Neuorientierung der kulturellen Variablen
Auf dem Weg zu einem modernen kulturellen Ansatz
Von Talal Moualla
Beitrag von Talal Moualla, Aufsichtsrat des Syrischen
Entwicklungsfonds, Vorstandsdirektor des Projekts „Transformation des
syrischen kulturellen Erbes“ im syrischen Kultusministerium, auf der Konferenz
des Schiller-Instituts am 25.-26. Juni 2016 in Berlin.
Nachdem wir den Film über Aleppo mit all seinen Details gesehen und den
Beitrag von Frau Dr. Buthaina Shaaban gehört haben, ist es jetzt schwierig,
Worte zu finden. Ich bin vor allem Künstler, aber auch Forscher über moderne
Ästhetik sowie Organisator internationaler Kunst- und
Kulturveranstaltungen.
Ich habe das letzte Vierteljahrhundert außerhalb von Syrien verbracht, aber
nach Ausbruch des Krieges bin ich zurückgekehrt. Der Krieg hat auf einfache
Weise begonnen, aber er wurde immer komplizierter, und je komplizierter er
wurde, desto mehr glaubte ich, bleiben zu müssen und etwas dagegen zu
unternehmen. [Applaus] Ich arbeite deshalb als unabhängiger, freischaffender
Künstler, und ich bin auch anerkannter Experte des Kulturerbes bei der
UNESCO.
Ich habe nie daran gedacht, über mich selbst zu sprechen, denn ich spreche
immer über andere; meine Gemälde und meine Schriften waren Ausdruck meiner
selbst. Doch je mehr sich die Krise in Syrien zuspitzte, desto größer wurde
mein Interesse an den Anstrengungen der Gesellschaft.
In Syrien glauben wir, daß unser Erbe und unsere Kultur gezielt angegriffen
werden. Dieser Terrorismus führt zur Demontage der Gesellschaft von innen. Als
Intellektuelle glauben wir, daß der gegen uns gerichtete Terrorismus zwei
Seiten hat. Die eine ist intellektueller Terrorismus, und die andere ist ein
Terrorismus, der sich gegen die Moral und die Ethik insgesamt richtet.
Ich dachte, daß ich nie beschreiben müßte, was ich in diesem Krieg gesehen
und erlebt habe. Aber es liegt nahe, daß meine Erzählungen und Erläuterungen
mein kreatives Mittel sind, um die Lage zu verdeutlichen – mein Mittel
der intellektuellen, kulturellen und künstlerischen Kreativität.
Das Gespräch mit den Mitgliedern meiner Gesellschaft ist sehr wichtig, um
die kulturelle Identität unserer Gesellschaft wiederherzustellen. Dieses
Konzept beginnt mit der Suche nach Sicherheit und endet damit, sich dem
Terrorismus entgegenzustellen. Als Intellektuelle innerhalb oder außerhalb
Syriens bemühen wir uns deshalb, auf Treffen, zu denen wir zusammenkommen, und
vor Institutionen, die die Identität unserer Kulturen zu bewahren helfen,
Syriens kulturelles Erbe darzustellen.
Der Terrorismus hat in Syrien vor allem die Kultur zum Ziel, und darüber
haben Sie bereits viel gesehen und gehört. Er zielt aber auch gegen das
Erinnern. Deswegen werden Museen und archäologische Stätten angegriffen und
zerstört, und man geht gezielt gegen Menschen vor, die aus ihren Wohnorten mit
all ihren Werten – Kultur, Tradition, Gewohnheiten usw. –
vertrieben werden.
Über Politik zu sprechen, ist natürlich eine lange Angelegenheit, aber wir
haben es hier mit einer politischen Krise zu tun, die sich auf die Kultur und
alle anderen Aspekte auswirkt. Sie berührt die Identität, die
gesellschaftliche Zugehörigkeit und die Kommunikation in der Gesellschaft.
Als Intellektuelle glauben wir deshalb, daß man mit diesem Problem nur
umgehen kann, wenn man mehr Kreativität verlangt – künstlerische
Kreativität und einen Dialog der Kulturen sowie die Förderung kreativer
Betätigung von Künstlern in der Gesellschaft.
Wenn wir klug sind, müssen wir als erstes die Menschen in Syrien
wiederherstellen – die Menschen zuerst, und alles andere kommt danach.
Die Krise in Syrien ist keine Krise des Staates, wie es gewöhnlich dargestellt
wird. Sie ist eine Krise der Gesellschaft, die daran gewöhnt ist, Kultur und
Zivilisation für die gesamte Welt zu erzeugen. Es gibt viele Fragen, die
beantwortet werden müssen, aber ihre Beantwortung hängt auch von der Position
der internationalen Gemeinschaft, der öffentlichen Meinung, von
internationalen Organisationen und dem Völkerrecht ab, das die Werte der
Menschheit befördern muß.
Wir leiden unter der Massenabwanderung von Intellektuellen, und die daraus
resultierenden Gefahren sind vielfältig. Jene, die flüchten, sind der Geist
Syriens, denn die Kultur ist immer der Geist von Nationen.
Inmitten der Zerstörung aller großen Kulturbereiche in Syrien erlebte ich
auch, wie die Terroristen mein Atelier und Hunderte meiner Gemälde in Brand
steckten, aber das bedeutet nichts, denn das gewalttätige Verhalten der
Terroristen zielt darauf ab, in den Menschen die Idee der Anwendung von Gewalt
einzuprägen. Durch ihren Barbarismus entfernen sie die Menschlichkeit aus dem
Inneren der Menschen. In ihren Angriffen auf die Kultur ist ihnen sehr bewußt,
was sie anrichten, nämlich die Einheit der Gesellschaft zu zerstören.
Alle Länder haben Erfahrungen mit Krieg. Das sind immer Momente der
Transformation für die Menschheit. Wir alle müssen aber optimistisch in
unserem Glauben bleiben, daß die Kreativität immer eine wichtige Rolle spielt,
um Frieden zu schaffen.
Ich danke dem Schiller-Institut für diese Einladung und spreche meinen
besonderen Dank der geschätzten Vorsitzenden des Instituts, Frau Helga
Zepp-LaRouche, und Herrn Ulf Sandmark aus, den ich in Damaskus traf, und auch
Hussein Askary, der meine Gedanken für Sie übersetzt hat. Ich muß Sie jetzt
verlassen und hoffe, Sie in meinem Heimatland Syrien wiederzutreffen.
Vielen Dank
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