Verdis Opern und Italiens Risorgimento
Von Carmela Altamura
Die Sopranistin und Gesangspädagogin Carmela Altamura ist
Gründerin und Direktorin der Künstlerorganisation Inter-Cities Performing Arts
und des Internationalen Altamura-Caruso-Gesangswettbewerbs.
Meine Damen und Herren, Freunde, welche eine Freude! Die Energie in diesem
Raum reicht, die Welt grundlegend zu verändern. Glückwunsch an Sie alle, daß
Sie sich die Zeit, Liebe, Leidenschaft nehmen, etwas zu schaffen, das ewig
überdauern wird. Denn es ist Liebe, die Ihr Genie antreibt. Die ganze Welt
wird von Liebe bewegt.
Die Gründer, Herr und Frau LaRouche, sollten geehrt und beglückwünscht
werden, und alle Gäste, Redner, Ausführenden und auch Sie mit Ihren
Errungenschaften sind alle Genies.
Nun möchte ich einige Worte an Sie richten. Ich hatte diese Idee 1987,
nachdem ich 14 Jahre lang in einer Gemeindeschule für Enteignete und
Emigranten aus der kommunistischen Welt tätig gewesen war. Da die Bevölkerung
sich zu verändern begann und die Kubaner nach Florida umzogen, hielt ich es
für an der Zeit, die Schule zu schließen und ein Unternehmen namens
Inter-Cities Performing Arts Incorporated zu gründen. Es wurde für mich zu
einer Besessenheit, einem Antrieb, etwas zu schaffen, um durch Kunst die
ethnischen, sozialen, beruflichen und kulturellen Beziehungen auf der Welt zu
verbessern.
Daraus wurden zwei Programme geboren: der Internationale
Altamura-Caruso-Gesangswettbewerb und die Schule, das Altamura-Zentrum für die
Künste, wo die Sieger der Wettbewerbe die Gelegenheit erhalten sollten,
fortgeschrittene Studien zu betreiben und die wahren Meister zu treffen, die
ihnen die Weisheit - die ungeschriebene - der Stimme weitergeben sollten,
nämlich die Tradition des Belcanto.
Man kann ohnehin nicht alles niederschreiben. Das Wort hat, solange es
nicht mit der Musik verheiratet ist, seine eigenen Begrenzungen.
Ich führte einige Neuerungen ein, die ein wenig Bewegung in die Welt
brachten. Ich verzichtete auf die Altersgrenze. Das wirkte in der kulturellen
Welt wie eine Atombombe. „Was in aller Welt macht diese Frau da! Wovon redet
die?“ Aber das war notwendig, denn sehr wichtige Stimmen, die man für das
Verdi-, Puccini- und Wagner-Repertoire braucht, reifen erst später -
psychologisch, physisch, hormonell - und ich erkannte diese Notwendigkeit.
Und was danach geschah, obwohl ich einige Beschimpfungen über mich ergehen
lassen mußte, aber ich habe ein dickes Fell: Wir entdeckten wirklich große
Stimmen, die heute an den bedeutenden, renommierten Theatern der Welt
auftreten - Bässe, dramatische Soprane und Mezzosoprane, Alte und
Koloratursoprane.
Wegen dieses Erfolgs fühle ich mich Verdi ganz besonders verbunden. Ich
fuhr mit den Siegern nach Mailand zu dem Altenheim für Künstler, das Verdi
gegründet hat. Er war ein großer Menschenfreund und Wohltäter. Er gründete
Krankenhäuser, er gründete das Seniorenstift, und dort wurden meine Sänger
direkt für Verdis Attila an der Scala engagiert. Denn für Attila
braucht man sehr schwere Stimmen.
Mein Wettbewerb nahm seinen Platz auf der Welt ein. Ich legte die Latte
höher und ich entschied mich für Giullietta Simionato. Ich weiß nicht, ob
jemand von Ihnen sie kennt, aber sie war damals die beste Mezzosopranistin der
Welt. Um sofort die Latte höher zu legen, fand mein erster Wettbewerb am
Lincoln Center statt. Und ich hatte den Nerv - allerdings war ich sehr nervös
-, an den amerikanischen Kongreß zu schreiben. Ich schrieb: „Wenn die Scala
einen Brief vom amerikanischen Kongreß bekommt, dann wird man dort vielleicht
zuhören.“ Und so ließ man sie dort gehen und sie kam nach Amerika und wurde
meine erste Präsidentin des Wettbewerbs.
Giuseppe Verdi: die Stimme Italiens
Und natürlich liebe ich Verdi sehr - schon, seit ich ein Kind war. Ich
erinnere mich daran, wie mein Vater mit mir nach Palermo fuhr, da war ich erst
sechs Jahre alt. Ich sah Rigoletto, was mir Angst machte, ich hatte
schreckliche Angst vor dem Buckligen. Aber als Gilda kam, prägte sich „Tutte
le feste al tempio“ mir gleich ins Gedächtnis ein. Und in meiner Heimatstadt
stellten sie mich auf eine kleine Tabakkiste und ich sang. Ich bekam viel
Süßigkeiten und ich sang „Tutte le feste al tempio“ von einem Ende der Stadt
bis zum anderen. Und mit acht Jahren, nach dem Weltkrieg, kam ich in die
Vereinigten Staaten, und auf dem Schiff dorthin wurde ich entdeckt.
Aber ich bin nicht hier, um über mich zu sprechen, sondern über Verdi und
das Risorgimento. Verdi ist die Stimme Italiens. Er ist die Stimme, die das
Land eint. Als Verdi 1813 geboren wurde, war das Land unter französischer
Herrschaft. Das dauerte nur noch ein Jahr, weil dann Napoleon besiegt wurde.
Und der kleine Verdi war ein vom Himmel geschicktes Kind. Ich denke, ich
sollte Ihnen diese kleine Geschichte erzählen, denn ich glaube, daß vom Himmel
geschickte Menschen unter einem ganz besonderen Stern geboren werden,
besonders, wenn sie später die Welt verändern sollen.
Er war kaum eine Woche alt, da marschierten die Österreicher ein, um die
Franzosen zu vertreiben. Die Österreicher hatten die Kosaken angeheuert. Es
gibt nichts neues unter der Sonne, die waren noch schlimmer als ISIS! Der
Priester sagte zu den armen Frauen: „Geht in die Kirche, da seid ihr sicher.“
Also gingen alle Frauen mit ihren kleinen Kindern in die Kirche. Und Luigia
Uttini, Verdis Mama, ging auch hinein, mit dem Säugling auf dem Arm, aber sie
beschloß, nicht in der Kirche zu bleiben. Sie ging in die Sakristei, und in
der Sakristei sah sie die Treppe, die zum Glockenturm hinaufführte. Und sie
ging die Treppe ganz hoch bis zum Glockenturm, und das Kind machte keinen
Mucks. Am Morgen, beim Sonnenaufgang, war alles ganz still. Sie ging die
Treppe wieder herunter, sie dachte, inzwischen seien alle wieder weg. Aber als
die unten ankam, sah sie, daß alle ermordet waren. Nur sie und der kleine
Verdi lebten.
Wenn Sie heute diese Kirche besuchen, ist dort eine Plakette, die erklärt,
daß das ein ganz besonderer Ort ist.
Mit drei Jahren lernte er Latein, Mathematik, Italienisch. Man denke! Als
der Vater erkannte, daß das Kind hochmusikalisch war, besorgte er ein kleines
Klavier und trug es auf seinem Rücken nach Hause. Es war nicht größer als ich,
heute steht es in der Scala als ständiges Ausstellungsstück. Das brachte er
dem Kind. Und der Knabe fing an zu spielen und erfand kleine Melodien und
spielte mit der linken Hand. Da war er sechs Jahre alt. Und die Gäste in der
Taverne sagten: „Hört denn dieses Kind nie auf zu spielen?“ „Nein! Er hat
diese Leidenschaft für die Musik!“
Und mit acht Jahren vertrat der kleine Verdi schon seinen Lehrer, als der
krank war. Er setzte sich an seiner Stelle in die Kirche und übernahm alle
Funktionen in der Kirche, Hochzeiten und Beerdigungen. Können Sie sich so
etwas vorstellen? Und er brachte das Geld, das er verdiente, seinen Eltern.
Suchen Sie heute mal jemand, der das tut.
Er half seiner Mutter, die Maulbeerbaumblätter zu pflücken. Sie produzierte
damit Seidenwürmer, und das arme Kind trug die Blätter mit seinem großen Korb
auf dem Rücken herbei, eine Fuhre nach der anderen.
Das sind so die kleinen Geschichten.
Dann schickten sie Verdi zu weiterführenden Studien nach Mailand. Aber
bevor er nach Mailand reiste, ging er nach Busseto, und dort entschied Herr
Marezzi, ein bekannter Geschäftsmann, ihn unter seine Fittiche zu nehmen. Es
war offenkundig, daß das ein außergewöhnlicher Junge war, deshalb schickten
sie ihn aufs Konservatorium. Er machte die Aufnahmeprüfung und wurde nicht
angenommen.
Verdi brach fast das Herz, Barezzi ebenso. Aber sie gaben nicht auf, weil
sie wußten, daß die Sache politisch war. Die Prüfer sagten: „Seine Hand liegt
nicht korrekt auf dem Klavier, und was seine Kompositionen angeht, vielleicht
wird er, wenn er Kontrapunkt studiert, eines Tages ein richtiger Komponist
werden.“ Ein richtiger Komponist? Er schrieb 27 Opern. Er kam nie aufs
Konservatorium.
Deshalb kann ich den Schülern sagen: Laßt euch nie entmutigen. Ihr müßt nur
arbeiten, arbeiten, arbeiten, und beharrlich sein, das ist das Talent.
Verdi heiratete dann Barezzis Tochter, eine Sopranistin. Sie hieß
Margherita, war ein schönes Mädchen und sehr fromm. Sie hatten eine kleine
Tochter, Virginia, die aber nach zwölf Monaten starb. Sie versuchten es wieder
und hatten einen kleinen Jungen, Icilio. Er starb nach 18 Monaten. Sie sind
enttäuscht, entmutigt und niedergeschlagen und gehen wieder nach Mailand.
Seine Frau Margherita verkauft ohne sein Wissen ihren Schmuck. Sie verkauft
alles, und Verdie wußte nichts davon. Dann wurde sie krank und starb.
„Va Pensiero“
Zuvor hatte er eine Sopranistin getroffen, sie hieß Giuseppina Strepponi,
sie war ein berühmter Star an der Scala. Und Giuseppina erkannte sein
außergewöhnliches Talent und ging zu Merelli, dem Manager der Scala, und der
vertraute ihr und gab Verdi den Kompositionsauftrag für seine erste Oper,
Oberto, Conte di San Bonifacio. Es lag Verdi im Blut. Das war im Jahr
1840.
Er erhielt einen Auftrag über 14 Opern - nicht schlecht für einen
Jungkomponisten. Aber als seine Frau stirbt, legt er den Federhalter hin und
sagt: „Schluß. Ich werde keine einzige Note mehr schreiben.“ Niedergeschlagen,
deprimiert, traurig und krank am Herzen zieht er in eine kleine, kalte Wohnung
im dritten Stock, und er hatte nichts zu essen außer ein paar Kastanien.
Aber dann greift wieder das Schicksal ein. Zufällig fällt dem Manager der
Scala ein Libretto in die Hand, aber der Komponist, den er ausgesucht hat,
lehnt ab. Also schickt er jemand los, Verdi zu holen. Zuerst will er nicht
kommen. Einige sagen, es sei Giuseppina gewesen, die ihn holen sollte, andere
sagen, jemand anderes. Schließlich geht Verdi hin. Der Manager sagt ihm, er
habe ein wundervolles Libretto. „Ganz wundervoll. Es geht um die Juden im
Exil.“ Verdi sagt: „Na und?“ „Nein, das ist sehr wichtig, ich möchte, daß Sie
es lesen.“ „Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich nie wieder eine Note
schreibe.“ „Hören Sie, es ist wirklich gut. Gehen Sie!“ Er steckt ihm das
Textbuch unter den Arm, bugsiert ihn zur Tür hinaus, und Verdi geht mit dem
Buch unter dem Arm nach Hause. Wütend wirft er es auf den Tisch. Und an
welcher Stelle blättert es sich auf? Verdi schaut es an und liest: „Va
pensiero, sull’ali dorate“ - „Flieg, Gedanke, auf goldenen Flügeln“.
Verdi schlägt es wieder zu. „Nein, nein, nein“ und legt sich zu Bett. Nach
einer Viertelstunde steht er wieder auf. „Wie ... wie war das?“ Er liest es
noch einmal. „Na ja, ein paar Noten kann ich ja schreiben. Er geht zum Klavier
und notiert einige Noten. Und er schreibt die Melodie, die weltberühmt werden
sollte. „Va pensiero, sull’ali dorate.“ Er bringt es wieder zur Scala, und
etwa ein Jahr später hat die Oper Premiere. Donizetti - Sie kennen Donizetti?
– war im Theater. Am Donnerstag davor sagte ihm ein Bühnenarbeiter: „Gehen Sie
ruhig, Sie haben heute doch schon die Probe gesehen.“ Er antwortete: „Nein,
nein, ich bleibe.“ Als dann der Chor „Va pensiero“ anfing, waren alle, die im
Theater arbeiteten, wie erstarrt. Und am Sonntag war die Premiere von
Nabucco. Und nachdem er gerade noch völlig unbekannt gewesen war,
spielte bald jede Drehorgel in Mailand diese Melodien. Alle Nudelsoßen waren
„alla Verdi“, die Hüte waren „alla Verdi“, die Kleidung war „alla Verdi“,
seine große Karriere begann.
Verdi sagte später: „Seither hatte ich nie wieder Ruhe.“ Er schuftete sich
halbtot und kam nie aus seinem Zimmer heraus.
Die Frau, die ihm half, das zu bewältigen, war Giuseppina Strepponi, die
zehn Jahre lang mit ihm zusammenlebte.
Italien einen durch Schönheit
Was das Risorgimento angeht, die Bewegung, die Italien geeint hat: Verdi
stand in Verbindung mit Mazzini und Garibaldi und mit Alessandro Manzoni, der
damals den Roman I Promessi Sposi (Die Brautleute) geschrieben und
damit Italien seine Sprache gegeben hatte. Alle Opern, die Verdi danach
komponierte - I Lombardi alle Prima Crocciata (Die Lombarden auf dem
ersten Kreuzzug), Giovana d’Arco (Johanna von Orleans) - handelten von
der Tyrannei des Herrscherhauses.
Italien wird geeint. Italien wird eins, im Jahre 1870 entsteht ein Land
namens Italien.
Verdis Taufname lautete Giuseppe Fortunino Francesco Verdi. Und durch ihn
wurde das Land geeinigt, die Italiener wurden geeint, und er liebte alle, die
ihm halfen.
Aber meine Damen und Herren, da ist etwas, was ich Ihnen heute vorlesen
möchte, und ich möchte mit dieser Geschichte für Sie schließen. Heute haben
alle über die Natur, über die Einheit, das Eine gesprochen. Es gibt zufällig
jemanden in Italien, der ist der Schutzpatron Italiens, es ist der heilige
Franziskus von Assisi. Wir befinden uns in der Mitte des 13. Jahrhunderts. Die
Worte sind religiös, aber die Weisheit gilt für alle Religionen. Und sie geht
über die Religion hinaus, zum Kern der Wahrheit, und die Wahrheit, meine Damen
und Herren, kann man nicht lernen, sie wird offenbart, und sie offenbart sich
nur jenen, die ein reines Herz haben. Man nennt es das
Friedensgebet des Hl. Franziskus
Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens,
daß ich liebe, wo man haßt;
daß ich verzeihe, wo man beleidigt;
daß ich verbinde, wo Streit ist;
daß ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
daß ich den Glauben bringe, wo Zweifel droht;
daß ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
daß ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
daß ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, laß mich trachten,
nicht, daß ich getröstet werde, sondern daß ich tröste;
nicht, daß ich verstanden werde, sondern daß ich verstehe;
nicht, daß ich geliebt werde, sondern daß ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Das ist die Botschaft der Einheit: Wenn wir alle, jeder von uns, ein wenig
Verantwortung übernehmen, dann wird die Welt eine andere werden. Dazu ist
jetzt die Zeit, sonst ist es zu spät.
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