Neue Denkfabrik will globalen Dialog mit China fördern
In Peking wurde jüngst eine neue Denkfabrik gegründet, an deren
Eröffnungsveranstaltung auch das Schiller-Institut teilnahm.
Am 4. Dezember gab der mehrsprachig ausstrahlende Nachrichtensender
China Global Television Network (CGTN) in Peking den Startschuß für die
Schaffung eines neuen internationalen Expertengremiums, das unter dem Namen
„CGTN Think Tank“ firmieren soll. Zur Eröffnungsveranstaltung wurden 300
Gäste, darunter rund 30 Vertreter führender Denkfabriken des In- und Auslands
eingeladen, einschließlich der Gründerin und Präsidentin des
Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, um der Zeremonie ein gebührendes
Gewicht zu verleihen.
Durchs Programm führte die weit über Chinas Grenzen hinaus bekannte
Moderatorin Liu Xin, die erklärte, der CGTN Think Tank solle in der Zukunft
aus einem globalen Netzwerk von ca. 2000 Fachleuten bestehen, die die an ein
wachsendes internationales Publikum gerichteten Programminhalte durch ihre
Kommentare und Lösungsvorschläge bereichern sollen. China, so Liu Xin, wolle
sich einerseits vermehrt die unterschiedlichsten Meinungen anhören,
andererseits seine eigene Stimme deutlicher in die Welt hinaustragen.
Shen Haixiong, der Vorsitzende der China Media Group, zu der die sechs
TV-Sender von CGTN und weitere Medienunternehmen gehören, erwähnte in
seiner Eröffnungsrede nicht nur, daß er die technischen Möglichkeiten der
5G-Technologie voll zu nutzen beabsichtige, sondern auch, daß globale Medien
konstruktive Beiträge für die Entwicklung der Menschheit und für die globale
Stabilität leisten sollten.
Der Vorsitzende des China Institute for Innovation and Development Studies
(CIIDS), Zheng Bijian, betonte in seiner Rede, daß sich China in einer Phase
der Transformation zu einem qualitativ höherwertigen Wachstum befände, wobei
die „Entfesselung der produktiven Kräfte“ und die Verbesserung des
Lebensstandards von 1,4 Milliarden Menschen mit Hilfe wissenschaftlicher
Kompetenz und Innovation im Mittelpunkt stünden. Er sei davon überzeugt, daß
sich eine wechselseitig vorteilhafte Zusammenarbeit zwischen China und dem
Rest der Welt durchsetzen werde, selbst wenn einige Länder sich durch
kontraproduktives Verhalten diesem historischen Trend entgegenzustellen
versuchten. Die Belt & Road Initiative („Neue Seidenstraße”, BRI) und die
Regional Comprehensive Economic Partnership, ein Handelsabkommen zwischen den
ASEAN-Staaten, China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland, seien
wichtige Durchbrüche auf dem Weg dahin, ein inklusives Modell für weltweite
Entwicklung zu realisieren.
Yves Leterme, der ehemalige Premierminister Belgiens, stellte in seiner
Rede heraus, daß einige der größten Errungenschaften der jüngeren Geschichte,
zu denen das Erreichen der UN-Millenniumsziele in Sachen Armutsreduktion
gehörten, auf das Konto Chinas gingen. Heute sei das Land der Hauptmotor der
Weltwirtschaft und wolle durch friedlichen Fortschritt dazu beitragen, daß die
Menschheit sich zu einer Schicksalsgemeinschaft mit gemeinsamer Zukunft
entwickle. China strebe danach, ein globales System der Regierungsführung zu
errichten, das die Souveränität der Staaten voll respektiere und eine
Kooperation auf gleicher Augenhöhe ermögliche. Dazu benötige man auch
Einsichten und ausgewogene Berichterstattung, so Leterme, um eine konstruktive
Debatte und den friedfertigen Dialog zu fördern, die der „Lebenssaft“ für
jedwede multilaterale Ordnung darstellten. Eine solche Denkfabrik sei ein
wichtiger Schritt in Richtung einer objektiveren weltweiten Meinungsbildung.
Ein etwas düstereres Bild zeichnete der britische Bestsellerautor Martin
Jacques („When China rules the world“), der den wirtschaftlichen und
kulturellen Aufstieg Chinas mit dem zwangsläufigen Ende des Westens in
Beziehung setzte. 200 Jahre lang sei China ignoriert und verhöhnt worden, doch
nunmehr sei es in der historisch gesehen kurzen Zeit von vier Jahrzehnten
schlagartig ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit emporgestiegen, so Jacques.
Der Westen habe bislang nur wirtschaftliches Interesse an China gehabt, doch
sein Verständnis von Chinas Zivilisation, Sprache und Kultur sei im besten
Falle oberflächlich, woraus sich Skepsis und Ängste speisten. Während China
einem neuen Paradigma internationaler Beziehungen folge, wobei die Belt &
Road Initiative mit ihren bereits 140 Staaten und Organisationen als
Mitglieder den dramatischsten Ausdruck dieser erfolgreichen „neuen Logik“
darstelle, würden zentrifugale Kräfte den Westen und seine Institutionen
auseinandersprengen, von der EU bis zur NATO. Jacques, der in Manchester und
Cambridge studierte und in zahlreichen Universitäten Asiens gastiert hat,
beließ es bei der Feststellung, die Welt befände sich in „tiefer Unsicherheit“
und in „völliger Unkenntnis“ über den notwendigen Lernprozeß zwischen Ost und
West.
Mit den Worten „Technologie kann dein Freund sein, aber auch dein Feind“
begann John Pullman, der Videosparten-Chef des Britischen Medienkonzerns
Reuters, seinen Vortrag über den Einsatz künstlicher Intelligenz in
Nachrichtenagenturen. Seine weltweit 600 angestellten Journalisten wolle man
in „kybernetischen Redaktionen“ einsetzen, in denen mit großen Datenmengen
gespeiste Computerhirne Trends und Fakten zu „neuen Blickwinkeln für die
Reporter“ zusammenstellen sollen. Reuters wolle quasi ein
Vertrauensverhältnis zwischen menschlicher und maschineller Intelligenz
erzeugen, aus denen dann „kluge Entscheidungen“ erwachsen könnten, so Pullman.
Bereits heute würden Fußballberichte in wenigen Sekunden nach Spielende von
Rechnern erzeugt, die die von Redakteuren verfaßten chronologischen Daten und
Bilder zusammenbauten. Millionenschwere Investitionen gingen in das
Reuters-Interface, um Dienste wie Amazon, Twitter, Google News,
Facebook und viele andere mit 45.000 Stories im Monat zu beliefern, wobei
die „kybernetischen“ Redakteure angeblich darauf achten würden, daß nur
„verifizierte Quellen“ für die Lieferung des Inhalts in Frage kommen.
Glückwünsche und Grußbotschaften erreichten die Veranstaltung auch per
Videobotschaft vom chinesischen Botschafter in den USA, Cui Tiankai, dem
Präsidenten der Asian Infrastructure Investment Bank, Jin Liqun, ehemaligen
Premierministern wie Romano Prodi, Esko Aho, Han Seung-soo und Jenny Shipley,
und vom ehemaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon.
Im Anschluß tauschten die anwesenden Think-Tank-Mitglieder in Form von
Diskussionsrunden kurze Statements über ihre Einschätzungen zur aktuellen
Situation aus. Helga Zepp-LaRouche brachte hierbei als einzige Rednerin die
Gefahr eines unkontrollierbaren Zusammenbruchs des transatlantischen
Finanzsystems auf. Neokonservative Eliten, wie Francis Fukuyama von der
Universität Chicago, hätten 1992 verfrüht das „Ende der Geschichte“ ausgerufen
und Rußland und China zu Untergebenen einer unipolaren Welt herabgestuft. Das
System der Gewinnmaximierung für Spekulanten und die Interventionskriege des
Westens hätten in die Weltkrise von 2008 geführt, die dann jedoch mit
Bankenrettung, quantitativer Lockerung, Negativzinspolitik und nunmehr mit der
Verteilung von „Hubschraubergeld“ beantwortet wurde. Inzwischen haben die
massiven Sparmaßnahmen gegen die Bevölkerung weltweit zu Massenstreiks gegen
den Neoliberalismus geführt.
„Dies erfordert dringend eine Umstrukturierung des gesamten
transatlantischen Finanzsystems“, erklärte Zepp-LaRouche, und zwar durch die
Einführung einer globalen Bankentrennung nach dem Glass-Steagall-System und
den Übergang zu einem neuen Bretton-Woods-System, dessen Kredite sich auf die
Industrialisierung der Entwicklungsländer konzentrieren müßten. Die
Vereinigten Staaten und Europa müßten dazu gebracht werden, mit der Belt &
Road-Initiative im Rahmen einer gemeinsamen Entwicklungsstrategie, der
„Weltlandbrücke“, zusammenzuarbeiten, um so auch eine neue internationale
Sicherheitsarchitektur schaffen.
Frau Zepp-LaRouche schloß ihre Ausführungen damit, für „ein neues Denken
vom Standpunkt eines neuen Paradigmas“ zu werben, nämlich wie die Menschheit
in hundert Jahren aussehen solle. „Wir sollten die Kernfusion entwickelt und
eine internationale Zusammenarbeit bei der Erkundung des Weltraums beschlossen
haben. Wenn wir eine solche Sichtweise haben, können wir die Probleme der
heutigen Welt auf eine völlig andere Art und Weise angreifen.“
Der CGTN Think Tank plant bereits im kommenden Jahr weitere internationale
Veranstaltungen.
sko
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