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Friedrich Schiller



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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Begrabt die „alten, bösen Lieder“ einer sterbenden Kultur!

Von Jennifer Pearl und John Sigerson

Der Bostoner Chor des Schiller-Instituts veranstaltete am 6. Mai ein „Konzert für ein Neues Paradigma“, in dessen Mittelpunkt zwei große klassische Werke standen: Robert Schumanns Liederzyklus Dichterliebe, vorgetragen von dem Tenor John Sigerson und der Pianistin Barbara Suhrstedt, und Johann Sebastian Bachs Choralmotette Jesu, meine Freude. Das Konzert fand statt in der St. Mary’s Episcopal Church im Bostoner Stadtteil Dorchester statt.

Anlaß des Konzerts war das Schulmassaker von Parkland in Florida in diesem Jahr, aber es ist auch Teil einer größeren Mission des Bostoner Schiller-Chores, Jung und Alt, Berufsmusiker und Laien aus Boston und Umgebung dafür zu gewinnen, eine neue Kultur für Amerika zu schaffen, um die Kultur des Todes, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vorherrscht, zu verdrängen.

Wie Lyndon LaRouche schon 1999 nach dem Massaker an der Columbine Highschool (in Littleton bei Denver/Colorado) in seiner Schrift „Star Wars und Littleton“ schrieb: „Wie verdirbt man Kinder so, daß sie psychotische Mörder werden? Die schnelle Antwort auf diese Frage lautet: indem man das Menschenbild entmenschlicht.“ Die gewalttätigen, perversen Taten von Terrorgruppen wie dem Islamischen Staat und den Amokläufern in Amerikas Schulen sind Ausdruck der gleichen Entmenschlichung, die man heute in Hollywoodfilmen, der Popmusik und der populären Kultur insgesamt findet. In Verbindung mit dem Niedergang der Realwirtschaft und dem Mangel an Bildung und an produktiven Arbeitsplätzen ist dadurch unter jungen Amerikanern aller sozialen und wirtschaftlichen Schichten ein starkes Gefühl der Hoffnungslosigkeit entstanden. Die Popmusik verstärkt diesen traurigen gegenwärtigen Zustand, manchmal macht sie derbe Kommentare darüber, aber nur durch die große klassische Kunst können wir die Kreativität erzeugen und den leidenschaftlichen Mut ausbilden, die wir brauchen, um die gegenwärtigen und zukünftigen Lebensbedingungen der Menschheit zu verbessern.

Wenn Amerika sich vorbehaltlos der Neuen Seidenstraße anschließen soll, dann muß seine Kultur sich grundlegend ändern. Klassische Musik wird heute nicht nur selten aufgeführt, sondern gewöhnlich auch vor einem hochnäsigen Publikum, das sich die teuren Eintrittskarten leisten kann, und die Interpretationen sind pedantisch und langweilig – während der Rest des Landes „The Voice“ (vergleichbar „Deutschland sucht den Superstar“) anschaut und dem nächsten Teenager-Popstar zujubelt. Durch unsere Arbeit mit der Musik möchten wir demonstrieren, daß die Vermittlung tiefgreifender Ideen durch Ironie der Schlüssel ist, um die Seele des Publikums zu berühren und sie tatsächlich zu besseren Menschen zu machen.

Das Konzert am 6. Mai zog ein bunt gemischtes Publikum aus der gesamten Region an, nicht nur das übliche „Konzertpublikum“. Es begann mit drei afro-amerikanischen Spirituals, die „den Ton setzten“ und mit ihrem Text im vertrauten Englisch das Publikum in die richtige Stimmung für die folgenden, fremdsprachigen Stücke versetzten. Auf diese Spirituals folgten die Arie „Ah, la paterna mano“ aus Giuseppe Verdis Oper Macbeth, gesungen von dem Tenor Brian Landry, und Lieder von Händel und Brahms, vorgetragen von der Sopranistin Annicia Smith und der Altistin Ana Maria Ugarte.

Was soll ein Dichter tun?

Im Mittelpunkt des Programms stand Robert Schumanns Dichterliebe, ein Zyklus von 16 Liedern nach Gedichten von Heinrich Heine. John Sigerson leitete seinen Vortrag mit der folgenden Vorbemerkung ein: „Dies ist kein Stück über eine Liebschaft zwischen zwei Menschen, sondern über die Liebe zur Menschheit – und alles, was er oder sie dafür bekommt, ist ein Schlag ins Gesicht. Was soll ein Dichter tun? Der Gegenstand dieser Lieder ist das Ringen des Poeten mit infantilen Emotionen, um zu einer höheren Emotion zu gelangen, die im letzten Stück dargestellt ist, indem er davon redet, alle diese alten bösen Lieder zu begraben.“

Richtig aufgeführt, ist dieser Liederzyklus ein Frontalangriff auf die innerste Überzeugung der Romantiker, der Mensch wäre unfähig, intellegibles Wissen über universelle Prinzipien zu erlangen, und deshalb müsse sein ganzes Wissen, wie bei den Tieren, letztendlich nur auf Sinneswahrnehmungen beruhen. Menschen, die in dieser Weise im Gefängnis der Sinneswahrnehmung gefangen sind, sind nicht mehr als sprechende Tiere, und sie können ihre Angelegenheiten nur durch die kalten Gesetze der Logik regeln.

So argumentierte Immanuel Kant (1724-1804), was Friedrich Schiller, der Namensgeber des Schiller-Instituts, klar zurückwies. Heinrich Heine widerlegte es in seinem Buch Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, er nennt Kant dort „den Robespierre der Philosophie“, denn während Robespierre den Menschen die Köpfe abschneidet, will Kant ihnen die Seelen abschneiden.

Lyndon LaRouche schrieb 1982 als Kommentar zu Sigersons erster öffentlicher Aufführung der Dichterliebe:

    „Die Dichterliebe ist eine der tollsten und lustigsten Kompositionen, die jemals geschrieben wurde. Ein Publikum, das diesen Punkt begreift, wird sich entweder vor Lachen biegen oder vor Wut schäumen. Das ist der Maßstab einer richtigen, erfolgreichen Aufführung... Das Resultat der Musik ist genau das gleiche wie das Resultat der Poesie, nur im Bereich der Polyphonie. Das poetische Resultat ist Ironie: Komödie, Tragödie, auf der Grundlage des Prinzips des sokratischen Dialogs. Zu dieser Komödie oder Tragödie kann dann nur eines hinzugefügt werden: eine erfolgreiche musikalische – polyphone – Auflösung. Das letztere ist das Prometheus-Prinzip in der Musik. Nur eine prometheische Musik kann befriedigen.“

Etliche der Anwesenden hatten noch nie zuvor klassische Musik live erlebt und waren von der Aufführung der Dichterliebe sichtlich überwältigt. Einige fragten: Wie kann der Sänger sich so viele Worte auswendig merken? Ein Gast bemerkte: „Das war natürlich sehr lustig – der Sarg am Ende war so schwer, weil er von all seiner Liebe und seinen Niederlagen herabgedrückt wird.“

Die Hörer verfolgten aufmerksam die schriftliche englische Übersetzung der 16 deutschen Lieder. Es war so still, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Einige junge Leute lachten sehr, und einer von ihnen sagte anschließend: „Ich hätte nie gedacht, daß klassische Musik so lustig sein kann!“ Ein führendes Mitglied der Gemeinde sagte, er sei „jeden Schritt des Weges mit John mitgegangen“.

Gewöhnlich werden weder dieses Stück noch andere klassische Werke mit solcher Ironie aufgeführt, sondern stets als romantische, rührselige, wortgetreue Geschichten, die man „nachempfinden“ soll. Aber das, was man nachempfinden soll, ist nicht das Romantisch-Rührselige, sondern die Verwandlung, die der Künstler vorstellt. Diese Transformation auf einen höheren emotionalen Zustand und ein höheres Verständnis ist die eigentliche Aufgabe der Kunst: Sie soll dem Publikum einen Weg weisen, Wahrheiten über sich selbst und über die Welt zu erkennen, damit die Menschen die Probleme, mit denen sie und die Welt konfrontiert sind, besser verstehen und überwinden können. Wir können die Schwierigkeiten überwinden, die uns daran hindern, bessere und kreativere Menschen zu sein, die mehr bewirken. Und eine solche Transformation ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß die Amerikaner sich dem Neuen Paradigma anschließen können.