Die Umkehrung der Globalisierung
und die Herausforderungen für Chinas Außenpolitik in der Neuen Ära
Dr. Xu Jian ist Vizepräsident und Senior Research Fellow des
China Institute of International Studies (CIIS) und Direktor des Akademischen
Rats des CIIS.
Sehr geehrte Frau Zepp-LaRouche, verehrte Gäste, meine Damen und
Herren,
ich freue mich sehr, hier an dieser Konferenz teilzunehmen.
Wir stehen heute vor einer Welt, in der sich grundlegende Änderungen
vollziehen, darunter der Trend zur Multipolarität, eine sich intensivierende
Konkurrenz zwischen den Großmächten und ein Trend zu Schwächung der globalen
Steuerung und Koordination. Und einige dieser Trends machen diese Welt recht
gefährlich. Vor diesem Hintergrund werde ich Ihnen daher meine Ansichten
darüber mitteilen, wie wir diese Änderungen auf der Welt betrachten und
analysieren sollten, was die wesentliche Orientierung der chinesischen
Außenpolitik ist, und vor welchen Schwierigkeiten und Herausforderungen China
heute steht.
Zuerst will ich den Trend der Entglobalisierung analysieren. Wir haben
bereits den Brexit gesehen, die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der
Vereinigten Staaten und viele andere Phänomene, die die gewaltige Wirkung
dieses Trends in der heutigen Welt zeigen. Die Umkehrung der Globalisierung
und der Protektionismus im globalen Handel sind keine zufälligen Phänomene, es
gibt einen tief wurzelnden Hintergrund für ihr Aufkommen, und sie sind eng
verbunden mit einigen Problemen der Globalisierung.
Die prominentesten unter diesen Problemen sind die Ungleichheit der
sozialen Verteilung und die ungleiche Entwicklung unter den Nationen.
Ungleiche soziale Verteilung ist eine Schwäche, die der Marktwirtschaft
innewohnt, aber die wirtschaftliche Globalisierung verschärft dieses Problem
noch. In der Marktwirtschaft schwankt der Profit der unterschiedlichen
wirtschaftlichen Faktoren deutlich, wobei der Unterschied zwischen Kapital und
anderen Produktionsfaktoren der herausragendste ist.
Das Problem der ungleichen Entwicklung von Ländern, das sich aus der
Globalisierung ergibt, ist so grundlegend wie komplex, und das zeigt sich auf
zweierlei Weise, als Nord-Süd-Problem und als Ost-West-Problem. Für das
Nord-Süd-Problem hat die Globalisierung nicht nur eine Gruppe von
Schwellenländern hervorgebracht, die zum Aufschwung der Entwicklungsländer
beitragen, sondern auch einige Länder marginalisiert. Solche Länder haben
nicht nur einen begrenzten Nutzen von der Globalisierung, sie sind auch mit
größeren Risiken und Druck konfrontiert. Daher vergrößert sich der Abstand
zwischen ihnen und den entwickelten und den Schwellen-Ländern weiter. Diese
Lage hat die politische und soziale Ökologie in diesen Ländern verschärft und
ist auch einer der wesentlichen Faktoren in den fortgesetzten regionalen
Konflikten und Unruhen.
Das Ost-West-Ungleichgewicht manifestiert sich vor allem zwischen den
Schwellenländern und den entwickelten Ländern. Der unaufhaltsame Aufstieg
einer großen Zahl von Entwicklungsländern in den letzten 20 oder 30 Jahren,
insbesondere großer Schwellenländer, hat die Vorherrschaft der entwickelten
Länder des Westens im internationalen Mächtegleichgewicht verändert. Die
Weltarchitektur durchläuft Änderungen, die seit Jahrhunderten ohne Beispiel
sind und die die Entwicklung der Multipolarisierung stark vorantreiben. Diese
ungleiche Entwicklung hat wichtige positive Wirkungen auf den Fortschritt der
menschlichen Gesellschaft.
Aber dieser Trend verschlimmert auch den Widerspruch zwischen den
entwickelten und den aufstrebenden Ländern in der internationalen Ordnung,
insbesondere nach der internationalen Finanzkrise waren die westlichen
entwickelten Länder, darunter die Vereinigten Staaten und europäische Länder,
mit vielen Entwicklungsdilemmas konfrontiert und die Widersprüche wurden
deutlicher.
Schließlich ist die Umkehrung der Globalisierung auch das Resultat von
Problemen bei der Gerechtigkeit und der ungleichen Entwicklung im Prozeß der
Globalisierung. Die Lösung dieser ist eine gemeinsame Verpflichtung aller
Teilnehmer der Globalisierung.
Chinas Außenpolitik in der Neuen Ära
Vor diesem Hintergrund wende ich mich nun Chinas Außenpolitik für die neue
Ära zu. Beim 19. Nationalkongreß der KP China faßte Xi Jinping Chinas Sicht
der Welt zusammen, indem er argumentierte: „Die Welt durchläuft große
Entwicklungen, Transformationen und Anpassungen, aber Frieden und Entwicklung
bleiben weiterhin die Aufgabe unserer Zeit.“
In diesem Prozeß, betonte Xi Jinping, „ist unsere Welt voller Hoffnung und
Herausforderungen.“ Auf der einen Seite „schreitet der Trend zur globalen
Multipolarität, zur wirtschaftlichen Globalisierung, zu IT-Anwendungen und zur
kulturellen Vielfalt weiter voran, die Änderungen im System der globalen
Gouvernanz und in der internationalen Ordnung beschleunigen sich, die Länder
werden immer stärker vernetzt und voneinander abhängig, das globale
Kräfteverhältnis wird ausgewogener und Frieden und Entwicklung bleiben
irreversible Trends“.
Aber auf der anderen Seite „stehen wir als eine Welt vor wachsender
Unsicherheit und destabilisierenden Faktoren. Dem globalen Wirtschaftswachstum
mangelt es an Energie, der Abstand zwischen reich und arm wächst weiter, in
einigen Regionen entwickeln sich oft Krisenpunkte, und unkonventionelle
Bedrohungen der Sicherheit, wie Terrorismus, Unsicherheit im Internet, große
Infektionskrankheiten und der Klimawandel breiten sich weiter aus. Als
Menschen haben wir viele gemeinsame Herausforderungen, denen wir uns stellen
müssen.“
Es gibt zwei zentrale Säulen des Rahmens der chinesischen Außenpolitik in
der neuen Ära. Die erste ist, „eine Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft
für die Menschheit aufzubauen, eine offene, inklusive, saubere und schöne Welt
aufzubauen, die dauerhaften Frieden, universelle Sicherheit und gemeinsame
Prosperität genießt.“ Die zweite ist, „eine neue Form der internationalen
Beziehungen zu schmieden, auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt,
Fairneß, Gerechtigkeit und Win-Win-Kooperation“.
Daher ist der Grundansatz der chinesischen Außenpolitik, globale
Partnerschaften zu entwickeln und die gemeinsamen Interessen mit anderen
Ländern auszuweiten.
Drei Fallen
Trotzdem steht China nun vor enormen äußeren Herausforderungen,
insbesondere drei Fallen und der Frage, wie mit der „Thukydides-Falle“, der
„Kindleberger-Falle“ und der Falle des Kalten Krieges umzugehen ist.
Die erste Herausforderung ist, wie mit dem Paradox zwischen den beiden
miteinander verbundenen Fallen umzugehen ist. Auf dieses Paradox hat zuerst
Professor Joseph S. Nye von der Harvard-Universität hingewiesen, obwohl er es
als ein Problem bezeichnete, vor dem die Vereinigten Staaten stehen. Nye
argumentierte unmittelbar nach Trumps Amtsantritt in einem Artikel: „Als
gewählter Präsident der Vereinigten Staaten, der die Politik seiner Regierung
gegenüber China formuliert, sollte Trump sich vor den beiden Fallen hüten, die
die Geschichte für ihn bereitet hat.“
Die eine ist die „Thukydides-Falle“. Das bezieht sich auf die Warnung des
griechischen Historikers, daß ein schrecklicher Krieg ausbrechen kann, wenn
eine etablierte Macht (wie die Vereinigten Staaten) Angst bekommt vor einer
aufstrebenden Macht (wie China).
Prof. Nye zufolge muß sich Trump aber auch vor der ,Kindleberger-Falle’
hüten: „Charles Kindleberger, einer der geistigen Väter des Marshallplans, der
später am MIT lehrte, argumentierte, daß die verheerende Dekade der 1930er
Jahre verursacht wurde, als die USA Großbritannien als größte Macht ablösten,
aber es versäumten, die britische Rolle bei der Sorge um das globale
Gemeinwohl zu übernehmen. Die Folge war der Absturz des globalen Systems in
Depression, Völkermord und Weltkrieg.“
Der interessanteste Punkt in Nyes Argument liegt in dem Dilemma, vor dem
die Vereinigten Staaten stehen könnten, wenn sie versuchen, mit diesen beiden
Fallen umzugehen. Auf der einen Seite kommt das Hauptproblem der
Thukydides-Falle für die USA von „einem China, das eher zu stark als zu
schwach erscheint“. Auf der anderen Seite könnte die Kindleberger-Falle
entstehen, wenn China „eher zu schwach als zu stark erscheint“ – ein klares
Paradox – um für das globale Gemeinwohl zu sorgen.
Leider scheint dieses Paradox auch für China zu gelten. In einer Zeit, in
der die Regierung Trump eine Strategie des „Amerika zuerst“ verfolgt und sich
darauf vorbereitet, die amerikanischen Beiträge zur Sicherung des globalen
Gemeinwohls zu reduzieren, muß der Druck der Kindelberger-Falle auf China
zwangsläufig wachsen. Wenn China sich weigert oder zögert, mehr Verantwortung
bei der Sicherstellung des globalen Gemeinwohls zu übernehmen, dann ist fast
sichergestellt, daß mehr Kritik zu hören sein wird, daß China weiterhin ein
Trittbrettfahrer sei, anstatt zur bestehenden internationalen Ordnung
beizutragen. Tut China aber das Gegenteil, und übernimmt mehr internationale
Verantwortung, dann wird man unvermeidlich Vorwürfe hören, es strebe nach
regionaler oder sogar nach globaler Hegemonie.
Liest man die Vorwürfe gegen China in der Nationalen Sicherheitsstrategie
der USA, die im Dezember 2017 von Präsident Trump unterzeichnet wurde,
versteht man besser, wie ernst dieses Dilemma werden kann. Darin wird
argumentiert, daß die USA „vor dreierlei Herausforderungen stehen – den
revisionistischen Mächten Rußland und China, den Schurkenstaaten Iran und
Nordkorea, und der Bedrohung durch transnationale Organisationen, insbesondere
dschihadistische Terrorgruppen“. Insbesondere wird hervorgehoben: „China und
Rußland fordern Amerikas Macht, Einfluß und Interessen heraus und versuchen,
Amerikas Sicherheit und Prosperität zu erodieren. Sie sind entschlossen, die
Volkswirtschaften weniger frei und weniger fair zu machen“, etc.
Deshalb muß China mehr tun, um die Kindleberger-Falle zu vermeiden.
Gleichzeitig soll es weniger tun, um der Gefahr der Thukydides-Falle zu
entgehen. China muß also ein Gleichgewicht finden.
Zusätzlich steht China unter den gegenwärtigen internationalen Bedingungen
auch noch vor einer dritten Falle, der Falle des Kalten Krieges. Diese
betrifft sowohl die Thukydides-Falle als auch potentielle Konflikte bezüglich
der ideologischen Differenzen zwischen China und dem Westen. Wie Joseph Nye
bezüglich der Thukydides-Falle zwischen China und den USA richtig sagt,
„nichts ist unvermeidlich“, weil die Wirkung der Falle oft übertrieben wird.
D.h. daß beide Mächte offene Konflikte vermeiden, weil sie genau wissen, daß
die Kosten eines solchen Konflikts zu hoch sind.
Vertrauen bilden
Trotz dieser möglichen positiven Aussicht, offene militärische Konflikte zu
vermeiden, werden China und die USA immer noch Gefahr laufen, in die Falle des
Kalten Krieges zu tappen, wenn die beiden Seiten es versäumen, zwei
Themenkomplexe anzugehen: Der eine ist die Stärkung des gegenseitigen
strategischen Vertrauens, der andere, die Dämpfung der gegenseitigen
Widersprüche im ideologischen Bereich.
Die Erfahrungen deuten darauf hin, daß beides nicht leicht zu erreichen
ist. Das gegenseitige Vertrauen und Zutrauen in den chinesisch-amerikanischen
Beziehungen war in den vergangenen Jahrzehnten immer unzureichend. Was den
ideologischen Faktor angeht, werfen die negativen Reaktionen der USA und der
großen europäischen Länder auf China nach dem 19. Nationalkongreß der KPC
einen großen Schatten.
Die schon erwähnte Nationale Sicherheitsstrategie der USA nimmt eine
ziemlich harte Haltung gegenüber China ein, indem sie nicht nur von
bilateralen Differenzen in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit spricht,
sondern auch im ideologischen Bereich. Z.b. behauptet sie: „China und Rußland
wollen eine Welt schaffen, die den amerikanischen Werten und Interessen
entgegengesetzt ist“, und „dies sind grundlegende politische Dispute zwischen
denen, die repressive Systeme befürworten, und denen, die freie Gesellschaften
vorziehen.“ Auch europäische Länder wie Deutschland und Frankreich haben
negative Äußerungen über Chinas Rolle in der internationalen Ordnung, seinem
Ansatz gegenüber der globalen Regierungsführung und andere Fragen gemacht. Und
der Handelskrieg, der sich zwischen China und den Vereinigten Staaten
entwickelt, könnte zu einem Kalten Krieg führen, wenn er weiter eskaliert.
Die negative Haltung der westlichen Länder und der USA deutet darauf hin,
daß ein pessimistischer Trend in den Beziehungen zwischen China und den
westlichen Mächten aufkommt. Dies ist natürlich nicht gut für die Förderung
von Frieden, Stabilität und Prosperität in der Welt. Daher sollten alle
gemeinsame Bemühungen unternehmen, um zu verhindern, daß diese Trends sich
weiter entwickeln.
Präsident Xi Jinping sagte vor der 70. Vollversammlung der UN: „Das größte
Ideal ist die Schaffung einer Welt, die wirklich von allen geteilt wird.
Frieden, Entwicklung, Gleichheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit sind
gemeinsame Werte der gesamten Menschheit und die hehren Ziele der Vereinten
Nationen. Aber diese Ziele sind bei weitem nicht erreicht, und wir müssen
unsere Bestrebungen fortsetzen, sie zu erreichen.“
Bei einer anderen Gelegenheit sagte er: „Kein Land kann die vielen
Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, alleine meistern. Kein Land
kann es sich leisten, sich in die Isolation zurückzuziehen.“ Gleichzeitig
zeigte er eine recht positive Haltung, indem er dazu aufrief: „Wir sollten
unsere Träume nicht aufgeben, weil die Realität der Ungerechtigkeiten zu
kompliziert ist. Wir sollten nicht aufhören, unseren Idealen zu folgen, weil
sie außer Reichweite zu liegen scheinen.“
Ich denke, diese Konferenz bildet einen sehr guten Rahmen, das gegenseitige
Verständnis zwischen China und den westlichen Ländern zu stärken.
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