Weltweite Aufbruchstimmung mit der Neuen Seidenstraße!
Welche Rolle spielt Deutschland?
Von Helga Zepp-LaRouche
Bei der Münchner Konferenz zum 100. Geburtstag des
deutsch-amerikanischen Raumfahrtpioniers Krafft Ehricke am 25. März 2017 hielt
Helga Zepp-LaRouche den folgenden Vortrag.
Die Schönheit der chinesischen Musik1 hat uns, glaube ich, wohl
gestimmt, Krafft Ehrickes Geburtstag zu gedenken und auch zu feiern. Denn
Krafft Ehricke ist ohne Zweifel - das ist zumindestens meine bescheidene
Meinung - einer der größten Deutschen, die jemals gelebt haben. Denn er hat
eine Vision entwickelt, wo die Menschheit hingelangen kann, und ich betrachte
es als ein sehr großes Privileg, daß ich ihn persönlich kennenlernen durfte.
Ich hatte 1982 die Chance, mit ihm gemeinsam in verschiedenen Städten in
Deutschland einige Vorträge zu halten, und ich kann das Bild, das seine
Tochter so ungeheuer liebevoll gezeichnet hat,2 aus eigener
Anschauung bestätigen: Er war ein unglaublich humanistischer Mensch, enorm
gebildet in der klassischen Kultur, er war ein Genie, er war so sprudelnd
voller Ideen, daß es wirklich eine der Sternstunden des Lebens ist, eine
solche Persönlichkeit kennenzulernen. Und ich möchte Sie alle ermuntern: Es
gibt zum Glück noch einige Videopräsentationen von ihm, die im Internet zu
sehen sind, und ich möchte Sie alle wirklich motivieren, daß Sie sich selber
mit ihm bekannt machen.3
Ich bin auch sicher, wenn Krafft Ehricke heute hier wäre bzw. in unserer
Zeit heute leben würde, daß er unglaublich optimistisch wäre, daß seine
Vision, die in seiner Lebenszeit oftmals bekämpft wurde - nicht nur seine
Lebensvision, sondern überhaupt die Fortführung der Raumfahrt hatte mit
unheimlichen Widersprüchen und Widerborstigkeiten zu kämpfen -, verwirklicht
wird. Er würde erkennen, daß wir heute wirklich die strategische Konstellation
haben, die die Realisierung seiner Vision in greifbare Nähe bringt. Es wurde
schon über das chinesische Raumfahrtprogramm gesprochen, das vielleicht
wirklich jetzt schon der „Frosch“ ist,4 denn Chinesen haben die
Vision, Helium-3 auf der Rückseite des Mondes abzubauen für die zukünftige
Kernfusionsökonomie auf der Erde. Das wird zwar auch bei der ESA diskutiert,
aber ich glaube, daß China die meisten Forscher und Wissenschaftler im Bereich
der Raumfahrt weltweit ausbildet, und deshalb bin ich optimistisch, daß dieses
„leap-frogging“, also diese Froschsprünge, durchaus weitergehen werden.
Auch wenn man die Zusammenarbeit der BRICS-Staaten im Bereich der Raumfahrt
sieht: Indien wurde auch erwähnt, es hat ja auch schon erfolgreiche
Mars-Missionen gemacht, und das, wie (Ministerpräsident) Modi sagte, zu einem
Zehntel der Kosten, die die NASA dafür gebraucht hat. Es sind also
unglaubliche Entwicklungen im Gang.
Die Idee von Krafft Ehricke, daß die Erforschung und Besiedelung des
Weltraums eine evolutionäre Notwendigkeit ist, ohne die die Menschheit nicht
auf Dauer existieren kann, das ist der andere Punkt. Es ist nicht eine Option,
nicht eine freiwillige Sache, sondern wir müssen es tun, weil spätestens in
zwei Milliarden Jahren die Sonne nicht mehr so gemütlich sein wird, so daß wir
bis dahin andere Lösungen gefunden haben müssen.
Aber das wichtigste an Krafft Ehricke, warum er so ungeheuer modern und
ungeheuer wichtig ist: Seine Vision, und natürlich die Raumfahrt insgesamt,
aber besonders seine Vision, impliziert die Idee einer offenen Welt - daß die
Welt eben kein geschlossenes System mit begrenzten Ressourcen ist, sondern ein
integraler Teil des Universums, und daß die menschliche Kreativität in diesem
Universum eine gestaltende, physische Kraft ist.
Epochenwechsel
Ich behaupte, daß wir gerade jetzt einen Epochenwechsel erleben, wo diese
Idee sich durchzusetzen beginnt, d.h., es ist eine weltanschauliche Revolution
im Gang. Die haben Sie bestimmt noch nicht festgestellt, wenn Sie nur den
„Sonntags-Stammtisch“ im Bayerischen Rundfunk kucken oder die
Bild-Zeitung oder den Spiegel oder die FAZ lesen, das
heißt aber nicht, daß die Realität nicht so ist. Wir haben, das ist meine
These, im Augenblick einen Epochenwandel mitten im Gang, der nicht weniger
fundamental ist als der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit.
Wenn Sie sich die Axiomatik des Mittelalters kurz vergegenwärtigen: Die
bestand aus der Scholastik, den Peripatetikern, Aberglaube und ähnlichen
Axiomen, und dann kam eine Renaissance, die italienische Renaissance im 15.
Jahrhundert, durch Denker wie Nikolaus von Kues, Brunelleschi, die Renaissance
des gesamten Platon-Werkes, das 1700 Jahre in Europa total vergessen gewesen
war.
Damit entstand ein völlig neues Weltbild, das das Individuum, die Rolle des
Menschen, vollkommen anders verstand, aber auch die Grundlagen schaffte für
die Entstehung der modernen Naturwissenschaft, der klassischen Kunst, des
souveränen Staates und ähnlicher Entwicklungen, von denen wir eigentlich in
den letzten 600 Jahren gezehrt haben.
Einen solchen oder vielleicht noch dramatischeren Epochenwandel erleben wir
jetzt gerade, und ich wage die Prognose, daß alle Axiome, die mit diesem alten
Paradigma zu tun haben - wie die Idee der Grenzen des Wachstums, die
neoliberale Idee, daß Geld das gleiche sei wie Reichtum, daß der Mensch
eigentlich nur eine Belastung für die Umwelt darstellt und je weniger da sind,
um so besser, die neokonservative Idee der Geopolitik, daß Außenpolitik immer
ein Nullsummenspiel sein müsse, wo, wenn der eine gewinnt, der andere verliert
- daß alle diese Ideen sehr bald in der Mülltonne der Geschichte landen werden
und ein neues Paradigma dabei ist, zu entstehen, nämlich das Ideal der
geeinten Menschheit. Daß die Menschheit, zumindestens in großen Teilen, dabei
ist, eine gemeinsame Ebene der Vernunft zu etablieren, wo vor den nationalen
Interessen die gemeinsamen Ziele der Menschheit definiert werden. Und es gibt
im Augenblick zwei wesentliche Dynamiken, wo diese neue Sicht der Dinge dabei
ist, sich zu verwirklichen.
Das eine ist, da werde ich gleich ausführlicher darüber sprechen, Chinas
Politik der Neuen Seidenstraße, was schon jetzt, nach dreieinhalb Jahren, das
größte Infrastrukturprogramm in der Geschichte der Menschheit ist, das schon
70 Nationen umfaßt, 4,5 Milliarden Menschen. Es ist schon jetzt zwölfmal so
groß wie der Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg, und es ist unbegrenzt in
seinem Wachstum.
Dieses neue Paradigma der „One Belt, One Road Initiative“ oder der Neuen
Seidenstraße hat schon jetzt bei vielen Völkern in der Welt zu einem
beispiellosen Optimismus geführt, z.B. in Afrika, wo die Menschen zum ersten
Mal die berechtigte Hoffnung haben, daß sie ihre Unterentwicklung mit der
Hilfe Chinas bald überwinden können.
Dieses neue Paradigma, eben weil es auf einer Win-Win-Kooperation basiert,
wo der eine - China - zwar Vorteile hat, aber die anderen, kooperierenden
Staaten ebenso, ist langfristig die Basis für einen dauerhaften Weltfrieden,
eben gerade deshalb, weil es im Interesse eines jeden Staates ist, daß sich
die anderen auch entwickeln, weil sonst die eigene Entwicklung gefährdet
ist.
Die neue US-Präsidentschaft
Die zweite Dynamik, die zu diesem Optimismus Anlaß gibt - und das wird
jetzt einige überraschen und einige werden mir erstmal nicht zustimmen, aber
die bitte ich um Geduld, wenn ich mich jetzt einmal in die Niederungen der
amerikanischen Politik begeben muß: Der zweite Punkt ist der Wahlsieg von
Donald Trump. Und ich möchte Sie wirklich bitten, daß Sie erst einmal alles
vergessen, was Sie in der Bild-Zeitung auf Seite 2 jemals gelesen
haben, denn das ist psychologische Kriegsführung, es ist schwarze Propaganda,
wie es eigentlich nur in Kriegszeiten über den Gegner gemacht wird - gegen
Präsident Trump, gegen den die Repräsentanten des untergehenden Paradigmas,
des neoliberalen Paradigmas - die Medien, die Geheimdienste und das Britische
Empire - absoluten Krieg führen.
Ich möchte jetzt nur auf einige Aspekte seiner jüngsten Reden eingehen, die
er in Detroit, Tennessee, Kentucky und Washington gehalten hat, wo er ganz
emphatisch den Aufruf macht, daß die USA zum Amerikanischen System der
Ökonomie zurückkehren sollen. Insbesondere hat er den ersten republikanischen
Präsidenten, Lincoln, zitiert, der schon als junger Kongreßabgeordneter oder
Kandidat für das Amt des Kongresses mit 23 Jahren, 1832, in der Wahlkampagne,
für den Bau einer Eisenbahn in Amerika warb, ohne daß er jemals auch nur eine
Dampfmaschine zu Gesicht bekommen hatte. Er hat dann später, 30 Jahre später,
als Präsident das Gesetz für die Transkontinentale Eisenbahn unterzeichnet,
die die Ostküste und die Westküste [der Vereinigten Staaten] miteinander
verbunden hat.
Dann zitiert Trump in ähnlicher Weise Präsident Eisenhower, der als
Offizier nach dem Ersten Weltkrieg in einem militärischen Konvoi entlang des
Lincoln Highway reiste, was einen so großen Eindruck auf ihn machte, daß er
ebenfalls 30 Jahre später als Präsident das Gesetz für das Interstate Highway
System unterschrieb. Und dann sagt Trump: Wir brauchen heute wieder das
Amerikanische System, die Politik von George Washington, Alexander Hamilton,
Henry Clay, Lincoln.
Es ist den meisten Leuten nicht bekannt, was dieses Amerikanische System
ist, aber das war die Gründungsidee Amerikas, gegen das Britische Empire.
Andere Ideen, die Trump erwähnt hat: daß er eine Billion in Infrastruktur
investieren will, daß er keine Interventionskriege mehr führen will wie Bush
und Obama, daß er die Beziehungen zu Rußland und China auf Kooperation und
Zusammenarbeit stellen will, und ähnliches mehr. Das sind eigentlich Ziele,
wie Frieden mit Rußland und China, worüber sich doch jeder in Deutschland
absolut freuen müßte und sagen, endlich gibt es eine Hoffnung, daß diese
Kriegsgefahr überwunden werden kann!
Woher kommt aber dann diese unglaubliche Aufregung? Woher kommt es, daß das
gesamte Establishment im Schockzustand ist? Obwohl Trump jetzt schon vier
Monate gewählt ist, findet jetzt praktisch ein Krieg statt, von Hillary
Clinton, von der Demokratischen Partei, von den Neocons, die jetzt eine
sogenannte narrative, ein Narrativ oder Lügenmärchen, erfunden haben,
warum Hillary Clinton die Wahl verloren hat: Daß sie eben nicht, wie es
wirklich der Fall war, die Wahl verloren habe, weil sie dieses alte Paradigma
repräsentiert, was einen Großteil der Menschen abhängt, weil sie zu arrogant
war, zu den „Bedauerungswürdigen“ im rust belt, also im Rostgürtel,
überhaupt auch nur hinzufahren - sondern die Narrative ist, daß Trump die Wahl
gewonnen habe, weil Putin ihm dazu verholfen habe, daß russische Hacker die
E-Mails der Demokratischen Partei manipuliert hätten. Darüber geht natürlich
verloren, was in den E-Mails stand, daß nämlich die Demokratische Partei
Bernie Sanders benachteiligt hat und Hillary völlig illegal bevorzugt hat. Und
natürlich auch die Rede, die Hillary vor den Wall-Street-Banken gehalten hat,
das wurde damit überhaupt erst bekannt.
Jetzt haben aber viele Mitglieder der Geheimdienste, sogenannte
„Whistleblower“, wie Binney - der derjenige war, der die NSA-Ausspähprogramme
entwickelt hat, also jemand, der wirklich genau weiß, wie das funktioniert -
und einige andere gesagt: Nein, es ist völlig klar, wenn es Rußland gewesen
wäre, hätte man den Server absolut einwandfrei identifizieren können. Es
handelt sich vielmehr um Leaks, d.h. um die Veröffentlichung, das an die
Öffentlichkeit Spielen von geheimgehaltenen Informationen, und die Frage ist,
wer kann das überhaupt?
Die amerikanischen Geheimdienste haben dann ganz offensichtlich mit Hilfe
des britischen Geheimdienstes, also nicht nur dem ehemaligen MI-6-Agenten
Christopher Steele, Dossiers über Trump verfaßt, die dann auch an die
Öffentlichkeit geleakt wurden. Jetzt wird untersucht, daß das britische
Äquivalent der NSA, das GCHQ, diese Arbeiten für die amerikanischen
Geheimdienste ausgeführt hat. Das wird jetzt alles im Kongreß untersucht, und
der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, Nunes, hat gerade gesagt, es gibt
bisher nur eine einzige kriminelle Handlung, die man sich anschauen kann, und
das sind die illegalen Veröffentlichungen. Und nicht etwa Hacking. Wenn Sie
die Bild-Zeitung lesen, lesen Sie genau das Gegenteil, daß jetzt ein
Watergate ins Haus steht und ähnliches. Das wird aber weiter untersucht, am
kommenden Dienstag [28.3.] wird Nunes ein geschlossenes Hearing abhalten, wo
er mit der Kooperation der NSA und der Nicht-Kooperation des FBI und der CIA
weitere Untersuchungen machen wird.
Mir hat vor wenigen Tagen ein führender Journalist von einem
öffentlich-rechtlichen Sender gesagt, daß es intern die Parole gibt, daß keine
Sendung über Trump anmoderiert werden darf, ohne daß man abfällige Bemerkungen
macht.
Woher kommt diese ganze Dynamik? Ist es so, wie der französische
Geheimdienst nach der Wahl von Trump vermutete, daß es nur das alte
Establishment ist, das Angst hat, seine Privilegien zu verlieren, und damit
natürlich Einkommen? Oder gibt es eine tiefere Dynamik? Und natürlich bin ich
der zweiten Auffassung, daß es bei diesem Konflikt um das geht, was Friedrich
List, der deutsche Ökonom, der einige Jahre in Amerika verbracht hat, damals
als die totale Auseinandersetzung zwischen dem „Britischen System der
Ökonomie“ und dem „Amerikanischen System der Ökonomie“ bezeichnet hat.
Denn das englische System basiert auf Freihandel, billig einkaufen, teuer
verkaufen, Kontrolle von Rohstoffen, möglichst billige Arbeitskräfte,
möglichst wenig Sozialausgaben, Kontrolle des Handels. Demgegenüber ist das
Amerikanische System, was wesentlich zurückgeht auf Alexander Hamilton, die
Idee, daß die einzige Quelle des Reichtums die Kreativität der Arbeitskraft
ist, und daß es deshalb für eine Ökonomie notwendig ist, den Binnenmarkt mit
protektionistischen Maßnahmen zu schützen, um die Entwicklung der eigenen
Arbeitskraft zu maximieren.
Dazu gehören auch die von Alexander Hamilton geschaffene Nationalbank und
ein Kreditsystem, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind, dazu gehören
Investitionen in die Realwirtschaft wie z.B. Infrastruktur und
wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt, mit dem Ziel der
Steigerung der Produktivität. Das ist exakt die Politik, die von Washington,
Alexander Hamilton, John Quincy Adams, Lincoln und Franklin D. Roosevelt
verwirklicht wurde und auf die sich Trump jetzt explizit bezieht.
Man sollte sich daran erinnern: Die Amerikanische Revolution oder der
Amerikanische Unabhängigkeitskrieg wurde ja geführt gegen das Britische Empire
mit dem Ziel, das Recht auf die eigene Manufaktur durchzusetzen, was die
Kolonialherren damals verweigert hatten. Und das Britische Empire hat den
Verlust seiner wichtigsten Kolonie, nämlich Amerikas, nie verwunden, sondern
mit allen Mitteln immer versucht, diesen Vorgang rückgängig zu machen, erst
durch den Krieg von 1812 militärisch, dann durch den Bürgerkrieg gegen
Lincoln, bei dem England bzw. Großbritannien mit den Südstaaten alliiert war,
die es auch finanziert hat. General Lee hat direkt Gelder bezogen über Banken
in Boston und Philadelphia.
Dann, nachdem der Bürgerkrieg gegen Lincoln verloren wurde, hat man
überlegt, daß man militärisch die Kolonien nicht mehr zurückgewinnen könne,
sondern man es jetzt durch Subversion versuchen müßte oder, anders
ausgedrückt, durch die „Offene Verschwörung“, wie H.G. Wells das genannt hat:
daß man nämlich das amerikanische Establishment überzeugt, zusammen mit
Großbritannien auf der Basis der „anglo-amerikanischen Sonderbeziehung“ eine
unipolare Welt zu errichten, ein world empire. Und das war die Lage
zwischen Churchill und Truman, zwischen Bush senior und Thatcher, Blair und
Bush, Cameron und Obama.
In Deutschland ist diese Thematik ebensowenig bekannt wie die Tatsache, daß
Bismarck auf der Basis des Amerikanischen Systems der Ökonomie Deutschland von
einem Feudalstaat innerhalb von wenigen Jahren zur Industrienation entwickelt
hat, weil er von den Theorien von Henry C. Carey erfahren hatte. Denn der
damalige Vorsitzende des deutschen Industrieverbandes (Centralverband
Deutscher Industrieller), Wilhelm von Kardorff, war ein glühender Anhänger von
Friedrich List und Henry Carey, und er nahm das Beispiel der amerikanischen
Industrialisierung unter Lincoln zum Vorbild für die Verwandlung von
Deutschland. Er schrieb damals ein kleines, aber sehr lesenswertes Buch, das
hieß Gegen den Strom, wo die Unterschiede zwischen dem Amerikanischen
und dem Britischen System sehr gut erklärt sind.
Abb. 1: Die Infrastrukturkorridore der vom Schiller-Institut vorgeschlagene
Weltlandbrücke
Abb. 2: Die Korridore der Gürtel- und Straßen-Initiative zur See
und auf dem Land
Die Neue Seidenstraße
Das ist also die eine Dynamik, daß nämlich, wenn Amerika zu seinen Wurzeln
zurückkehrt und vor allen Dingen das Verhältnis zu Rußland und China auf eine
gute Basis stellen will, daß dann im Grunde alles möglich sein wird. Und das
ist als Potential absolut da, denn wie gesagt, die Neue Seidenstraße ist
keineswegs nur eine Verbindung von Chongqing nach Duisburg oder von Yiwu nach
Hamburg, sondern es ist viel mehr in der Planung.
Wir sind da kein passiver Zuschauer, wir erheben schon den Anspruch, daß
die Neue Seidenstraße auch unser „Baby“ ist. Denn das ist die Konzeption, die
wir nach dem Kollaps der Sowjetunion 1991 vorgeschlagen haben und an der wir
die letzten 26 Jahre gearbeitet haben (Abbildung 1).
Die Neue Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke - das ist der Name
einer Studie, die wir inzwischen auf Englisch, auf Arabisch, auf Chinesisch
veröffentlicht haben und sehr bald auch auf Deutsch veröffentlichen werden.
Und wenn man sich jetzt anschaut, wie dieses Konzept, das Xi Jinping 2013 zum
ersten Mal in Kasachstan als Idee und Programm präsentiert hat, wie dieses
Konzept in den letzten dreieinhalb Jahren sich explosionartig ausbreitet, dann
sieht man, daß da eine totale Transformation stattfindet.
Zu der Seidenstraße (Abbildung 2) gehört die „Maritime Seidenstraße
des 21. Jahrhunderts“ in der Tradition von Admiral Zheng He, der im 15.
Jahrhundert schon Reisen nach Venedig, nach Afrika, in den asiatischen Pazifik
gemacht hat. Heute verbindet sie die Häfen aller dieser asiatischen Staaten
miteinander und weiter bis nach Hamburg und Rotterdam.
Dazu gehören inzwischen sechs Wirtschaftskorridore, es nehmen inzwischen
über 70 Nationen teil, 4,4 Milliarden Menschen, und insgesamt sind 21
Billionen Dollar an Investitionen geplant.

Abb. 3: Der Wirtschaftskorridor China-Mongolei-Rußland
Abb. 4: Die bereits bestehenden Strecken der „Eisernen Seidenstraße“, auf denen regelmäßig – zum Teil täglich – Güterzüge zwischen China und Europa verkehren

Abb. 5: Der Wirtschaftskorridor China-Zentral- und Westasien entlang der
historischen Seidenstraße

Abb. 6: Der Wirtschaftskorridor Bangladesh-China-Indien-Myanmar
Abb. 7: Die Neue Eurasische Landbrücke.
Die verschiedenen Korridore wachsen mit großer Geschwindigkeit. Das
(Abbildung 3) ist ein Abkommen zwischen China, der Mongolei und
Rußland, es wurde beim SCO-Meeting 2016 beschlossen und umfaßt 32 Projekte.
Dies (Abbildung 4) sind die inzwischen zum Teil täglich stattfindenden
Seidenstraßen-Züge von verschiedenen chinesischen Städten, von Yiwu, Xi’an,
Chongqing und verschiedenen anderen, nach Duisburg, Lyon, Hamburg, Rotterdam.
Inzwischen fährt täglich ein Zug von Chongqing nach Europa.
Das (Abbildung 5) war die ursprüngliche Idee, China mit den zentral-
und westasiatischen Staaten zu verbinden, das (Abbildung 6) ist ein
Korridor durch Bangladesch, Indien, China, Myanmar, was eine totale
Transformation dieser Region der Welt bedeutet, und das (Abbildung 7) ist die
neue Eurasische Landbrücke.
Abb. 8: Das von dem italienischen Ingenieurbüro Bonifica ausgearbeitete
Transaqua-Projekt soll das Austrocknen des Tschadsees rückgängig machen, die
Machbarkeit wird jetzt vom chinesischen Wasserbaukonzern Power China geprüft.
Abb. 9: Die Ende der 1970er Jahre von Lyndon LaRouche vorgeschlagenen
Infrastrukturkorridore für Lateinamerika (blau), und die heute von China
vorgeschlagenen Projekte (rot).
Also, es gibt verschiedene Komponenten, die alle wahnsinnig schnell
wachsen.
Nun, für Afrika ist das ein absolutes Novum, denn gerade auch die Banken,
die von China und den BRICS-Staaten gegründet worden sind, wurden geschaffen
mit dem expliziten Ziel, den Mangel an Investitionen in Infrastruktur, der in
den letzten Jahrzehnten von IWF, Weltbank usw. bestand, zu kompensieren, und
diese Banken dienen ausschließlich für Investitionen in Infrastruktur und
nicht für Spekulationen.
Vor etwa vier Wochen wurde die erste Eisenbahnlinie von Äthiopien - Addis
Abeba - nach Dschibuti in Betrieb genommen, die war schon im letzten Herbst
fertig, aber sie wurde dann noch einmal mit Sicherheitsmaßnahmen überarbeitet.
Inzwischen ist eine weitere Eisenbahn im Bau, von Ruanda nach Uganda bis zum
Kongo...
Das hier (Abbildung 8) ist ein anderes Projekt, das ist Transaqua,
ein Projekt, für das Lyndon LaRouche und das Schiller-Institut sich schon seit
40 Jahren einsetzen. Es wurde ursprünglich von italienischen Ingenieuren
entwickelt und ist die Idee, wie man das Austrocknen des Tschadsee umkehren
kann. Der Tschadsee ist nämlich bis auf 10% seiner ursprünglichen Wassermenge
ausgetrocknet. Und dies ist die Idee, daß man die ungenutzten Wassermengen aus
der Kongoregion in etwa 500 m Höhe - also nicht den eigentlichen Kongo-Fluß,
sondern die Zuflüsse zum Kongo - durch ein Fluß- und Kanalsystem zum Tschadsee
umleitet und damit für zwölf Anrainerstaaten landwirtschaftliche Produktion
durch Bewässerung mit Kanalisierung der Flußsysteme schafft, und daß man die
Industrialisierung von Afrika damit vorantreiben kann. Das wird jetzt zum
ersten Mal durch eine chinesische Firma geprüft, nämlich Power China, das ist
die gleiche Firma, die auch den Drei-Schluchten-Damm verwirklicht hat. Die
haben jetzt eine Machbarkeitsstudie im Gang, und das wird sehr bald dazu
führen, daß pro Jahr 100 Mrd. m3 Wasser in den Tschadsee fließen
können.
Das (Abbildung 9) ist das Gesamtprogramm für Südamerika. Die blaue
Linie ist ein Programm, das Lyndon LaRouche schon Ende der 1970er Jahre
zusammen mit Lopez Portilla, dem damaligen Präsidenten von Mexiko, vorgehabt
hat, was aber durch die Sabotage von Brasilien und Argentinien damals nicht
vollendet wurde, aber jetzt gehört auch diese transkontinentale „Biozeanische
Eisenbahn“ nach Peru zum Netzwerk der Neuen Seidenstraße. Ein positiver Punkt
ist, daß sich jetzt zum ersten Mal auch Deutschland am Ausbau einer anderen
Strecke über Bolivien mit Investitionen beteiligen will. Das ist also ein
kleiner Lichtblick.
Diese Gesamtkonzeption hat in den letzten sechs Monaten explosionsartig
zugenommen. Denn am Anfang war Rußland sehr skeptisch gegenüber der Neuen
Seidenstraße. Die zentralasiatischen Staaten waren skeptisch oder haben sich
gestritten: Sollen die Eisenbahnen von West nach Ost bzw. Ost nach West gebaut
werden - oder von Nord nach Süd? Aber inzwischen hat sich das alles in
Wohlgefallen aufgelöst. Am 2. und 3. September vorigen Jahres hat auf dem
großen Wirtschaftsforum in Wladiwostok die Integration der Neuen Seidenstraße
mit der Eurasischen Wirtschaftsunion stattgefunden, dazu hat sich jetzt auch
Japan hinzugesellt mit riesengroßen Investitionen im Fernen Osten Rußlands.
Dieser Prozeß ging weiter auf dem G-20-Gipfel in Hangzhou Anfang September,
dann ging es weiter mit dem ASEAN-Treffen in Laos.
China hat in diesem Prozeß die klare Führung übernommen, schon beim
G-20-Gipfel, wo sie gesagt haben, daß sie ab sofort die Weltwirtschaft auf
Innovation gründen wollen und Entwicklungsländer an den wissenschaftlichen und
technologischen Durchbrüchen beteiligen wollen, um deren Entwicklung nicht
länger aufzuhalten. China hat es zur Absicht erklärt, die Armut auf dem ganzen
Planeten bis zum Jahr 2025 zu überwinden.
Es ging dann weiter mit dem APEC-Treffen in Lima im November letzten
Jahres, und inzwischen ist sogar auch einigen (westlichen) Denkfabriken klar
geworden, daß die frühere negative Haltung nicht mehr angebracht ist. Z.B. hat
PricewaterhouseCooper eine umfangreiche Studie gemacht, wo sie sagen,
inzwischen ist die chinesische Wirtschaft längst die Lokomotive der
Weltwirtschaft, und das wird auch so bleiben. Forbes Magazine hatte
etwa sieben relativ objektive Artikel über die ganzen Projekte. Es setzt sich
inzwischen die Einsicht durch, daß damit eine Dynamik entsteht, die nicht mehr
aufzuhalten ist.
Und wie gesagt, am 6.-7. April hat Präsident Trump Präsident Xi Jinping auf
sein Anwesen nach Mar-a-Lago in Florida eingeladen, und alles spricht dafür,
daß die Chinesen große Investitionen in den Aufbau der Infrastruktur in
Amerika machen. Es gab eine Konferenz in Hongkong, wo chinesische Ökonomen
gesagt haben, der Bedarf in Amerika für Infrastruktur ist nicht eine Billion,
sondern acht Billionen. Japan hat schon gesagt, daß sie sich dort mit 150
Milliarden an einem Ausbau von Schnellbahnen beteiligen wollen, China hat
mehrfach gesagt – z.B. (die Vizeaußenministerin) Madame Fu Ying, die praktisch
die wichtigste Frau in China ist –, daß die Seidenstraße die Brücke zwischen
Amerika mit der amerikanischen Infrastrukturentwicklung und der eurasischen
Seidenstraße werden kann. Also es sind sehr, sehr hoffnungsvolle Dinge im
Gang.
Eine Frage des Menschenbilds
Warum ist das so ungeheuer wichtig? Die gesamte transatlantische Welt wurde
in den letzten Jahrzehnten von dem Paradigma eines geschlossenen Systems und
Nullwachstum dominiert.
Noch einen Schritt zurück: In den 1950er und 1960er Jahren galt es als
vollkommen selbstverständlich, daß die Armut in der Dritten Welt irgendwann
einmal überwunden werden würde. Es gab damals die UN-Entwicklungsdekaden, wo
man alle zehn Jahre festsetzen wollte, wieviel hat man erreicht, wieviel muß
man in den nächsten zehn Jahren erreichen, um schließlich die Armut, die
Unterentwicklung auf diesem Planeten vollkommen zu eliminieren.
Aber diese normale, menschlichen Orientierung wurde unterbrochen durch eine
ganze Reihe von Propagandamaßnahmen. Die vielleicht gravierendste war die
Veröffentlichung des Buchs Grenzen des Wachstums 1972 durch den Club of
Rome. Mit ihrem Computermodell haben die Autoren Forrester und Meadows einfach
ein erwünschtes Ergebnis festgesetzt und dann das Programm so programmiert,
daß genau das herauskam, Und sie haben mathematische lineare Gleichungen
benutzt, um dieses Ergebnis zu kriegen. und haben einen absoluten Schwindel
angewandt, sie haben nämlich die Idee des wissenschaftlichen und
technologischen Fortschritts und die dadurch ausgelöste Neubestimmung dessen,
was Rohstoffe und andere Produktionsmethoden sind, vollkommen
herausgelassen.
Dieses Buch wurde mit großem Propagandaaufwand in alle Sprachen übersetzt
und verteilt, und es hatte die Grundidee: Bis 1971 hat sich die Welt
entwickelt, und jetzt haben wir ein Gleichgewicht erreicht, wir nähern uns dem
asymptotisch an, und jetzt müssen wir nachhaltig sein. Jetzt müssen wir
sparen, vor allem Energie müssen wir sparen, und es gibt keinen
technologischen Fortschritt mehr, sondern „angemessene“, „appropriate
technology“, was dann übersetzt heißt: gar keine Technologie.
Damit einher ging auch die Idee, daß wir ein erdgebundenes System sind und
Überbevölkerung das größte Problem ist, daß Menschen eigentlich Parasiten
sind, die die Umwelt belasten, und je weniger Menschen, desto besser.
Nun, ganz neu waren diese Ideen auch nicht, denn das war implizit schon das
Thema der Amerikanischen Revolution. Benjamin Franklin hatte 1751 ein Essay
geschrieben „Beobachtungen bezüglich des Bevölkerungswachstums“,5
wo er argumentierte: Je mehr Menschen da sind, desto besser, denn jeder Mensch
bringt sein eigenes kreatives Potential mit zur menschlichen Gesellschaft und
macht die Gesellschaft deshalb insgesamt reicher.
Die Gegenseite verkörperte damals Thomas Malthus, der schrieb „Das
Bevölkerungsgesetz“6, und der hatte bekanntlich die Idee, daß immer
zu viele Menschen da sind, als daß man sie durch Landwirtschaft ernähren kann,
und man deshalb auch die Bevölkerung reduzieren muß. Und er stand genau wie
alle anderen britischen Ökonomen - Adam Smith, Jeremy Bentham, John Stuart
Mill, Richard Riccardo - im Dienste der British East India Company, die
bekanntermaßen ihren Reichtum durch Sklavenhandel und den Opiumhandel weltweit
verdiente.
Also, worum es eigentlich geht, damals und ganz besonders heute, das ist
das Menschenbild. Lyndon LaRouche hat darüber unendlich viel geschrieben, und
ich möchte Sie auch alle bitten, die Artikel meines Ehemanns zu lesen, denn er
hat im Grunde am klarsten ausgearbeitet, worin dieses kreative Potential des
Menschen besteht. Im Unterschied zu allen anderen Lebewesen und Tieren, die
zwar auch intelligent sind, ist der Mensch die einzige Gattung, die ständig
die Grundlagen ihrer Existenz durch wissenschaftlichen und technologischen
Fortschritt erneuern kann.
LaRouche hat den Bezug hergestellt zwischen der relativen potentiellen
Bevölkerungsdichte und der jeweiligen Energieflußdichte, die im
Produktionsprozeß benutzt wird. Da kann man ganz klar sehen, daß seit der
Zeit, als die Menschen noch Jäger und Sammler waren und die Energieflußdichte
noch extrem gering war, nämlich Sonnenenergie und Windenergie, der Mensch sich
inzwischen durch eine Erhöhung der Energieflußdichte um mehrere
Größenordnungen vermehren konnte und einen viel besseren Lebensstandard hat,
höhere Lebenserwartung, insgesamt menschlichere Möglichkeiten. Und es ist
jetzt schon in Reichweite, da China auch an dem Programm mit dem
EAST-Fusionsprogramm führend forscht und diese Idee hat, daß sehr bald
Helium-3 als Treibstoff für die kommende Fusionsökonomie auf der Erde auf dem
Mond abgebaut wird.
Ehricke und die nächste Stufe der Evolution
Was hat das alles mit Krafft Ehricke zu tun? Krafft Ehricke hat sehr klar
gesagt, daß die Erschließung des Weltraums und seine Besiedelung die
notwendige nächste Stufe der Evolution der Menschheit sei. Er hat wirklich
sehr, sehr phantastisch entwickelt, wie sich das menschliche Leben oder
überhaupt Leben zunächst einmal von den Ozeanen auf die Kontinente
ausgebreitet hat, mit Hilfe der Photosynthese, was er interessanterweise als
die „erste industrielle Revolution“ bezeichnet hat, wo die Grenzen des
Wachstums durchbrochen wurden, und wie sich dann durch die Evolution jeweils
höhere Lebewesen entwickelt haben, deren Metabolismus jeweils eine höhere
Energieflußdichte hatte, bis schließlich der Mensch erschien.
Und der Mensch ist eben absolut verschieden von allen früheren
Lebensformen, weil er, so Krafft Ehricke, etwas hat, was er den
„Informations-Metabolismus“ nennt: die Fähigkeit des Menschen, Informationen
aufzunehmen, darin verschiedenen Aspekte durch Abstraktion zu differenzieren,
sie dann sowohl im Geist als auch in Maschinen zu akkumulieren und nutzbar zu
machen.
Er betont also, kein Zweifel, daß Tiere intelligent sind, daß sie sogar
unglaubliche Dinge lernen können, wie z.B. den Menschen zu manipulieren, was
ja eine hohe Intelligenz voraussetzt. Aber das Tier ist eben nicht in der Lage
zur Abstraktion, während der Mensch jede Begrenzung überwinden kann. Und seine
drei Grundgesetze zur Astronautik wurden ja heute morgen schon erwähnt: Das
erste Gesetz ist, daß unter dem Naturrecht dieses Universums nichts und
niemand dem Menschen irgendwelche Beschränkungen auferlegt, außer er
selbst.
Das ist sehr, sehr wichtig, denn das ist ein Menschenbild, das eigentlich
einmal das normale Menschenbild in Europa war. Das ist identisch mit dem
Humanismus, der Klassik, das ist identisch mit der platonischen Philosophie
und dem Christentum, das den Menschen als ungeschränkt vervollkommnungsfähiges
Wesen betrachtet, und zwar sowohl in Bezug auf seine geistigen Fähigkeiten,
als auch in Bezug auf seinen Charakter, in Bezug auf seine Emotionen, seine
ästhetische Entwicklung, da gibt es eben genauso wenig Schranken. Das war mal
das normale Menschenbild, wenn Sie z.B. Platon lesen, Augustinus, Nikolaus von
Kues, Leibniz, Kepler, dann finden Sie genau dieses Menschenbild.
Es ist heute leider nicht mehr selbstverständlich, aber Krafft Ehricke
sagte eben, daß der menschliche Geist unermüdlich Informationen metabolisieren
kann, „vom unendlich Kleinen bis zur Unendlichkeit, der die Infrastruktur des
Wissens aufbaut und seine moralischen und sozialen Hoffnungen für eine größere
und bessere Welt verfolgt, gegen viele Widerstände. Durch Intelligenzen wie
wir selbst bewegt sich das Universum - und wir darin - in den Mittelpunkt der
Selbsterkenntnis. Metallerz verwandelt sich in informationsverarbeitende
Computer, Satelliten und Raumsonden, und Atome werden verschmolzen wie in den
Sternen.“ Und dann sagt er: „Ich kann mir keine düsterere, apokalyptischere
Vision der Zukunft vorstellen als eine mit kosmischen Kräften ausgestattete
Menschheit, die zur Isolationshaft auf einem kleinen Planeten verdammt ist.“
Das ist sehr richtig.
Inspiriert wurde Krafft als zwölfjähriger Junge, als er den Film von Fritz
Lang Die Frau im Mond sah. - Der hat im übrigen auch meinen Ehemann
enorm inspiriert, der hat dann eine andere Dokumentation gemacht, Die Frau
im Mars. - Es war diese Idee, daß der Mensch die Erdoberfläche verlassen
kann, ins Weltall reisen und andere Himmelskörper besiedeln kann, die ihn
faszinierte.
Es wurde schon erwähnt, daß er dann in Peenemünde - damals war er auch erst
25 Jahre alt - anwesend war, als am 3. Oktober 1942 die erste Rakete
erfolgreich von der Erde abhob und in den Weltraum geschickt wurde. Er war nur
hundert Meter entfernt, beobachtete den Countdown, die Zündung, und wie dann
diese Rakete mit einem Riesengedröhn abhob. Und er sagte: „Das war ein
unbeschreibliches Gefühl, was wir alle hatten, es war uns absolut bewußt, das
ist der Beginn eines neuen Zeitalters, der erste Tag des Raumzeitalters, der
Beginn einer völlig neuen Ära.“
Krafft Ehricke definierte den „extraterrestrischen Imperativ“ als die wahre
Identität der Menschheit. Er sagte, die Besiedelung des Mondes ist der
offensichtliche erste Schritt, denn der ist ganz nah, man braucht nur zwei
oder drei Tage, inzwischen sogar weniger, um dahin zu kommen, und wir können
quasi auf dem Mond üben, was wir später auf anderen Planeten machen. Und was
wir auf dem Mond machen können, können wir überall machen.
Er meinte, daß die Besiedelung des Mondes genau die umgekehrte Richtung
einnehmen wird wie die Evolution auf der Erde, wo sich erst die Biosphäre
entwickelt hat und dann in einer späten Phase der Mensch aufgetaucht ist,
während auf dem Mond es eben umgekehrt sein würde: erst die Ankunft des
Menschen, und dann die Bedingungen für seine Existenz. In der ersten Phase
würde der Mensch Materialien von der Erde zum Mond mitbringen, in der zweiten
Phase die Industrialisierung des Mondes unter Nutzung vorhandener Ressourcen
erfolgen, und die dritte Phase wären interplanetare Reisen, wo neue
menschliche Zivilisationen entstehen, mit vollkommen anderen Charakteristika
als die Zivilisation auf der Erde.
Und er hat dann das Beispiel seiner eigenen, wie er es nannte,
„Extraeuropäisierung“ angeführt, um diesen Unterschied zu verdeutlichen. Er
sagt, er sei in Deutschland aufgewachsen, er hätte in Deutschland eine
wunderbare klassische Erziehung bekommen. Europäische Kultur war das, was ihn
geprägt hat, und als er dann mit seiner Ehefrau in die USA ausgewandert ist,
ist er dort auf einen völlig anderen Menschenschlag getroffen, Amerikaner.
Seine Kinder wurden dann schon ganz gut amerikanisiert, hatten aber noch
Merkmale der Kultur der Eltern aus Deutschland, aber schon die Enkel waren
vollkommen amerikanisiert, und man hat keinen Unterschied mehr
festgestellt.
Und er sagt, genauso wird es bei den zukünftigen Zivilisationen im Weltraum
sein: Die Bevölkerung auf dem Mond wird vollkommen andere physiologische und
immunologische Charakteristika haben als die Menschen auf der Erde.
Das neue Paradigma
Also, worum es geht, ist wirklich das neue Paradigma, das von der
kontinuierlichen Weiterentwicklung der menschlichen Gattung ausgeht. Der
chinesische Präsident Xi Jinping hat es oftmals als „Schicksalsgemeinschaft
für die Zukunft der Menschheit“ bezeichnet, wo die gemeinsamen Ziele der
Menschheit zuerst stehen, und danach erst das Interesse der einzelnen Nationen
kommt.
Das ist genau das Prinzip der „Win-Win-Kooperation“, das zusammenwächst,
die verschiedenen Korridore haben ein Interesse daran, daß es allen
partizipierenden Staaten besser geht, weil es keinen Sinn macht, eine
Eisenbahn von einer Stadt zur anderen zu bauen, und dann hört es auf, sondern
es ist etwas, was davon lebt, daß sich diese Systeme integrieren zum Vorteil
aller. Chinas Staatsrat Yang Jiechi hat kürzlich anläßlich des Nationalen
Volkskongresses in Beijing gesagt, die Neue Seidenstraße ist kein Solo für
China, sondern es ist eher vergleichbar einer Sinfonie, bei der alle
teilnehmenden Völker und Nationen mitspielen.
Und das ist meine absolute Überzeugung, die ich gewonnen habe, weil ich
vielleicht den Vorteil habe, daß ich 1971 zum ersten Mal in China war, mitten
in dieser Kulturrevolution, die wirklich furchtbar war und die Menschen sehr
unglücklich gemacht hat. Und wenn man das vergleicht, sieht man die enorme
Entwicklung, die China in den letzten 40 oder vor allem den letzten 30 Jahren
vorgenommen hat, wo es eine Entwicklung, die in den anderen Industrienationen
200 Jahre gedauert hat, in 30 Jahren repliziert hat. Und dieses chinesische
Modell der Wirtschaft ist so erfolgreich, daß es jetzt als Neue Seidenstraße
allen anderen Staaten angeboten wird, daß sie das replizieren. Damit besteht
zum ersten Mal die Chance, daß wir Armut und Begrenzungen überwinden.
Das alles basiert auf den Ideen von Konfuzius. Ich bin wirklich absolut
überzeugt, daß China 95% konfuzianisch ist und vielleicht noch 5% marxistisch
oder kommunistisch, aber daß die Wesenheit Chinas, des chinesischen Systems,
konfuzianische Gedanken sind. Dazu gehört z.B. die lebenslange
Vervollkommnung, das lebenslange Lernen; daß jeder Mensch das Bestreben haben
sollte, ein „Shunze“ zu werden, ein Weiser, und die Weisen eigentlich auch die
Regierung angeben sollen. Daß Harmonie in der Entwicklung aller stattfinden
soll, in der Familie, im Staat und zwischen den Staaten.
Das sind keine Ideen, die nur chinesisch sind, sondern die auch zur besten
europäischen Tradition gehören, also z.B. zu Nikolaus von Kues, dem Begründer
der modernen Naturwissenschaften im 15. Jahrhundert, der schon damals die Idee
hatte, daß Harmonie im Makrokosmos nur existieren kann, wenn sich alle
Mikrokosmen harmonisch entwickeln und jeder Mikrokosmos es als eigenen Vorteil
sieht, die anderen Mikrokosmen auf die bestmögliche Weise zu befördern.
Und das ist das Konzept. Das heißt, daß die Geopolitik wirklich überwunden
werden kann, indem Entwicklung aller auf die Tagesordnung kommt. Ich bin
absolut überzeugt, daß wenn es zwischen Trump und Xi Jinping und Trump und
Putin zu einem guten Verständnis kommt – und das ist die erklärte Absicht von
Trump, und das wurde von russischer und chinesischer Seite ganz klar
signalisiert –, daß wir uns dann wirklich in einer neuen Phase der
menschlichen Gattung befinden und eine neue Ära erleben werden.
Bild: Öst. Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres
Abb. 10: Flüchtlinge werden an der griechisch-makedonischen Grenze
zurückgewiesen.
Die Rolle Deutschlands
Die Frage ist: Welche Rolle soll Deutschland in diesem Prozeß spielen?
Nun, diejenigen von Ihnen, die in Deutschland wohnen oder leben, wissen
natürlich, daß das nicht das Denken ist, was hier dominiert. Aber ich denke,
daß die Neue Seidenstraße so eine Hebelkraft hat, daß entweder Deutschland
sich besinnt und einklinkt, oder Deutschland und die Europäer werden
vollkommen belanglos werden.
Und das ist das, was die Afrikaner schon heute sagen: „Die Chinesen, die
Inder, die Japaner investieren alle in Afrika, Europa hingegen kommt und hält
uns Sonntagsreden und macht moralische Vorhaltungen, redet über Demokratie und
Menschenrechte, aber sie investieren eben nicht in diese Projekte.“
Ich will vielleicht dieses Bild (Abbildung 10) noch einmal hier
aufrufen: Die Flüchtlingskrise sollte der moralische Motor sein, daß wir uns
dieser Entwicklungsperspektive anschließen. Denn nur wenn wir Afrika
entwickeln - zusammen mit Rußland, China, Indien, anderen Staaten, hoffentlich
Amerika -, nur wenn wir den Nahen Osten und Mittleren Osten und Südwestasien
wirtschaftlich vollkommen entwickeln, als Teil der Neuen Seidenstraße, haben
wir irgendeine Hoffnung, die Flüchtlingskrise auf eine humane Weise zu lösen,
und eben nicht durch Internierungscamps in der Türkei oder in Ägypten oder in
Tunesien, wie Frau Merkel das versucht.
Die Frage ist ja auch: Will Frau Merkel wirklich die Führerin des „freien
Westens“ sein, weil jetzt Trump in Amerika Präsident ist? Will sie die
Konfrontation gegenüber Rußland weiterführen, wenn Trump die Aussöhnung will?
Will sie weiter die Konfrontation bis an die Grenzen Rußlands vorantreiben?
Will sie weiter sich an Interventionskriegen beteiligen, um „die Demokratie zu
retten“? Was uns im übrigen niemand mehr glaubt. Die Länder Asiens und Afrikas
glauben längst nicht mehr, daß die Demokratie, die Menschenrechte in Europa
oder das Modell der EU so besonders vorzeigefähig wären.
Oder können wir nicht hoffen, daß Deutschland eine positive Rolle übernimmt
beim Ausbau der Neuen Seidenstraße? Ich denke, daß Krafft Ehricke, das
Menschenbild und die Zukunftsvision, die er repräsentiert, das beste Beispiel
für die Zukunft Deutschlands sein sollte. Denn Deutschland ist einmal das Volk
der Dichter, Denker und Erfinder gewesen. Und all die vielen positiven
Beiträge dieser vielen, vielen großen Denker sind eingeflossen in die deutsche
Wirtschaft, in den Mittelstand, in unseren Lebensstandard, in die Kultur. Und
es war diese Kultur, die Krafft Ehricke hervorgebracht hat.
Warum sollte es nicht möglich sein, daß man diese Ideen wieder lebendig
macht? Die Ideen von Nikolaus von Kues, Kepler, Leibniz, Gauß, Riemann, Bach,
Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Lessing, Mendelssohn, Schiller, der
Humboldts und die klassische Kultur, die Krafft Ehricke repräsentiert hat,
wiederbeleben! Und das nicht nur für Deutschland, sondern in einem Dialog der
Kulturen, wo die jeweils schönste Ausformung, die höchste Form, in einen
Dialog tritt mit den anderen. Wir haben das heute morgen gehört durch deutsche
klassische Musik, durch chinesische klassische Musik, und das ist eigentlich
das, was auch zu diesem neuen Paradigma gehört, daß jedes Kind sehr bald die
gesamte Universalgeschichte in all ihren besten Erscheinungsformen kennenlernt
und dann Rassismus und Chauvinismus und Begrenztheiten aller Art für immer
verschwinden werden.
Vielen Dank.
Anmerkungen
1. Unmittelbar vor Beginn des Vortrages hatte Feride Istogu-Gillesberg ein
chinesisches Liebeslied vorgetragen.
2. Zuvor war eine Grußbotschaft von Krafft Ehrickes Tocher Krista Ehricke
an die Konferenz verlesen worden.
3. Siehe „Krafft Ehricke zum extraterrestrischen Imperativ“, https://www.youtube.com/watch?v=9UznFry-Y9s, „Krafft
Ehricke: “Lunar Industrialization & Settlement – Birth of Polyglobal
Civilization”, https://www.youtube.com/watch?v=-ZuSnPgHnjs
4. Jacqueline Myrrhe hatte zuvor in ihrem Vortrag über die Entwicklung des
chinesischen Weltraumprogramms die Frage gestellt, ob es eher dem Hasen oder
dem Igel gleiche, und es am Ende mit dem Frosch verglichen, der sich mit
großen Sprüngen seinem Ziel nähert.
5. “Observations Concerning the Increase of Mankind, Peopling of
Countries, etc.”, Philadelphia 1751.
6. “An Essay on the Principle of Population”, London 1798.
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