolitik sich nach Asien verschoben hat. Als der erste Pilotzug
vor fünf Jahren aus China kam, war das noch eine große Überraschung,
inzwischen kommen pro Woche 20 Züge aus den verschiedenen Wirtschaftsregionen,
von Zhenjiang, Lianyungang, Harbin, Yiwu, Wuhan, Chengdou, Chongqing, nach
Duisburg, Hamburg, Rotterdam, Lyon, Madrid. Die ost- und zentraleuropäischen
Länder haben längst die Vorzüge davon erkannt, mit China zusammenzuarbeiten,
denn China hat jetzt in die Transportkorridore investiert, die zwar 1994 von
der EU auf ihrer Konferenz in Kreta beschlossen wurden, die aber aufgrund der
Austeritätspolitik der Troika nie verwirklicht wurden. China hat den Hafen von
Piräus ausgebaut oder ist dabei, ihn auszubauen, es baut die Eisenbahnlinie
von Serbien nach Ungarn, es verbindet den Oder-Elbe-Donau-Kanal mit den
europäischen Wasserwegen. Die Regierungen Griechenlands, Serbiens, Ungarns,
der Tschechischen Republik, Italiens, der Schweiz und Portugals haben
ausgedrückt, daß sie den Weg in die Zukunft in der Kooperation mit der
chinesischen Seidenstraße sehen.
Gleichzeitig hat sich ein paralleles Bankensystem entwickelt, die Asian
Infrastructure Investment Bank (AIIB), der sofort 70 Nationen als
Gründungsmitglieder beigetreten sind, obwohl die USA enormen Druck gemacht
haben, das nicht zu tun, darunter so enge Verbündete wir Großbritannien,
Deutschland, Frankreich, Japan, Australien und Kanada.
Gleichzeitig hat sich die New Development Bank (NDB) der BRICS entwickelt,
die ihre Tätigkeit aufgenommen hat, der Seidenstraßenfonds, der Maritime
Seidenstraßenfonds, die Bank der Shanghai Cooperation Organization, das
Contingent Reserve Arrangement (CRA), das gegründet wurde, um spekulative
Attacken abzuwehren. Und allen Städten und Regionen, die mit diesen Projekten
zusammenarbeiten, ist vollkommen klar, daß es ihnen Vorteile bringt. Z.B. ist
Duisburg, das ja einmal eine Stahlstadt war und eine große Wirtschaftsflaute
erlebt hat, jetzt wieder im Aufschwung, weil Duisburg als größter Binnenhafen
Europas eben enorm von der Seidenstraße profitiert.
China hat Europa das Angebot gemacht, voll bei der Industrialisierung
Afrikas zu kooperieren. Und was sollte uns eigentlich daran hindern, gemeinsam
mit dieser Dynamik Asiens den Balkan zu entwickeln, Südeuropa, das durch die
Troika-Politik in große wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommen ist? Die
Industrie von Griechenland z.B. hat sich mit der Politik der Troika um ein
Drittel reduziert. Mit China und der Seidenstraße könnte das alles aufgebaut
werden. Gleichzeitig muß auch der Nahe Osten dringend wiederaufgebaut werden,
und natürlich Afrika.
Falsche Ideologie
Was sollte uns also hindern, auf diese Angebote einzugehen? Die Antwort ist
klar, daß einige Länder - die USA und Großbritannien - auf einer unipolaren
Welt bestehen, obwohl diese unipolare Welt schon längst nicht mehr existiert.
Die Gefahr besteht, daß die transatlantische Welt in die sogenannte
„Thukydides-Falle“ hineinfällt, d.h., im Aufstieg Asiens eine geopolitische
Bedrohung zu sehen, anstatt die Chance zu erkennen, daß bei einer
„Win-Win“-Kooperation alle zusammenarbeiten.
Die Propaganda gegen die Neue Seidenstraße ist enorm. So hat am 12.
September das Said-Zentrum (Said Business School) der Oxford-Universität einen
Bericht veröffentlicht, der behauptet, daß die immensen Investitionen Chinas
in Infrastruktur - vor allem in der letzten Dekade von 10,8 Billionen
Dollar-Äquivalent - der Grund seien für den baldigen Kollaps Chinas und der
Weltwirtschaft. Es handelt sich da offensichtlich um einen desperaten Versuch,
die Seidenstraße zu verleumden, und die Argumentation ist die der typischen
Investmentbanker, zu sagen, daß Investitionen in die Infrastruktur nicht
genügend Profit abwerfen.
Chinesische Offizielle haben dieses Argument schon widerlegt und gesagt,
daß China eben eine andere Risikobeurteilung hat als westliche
Ratingagenturen, und daß sie das Potential eines Landes in der Zukunft
betrachten, während die Banker die Vergangenheit betrachten.
In der Geschichte der Industrialisierung eines jeden Landes, ganz egal, ob
es sich um Deutschland, USA, Rußland oder irgendein anderes Land dreht, war
die Entwicklung der Infrastruktur immer die conditio sine qua non für die
Transformation in eine moderne Ökonomie.
Die Idee, daß man den Ertrag von Infrastrukturinvestitionen an dem direkten
Ertrag mißt, wie z.B. der Mautgebühr bei privatisierten Autobahnen, ist
offensichtlich absurd. Es geht dabei um den Anstieg der Produktivität der
ganzen Nation, und je höher der Grad der Entwicklung ist, desto dichter muß
das Infrastruktur-Netzwerk sein.
Wenn man also Infrastruktur mitzählt - Energie, Wasser, Kommunikation,
Erziehung, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung -, dann ist vollkommen
klar: je höher die Infrastrukturdichte, desto höher ist die Produktivität, der
Lebensstandard der Bevölkerung, die Lebenserwartung. Und je fortschrittlicher
die Industrie ist, um so mehr ist der Zeitfaktor relevant, weshalb wir absolut
der Meinung sind, daß die Transrapid-Technologie eine Technologie der Zukunft
bleibt, und wir werden heute nachmittag einen Vortrag zu diesem Thema
hören.
Die Researcher der Oxford-Universität haben dann die Katze aus dem Sack
gelassen, warum sie so einen lächerlichen Bericht veröffentlichen: Sie sagen
nämlich, daß auf keinen Fall das chinesische Modell das Modell werden soll für
andere Entwicklungsländer, schon gar nicht für Pakistan, Nigeria oder
Brasilien. Das dürfte kein Vorbild werden.
Aber alle Prognosen, daß China (wirtschaftlich) kollabiert, sind vollkommen
absurd, die gerade veröffentlichten Wachstumszahlen - Bruttoinlandsprodukt
6,7%, was genau der Vorhersage entspricht, Industrieproduktion 6,1% - welches
Land in Europa würde sich über 6,1% nicht freuen? - Konsumanstieg 10%,
Elektrizitätsverbrauch 4,8%, was nicht zuletzt der fortlaufenden
Elektrifizierung der westlichen Gebiete Chinas zu verdanken ist.
Die Haltung dieser Investmentbanker gegen Infrastruktur ist einer der
Gründe, warum wir in Deutschland einen Investitions-Rückstau haben von etwa 2
Billionen, und marode Brücken, schlechte Straßen usw. Das ist auch der Grund,
warum die IWF-Konditionalitäten der letzten 50 Jahre die
Infrastrukturentwicklung der Dritten Welt verhindert haben, und warum wir
heute so große Flüchtlingsströme etwa aus Afrika haben, die nach Europa kommen
wollen.
Kulturelle Renaissance
Es gibt ein weiteres falsches Argument, daß China eigentlich nur den
anglo-amerikanischen Imperialismus ersetzen wolle durch einen chinesischen
Imperialismus. Ich denke, das sind Projektionen der Leute, die diese Argumente
machen, die sich einfach nicht vorstellen können, daß es heute ein Land gibt,
das ein positives Modell für die Organisation der Verhältnisse auf dieser Erde
hat.
Dazu muß man aber wissen, daß China nicht nur eine 2500 Jahre alte
konfuzianische Tradition hat, sondern im Augenblick eine gewaltige Renaissance
von konfuzianischem Denken in China auf allen Ebenen der Gesellschaft
stattfindet. Dazu gehört z.B. das Ideal der lebenslangen
Selbstvervollkommnung, die Idee, daß jeder Mensch eine Shuntse werden
soll, ein Gelehrter. Dazu gehört die Idee der harmonischen Entwicklung aller
Nationen, und das entspricht exakt der „Win-Win“-Idee von Xi Jinping, und es
entspricht auch, wenn wir in Europa etwas weiter in der Geschichte
zurückgehen, den Ideen von Nikolaus von Kues, der im 15. Jahrhundert bereits
sagte, daß es eine Harmonie im Makrokosmos nur geben kann, wenn sich alle
Mikrokosmen harmonisch und im gegenteiligen Vorteil zueinander entwickeln. Es
gibt eine tiefere Affinität zwischen Konfuzianismus und Humanismus in Europa,
als die meisten Menschen realisieren.
Das Problem ist nicht China, sondern das Problem ist, daß wir in Europa
diese Traditionen vergessen haben oder beiseite geschoben haben: das
Menschheitsideal, das assoziiert war mit der italienischen Renaissance, mit
der École Polytechnique in Frankreich oder der deutschen Klassik. Wer hat
heute noch das optimistische Menschenbild von Wilhelm von Humboldt, der sagte,
daß das Ziel der Ausbildung der schöne Charakter sein soll? Wer hat noch die
Ideen von Friedrich Schiller, der sagte: Jeder Mensch hat das Potential, eine
schöne Seele zu werden, für den Leidenschaft und Pflicht, Freiheit und
Notwendigkeit das gleiche ist? Und der einzige Mensch, auf den das zutrifft,
ist das Genie, aber Schiller meinte, alle Menschen haben das Potential zum
Genie.
Das heißt, wir haben uns von diesen humanistischen Idealen entfernt, bzw.
es betrifft nur noch einen sehr kleinen Teil der deutschen Bevölkerung. Und
wenn wir unsere Jugendkultur betrachten, kann niemand bezweifeln, daß die
einem sehr weit fortgeschrittenen Grad der Verrohung unterliegt; Häßlichkeit
ist überall zu sehen, Gewaltverherrlichung, Lehrer haben Angst vor ihren
Schülern, der BDI hat vor einigen Jahren veröffentlicht, daß 25% der
15jährigen nicht anstellbar sind, weil sie keinerlei Interesse haben.
Es ist zum ersten Mal in der Geschichte in Europa und Amerika so, daß wir
anscheinend akzeptieren, daß die nächste Generation schlechter dastehen wird
als die jetzige. Für Jugendliche bedeutet das, daß sie keine Zukunft haben,
keinen Grund, zu lernen und zu studieren.
Und das ist ganz anders in China. Die junge Generation in China hat die
Erfahrung des chinesischen Wirtschaftswunders gemacht, und die meisten - nicht
alle natürlich, aber die meisten - haben ein enorm optimistisches Selbstbild
von sich selbst und ihrem Land.
Das heißt, auch in dieser Hinsicht könnten Europa und Deutschland mit der
Seidenstraße kooperieren, damit unsere Jugendlichen wieder eine Perspektive
bekommen. Deutschland ist die wichtigste Ökonomie in Europa, und ich denke,
wenn wir es schaffen, daß Deutschland ganz bewußt Ja sagen würde, offiziell,
zur Kooperation mit der Neuen Seidenstraße, daß das vielleicht der
entscheidende Schritt wäre, den Deutschland tun könnte für die Erhaltung des
Weltfriedens.
Gemeinsame Ziele der Menschheit
Es geht um ein vollkommen neues Paradigma, um eine vollkommen neue Ära in
der Geschichte der Menschheit. Es geht um die Idee, daß die Menschheit als
ganze eine höhere Ordnung repräsentiert als alle Nationen. Wenn wir auf die
gemeinsamen Ziele der Menschheit fokussieren, das, was Xi Jinping
„Schicksalsgemeinschaft“ nennt oder „Gemeinschaft einer gemeinsamen Zukunft
der Menschheit“, dann, denke ich, ist alles möglich.
Was sind diese gemeinsamen Ziele?
Zum Beispiel die Industrialisierung Afrikas. Wenn Deutschland und Europa
mit China kooperieren würden, mit Japan und Indien, die sich auch bereits in
Afrika engagieren, können wir es schaffen, daß nicht mehr Zehntausende von
Menschen entweder in der Sahara verdursten oder im Mittelmeer ertrinken, weil
sie vor Krieg und Hunger weglaufen.
Wir könnten den Nahen Osten und den Mittleren Osten wieder aufbauen, was
unsere moralische Verpflichtung ist, denn wir haben Kriege erlaubt, von denen
jeder weiß, daß sie auf Lügen aufgebaut waren.
Wir könnten im Grunde allen Kindern den Zugang zur universellen Bildung
geben und damit das wirkliche kreative Potential der Menschheit
freisetzen.
Wir müssen uns auf neue wissenschaftliche Revolutionen konzentrieren: das
Prinzip des Lebens, die kreative Fähigkeit des menschlichen Geistes als
physische Kraft im Universum. Wir müssen die Prozesse im Sonnensystem besser
verstehen lernen, in der Galaxie, im Universum als ganzem.
Wir müssen uns auf den Standpunkt von Astronauten, Kosmonauten, Taikonauten
stellen, die alle berichten, daß wenn man auf die Erde vom Weltraum
herabschaut, die Erde nur ein kleiner blauer Planet ist, der keine Grenzen
hat, der aber auch unendlich verletzbar ist.
Wir müssen uns auf den Standpunkt von Krafft Ehricke stellen, dem deutschen
Raketenforscher und Weltraumforscher, der die drei Gesetze der Astronautik
genannt hat:
Das erste Gesetz: daß unter dem Naturrecht dieses Universums nichts und
niemand dem Menschen irgendwelche Beschränkungen auferlegt, außer er
selbst.
Zweitens: Das rechtmäßige Betätigungsfeld des Menschen ist nicht nur die
Erde, sondern das ganze Sonnensystem und soviel vom Universum, wie er unter
den Naturgesetzen erreichen kann.
Und drittens: Indem er sich im Universum ausbreitet, erfüllt der Mensch
seine Bestimmung als Element des Lebens, ausgestattet mit der Macht der
Vernunft und der Weisheit des Moralgesetzes in sich.
Die Infrastrukturentwicklung der Neuen Seidenstraße bedeutet deshalb nicht
nur die Erschließung der landeingeschlossenen Regionen der Erde, sondern auch
die Erschließung der näheren Umgebung des Weltraums. Das chinesische
Mondprogramm plant mit Chang’e 4 und 5 die Landung von Raumfahrzeugen auf der
erdabgewandten Seite des Mondes in zwei Jahren, mit der Absicht, später dort
Helium-3 abzubauen für eine zukünftige Fusionsökonomie auf der Erde, was
letztendlich der Menschheit Energie- und Rohstoffsicherheit bringen wird.
Gerade gab es das erfolgreiche Andocken des Raumfahrzeugs Shenzhou-11 an
der Tiangong-Raumstation, wo jetzt zwei chinesische Taikonauten 30 Tage lang
experimentieren werden. China wird in wenigen Jahren eine permanente
Raumstation haben, schon 2020 oder 2022.
D.h. die Zusammenarbeit bei der Raumfahrt ist einer der wichtigsten
Bereiche der gemeinsamen Ziele der Menschheit, weil sie den Menschen praktisch
an allen Fronten seiner physischen und geistigen Existenz herausfordert und im
höchsten Grade die Unabhängigkeit es menschlichen Geistes widerspiegelt und
die Philosophie seiner Existenz überhaupt berührt.
Ich denke, daß wir nur in dieser Zukunftsorientierung und auf dieser Ebene
der Vernunft die Herausforderungen, mit denen wir jetzt auf der Erde
konfrontiert sind, bestehen können. Aber ich denke, wir können es.
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