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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Sylvia Olden Lees Mission – und unsere eigene

Von Dennis Speed

Wenn am 29. Juni im Rahmen der „Würdigung der Meister-Musikerin und Lehrerin Sylvia Olden Lee“ – deren 100.Geburtstag die Foundation for the Revival of Classical Culture an diesem Tag feiert – der Sylvia Olden Lee Centennial Chorus in der New Yorker Carnegie Hall auftritt, dann wird ein altes Versprechen des 2004 verstorbenen Mitglieds des Kulturbeirats des Schiller-Instituts eingelöst und gleichzeitig erneuert.

Genauer gesagt, der Chor des Schiller-Instituts in New York City, der sich zu diesem Anlaß mit dem Convent Avenue Baptist Church Sanctuary Choir und anderen Chören und Sängern verbunden hat, hat die Absicht, bis Ende des Jahres einen stadtweiten Chor von 1000-1500 Sängern zu schaffen – ein kulturelles „Apollo-Projekt“ im Geiste von Präsident John F. Kennedy, der ebenfalls 1917 geboren wurde. Lyndon LaRouche hatte dies in einem seiner samstäglichen Manhattan-Dialoge vorgeschlagen und diesen Vorschlag dann mehrfach wiederholt, bis er schließlich angenommen wurde.

Seither ist der Chor des Schiller-Instituts in New York von einer Handvoll auf jetzt 125 Sänger angewachsen. In der Carnegie Hall werden 220 Sänger auf der Bühne stehen, neben erfahrenen Berufsmusikern, Kollegen und Mitarbeitern von Sylvia Olden Lee, die der großen Künstlerin auf eine Weise die Ehre erweisen werden, wie es nur große Künstler tun können: indem sie die Werke der Genies zu hörbarem Leben erwecken und sie so vielen anderen, vor allem jungen Menschen (vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben), zugänglich machen.

Sylvia Olden Lee war davon überzeugt und sagte es oft, daß wir die großen Sänger der klassischen Bühne der Zukunft in den Tankstellen finden werden, unter den Bedienungen der Restaurants und unter den Parkwächtern oder in den Küchen der Imbisse, in der kulturellen Wüste Amerika, aber nicht notwendigerweise in den Konservatorien. Sylvia, die nicht nur sehr gründlich ausgebildet war, sondern auch weit über tausend Gesangsstücke aus Opern und Oratorien und Lieder in zahlreichen Sprachen auswendig begleiten konnte, hielt sehr viel von einer gründlichen musikalischen Vorbereitung; sie war also keineswegs gegen Konservatorien. Aber es war ihr einfach aufgefallen, insbesondere als Resultat der Arbeit ihres Vaters, einem Mitglied des berühmten Fisk-Quartetts, und durch ihre eigenen Beobachtungen, daß die allgemeine Ausbreitung musikalischer Ausbildung und das wöchentliche Praktizieren des Gesangs, wenn man dies energisch in die breite Bevölkerung hineinträgt, sehr viel mehr „herausragende Stimmen“ hervorbringt, als man meinen würde.

Nun werden Mitglieder des Schiller-Instituts, die mit Sylvias Kollegen zusammenarbeiten, darunter auch jenen, die selbst großartige Sänger waren und sind, demonstrieren, daß Sylvia Olden Lee recht hatte; und New York dient ihnen dafür als ihr „Labor“.

Ein weiterer interessanter Aspekt dabei ist, daß in New York mehr Sprachen gesprochen werden als in jeder anderen Stadt der Welt – vielleicht bis zu 800. 176 dieser Sprachen werden in den Schulen der Stadt gesprochen. New York City ist daher das natürliche Testfeld für Sylvias Projekt, „die jungen lyrischen Stimmen im voraus zu retten“.

Die Potentiale der Jugend

Wie baut man einen Chor aus Menschen auf, die alle verschiedene Sprachen sprechen, wie in der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babel, so daß sie mit einer Stimme singen? Es ist nichts anderes als Alexander Hamiltons Vorstellung vom amerikanischen Präsidentenamt: eine einzige und einende Stimme der verschiedenen Bundesstaaten, eine Union e pluribus unum („Aus vielen eines“). Musik – die selbst ein Sprache ist – steht über all diesen verschiedenen gesprochenen (und gesungenen) Sprachen. Im vielstimmigen Chorgesang erlaubt es J.S. Bachs Kompositionsmethode, daß jeder menschliche Stimmtyp plaziert und gehört wird, sogar hervorgehoben wird, während auch alle anderen Stimmen gleichzeitig singen. Durch diese Methode wurde anstelle von Kakophonie eine immer reichere Harmonie und eine Gegenüberstellung von Ideen entwickelt, die man zurecht als klassische Polyphonie bezeichnet. Aber die Grundlage für die Reaktion des menschlichen Geistes auf diese Polyphonie als einer Gesamtidee ist, daß der menschliche Geist souverän ist und daher diese Polyphonie aufnehmen und für seinen eigenen, individuellen Ausdruck nutzen kann, indem er seine Stimme richtig in diese Polyphonie einordnet.

Dazu braucht man große Lehrer – und große Musik. Aber es ist auch die Grundlage für Revolutionen des Denkens und Änderungen in Ideen, die dann sehr schnell von einem einzelnen und einer Gruppe an andere weitergegeben und aufgenommen werden können.

Wenn man dies mit Erfolg tut, dann kann eine so ausgebildete Bevölkerung nicht mehr kleingeistig und versklavt werden. Keine so ausgebildete Bevölkerung würde das hinnehmen, was den Vereinigten Staaten seit den Angriffen des 11. September 2001 – oder, noch grundlegender, seit Kennedys Ermordung am 22. November 1963 – angetan wurde.

Die Bildungseinrichtungen sind selbst der größte Ausdruck dieses Scheiterns des politischen Diskurses und der Kultur der Vereinigten Staaten nach der Ermordung Kennedys. Unsere Realwirtschaft hätte nicht dermaßen verfallen können, wenn die gängige Kultur den Geist ihrer Bürger der letzten 125 Jahre nicht auf ein so erbärmliches Niveau erniedrigt hätte. Kinder von sechs oder sieben Jahren, oder etwas darüber oder darunter, sind daran offensichtlich nicht schuld. Man befreit sie aber auch nicht aus diesem erzwungen Zustand, indem man sie einfach auffordert, ihre Lehrer „an die Wand zu stellen“ – diese sind schließlich selbst ein Produkt des gleichen Systems.

Die Methode der klassischen Musik ermöglicht fast allen Schülern einen spielerischen, scheinbar indirekten Zugang zu dieser tieferen Qualität des Denkens; wenn die klassische Musik in dieser Hinsicht „nicht funktioniert“, dann gibt es dafür stets außermusikalische Gründe. Damit Amerika auf seinem selbstmörderischen Weg umkehrt, muß man die Menschen aus ihrem selbstverhängten finsteren Zeitalter herausführen (lat. educare = herausführen). Dazu muß man die „Bewußtseinspolizei“ bezwingen – einschließlich der jeweiligen besonderen Ideologien, die in verschiedenen nationalen Gruppen verbreitet sind.

Dies erfordert eine Epistemologie, die man heute in den Schulen der transatlantischen Welt nicht findet. Im allgemeinen läßt sich dieses therapeutische Mittel nur durch musikalische Studien dem Geist der Kinder im Grund- und Mittelschulalter nahebringen und erreichen. Bevor sie auf dem Abstieg in noch tiefere Stufen der Hölle weiter voranschreiten, müssen wir „diese jungen lyrischen Stimmen im voraus retten“, denn sonst werden sie nirgendwo eine Stimme haben.

Das ist die Aufgabe, der die Bemühungen des Schiller-Instituts, einschließlich der Beteiligung an der Veranstaltung der Foundation for the Revival of Classical Culture, gewidmet sind.