Das Furtwängler-Prinzip in Aktion
Den Abschluß des ersten Tages der Konferenz des Schiller-Instituts am 30.
Juni bildete ein klassisches Konzert, ein musikalischer Dialog der Kulturen.
Der Dirigent und Kontrabassist Jochen Heibertshausen, der viele Jahre lang die
Dirigiermethode Wilhelm Furtwänglers studiert hat (und darüber am zweiten
Konferenztag berichtete), leitete bei diesem Konzert ein 13köpfiges
Streichorchester, außerdem traten die Sopranistinnen Leena Malkki aus Schweden
und Ekaterina Mamyschewa aus Rußland, der Bariton Frank Mathis aus den USA
sowie der Erhu-Spieler Lu Jianguo aus China auf. Konzertmeister war Gian Marco
Sanna aus Italien, der sich mit einem Geminiani-Orchesterprojekt für die
Verdi-Stimmung (c’= 256 Hz) einsetzt, in der auch dieses Konzert aufgeführt
wurde.
Das Programm begann mit Johann Sebastian Bachs Brandenburgischem Konzert
Nr. 3. Vom ersten Taktschlag an konnte man sehen, daß Heibertshausen nicht nur
deshalb ein „Furtwängler-Dirigent“ genannt wird, weil er viel über Furtwängler
weiß, sondern, weil seine Bewegungen beim Dirigat tatsächlich sehr an
Furtwängler erinnern. Der so geschaffene Klang war überwältigend – schwer,
intensiv und lebendig, im Unterschied zu dem „schwachen Tee“, den man sonst
meist von Barockorchestern zu hören bekommt. Während der Proben zeigte
Heibertshausen den Musikern, wie sie den Klang durch ihr Spielen gestalten
können, was für die meist jungen Musiker eine große Herausforderung war.
Auf das Brandenburgische Konzert folgte die Air aus Bachs 3.
Orchestersuite. Die an eine Brise der Schönheit erinnernde, ruhige und
feierliche Aufführung wurde dem Titel des Stücks gerecht. Es folgte ein
weiteres berühmtes Stück von Bach, die „Badinerie“, die den Bach-Teil des
Programms abschloß.
Dann trat die russische Sopranistin auf die Bühne, um „Lascia la spina“ aus
Händels Oper Rinaldo wunderschön vorzutragen.
Der nächste Programmpunkt war Mozarts „Eine kleine Nachtmusik“, die ebenso
wie zuvor das Brandenburgische Konzert mit viel Schwung gespielt wurde.
Es folgten zwei chinesische Stücke, vorgetragen auf der Erhu – der
chinesischen Geige – von Lu Jianguo: zunächst das Volkslied „Jasminblüte“, und
dann das von Lu selbst komponierte „Sommerfest“, beide arrangiert von Benjamin
Lylloff. Die Erhu und die Streicher des Orchesters paßten wunderbar zueinander
und schufen die Atmosphäre der Neuen Seidenstraße.
Von einem kaum bekannten Stück von Franz Schubert – „Salva Regina“ für
Sopran und Streichorchester – war das Publikum besonders begeistert. Der
Vortrag von Leena Malkki war eine wahrhaftige und ergreifende Wiedergabe
dieses katholischen Gebets.
Ekaterina Mamyschewa sang dann ein Stück von Borodin aus der Oper Fürst
Igor, gefolgt von Frank Mathis, der die Arie „Di provenza il mar“ des
Germont aus Giuseppe Verdis Oper La Traviata vortrug. Verdi wäre stolz
gewesen – nicht nur, weil es in der Verdi-Stimmung gesungen wurde.
Als nächstes sangen Leena Malkki und der Chor des Schiller-Instituts ein
weiteres Gebet – „Casta Diva“ aus Bellinis Oper Norma –; ein
Vorgeschmack auf eine Inszenierung dieser Oper, die mit Sannas Orchester und
unter Heibertshausens Leitung im Juli und August in Schweden und Dänemark in
der Verdi-Stimmung auf die Bühne gebracht wird.
Schließlich präsentierten Mamyschewa und Mathis das Duett „Pa pa pa pa“ aus
Mozarts Zauberflöte, bevor der Chor, das Orchester und die Solisten als
Finale des Konzerts das „Godiam la pace“ aus Mozarts Oper Idomeneo
aufführten, eine Hymne an die Freude des Friedens und den Triumph der Liebe.
Das Publikum war begeistert, nicht nur über die Musik, sondern auch über das
Potential für eine Revolution in der Interpretation klassischer Musik, wenn
man richtig an sie herangeht.
Benjamin Lylloff
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