Friedrich Schiller Denkmal
Friedrich Schiller



Hauptseite
       

Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Der Eurasien-Kanal und die Neue Seidenstraße

Von Prof. Nuraly Bekturganow

Prof. Nuraly Bekturganow ist Vizepräsident der Akademie der Naturwissenschaften von Kasachstan. Für die Bad Sodener Konferenz des Schiller-Instituts übermittelte er den folgenden Videovortrag.

Ich bin Nuraly Sultanowitsch Bekturganow und vertrete die Nationale Akademie der Naturwissenschaften von Kasachstan. Wir sind eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern in Kasachstan.

Zusammen mit Wissenschaftlern aus Rußland und China haben wir eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt, um dazu beizutragen, den Bau eines Kanals und Wasserkraftwerks voranzutreiben. Der Bau des Kanals wurde 1941 eingestellt, weil der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war. Insgesamt wurden von den etwa 750 km, die für den Kanal benötigt werden, etwa 396 km gegraben.

Die Idee, einen solchen Kanal zu schaffen, der das Kaspische mit dem Schwarzen Meer verbindet, hat eine lange Geschichte, die vor allen mit den politischen und militärischen Anwendungen zusammenhängt. Der Ursprung liegt im letzten Jahrhundert, damals nannte man ihn die Manytsch-Wasserstraße, und in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wurde er geplant. Der Wasserkraftkomplex Ust-Manytsch wurde 1936 gebaut. 1941 wurden die Wasserkraftwerke Weselowskij und Proletarskij entwickelt, die aus den gleichen Reservoirs gespeist wurden. Aber der Zweite Weltkrieg setzte den weiteren Planungs- und Bauarbeiten an dem Kanal schlagartig ein Ende.

Vor etwa 15.000 Jahren, während der letzten Eiszeit, als die vereisten Polkappen zu schmelzen begannen, war der Wasserspiegel des Kaspischen Meers etwa 100 m höher als heute. Über die Manytsch-Wasserstraße floß das Wasser vom Kaspischen Meer ins Schwarze Meer. Aber nach all den Jahren hat sich die Lage dramatisch gewandelt. Nun ist der Wasserspiegel des Kaspischen Meers viel tiefer als der des Schwarzen Meeres, er liegt 28 m tiefer, der Wasserspiegel fällt also 28 Meter über eine Entfernung von etwa 750 km. Es wären nur etwa sechs Schleusen notwendig, damit Frachtschiffe durch einen Kanal zwischen den beiden Meeren fahren können.

Nasarbajew und Putin unterstützen den Kanal

Ein solcher Kanal würde in Rußland durch die Kalmücken-Region in die Region Rostow führen. Die Präsidenten Kasachstans und Rußlands haben über den Bau eines solchen Kanals schon oft gesprochen. Präsident Nasarbajew, einer der Initiatoren der Kommission für den Eurasien-Kanal, hatte folgendes darüber zu sagen:

„Wir brauchen verschiedene Routen. Natürlich würde man diese Güter (Öl und Gas) über die Routen transportieren, die sich für uns als wirtschaftlich effizienter erweisen. Ein großes Projekt in dieser Hinsicht könnte der Bau des neuen – Eurasischen – Schiffahrtskanals sein, der sich vom Kaspischen Meer zum Schwarzen Meer erstreckt.“

Und der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Wladimirowitsch Putin, sagte:

    „Durch die Schaffung eines neuen Kanals erhalten die Staaten der kaspischen Region nicht nur Zugang zum Schwarzen Meer und zum Mittelmeer, es wird auch ihre geopolitische Lage verbessern, sie können Seemächte werden.“



Abb. 1: Durch den Bau des Eurasien-Kanals entstünde ein neuer, multimodaler Verkehrskorridor zwischen Ostasien und Europa, von der chinesischen Hafenstadt Lianyungang über Korgan an der chinesisch-kasachischen Grenze und die Hafenstadt Aktau am Kaspischen Meer und weiter durch den Eurasien-Kanal zum Schwarzen Meer, zur Donau und zum Mittelmeer.

Und natürlich haben wir eine Initiative gesehen, die vom Staatschef der Volksrepublik China, Xi Jinping, ausgeht. Seit 2013 setzt er sich aktiv für „Ein Gürtel, eine Straße“ ein, wie es die Chinesen nennen. Auch der Eurasische Seidenstraßen-Kanal ist eine Initiative. Eurasien-Kanal ist eine Kurzbezeichnung für das Nurly-Zhol-Projekt, ein strategisches russisches Verkehrsprojekt. Wenn man sie miteinander verbindet, werden diese Projekte einen multimodalen Verkehrskorridor schaffen, der durch das Territorium von China, Kasachstan und Rußland führt (Abbildung 1), entlang der Strecke vom Hafen Lianyungang (China) über Korgan, Dostyk zum Hafen Aktau (Kasachstan) und weiter durch den Eurasien-Kanal zum Becken des Asowschen Meeres und des Schwarzen Meeres (Rußland).

Die Entfernung beträgt im chinesischen Abschnitt etwa 3300 km, in Kasachstan sind es etwa 2200 km, und in Rußland etwa 1800 km. Diese Entfernung ist vergleichbar mit anderen Routen entlang des Eurasischen Seidenstraßen-Kanals durch China, Kasachstan und Rußland. Mehr als eine Million Menschen leben in den Orten entlang des Kanal-Korridors in Zentralasien und im Fernen Osten. Alle diese Menschen und deren Familien werden durch Arbeitsplätze und Dienstleistungen, die durch dieses Projekt in die Region kommen, Vorteile haben.

Erhobene Daten sprechen für den Bau

Die Realisierung des Eurasischen Seidenstraßen-Kanalprojekts ist auch auf den Transport von Gütern aus und für Kasachstan über diesen Kanal ausgerichtet. Wir untersuchten die Menge der Güter, die aus China nach Europa transportiert werden, und stellten fest, daß seine Realisierung eine Umleitung eines beträchtlichen Teils des Ozeanverkehrs zwischen Europa und China, der heute den Suezkanal passiert, zur Folge hätte. Laut Berechnungen, die das chinesische Unternehmen Sinohydro Corp. anstellte, könnten nach der Umsetzung der Seidenstraße über den Eurasien-Kanal bis 2030 rund 20-25 Mio. t an chinesischen Exporten, die jetzt über die Suezkanal-Route geliefert werden, über die Route des Eurasien-Kanals geliefert werden, und bis 2050 könnten etwa 34-44 Mio. t chinesische Güter auf diesem Weg transportiert werden.

Die Verkehrsinfrastruktur der Volksrepublik China ist schon jetzt darauf vorbereitet, diese Gütermenge über die „Seidenstraße durch den Eurasien-Kanal“ zu transportieren, verbunden mit erschwinglichen Tarifen für EU-Mitgliedstaaten.

Nach Betrachtung dieser Daten sowie der Daten, die von Spezialisten aus den Kaspischen Regionen erhoben wurden, berechneten wir auch, daß nach der Fertigstellung des Eurasien-Kanals bis zum Jahr 2050 jährlich rund 120 Mio. t Fracht über diese Route geliefert werden könnten. Diese Menge ist schon vergleichbar mit der Frachtmenge, die durch den Panamakanal verschifft wird.

Argumente gegen den Bau wurden widerlegt

2008-10 führten wir eine vergleichende Untersuchung der technischen und wirtschaftlichen Eigenschaften eines Projektes zum Bau eines schiffbaren Kanals zur Verbindung des Kaspischen und des Schwarzen Meeres durch. In dem Zusammenhang überprüften wir auch einige der Argumente gegen den Bau. Das wichtigste Gegenargument, auf das wir stießen, bezog sich darauf, daß es keinen wirtschaftlich tragfähigen Frachtstrom gäbe, wobei diese Annahmen auf einem Vergleich mit dem zweiten Wolga-Don-Kanal basierten, für den eine Frachtmenge von nur 3,5 Mio. t angesetzt wurde – ein Zehntel unserer Berechnungen! Wir kamen zu dem Schluß, daß dieses Argument wirklich nicht mehr haltbar war.

Wir betrachteten auch die Zahl der Güterzüge, die zwischen China und Europa verkehren, und die Frachtmenge, die in beiden Richtungen transportiert wird. Interessanterweise kam bis heute niemand außer uns auf die Idee, daß dies auch für den Eurasien-Kanal anwendbar ist!



Abb. 2: Entwicklung des Bahnfrachtaufkommens zwischen China und Europa, 2011-15


Abb. 3: China und Pakistan realisieren derzeit den Verkehrskorridor Kaschgar-Gwadar. Damit der Korridor durch Kasachstan und Rußland mit diesem Korridor konkurrieren kann, muß der Eurasien-Kanal realisiert werden [oben].


Abb. 4: Ölförderstelle im Kaschgan-Offshore-Ölfeld.

Bis 2014, d.h., vor dem Start der Initiative „Ein Gürtel, eine Straße“, gab es Containerfracht von Europa nach China praktisch nicht, aber 2014 fuhren 28 Züge mit Fracht beladen nach China zurück, und 2015 waren von 815 Zügen, die von China nach Westen fuhren, bereits 265 auf dem Rückweg mit Fracht beladen, eine Steigerung auf das Zehnfache (Abbildung 2). Und wenn wir 2016 betrachten, da hat sich die Frachtmenge, die nach China gebracht wird, verdoppelt, auf etwa 52.000 Container pro Jahr. Das Problem der nicht ausgelasteten Container, die von Europa über Land nach China transportiert werden, ist inzwischen kleiner als zur See. Nach den jüngsten Daten ist jeder zweite Container, der aus Europa nach China gebracht wird, voll beladen, während es zur See nur jeder dritte ist. Das ist natürlich ein guter Grund, den Eurasien-Kanal zu bauen.

Wir stießen auch noch auf ein zweites Argument gegen den Bau des Eurasien-Kanals: Im April 2015 unterzeichnete der Staatschef der Volksrepublik China, Präsident Xi Jinping, eine Investitionsvereinbarung mit Pakistan, um 46 Mrd.$ in den Bau des Kaschgar-Gwadar-Verkehrskorridors zu investieren. Die Fertigstellung dieses Projektes wird den westlichen und zentralen Regionen der Volksrepublik China einen kostengünstigen multimodalen Zugang zu den Weltmeeren verschaffen.

Der Eurasische Transitverkehr durch das Territorium von Kasachstan und Rußland muß mit diesem Kaschgar-Gwadar-Korridor konkurrieren können, und das ist nur durch den Eurasien-Kanal möglich (Abbildung 3). Sonst wären Rußland und Kasachstan nach der Fertigstellung des Kaschgar-Gwadar-Projektes die Verlierer, sogar bezogen auf die heutigen Frachtmengen. Das ist ein Grund mehr, den Bau des Eurasien-Kanals zu beschleunigen.

Der Kanal nützt allen Ländern an der Route

Welchen Nutzen hätte der Bau des Eurasien-Kanals für Kasachstan? Nach den jüngsten Zahlen hätte Kasachstan erhebliche Einnahmen aus dem Transit von Fracht durch sein Territorium. Heute hat Kasachstan aus dem Transport von 18 Mio. t Fracht Einnahmen von mehr als 1 Mrd.$. Die Fertigstellung des Eurasischen Seidenstraßen-Kanals wird, wie ich schon erwähnte, bis 2030 weitere rund 20-25 Mio. t an chinesischer Exportfracht anziehen, und bis 2050 weitere 34-44 Mio. t, was zusätzliche jährliche Einnahmen von 1,9 Mrd.$ bis 2030 und 2,4 Mrd.$ bis 2050 generieren würde.

Das beste Argument für die Fertigstellung des Eurasien-Kanals ist meiner Meinung nach folgendes: der Transport von Offshore-Öl aus dem Kaspischen Meer. In den letzten vier Jahren wurde dort im sog. Kaschagan-Feld das größte Ölvorkommen der Welt entdeckt (Abbildung 4). Es liegt am Nordende des Kaspischen Meers, einem Gebiet, das zu Kasachstan gehört. In den letzten 13 Jahren haben dort einige der größten Ölkonzerne der Welt investiert, darunter Unternehmen wie Total, ENI, ExxonMobil, Chinas nationale Ölgesellschaften, kasachische nationale Ölgesellschaften. Nachdem kolossale Summen investiert wurden, um dieses Offshore-Feld zu erschließen, sind sie nun bereit, die Förderung aufzunehmen.

Aber die Frage ist, wie dieses Öl zu den Verbrauchern gebracht werden kann. Natürlich ist die Idee, Pipelines zu nutzen, sehr attraktiv. Aber wenn der Eurasien-Kanal fertiggestellt wird, könnten Schiffe das Öl auch über die Meere zum Verbraucher transportieren. Die Produktion von kasachischem Offshore-Öl würde großen Nutzen bringen, vor allem, wenn man bedenkt, daß die Fördermenge aus diesem Offshore-Feld schon sehr bald etwa 75 Mio. t Öl erreichen kann. Dies käme zu den 25 Mio. t an Fracht hinzu, die über den Eurasien-Kanal transportiert würde, es gäbe zusätzlich 75 Mio. t Öl, das im Kaschgan-Feld gefördert wird. Auch das ist ein sehr wichtiges Argument, das für den Bau des Eurasien-Kanals spricht.

Um das Kanalprojekt wieder aufzunehmen, führten wir einige Untersuchungen der technischen und wirtschaftlichen Indikatoren im Zusammenhang mit seinem Bau und Betrieb durch. Wir studierten entsprechend den russischen Standards den geographischen Zustand des Geländes, durch das der Kanal auf russischem Territorium führen würde. Wir studierten auch die Route, die durch Kasachstan führen würde, wir erhoben zuverlässige Daten über die physiographische, baugeologische und seismisch-tektonische Situation. Wir erzeugten mit dem Computerprogramm ArcGIS eine Sammlung von Karten, die zahlreiche Aspekte der natürlichen Umgebung erfassen (Gelände, geotechnischer Zustand, Klima, Wasservorkommen, Böden, Vegetation). Wir erstellten Karten über die Pufferzone, definiert in Abschnitten von 25 km. Es wurden numerische Modelle des Terrains entlang der Routen erstellt. Alle diese verschiedenen Faktoren wurden in unserem Buch veröffentlicht, das ich Ihnen am Ende meines Vortrags sehr gerne vorstelle.

Verkehrs- und Fracht-Analyse

Chinesische Spezialisten der Sinohydro Corp. führten im Zusammenhang mit dem Kanal auch eine Reihe von Experimenten zu einer Anzahl komplexer physischer Faktoren entlang der chinesischen Route von Lianyungang nach Korgos durch.

All dies wurde durchgeführt, um zur Beschleunigung der Wiederaufnahme der Bauarbeiten beizutragen. In den letzten drei Jahren haben viele Wissenschaftler in Kasachstan, Rußland und China zahlreiche weitere wissenschaftliche Untersuchungen über den Bau des Eurasien-Kanals durchgeführt. Darüber hinaus erstellte man etliche Analysen der Frachtmenge, die über den Kanal transportiert würde, wie beispielsweise Öl und die vielen chinesischen Waren. Bis 2050, das zeigen diese Berechnungen, könnte sich die Frachtmenge auf 120 Mio. t belaufen, und mit dem Öl von Kaschgan könnte die Frachtmenge sogar auf 200 Mio. t pro Jahr ansteigen. Das bedeutet, daß die Frachtmenge, die durch den Kanal transportiert würde, gewaltig ist.

Man schlug uns vor, einen Kanal parallel zu dem Wasserkraftkanal von 1941 zu graben, der nur etwa 5-6 m tief ist und im wesentlichen nur für Schiffe mit bis zu 10.000 t Fracht ausgelegt ist. Wir schlagen vor, den Kanal auf 11,5 m zu vertiefen. Wenn er eine Tiefe von 8 m hätte, könnten Schiffe bis 50.000 t den Kanal passieren, aber wenn wir das auf 11,5 m vertiefen, dann könnten die Schiffe bis zu 100.000 t Fracht laden.

Unser wichtigster Vorschlag war jedoch, den Kanal mit einem Betonbett zu versehen. Das würde es erleichtern, die Wassermenge im Kanal zu steuern und Probleme mit den lokalen Ökosystemen zu lösen, die der Kanal von 1941 verursacht hat. Die neuen Technologien, die wir heute haben, erlauben es, den Wasserverbrauch zu überwachen und zu minimieren, und damit einer weiteren Kritik zu begegnen, die von einigen Ökologen vorgebracht wurde, die sagen, der Kanal würde die lokalen Ökosysteme verschlechtern und stören.

Der Bau des Eurasien-Kanals würde den Regionen am Kaspischen Meer, wo etwa 1 Mio. Menschen leben, einen höheren Rang geben, und würde es ihnen erlauben, Anteil am weltweiten System des Schiffsverkehrs zu nehmen.

Schlußbemerkung

Abschließend ist zu sagen: Die „Seidenstraße über den Eurasien-Kanal“ kommt zu einem günstigen Zeitpunkt, sie ist von unmittelbarem Interesse für die globale Gemeinschaft, und die Aussichten für ihre praktische Realisierung in naher Zukunft sind hervorragend.

Alle unsere jüngsten Erkenntnisse sind in einem Buch über das Projekt des Eurasischen Seidenstraßen-Kanals gesammelt, das vom Präsidenten der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Nurtai Abykajewitsch Abykajew, herausgegeben wurde. Alle unsere Feststellungen sind in dieser Publikation zusammengestellt.

Erlauben Sie mir, Dean Andromidas zu danken, dem einzigen, der in seinem Artikel über den Eurasien-Kanal (siehe Neue Solidarität 18/2018) unseren Bericht „The Eurasian Cala als a Factor of Economic Prosperity for the Caspian Region“ (siehe https://core.ac.uk/display/87466339) erwähnt hat. Das ist eine von insgesamt zehn verschiedenen Publikationen über den Eurasien-Kanal, die wir haben. Dank Dean trafen wir auch Michael und Meghan, Jason und Alicia [vom Videoteam des LaRouche-Aktionskomitees], die uns halfen, die Erkenntnisse, die wir mit Unterstützung der Wissenschaftsgemeinde in Kasachstan, Rußland und China gewonnen haben, zum Ausdruck zu bringen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

eir