Friedrich Schiller Denkmal
Friedrich Schiller



Hauptseite
       

Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Die Wurzeln der Neuen Seidenstraße

Leibniz, Sun Yat-sen, die LaRouches und Xi Jinping

Von Michael O. Billington

Der folgende Beitrag ist eine überarbeitete Fassung eines Vortrags, den Michael Billington am 17. Juni 2017 bei einer Konferenz des Schiller-Instituts in Detroit zum Thema „Bringt die Neue Seidenstraße nach Michigan“ gehalten hat.

Helga Zepp-LaRouche hat oft von den beiden Paradigmen gesprochen, zwischen denen sich die Menschheit entscheiden muß.

Im Westen erleben wir die größte Finanzblase der Geschichte, den Zusammenbruch der grundlegenden Infrastruktur, einen nachindustriellen Kollaps von Industrien, Arbeitsplätzen und Löhnen, ständige Kriege im Kolonialstil und einen Niedergang der Gesellschaft, für den die größte Rauschgiftepidemie der modernen Geschichte charakteristisch ist.

Aber aus dem Osten kommt das, was Helga so treffend als die Neue Seidenstraße bezeichnet, ein globaler Boom auf der Grundlage des Ausbaus der Infrastruktur, der Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut erhoben, eine beispiellose Steigerung der Produktivität der Arbeitskraft herbeigeführt und Nationen und Völkern, die schon fast aufgegeben hatten, neue Hoffnung gegeben hat.

Was ich heute zeigen möchte, ist der historische Zusammenhang zwischen

  • der Entwicklung der Neuen Seidenstraße über mehrere Jahrhunderte;

  • dem Amerikanischen System, dem Hamiltonischen System der Gründerväter;

  • und den besten historischen Aspekten Amerikas.

Zur derzeitigen strategischen Lage möchte ich zeigen, daß der größte Teil der Neuen Seidenstraße zwar durch Chinas Initiative zustande kam, dies aber stets in Kooperation mit Rußland. Diese Verbindung zwischen China und Rußland ist wesentlich. Wenn wir die Vereinigten Staaten in dieses Bündnis einbringen können, dann können wir die von den Briten herbeigeführte Spaltung der Welt in Ost gegen West überwinden. „Der Osten ist der Osten, und der Westen ist der Westen, und sie werden niemals zusammenkommen“, pflegte der britische Imperialist Rudyard Kipling zu sagen. Nun, wir glauben, daß sie zusammenkommen können, um eine wahrhaft menschliche Welt für die Menschheit zu schaffen.

Der Prozeß hin zur Neuen Seidenstraße, auch Wirtschaftsgürtel-Initiative (Belt & Road Initiative, BRI) genannt, begann 1996 mit einer Konferenz in Beijing, dem „Internationalen Symposium über die wirtschaftliche Entwicklung der Regionen entlang der Eurasischen Kontinentalbrücke“. Helga hatte sie mitorganisiert, und ihre Rede in dieser Konferenz trug den Titel „Der Bau der neuen Seidenstraße als Grundlage der gemeinsamen Sicherheitsinteressen Asiens und Europas“. China begann damals damit, Bahnverbindungen durch seine westlichen Provinzen zu bauen, aber dies wurde dann abgebremst durch die Finanzkrise 1997-98, die sogenannte Asienkrise, die durch die räuberischen Spekulationen westlicher Hedgefonds von George Soros & Co. ausgelöst wurde und in der Lyndon LaRouche den ersten Riß im globalen Finanzsystems erkannte.

China und Rußland gründeten dann 2001 zusammen mit den zentralasiatischen Nationen Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO). Dies war vor allem ein strategischer Schritt gegen die Bedrohung durch Terroristen und Separatisten in der Region sowie den Drogenhandel, von dem diese leben. Es war bekanntlich dasselbe Jahr 2001, in dem die in Afghanistan ansässigen Al-Kaida-Netzwerke die Vereinigten Staaten angriffen. Die saudisch-wahabitischen Terrornetzwerke verseuchten die ganze Region. Die Chinesen, die Russen und die zentralasiatischen Nationen verbündeten sich, sie sagten sich: „Wir müssen diesen Terrorismus in unserer Region stoppen, sonst wird es niemals einen Fortschritt geben.“

2013 wurden dann der Wirtschaftsgürtel der Neuen Seidenstraße und die Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts in Gang gesetzt – die Initiative „Ein Gürtel, eine Straße“ des chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Im folgenden Jahr, 2014, bildete Rußlands Präsident Putin die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU); das waren Rußland, Weißrußland und Kasachstan, später schlossen sich auch Armenien und Kirgisistan an.

Diese beiden Institutionen und die zehn südostasiatischen Nationen der ASEAN finden nun zueinander. Sie sind alle zu dem Schluß gelangt, daß sie ein neues Paradigma für die Menschheit schaffen müssen, angefangen mit ihrem eigenen eurasischen Kontinent.

Natürlich waren auch die BRICS-Nationen Teil davon. Die BRICS entstanden, indem sich Rußland, China und Indien mit Brasilien und Südafrika, den beiden größten Wirtschaftsmächten Südamerikas und Afrikas, verbanden. Das veranlaßte uns 2014 zur Ausarbeitung des EIR-Sonderberichtes „Die Neue Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke“ [dessen deutsche Ausgabe soeben erschienen ist, d. Red.]. Das ist das Paradigma, das Lyndon und Helga LaRouche vertreten und für das wir uns seit langem einsetzen.

Abb. 1: Vordenker der Neuen Seidenstraße: Leibniz [oben links], Peter der Große [oben rechts] und Kangxi [unten links].
Abb. 2: Der Philosoph Zhu Xi richtete im 12. Jahrhundert die konfuzianische Tradition in China wieder auf.

Leibniz

Ich möchte nun betrachten, wie die Idee der Seidenstraße sich historisch entwickelt hat. Helgas Besuche in China 1996 und 2006 und dieses Jahr beim Belt & Road-Forum kamen nicht von ungefähr, das war ein Prozeß, der schon seit mindestens 300 Jahren im Gang ist.

Ich will mit Gottfried Wilhelm Leibniz beginnen.

Dies (Abbildung 1) zeigt Leibniz, Peter den Großen und Chinas großen Mandschu-Kaiser Kangxi, die im 17./18. Jahrhundert lebten. Leibniz war der größte Wissenschaftler, Philosoph und Staatsmann im Europa jener Zeit. Er arbeitete mit Peter dem Großen persönlich zusammen und half Rußland, seine Akademie der Wissenschaften zu gründen. Er stand in direkter Korrespondenz mit Jesuitenmissionaren in China, die Werke von Konfuzius, Menzius und des führenden Kopfs der konfuzianischen Renaissance unter der Song-Dynastie im 12. Jahrhundert, Zhu Xi, übersetzten.

Zhu Xi (Abbildung 2) ist im Westen kaum bekannt, aber er ist sehr wichtig – die Chinesen, Koreaner und Japaner kennen ihn sehr gut. Leibniz studierte die Schriften von Zhu Xi gründlich, und er schrieb das Buch Novissima Sinica („Das Neueste aus China“), das er in ganz Europa verbreitete, um die europäische Bevölkerung über die konfuzianischen Prinzipien aufzuklären.

Leibniz war der Ansicht und sagte ganz offen: Wenn man einer Kultur wie China begegnet, mit solchen Eigenschaften, dann muß man durch diese Kombination von Faktoren zu dem Schluß gelangen, daß diese Kultur die fundamentalen Gesetze des Universums und die Rolle des Menschen mit seinem schöpferischen Geist in diesem Universum in bedeutendem Maße erkannt hat. Für China führt er dafür die folgenden Faktoren an:

  • Es hatte weit mehr Bevölkerung als Europa.

  • Es hatte weit größere Städte, deren Bevölkerung weit besser gebildet war.

  • Es hatte einen höheren Bildungsgrad als das damalige Europa.

  • Es hatte einen höheren Lebensstandard als die meisten Teile Europas.

Die Entdeckung dieser universalen Gesetze, erkannte Leibniz, war die notwendige Voraussetzung für den Aufbau einer über lange historische Zeiträume blühenden und funktionierenden Kultur und Gesellschaft. Das war seine Prämisse, und deshalb beschäftigte er sich mit Konfuzius und Zhu Xi, um herauszufinden, wie sie zu ihren Entdeckungen gelangten.

Hier ist die Schlußfolgerung, die Leibniz über die Beziehungen zwischen dem Osten und dem Westen zog; es ist eine der schönsten Aussagen der Geschichte, und ich betrachte sie als den eigentlichen Beginn der Neuen Seidenstraße:

    „Durch eine einzigartige Entscheidung des Schicksals, wie ich glaube, ist es dazu gekommen, daß die höchste Kultur und die höchste technische Zivilisation der Menschheit heute gleichsam gesammelt sind an zwei äußersten Enden unseres Kontinents, in Europa und Tschina (so nämlich spricht man es aus), das gleichsam wie ein Europa des Ostens das entgegengesetzte Ende der Erde ziert. Vielleicht verfolgt die Höchste Vorsehung dabei das Ziel – während die zivilisiertesten (und gleichzeitig am weitesten voneinander entfernten) Völker sich die Arme entgegenstrecken –, alles, was sich dazwischen befindet, allmählich zu einem vernunftgemäßeren Leben zu führen.“

Es gibt keine vollkommenere Beschreibung der Neuen Seidenstraße, der globalen Seidenstraße, der Weltlandbrücke. Die Menschen in Eurasien und die Menschen auf der ganzen Welt werden zusammengeführt durch die Verbindung dieser beiden großen Kulturen.

Ich möchte auch darauf hinweisen, daß Leibniz der wichtigste Impulsgeber für die Entwicklung des Amerikanischen Systems war. Amerikas Gründerväter waren Leibnizianer – Cotton Mather, Benjamin Franklin und andere. Benjamin Franklin kannte Konfuzius’ Lehren, er sprach davon, konfuzianische Ideen nach Amerika zu holen. Ich werde darauf jetzt nicht näher eingehen, aber sie waren durch eben dieses Leibnizsche Denken inspiriert.

Abb. 3: Alexander Hamilton [lins] und Abraham Lincoln [mitte] waren Vorbilder für den Gründer des modernen China, Sun Yat-sen [rechts].

Sun Yat-sen

Ich überspringe 150 Jahre und komme zu Sun Yat-sen, der in China meist Sun Zhongshan genannt wird, was man mit „Chinesischer Berg“ übersetzen könnte. Sun war der Kopf der Revolution von 1911, die in China die Monarchie beendete und die chinesische Republik begründete.

Was die Menschen in Amerika meist nicht wissen – außer denen, die mit uns zusammenarbeiten – ist, daß Sun Yat-sen ein eifriger Schüler des Amerikanischen Systems war. Er wurde in den 1890er Jahren in Hawaii ausgebildet, von der Familie Damon, die die Philadelphia-Schule von Abraham Lincoln und Henry Carey sehr genau kannten, und auch Anhänger der Ideen von Alexander Hamilton waren. (Abbildung 3) Und Sun Yat-sen meisterte diese Ideen vollauf.

Sun Yat-sen organisierte die Revolution in China auf der Grundlage von Vorlesungen, die er über das hielt, was er die „Drei Prinzipien des Volkes“ nannte. Diese Drei Prinzipien beruhten, wie er selbst sagte, auf Ideen von Abraham Lincoln. In seiner berühmten Gettysburger Rede sprach Lincoln davon, unsere Republik als eine Nation „des Volkes, durch das Volk und für das Volk“ zu erhalten. Das heißt: eine Regierung des Volkes – also einen souveränen Staat, frei von den Kolonialmächten; durch das Volk – mit einer demokratisch-republikanischen Staatsform; und für das Volk – das, was Sun Yat-sen als die „Lebensgrundlage des Volkes“ bezeichnete und was in unserer Verfassung als das „Gemeinwohl“ bezeichnet wird, nämlich die Vorstellung, daß das Land auf die Förderung der Fähigkeiten der Bevölkerung als ganzer gründet.

Sun war ganz klar ein Lincoln-Anhänger, und er war auch ein bekennender Anhänger Hamiltons. In seinen Vorträgen sprach er detailliert über die Rolle Alexander Hamiltons bei der Förderung der „inneren Verbesserungen“ - Infrastruktur – und der Schaffung einer Nationalbank, die nicht von privaten Banken abhängig war, sondern der Regierung die Kontrolle über das Bankensystem gab und den Kredit in die Bereiche lenkte, die für das Gemeinwohl notwendig waren.


Abb. 4a: Sun Yat-sens Plan für ein chinesisches Eisenbahnnetz, aus seinem Buch „Die internationale Entwicklung Chinas“.
Abb. 4b: Das heutige Eisenbahnnetz in China.

Außerdem verstand er etwas, was 99,99% der Amerikaner heute nicht mehr wissen – nämlich, daß Jefferson keine große Führungspersönlichkeit war. Thomas Jefferson half zwar, die Kolonien von den Briten zu befreien, wollte aber das Britische System mit seinen Sklaven in Amerika erhalten. Er wollte die Sklaverei aufrecht erhalten und wollte, daß die Vereinigten Staaten ein Agrarstaat blieben, der Baumwolle für die Textilmühlen in England lieferte - also genau das, was auch die Briten wollten. Es gab einen harten Machtkampf zwischen den Hamiltoniern aus New York und den Jeffersoniern aus dem Süden.

Sun Yat-sen wußte all das. Er lehrte das chinesische Volk den Unterschied zwischen Hamilton und Jefferson, den Unterschied zwischen dem industriellen Bankensystem für Verbesserungen für die Menschen und ihr Leben, im Gegensatz zu Jeffersons Politik, rückständig zu bleiben und sich weiter auf die Arbeit von Sklaven zu stützen.

Dieser Kampf zwischen den Anhängern Jeffersons und Hamiltons führte uns nicht nur in den Bürgerkrieg, der eigentlich eine zweite Revolution gegen die Briten war, dieser Kampf geht bis heute weiter. Es gibt immer noch diese beiden Tendenzen, und das ist der Grund, warum wir noch heute für die Wiederherstellung des Hamiltonischen Systems kämpfen müssen.

1919 schrieb Sun Yat-sen ein Buch mit dem Titel Die internationale Entwicklung Chinas. Diese Karte Sun Yat-sens (Abbildung 4a) stammt aus dieser Studie. Man vergleiche sie mit der Karte des heutigen Eisenbahnnetzes in China (Abbildung 4b). Es hat hundert Jahre gedauert, aber jetzt setzt China die Politik um, die Sun damals vorschlug, als er dazu aufrief, die ganze Welt durch Eisenbahnen, Kanäle und andere grundlegende Infrastruktur zu vernetzen. China verlängert nun diese Bahnverbindungen westwärts nach Zentralasien und Europa, nordwärts nach Rußland und südwärts nach Südostasien, so wie es Sun in seinem Vorschlag von 1919 forderte. Es war eine Idee des Amerikanischen Systems. Das Konzept, auf dessen Grundlage Chinas Republikaner für ihre Republik kämpften, beruhte auf dieser Idee, die wir in Amerika leider fast ganz vergessen haben. Dieser Plan wird nun umgesetzt, alle Städte werden durch Hochgeschwindigkeitsbahnen miteinander und mit der ganzen übrigen Welt verbunden. Man sieht also, daß das, was heute unter Xi Jinpings Führung geschieht, auf den Prinzipien beruht, die wir hier zuhause vergessen haben, aber von China hochgehalten werden.

Roosevelt, Tschiang Kai-schek und Stalin

Ich will nun nochmals etwa 50 Jahre weiterspringen, in die Zeit von Franklin Roosevelt. Ich will hier nicht ins Detail gehen, aber wir wissen, wie Roosevelt das Land erst aus der von Großbritannien herbeigeführten Depression und dann vor den Faschisten rettete.


Abb. 5: Churchill, Roosevelt und Stalin in Yalta, 1945.
Abb. 6: Tschiang Kai-schek, Roosevelt, und Churchill in Kairo, 1943.

Hier ist ein Bild von ihm zusammen mit Stalin (Abbildung 5), auch Winston Churchill ist darauf zu sehen – er war leider immer mit dabei –, und hier (Abbildung 6) sehen wir Roosevelt zusammen mit Tschiang Kai-schek, der damals China regierte. Es gab ein funktionierendes Bündnis zwischen den Nationalisten unter Tschiang Kai-schek und den Kommunisten unter Mao im Krieg gegen Japan – ein schwaches Bündnis, dennoch ist es eine interessante Geschichte. Roosevelt, Tschiang Kai-schek und Stalin – die Vereinigten Staaten, China und Rußland, das war die Kombination, die den Sieg über die Nazis in Europa und den Sieg über die Militaristen in Japan und damit letztendlich auch die Schaffung einer neuen Weltwirtschaftsordnung ermöglichte.

Leider war Churchill immer mit dabei, und das ist sehr wichtig, denn Roosevelt zögerte lange, im Bündnis mit den Briten in den Krieg zu ziehen. Er wußte, daß im Grunde die Briten die Nazis aufgebaut hatten, daß sie geholfen hatten, die Nazis zu finanzieren, und daß die Briten wollten, daß sich Deutschland und Rußland gegenseitig zerstören, damit die Briten ihre Kontrolle über die geschwächten Nationen Europas aufrecht erhalten konnten.

Die Briten hatten auch geholfen, die Militaristen in Japan aufzubauen. Es gab Staatsmänner in Japan, die die Meiji-Restauration fortführen wollten, auf der Grundlage des Amerikanischen Systems, das eine Schlüsselrolle bei der Meiji-Restauration hatte, die zum Aufstieg Japans zu einer führenden Industriemacht führte. Dann kamen die Briten und sagten den Japanern: „Ihr seid eine Insel, genauso wie wir, ihr braucht Rohstoffe, ihr habt keine eigenen Rohstoffe, und deshalb müßt ihr ein starkes Militär aufbauen, damit ihr losmarschieren und euch die Rohstoffe nehmen könnt.“ Und damit hatten sie leider Erfolg. Einige führende Leute in Japan wurden umgebracht, damit diese britische Politik übernommen werden konnte.

Roosevelt hat Churchill damals ins Gesicht gesagt: Wir führen diesen Krieg nicht, um das Britische Empire zu retten. Er ging nach Afrika zu diesen Treffen, nach Kairo und an andere Orte, und er sah, wie die Länder Afrikas und des Nahen Ostens nach hundert Jahren europäischer Kolonialherrschaft aussahen, daß es ihnen oft schlechter erging als 200 Jahre zuvor.

Roosevelt sagte: Wir werden nach dem Krieg die Methoden des Amerikanischen Systems anwenden, zusammen mit unseren Freunden Rußland und China, um Nationen nach dem Vorbild dessen aufzubauen, was in Amerika mit der Gründung dieses Landes gelungen ist.

Leider starb er zu früh, und er wurde von einem sehr schwachen Mann und Agenten der Briten und der Wall Street namens Truman abgelöst, der diesen Ansatz aus dem Fenster warf und den Briten, Franzosen und Niederländern amerikanische Kriegsschiffe zur Verfügung stellte, damit sie wieder in ihre Kolonien zurückkehren und ihre Herrschaft wiederherstellen konnten. Infolgedessen erlebten wir dreißig oder vierzig Jahre lang schreckliche Kolonialkriege, die schon damals hätten beendet werden sollen.

Abb. 7: LaRouches Vorschlag für eine Internationale Entwicklungsbank, 1975.

Abb. 8: LaRouches „Oasenplan“ für die wirtschaftliche Entwicklung des Nahen Ostens als Grundlage für einen dauerhaften Frieden.
Abb. 9: 1974 veröffentlichte der Club of Rome den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“, eine Propagandaschrift für die grüne Nullwachstumsideologie.
Abb. 10: Lyndon LaRouche antwortete darauf mit dem Buch „Es gibt keine Grenzen des Wachstums“.

LaRouches Intervention

Und nun kommen wir in die Ära von LaRouche. 1975 reiste LaRouche in den Irak, um sich dort mit der Baath-Partei zu treffen, er traf sich in Europa mit führenden Israelis und Palästinensern, und er schuf einen Plan, den er Die Internationale Entwicklungsbank nannte (Abbildung 7).

Viele von Ihnen wissen, daß China die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank gegründet hat und Hunderte von Milliarden in diese Entwicklungsprojekte investiert. Die BRICS haben die Neue Entwicklungsbank gegründet, mit zig Milliarden Dollars. Warum? Um den Weltwährungsfonds (IWF) zu ersetzen? Sie sollen ihn nicht wirklich ersetzen, aber seit mehr als 40 Jahren haben der IWF und die Weltbank den Infrastrukturaufbau praktisch vollkommen eingestellt. Sie überladen Länder mit Schulden, und sie behaupten, sie würden den armen Bauern helfen, indem sie ihnen „angepaßte Technologien“ wie Hacke und Schaufel geben. „Rechnet nicht mit Infrastruktur, das paßt nicht zu eurem Entwicklungsniveau“, das ist die Politik, mit der man Afrika im schlimmsten Elend gehalten hat. Das gleiche gilt für Lateinamerika und einen großen Teil von Asien.

LaRouche sagte: „Es reicht!“ Er konzentrierte sich zunächst auf den Nahen Osten, weil er erkannte, daß der Nahe Osten ein möglicher Kampfschauplatz für Kriege zwischen Ost und West um das Öl war. Darüber hinaus war der israelisch-palästinensische Konflikt dazu geeignet, die Länder in der Region zu spalten, um die imperiale Politik des „Teile und Herrsche“ zu erleichtern.

Einige Jahre danach schlug LaRouche seinen Oasenplan vor (Abbildung 8). Er wußte, daß Wasser im Nahen Osten kostbarer ist als Erdöl. Wasser ist entscheidend. Es gibt dort nicht genug Wasser, um die Region zu entwickeln. Wie löst man das Problem? Man baut Kanäle, man baut Kernkraftwerke, mit denen man Meerwasser entsalzen kann, und begrünt die Wüsten. Man kann israelische Technik und qualifizierte Arbeitskräfte der Palästinenser und anderer nutzen, um den Nahen Osten von Grund auf zu verändern.

Aber dazu kam es nicht. LaRouches Pläne wurden zurückgewiesen, statt dessen gab es endlose Kriege. 1974 veröffentlichte der Club of Rome, zusammen mit einigen Computer-Manipulatoren des MIT, dieses Buch: Die Grenzen des Wachstums (Abbildung 9). Das ist die alte malthusianische Leier: Sie besagt, daß der Welt die Ressourcen ausgehen, daß es zuviel Menschen gibt, daß man nicht genug Nahrungsmittel erzeugen kann, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren, und daß wir ohnehin nur begrenzte Ressourcen haben. Deshalb gebe es Grenzen des Wachstums und man müsse diese amerikanischen Vorstellungen von ständigem Fortschritt und Wachstum stoppen. Solche Vorstellungen würden nicht mehr funktionieren, behaupteten sie, weil auf der Erde nicht genug Platz für so viele Menschen ist. Uns würden alle Rohstoffe ausgehen. Das ist der gleiche Refrain, den wir auch heute noch beim Klimaschwindel hören: Die wirtschaftliche Entwicklung werde die Welt überhitzen, und deshalb müßten wir sie stoppen.

LaRouche antwortete darauf mit seinem Buch Es gibt keine Grenzen des Wachstums (Abbildung 10). Er stellte darin einen Punkt ganz klar: Der menschliche Geist definiert die Ressourcen. Sie sind nicht etwas, was einfach irgendwo „da draußen“ ist. Wir sind keine Tiere. Tiere sind beschränkt auf die Dinge, die sie als Gattung von Natur aus fressen. Sie können die Zukunft nicht sehen. Sie können nicht darüber nachdenken, ihre Lebensweise zu ändern. Aber Menschen sind keine Tiere. Wir definieren Ressourcen durch unseren Geist. Öl war kein Rohstoff, bis der Mensch den Verbrennungsmotor erfand. Es war nur etwas, was aus dem Boden quoll und landwirtschaftliche Nutzflächen verdreckte. Aber als wir entdeckten, wie man es nutzen kann, da wurde es plötzlich ein wertvoller Rohstoff. Und das gleiche gilt auch heute, wie er in diesem Buch aufzeigt.

Beispielsweise gibt es sehr viel Meerwasser. Es ist nicht einmal trinkbar. Aber wenn wir aus diesem Meerwasser den schweren Wasserstoff – Deuterium – herausholen, dann kann man damit Kernfusion betreiben, vorausgesetzt, wir sind klug genug, genug Mittel für die Entwicklung der Fusionskraft einzusetzen. Und dieses Beispiel ist nicht auf Deuterium beschränkt. Noch besser ist Helium-3 vom Mond. Das ist ein noch besserer Fusionsbrennstoff, der die Menschheit auf Jahrtausende hinaus mit Brennstoff versorgen könnte. Und wieder geht LaRouche voran und sagt: „Schluß mit der Teilung der Welt, mit der fortschrittsfeindlichen Rückständigkeit. Bauen wir die Welt auf!“

Abb. 11: Studie über die Industrialisierung Afrikas aus dem Jahr 1980.

Abb. 12a: Früherer Zustand des afrikanischen Eisenbahnnetzes [unten links].
Abb. 12b: Das im Ausbau befindliche Eisenbahnnetz [unten rechts].

Abb. 13a: LaRouches Studien über die Industrialisierung Indiens [oben] ...

Abb. 13b: ... und die Integration Iberoamerikas [oben].
Abb. 14: Die EIR-Studie über die Eurasische Landbrücke (1996) [links].
Abb. 15: Die EIR-Studie über die Weltlandbrücke (2014, dt. 2017) [rechts].

Die Geburt der Weltlandbrücke

Wir haben in den 1980er Jahren eine Reihe von Studien veröffentlicht, z.B. eine umfassende Studie über die Industrialisierung Afrikas (Abbildung 11). Wenn Sie sich die Karten und Tabellen darin anschauen, dann sehen Sie wiederum, daß die Chinesen heute das tun, was wir darin vorgeschlagen haben. Das sind nicht die Chinesen allein, aber der Prozeß wird von China vorangetrieben, etwa neue Eisenbahnen in Kenia und von Dschibuti ins landeingeschlossene Äthiopien.

Hier ist eine sehr anschauliche Karte (Abbildung 12a) aus unserer Weltlandbrückenstudie. Sie zeigt den Zustand des afrikanischen Eisenbahnnetzes vor einigen Jahren, als es nur Eisenbahnen von den Häfen zu den Minen gab, weil das alles war, woran die Kolonialmächte interessiert waren – Rohstoffe aus dem Land zu schaffen. Daneben (Abbildung 12b) sehen Sie das sich entwickelnde Eisenbahnnetz von Afrika heute, das vor allem von China ausgebaut wird, kreuz und quer über den ganzen Kontinent. Bald wird man in Afrika per Bahn von einer Hauptstadt in alle anderen Hauptstädte gelangen können, um wirkliche Nationen aufzubauen, statt sie rückständig zu halten, damit sie keine Alternative haben, als uns ihre Rohstoffe zu verkaufen. Auch die Chinesen brauchen Rohstoffe, aber sie bezahlen auch dafür, indem sie die Länder aufbauen, die diese Rohstoffe liefern, damit diese Länder die Mittel haben, sich zu entwickeln, statt weiter rückständig zu bleiben und in Schulden zu ersticken.

Wir haben auch den Weg zur Industrialisierung Indiens beschrieben (Abbildung 13a), von Rückständigkeit zu industrieller Macht. Später produzierten wir Die Integration Iberoamerikas (Abbildung 13b). Iberoamerika hat Probleme der gleichen Art: Es gibt oft keinerlei Möglichkeit, mit der Bahn von einem Land in die anderen zu reisen. Jetzt bereitet China den Bau einer Eisenbahn von Peru nach Brasilien vor, eine „Bi-Ozeanische Eisenbahn“, die den Pazifik mit dem Atlantik verbindet, so wie es Abraham Lincoln in den Vereinigten Staaten machte. In diesem Fall gibt es auch Pläne aus Deutschland für eine transkontinentale Eisenbahn in Südamerika. Zum ersten Mal – und das ist etwas, was wir schon 1982 vorgeschlagen haben – können die Länder Südamerikas durch moderne Eisenbahnen verbunden werden. Das ist ein wesentlicher Schritt, wenn man es den Ländern Südamerikas ermöglichen will, entwickelte Industrienationen zu werden.

Nun kommen wir zu der Konferenz in Beijing, die ich vorhin bereits erwähnt habe. Als die Sowjetunion zusammenbrach, meinten Lyndon und Helga LaRouche: Wir müssen nicht nur den Kalten Krieg beenden, sondern jegliche Möglichkeit für einen Weltkrieg in der Zukunft ausschließen. Und das können wir tun durch Entwicklung. Wir werden die Neue Seidenstraße bauen.

Helga und Lyn haben diesen Begriff geprägt, es war ihre Idee. Wir gingen mit dieser Idee zu den Europäern, aber leider sagten die Europäer: Vergeßt es, wir wollen keine Freundschaft mit Rußland, wir wollen es als unsern Feind erhalten, damit wir die NATO erweitern und bis an die russischen Grenzen vorrücken können. So ist es gekommen, und das hat uns an den Rand eines Nuklearkriegs gebracht. Wir wandten uns auch an die Russen, aber Rußland war zerstört. Es wurde geplündert und zerstört, alles, was die Schwindler an sich reißen konnten, holten sie heraus, und Jelzin war ihre nützliche Marionette.

Aber als wir nach China kamen, da sagten die Chinesen: „Absolut, das ist es, was wir tun müssen!“ Und dann haben wir gemeinsam mit der chinesischen Regierung 1996 in Beijing eine große Konferenz veranstaltet. Helga hielt dort eine der Hauptreden, zusammen mit Regierungsvertretern aus China und anderen Ländern.

Wir veröffentlichten 1996 einen Sonderbericht (Abbildung 14), in dem wir den gesamten Plan dargelegt haben. Der Schwerpunkt lag auf Eurasien, aber wie man schon am Untertitel sieht – Die „neue Seidenstraße“ als Motor weltweiter wirtschaftlicher Entwicklung – hatten wir schon damals die Idee, daß dies der Kern für den Aufbau der ganzen Welt sein mußte.

Als Xi Jinping 2013 seine Belt & Road-Initiative ankündigte, stellten wir eine 370seitige Studie zusammen, um die Seidenstraße zur Weltlandbrücke zu erweitern (Abbildung 15). Sie wurde inzwischen ins Chinesische, Arabische und Deutsche übersetzt und wird demnächst auch auf Koreanisch erscheinen. Die Idee ist, daß die Weltlandbrücke die Grundlage ist, auf der wir eine Welt schaffen können, die nicht geopolitisch ist, die keine darwinistische Welt ist, in der einer den anderen auffrißt und eine Nation nur auf Kosten anderer Nationen gewinnen kann. Stattdessen können wir eine Welt haben, die sich daran orientiert, die gemeinsamen Ziele der Menschheit zu verwirklichen, und die die Menschheit in das Erwachsenenalter der menschlichen Gattung führt, heraus aus ihrer Kindheit als Gattung, in der wir uns jetzt noch befinden, wo wir uns wie kleine Kinder verhalten, die sich gegenseitig mit Schlamm bewerfen, anstatt wie eine wahrhaft menschliche Gattung.

Cusanus, Zhu Xi und eine Neue Renaissance

Ich möchte auch noch auf die philosophische Seite der Angelegenheit eingehen. Wie ich schon erwähnte, befaßte sich Leibniz intensiv mit Zhu Xi, der zur Zeit der Song-Dynastie im 12. Jahrhundert lebte. So wie die europäische Renaissance die Ideen Platons aufgriff, um ein Verständnis vom Menschen als einem schöpferischen Wesen, als lebendiges Abbild Gottes zu entwickeln, so richtete Zhu Xi die konfuzianische Tradition in China wieder auf. Er ging sogar noch weiter, indem er ein Konzept einführte, das er das universelle Prinzip nannte. Er sagte, das Universum werde von einem einzigen universellen Prinzip regiert, das im Chinesischen als Li bezeichnet wird. Aber er sagte, über dieses universelle Prinzip hinaus habe alles Geschaffene, auch jeder Mensch, sein eigenes Prinzip, das anders ist als das universelle Prinzip, aber dem gleichen Konzept folgt. Das sei etwas, was man nicht sehen oder anfassen kann, nichts Materielles, sondern das Prinzip, das die Verbindung zwischen dem partikulären, dem einzelnen zum universellen Prinzip herstellt, dem Prinzip, das die Entwicklung des gesamten Universums steuert, die kohärenten Änderungen, die sich im Universum insgesamt vollziehen.


Abb. 16a: Nikolaus von Kues, ...

Abb. 16b: ... Konfuzius, ...

Abb. 16c: ... Friedrich Schiller.

Leibniz sah das und sagte: „Das ist das gleiche wie meine Idee der Monade.“ Leibniz hat ein Buch geschrieben, Die Monadologie, in dem er den Kern seiner Philosophie entwickelt. Darin sagt er dasselbe. Das, was die Änderungen und die Entwicklung in der Welt vorantreibt, ist der schöpferische Prozeß, der im Universum existiert. Sogar schon vor der Entwicklung des Lebens, vor dem Menschen, vor dem menschlichen Geist, gab es einen Prozeß schöpferischer Veränderungen, einen negativ-entropischen Prozeß, der das Universum voranbrachte. Doch obwohl alle Dinge mit dem Universellen verbunden sind und diesen Prozeß der Entwicklung widerspiegeln, hat der menschliche Geist direkt an diesem universellen schöpferischen Prozeß teil. Allein der Mensch ist in der Lage, seine Zukunft zu ändern, ohne von biologischer Evolution abzuhängen – schöpferisch statt darwinistisch. Wir können die Art und Weise ändern, wie wir Dinge produzieren, wie wir leben, wie wir essen, wie wir reisen, wie wir zusammenarbeiten, wie wir über die Erde hinaus ins Sonnensystem vorstoßen.

Das war die Sicht von Leibniz. Leibniz war ein Anhänger von Cusanus (Nikolaus von Kues, Abbildung 16a) jenem großen Geist, der die europäische Renaissance in Gang gesetzt hat. Helga Zepp-LaRouche wurde sehr von Cusanus’ Ideen beeinflußt und wurde schon früh in ihrem Leben zu einer Expertin für Cusanus’ Leben – wie er die Renaissance in Gang gesetzt hat –, und sie brachte seine Ideen in unsere Organisation ein.

Cusanus schrieb ein Buch namens De Pace Fidei (Über den Frieden im Glauben), das war ein Dialog zwischen einem Christen, einem Juden, einem Buddhisten, einem Tartaren und anderen – im Grunde allen großen Religionen, die er kannte. Und der Punkt, den er in diesem Dialog demonstrierte, war der, daß alle diese Religionen, die mehr oder weniger erfolgreich eine funktionierende Kultur aufrechterhalten hatten, Entdeckungen über universelle Gesetze des Universums gemacht haben müssen, so, wie Leibniz später den fortgeschrittenen Stand der chinesischen Kultur erkannte. Und da es nur eine Schöpfung gebe, argumentierte Cusanus, müßten sich diese Entdeckungen in gemeinsamen Prinzipien in und zwischen diesen Religionen widerspiegeln.

Im Christentum, sagte Cusanus, haben wir die Dreieinigkeit: Gott den Vater, Gott den Sohn, und Gott den Heiligen Geist. Aber es ist eine Dreieinigkeit, es ist Eins. Aber dann sagt Cusanus, daß man die Dreieinigkeit auch noch auf andere Weise erklären kann. Anstatt die christlichen Begriffe – Gott, Gottes Sohn und Heiliger Geist – zu verwenden, könnte man auch sagen: der Schöpfer, das Geschöpf und der Schöpfungsakt. Er führte also andere Wege ein, wie man diese Vorstellung der Dreieinigkeit ausdrücken kann. Dies sei nicht bloß das Konzept hinter der christlichen Vorstellung der Schöpfung, sondern auch ein Ausdruck eines fundamentalen Gesetzes des Universums. Wie in Leibniz’ Monadologie und in Zhu Xis universellem Prinzip (Li) existiert alles, was existiert, als Teil der Schöpfung, und es hat die Fähigkeit, in dieser Schöpfung zu wirken, und dabei ist der menschliche Geist das großartigste unter allen geschaffenen Dingen, weil er in der Lage ist, direkt auf das gesamte Universum einzuwirken. Cusanus bezeichnete das als die fundamentale Beziehung zwischen dem Mikrokosmos und dem Makrokosmos. Durch dieses Prinzip der Kreativität – oder Liebe (agapē) im Christentum, die höhere Form der Liebe, die Liebe zur Menschheit als ganzer – strebt die Menschheit danach, die Ebene des Junzi, des idealen Menschen, zu erreichen, das, was Friedrich Schiller die „schöne Seele“ nannte.

Sie ist die höchste Ebene, die das Wesen des Junzi erfaßt, und wie wir sehen werden, auch das Wesen der schönen Seele. Konfuzius (Abbildung 16b) erlaubt keine Trennung zwischen dem schöpferischen Geist und den Emotionen. Sie sind vielmehr eins in der Fähigkeit des menschlichen Geistes, die Emotionen zu inspirieren, um jenes wahre, höhere Gefühl zu finden, das man bei der Schöpfung erlebt – sei es, wenn man wissenschaftliche Entdeckungen macht, wenn man klassische Poesie oder Musik komponiert, oder wenn man für sich die großartigen Wahrheiten über den Menschen und die Natur entdeckt, die andere vorher entdeckt haben. Diese Erhebung der eigenen Emotionen, sagt Konfuzius, ermöglicht es uns, den Emotionen, den Wünschen des Herzens zu folgen, ohne zu fürchten, daß sie uns zu eigensüchtigen oder niedrigen Handlungen verleiten.

Man vergleiche das mit dem, was Friedrich Schiller (Abbildung 16c) in seinem Aufsatz Über Anmut und Würde schreibt:

    „Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, daß es dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf und nie Gefahr läuft, mit den Entscheidungen desselben im Widerspruch zu stehen... In einer schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung.“

Das ist tatsächlich der Kern des konfuzianischen Konzepts der Harmonie.

Eine universelle Renaissance

Was ist eine Renaissance? Wie ich schon sagte, waren die Renaissancen in der Geschichte die Fähigkeit, insbesondere in Krisenzeiten in der eigenen Kultur zurückzublicken und das in unserer Geschichte und Kultur zu finden, was große Kunst und Wissenschaft inspiriert, was die Menschen veredelt und die Würde der Menschheit wahrt – die Fähigkeit der Menschheit, die Gesellschaft voranzubringen, anstatt in Krieg und Chaos zu versinken, wie wir es heute im Westen erleben. Wir hatten die große europäische Renaissance vom 14.-17. Jahrhundert. China erlebte unter der Song-Dynastie eine konfuzianische Renaissance. Und die geschieht heute wieder.

 

Abb. 17: Die Projekte der Weltlandbrücke.

Aber so, wie die Landbrücke zu einer Weltlandbrücke, zu einer weltweiten Seidenstraße erweitert werden muß, so haben wir heute den Punkt überschritten, wo wir eine begrenzte konfuzianische Renaissance, eine europäische Renaissance oder eine arabische Renaissance haben können. Was wir brauchen, ist eine Welt-Renaissance. Wir müssen die Welt zusammenführen – nicht, um ihre Kulturen zu einer einzigen zu vermischen, denn es ist ja gerade das Schöne der vielen verschiedenen Kulturen, daß sie alle etwas beizutragen haben. Aber jede von ihnen muß zu einer globalen Renaissance beitragen, einer Renaissance, die beispielsweise die Menschen im Westen dazu begeistert, nicht nur die Grundlagen ihrer eigenen Kultur wiederzuentdecken, sondern auch ihre eigenen Wurzeln im Konfuzianismus, im Kalifat von Bagdad oder der indischen Gupta-Kultur. Wir müssen die Menschen dazu begeistern, zu erkennen, daß sie unvollkommen, unvollständig sind, daß sie nicht erwachsen sind, solange sie nicht ihren Geist dazu nutzen, nicht nur ihre eigene Kultur zu verinnerlichen, sondern auch alle anderen Kulturen der Welt und mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Dies ist unsere Chance. Wir befinden uns in einem seltenen Moment in der Geschichte. Er ist sehr gefährlich. Wir stehen immer noch am Rande eines nuklearen Kriegs. Wir erleben immer noch einen Putschversuch gegen unsere eigene Regierung, der genau deshalb geschieht, weil dieser Präsident mit Rußland und China zusammenarbeiten will, statt in den Krieg zu ziehen.

Aber es ist die Aufgabe unserer Organisation – dieser kleinen Organisation, die aber weltweit arbeitet –, darauf zu dringen und unseren Mitbürgern zu vermitteln, daß in diesem großartigen Augenblick, dieser großen Chance, jeder dazu beitragen muß und kann, die Menschheit insgesamt auf eine höhere Ebene zu heben.